Vieles wurde ja schon gesagt, trotzdem habe ich mal versucht, meine bisherigen Eindrücke (5 Jahre Dienstzeit, 2 am Gym, Rest an der Gesamtschule) dazwischen einzuordnen. Ja, mMn. ist ein unfassbarer Leistungsabfall zu beobachten und das fächerübergreifend. Man fragt sich, wo das Ganze denn genau anfängt und ich vermute, es sind die Grundschulen, die an vielen Orten überfordert sind mit der "bunten Heterogenität", sprich 10 Schüler mit besonderem Unterstützungsbedarf in der Klasse. Es ist dann abzusehen, dass unterrichtlich nicht groß Leistung abgefragt werden kann. Kinder aus "gutem" Elternhaus bekommen das von Zuhause aus dann korrigiert, der Rest schaut in die Röhre. Und ab Klasse 5 geht das dann genauso weiter in der Sekundarstufe.
Folgende Punkte tragen besonders zum Leistungsabfall bei:
1. Eltern begreifen Schulen als einen das Kind möglichst lange verwahrenden Dienstleister, Bildungsprozess wird verstanden als "Ich gebe Kind ab, Kind kommt gebildet zurück". Hallo Ganztagsschule! Dazu dann noch eine gesunde Portion "Mathe konnte ich auch nicht" und voilà, der Grundstein für eine holprige Schulkarriere ist schon gelegt.
2. Schule wird als politische Kampfplattform sozialistischer Art missbraucht: "Bildungsgerechtigkeit" steht ideologisch über dem Leistungsprinzip. Lieber sollen es alle gleich schlecht und beschissen haben (hallo gebundener Ganztag!), als dass sich leistungsstarke Kinder hervortun können. Leistung und Bereitwilligkeit dazu wird ja schon im Kern unterbunden (pöhse, pöhse Hausaufgaben, die machen alles so ungerecht! Dabei dürfen die ja eh nicht benotet werden...) Weg von diesem Dogma "Schule ist Lebensraum", hin zu "Schule ist Lernraum". Nein, ich wäre ausgerastet damals, wenn man mir gesagt hätte, dass die Schule mein Lebensort sei! Himmel, bitte nicht!
3. Lehrerinnen und Lehrer werden überbordend mit unterrichts- und damit kerngeschäftsfremden Aufgaben, Projekten, Fahrten und weiterem Stuss belastet, sodass das Kerngeschäft massiv leidet (ist mir besonders im Thread von Bolzbold aufgefallen, wo es um das obere und untere Drittel geht). Nein, wir brauchen als Schule nicht das x-te sinnbefreite Label als Sticker auf der Fassade. Wir dürfen auch einfach mal Schule sein, in der sich auf das Kerngeschäft Bildung, Wissensvermittlung in einem möglichst breiten Fächerangebot konzentriert wird. Nein, wir brauchen neben dem Tag der offenen Tür nicht auch noch zwei weitere Schnupperunterrichtsnachmittage und ähnlichen Krams, die Schüler kommen schon zu uns.
4. Die Entscheider in der Politik werden enorm von NGOs und fragwürdigen Stiftungen beeinflusst (Hallo Bertelsmann!), dazu wird massiv Monitoring betrieben - denn Bildung kann ja nur passieren, wenn irgendetwas messbar und damit ökonomisiert ist.
5. Entkernte und gleichzeitig enorm aufgeblasene Lehrpläne. Ich habe mich vor einer Weile mit älteren Lehrplänen verschiedenster Schulformen aus dem letzten Jahrhundert auseinandergesetzt und dabei festgestellt, dass so ein Mathematik-Lehrplan auch mal grob mit 3-4 Seiten auskommen konnte. Hat das den Kindern geschadet? Ich glaube nicht. Wir müssen zurück zum KISS-Prinzip: Keep it simple and stupid und nein, wir brauchen nicht jedes Thema unter Anwendung gröbster Hirnakrobatik auf inhaltsleere "Kompetenzen" zu reduzieren.
6. Disziplin- und Konsequenzlosigkeit: Als Wald- und Wiesenlehrer steht man irgendwie schnell ziemlich doof da, wenn die Leitung nicht durchgreift beim Thema Ordnungsmaßnahmen. Selbst ein einfacher Verweis von der Schule ist ja ein Riesenbohei, wo dann die faulen Eier untereinander hin- und her geschachert werden. Das kann es nicht sein! Es braucht für Schüler, die nicht richtig beschulbar sind, abseits von Förderschulen "Auffangnetze", und damit meine ich keine Zuchtanstalt. Aber irgendetwas, wo sie unter anderen für sie geeigneten Bedingungen lernen und das muss ihnen an spätestens dieser Stelle weh tun - vielleicht so etwas wie ein Internat, wo sie dann tatsächlich auch leben.
7. Viele Kolleginnen und Kollegen verwechseln ihre Lehrerrolle mit einer Art Elternrolle, gemischt mit ordentlich Altruismus. "Das arme Kind, ach gib ihm doch noch die Vier! Der kann ja nichts dafür!" Klar, kann man so machen. Aber so sieht kein Leistungsprinzip aus und am Ende steht der Leistungsstarke in einem solchen System als der Dumme da.
Was könnte helfen? Als Gesamtschulkollege sage ich, eine ernsthafte Rückkehr zum drei- bzw. viergliedrigen Schulsystem Hauptschule, Realschule, Gym, Förderschule. Dieses System ist - wenn ernst genommen und richtig durchgezogen - sehr heterogenitätsfreundlich und gleichzeitig durchlässig nach oben oder unten. Als großen Vorteil haben wir homogenere Lerngruppen, deren Bedürfnissen wir so viel besser gerecht werden können. So kann man den Bedürfnissen des einzelnen Kindes deutlich gerechter werden. Aber wie gesagt, das geht nur so lange auf, wie man Schule als leistungsorientierten Lernort begreift und nicht als egalitären Ort der Beliebigkeit und der Kuschelpädagogik.