Versorgung gibt es nicht nur gegen Leistung. Die Minimalversorgung gibt es aus gutem Grund als Menschenrecht. Und Minimalversorgung schließt in dem Sinne mehr ein als Essen, Trinken und Unterkunft. Dazu gehört auch Bildung und Teilhabe. Und vor allem Selbstbestimmung! Das ist kein Luxus, das ist das Mindesmaß. Menschenrechte sind nicht an Leistung gebunden. Ich bin sehr froh darum, dass es nicht anders ist und auch in Zukunft rechtlich geschützt ist.
Man argumentiert offensichtlich aus einer engstirnigen Sicht, wenn man meint, Kinder und Jugendlichen wären so pauschal an ihrer Situation selbst Schuld. Kinder und Jugendliche sind u.a. das Ergebnis der Gesellschaft und ihrer Eltern. Viel mehr schuldet die Gesellschaft dieser Generation nämlich auch etwas, nämlich eine Perspektive. Die letzten Jahrzehnte ging es stetig bergauf und wer meint, das läge an vermeintlich fleißigen oder disziplinierten Generationen, ignoriert offensichtlich, dass die letzten Generationen von genau dem profitieren, das nun wegfällt: eine große Zahl an Arbeitnehmer*innnen und keine direkte kriegerische Bedrohung. Statt aber das Geld in die Allgemeinheit zu investieren, floss es in private Taschen. Der Zustand der Schulen ist wohl kaum ein Ergebnis der aktuellen Bildungspolitik, sondern das Ergebnis eines Investitionsstaus der letzten Jahrzehnte.
Da sitzen wir Lehrkräfte und die Schüler*innen im selben Boot, denn diese Situation führt bei Lehrkräften ebenso wie bei den Schüler*innen zu der Frustration, die ich hier aus einigen Beiträgen herauslese. Wir Lehrkräfte haben jedoch die sehr viel privilegiertere Perspektive, denn wir sind meist verbeamtet und stehen mitten im Leben. Viele Schüler*innen an meiner Schule haben diese Perspektive nicht, sondern stehen auf die eine oder andere Art oft auf der Seite der Verlierer*innen. Und das merkt man ihnen meiner Wahrnehmung in der Schule oft an und besonders stark, wenn sie bei etwas verlieren, das sie eigentlich ausmacht und in dem sie eigentlich gut sind. Wir haben deshalb ganz oft im Sportunterricht Probleme mit den Emotionen. Ich merke die Frustration an mir ja auch, wenn die Leistungen in der Klasse oder das Verhalten der Kinder nicht meinen Erwartungen entsprechen und dann handle ich manchmal emotional, so wie die Kinder auch.
Die Gesellschaft schuldet der Generation eine Perspektive auch insofern, als dass anteilig vermutlich so viele Eltern arbeiten wie nie zuvor im Nachkriegsdeutschland. Das ist eine Hypothek für die Kinder dieser Generation, denen merklich die emotionale Sicherheit und Bindung fehlt. Unsere Gesellschaft hat sich so entwickelt, dass beide Elternteile arbeiten gehen (und im Sinne der Emanzipation ist das auch richtig so). Die Schule (und auch die frühkindlichen Betreuung und Bildung) hingegen ist noch mitten im Prozess sich daran anzupassen und erwartet oft noch das Gleiche von den Eltern, wie zu den Zeiten, als ein Elternteil zuhause geblieben ist. Andere Länder und Schulsysteme zeigen, dass das viel besser aufgefangen werden kann (also bitte auf eine reaktionäre Diskussion zum Thema Frauen in der Gesellschaft verzichten; Emanzipation und gute Bildung schließen sich nicht aus).
Stattdessen ist die Perspektive aber eben das die letzten Jahrzehnte unterfinanzierte und personell unterbesetzte Bildungssystem (inklusive frühkindliche Bildung und Betreuung), eine drohende Wehrpflicht, hohe Rentenbeiträge ohne eigene Sicherheit auf Rente und eine immer längere Lebensarbeitszeit nach hinten raus und tagtäglich.
Ich bin kein Dienstleister an der privilegierten Mehrheitsgesellschaft oder der Wirtschaft und nur weil manche da ihre Felle schwimmen sehen, muss ich nicht in diese düstere Negativität einstimmen. Diese Negativität hat ihren Grund - ich sehe diese aber aus einer anderen Perspektive - diese Negativität darf natürlich geäußert werden, aber ich möchte auch äußern, dass sie mich extrem nervt. Mir ist das einzelne Kind wichtig. Ich möchte dass es das Bestmögliche für sich erreichen kann. Das Erreichbare ist dabei natürlich sehr unterschiedlich. Ich habe aber durchaus auch Freude daran, Kinder z.B. emotional-sozial zu begleiten und freue mich da über Fortschritte. Wie gesagt frustriert es mich dann natürlich auch, wenn die Basiskompetenzen überwiegend nicht erreicht werden, da das schon den meisten prinzipiell zuzutrauen ist, aber ich kann es auch einordnen und sehe wirklich immer deutlicher, wie sehr die Kinder und ich dann mit unserer Frustration im selben Boot sitzen.