Lass es mich mal so formulieren: Was sicher einem Realitätscheck unterzogen werden wird, sind (unrealistische) Erwartungen -besonders bezogen auf Lernende und Unterricht.
Lass mich mal ein paar Beispiele bringen. Bitte nicht falsch verstehen, ich möchte nicht unterstellen, dass du diese Erwartungen hast - ich möchte damit nur verdeutlichen, dass die (Schul-)Realität meistens nicht Schwarz oder Weiss ist, sondern aus vielen Grautönen besteht.
Erwartung: „Meine Lernenden sind alle kleine Forscher, die die Welt verstehen wollen - daher sind sie immer interessiert und intrinsisch motiviert“
Realität: Einige werden deine Fächer lieben und interessiert sein, egal was du machst. Andere werden nicht interessiert sein, selbst wenn du im Unterricht einen Regenbogen mit Goldkessel am Ende herbeizauberst. Für die meisten ist dein Fach eines unter vielen, das sie einfach lernen müssen, weil es eben Teil des Curriculums ist - nicht mehr und nicht weniger.
Erwartung: „Ich kann mit meinen Schülerinnen und Schülern fachlich anspruchsvolle Themen machen“
Realität: Es wird Lernende geben, die mehr wissen wollen, als im Schulbuch steht. Es wird aber auch solche geben, die selbst am Ende ihrer Schulzeit mit grundlegenden Dingen Probleme haben werden, die für dich absolut trivial sind. Die meisten werden froh sein, wenn sie das aktuelle Thema gut genug verstanden haben, um eine ordentliche Note in der Prüfung zu schreiben und die freundlich aber bestimmt ablehnen, wenn du ihnen „mehr“ anbietest.
Wie gehe ich damit um? Tja, ich versuche, soweit möglich, meine Lernenden individuell da abzuholen, wo sie sind und mit ihnen das zu machen, was geht
Und ich freue mich über solche Feedbacks (zur Einordnung: ich unterrichte Volljährige, die nach der Berufslehre die Berufsmaturität (=Fachhochschulreife) machen): „Mathe ist nicht mein Lieblingsfach und es interessiert mich auch nicht wirklich, aber ich habe zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, dass ich Mathe lernen kann und ich keine Angst davor haben muss“ (hier paraphrasiert, aber exemplarisch für einige gleichartige reale Feedbacks von Lernenden).