Beiträge von Gymshark

    chilipaprika : Ich kenne mich mit Sehbindertenpädagogik zu wenig aus, um da ins Detail zu gehen. Ich würde mich da aber mal an Menschen mit regulärer Entwicklung orientieren, dass diese in sehr jungen Jahren noch sehr abhängig von ihren Eltern sind und diese entweder viele Aufgaben für sie übernehmen oder halt zusammen und junge Menschen mit der Zeit vermittelt bekommen, diese Aufgaben selbst durchführen zu können. Diese Aufgaben werden mit der Zeit immer komplexer. Analog dann bei Menschen mit körperlicher Einschränkung.

    Beispiel: Wenn ich etwas in der Stadt besorgen muss, ist mein hypothetisches Kind im Kindergartenalter, wenn es dabei ist, immer an der Hand und ich achte vorsorglich auf potentielle Gefahrensituationen, um rechtzeitig dem Kind zu sagen, was es konkret zu machen hat. Wenn es im Grundschulalter ist, muss ich es nicht mehr an der Hand nehmen, nur darauf achten, dass es in Sichtweite ist und muss vielleicht mal auf eine Gefahrensituation hinweisen, ohne im Detail erklären zu müssen, was hier zu machen ist. Wenn es im Teenageralter ist, kann es eine Besorgung womöglich bereits alleine durchführen und braucht höchstens vorab eine grobe Einweisung wie-wo-was.

    Du bist doch sonst immer dafür, dass die Schule für den Unterricht zuständig ist und die Eltern (oder Andere) weitere Kompetenzen beibringen und ergänzen?!

    Das stimmt. Siehst du hier einen Widerspruch? Ich sehe das auch bei Kindern mit Förderbedarf so, sage nur, dass Kompetenzen, die sich rein aus dem Förderbedarf ergeben, im schulischen Kontext vermitteln werden sollen. Eltern, auch von Kindern mit Förderbedarf, müssen kein intensives sonderpädagogisches Hintergrundwissen haben.

    Wenn ein Förderbedarf nicht die Fähigkeiten, "Dinge, die man anfängt, auch zu Ende bringen.", "Konflikte mit Worten statt mit Gewalt lösen.", "bitte und danke sagen" oder "sich nicht einfach an fremdem Eigentum bedienen", einschränkt, sehe ich die Vermittlung eben dieser in der Verantwortung der Eltern, nicht der Schule.

    Ich finde es ehrlich gesagt eher ableistisch, anzunehmen, dass blinde Menschen das mit der Orientierung im öffentlichen Raum schon "mal eben" machen. Menschen, die von Geburt an blind sind, agieren da noch einmal anders als Menschen, die durch Unfall oder Krankheit die Sehkraft verlieren, aber ich würde mir als sehender Mensch nicht anmaßen, die Komplexität der Orientierung in einer Welt, in der die Erfassung der Umwelt mithilfe der Augen als Normalfall angenommen wird, herunterzuspielen. Das ist schon extrem anstrengend und benötigt jahrelange Übung, selbst für jemanden, der es von Geburt an nicht anders kennt.

    CDL: Warum bist du der Meinung, dass Schule Orientierung im öffentlichen Raum nicht leisten können muss?

    Ich fände es schon gut, wenn mein blindes Kind, hätte ich eines, in der Schule lernt, wie man mit einem Blindenhund umgeht oder wie das mit der Kreuzung in der Innenstadt funktioniert. Eben die Beispiele, die du nanntest. Und klar gibt es keinen Anspruch darauf, dass Schule alle Möglichkeiten umfassend und abschließend vermittelt. Es geht um exemplarisches Vermitteln für die Zielgruppe wichtiger Kompetenzen, die ein Teilbereich lebenslangen Lernens sind, was natürlich auch für Schüler mit Förderbedarf gilt. Ich hätte dann in der Schule gelernt, wie ich mich in der Stadt Freiburg orientiere und müsste dann zu einem späteren Zeitpunkt auf Basis dieses Vorwissens (ggf. mit externer Unterstützung) lernen, wie ich mich in Reutlingen zurechtfinde.

    Und bei Regelschülern geht es "nur um Vermittlung von Fachinhalten im Klassenraum"?

    Da sagen aber Schulgesetze, Bildungspläne etc. deutlich etwas anderes.

    Bei Regelschülern ist Orientierung im öffentlichen Raum kein explizites Lernziel. Es wird natürlich im Fachunterricht nicht an der Lebensrealität vorbei unterrichtet, Alltagsthemen wie die Bedeutung von Geld oder der öffentliche Behördenapparat vermittelt, aber du musst als Sonderpädagoge zugeben, dass dies anderen Parametern folgt als bei Kindern mit Förderschwerpunkt Sehen oder Hören, bei denen es darum geht, (wenn wir es mal wirklich auf die tauben und blinden Schüler beschränken. Ich weiß, dass es auch Schüler gibt, die diese Förderschwerpunkte haben, aber "nur" seheingeschränkt oder schwerhörig sind.), sich als blinder oder tauber Mensch in einer Gesellschaft, die schlichtweg darauf basiert, dass sie die Fähigkeit zu sehen und zu hören als Normalfall voraussetzt, überhaupt zurechtzufinden.

    Wenn ein Kind im 9. Schuljahr Inhalte erarbeitet, die Kinder mit durchschnittlicher Begabung im 3. Schuljahr erarbeiten, gilt doch dennoch ein Lehrplan, nämlich vermutlich der vom Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Ich kenne mich jetzt nicht mit diesem Förderschwerpunkt aus, würde aber vermuten, dass dieser nicht einfach nur Inhalte aus dem Curriculum für andere Schulformen streckt, sondern teilweise andere Schwerpunkte setzt, manche Themen streicht und dafür andere Themen hinzufügt, die bei Kindern mit anderer Fähigkeitsausprägung entweder keine Rolle spielen oder im Rahmen ihrer Entwicklung und Sozialisierung bereits unterbewusst erworben werden, ohne dass hier eine explizite Vermittlung im Unterricht notwendig ist.

    Maylin85 : Ich würde unterscheiden zwischen seheingeschränkten und wirklich blinden Schülern. Bei blinden Schülern geht es nicht nur um Vermittlung von Inhalten, sondern auch darum, zu lernen, sich möglichst selbstständig im öffentlichen Raum zu bewegen. Das kann ein Gymnasium gar nicht leisten oder könntest du mal eben 2 Stunden aus dem laufenden Unterricht ausgeplant werden, um dir einen blinden Schüler (m/w/d) zu schnappen und eine Tour durch die Stadt zu machen, um ihm oder ihr zu zeigen, wie man sich an stark befahrenen Straßen, auf der Suche nach öffentlichen Toiletten oder Behörden verhalten muss? Es geht bei dieser Schülerschaft ja nicht nur um Vermittlung von Fachinhalten im Klassenraum, mal plakativ formuliert.

    Ein Vorteil ist zum Beispiel, dass man sich nicht an bestimmte Lehrpläne halten muss und ganz individuell arbeiten kann.

    Aber der Staat denkt sich doch etwas bei Lehrplänen, die es ja auch für Kinder mit Förderschwerpunkt Lernen oder geistige Entwicklung gibt. Eltern, besonders solche ohne pädagogisches Vorwissen, müssen sich doch darauf verlassen können, dass bei aller Individualität bestimmte Mindeststandards erfüllt werden. Ich fände es problematisch, wenn rein hypothetisch eine Lehrkraft arithmetische Inhalte ausblenden und primär Geometrie im Mathematikunterricht vermitteln würde, weil sie aus welchem Grund auch immer der Meinung ist, dass dies besser sei.

    Und wenn ich Inhalte, die für 2 Monate gedacht waren, auf ein halbes Jahr strecke, lasse ich ja auch indirekt andere Inhalte weg, was zu einem Konflikt mit der inhaltlichen Breite, die der Lehrplan (berechtigterweise?) vorsieht, führen kann.

    Mich nerven ehrlich gesagt auch Brillenträger massiv. Kostet echt unnötig Geld.
    Wäre es nicht einfacher, sie alle zusammen in eine Schule zu stecken, dann könnte ich endlich Arbeitsblätter in Schriftgröße 8 nutzen. Was für Einsparnisse.

    Provokation kann manchmal neue Sichtweisen ermöglichen, daher völlig legitimer Einwand.

    Mein "Aber" an der Stelle würde in die Richtung gehen, dass die Brille vom Schüler (m/w/d) bereits mitgebracht und (durch die Schülereltern) selbstfinanziert wird. Dadurch könnten sie ja an dem exemplarisch angebrachten Arbeitsblatt in Schriftgröße 8, ohne dass auf deiner Seite ein Mehraufwand bestünde, arbeiten, oder lasse ich gerade eine Variable außer Acht?

    Was meinst du mit "Kinder grundsätzlich nicht dabei sein können"? Was wird denn diesen Kindern verwehrt? Und vor allem, geht es nicht darum, die individuellen Bedürfnisse und Voraussetzungen zu berücksichtigen, statt alle über einen Kamm zu scheren?

    Was ist, wenn, außerhalb des Inklusionskontextes, Eltern wollen, dass ihr Kind auf einer Privatschule oder, wenn sie in Grenznähe wohnen, im Nachbarbundesland unterrichtet werden soll? Sind diese Kinder dann auch "nicht dabei"?

    Eine Förderschule Schwerpunkt Hören würde immer Bedarf an den Mikrofonen und der Anlage haben, aber was ist, wenn der Bedarf an einer durchschnittlichen Realschule so aussähe, dass es mal einen Schüler mit entsprechendem Bedarf gäbe, dann mal mehrere Jahre keine und dann auf einmal drei?

    Ich persönlich fände das kein sinnvolles Management von pädagogischen Ressourcen.

    So einfach ist das mit der Inklusion nicht. Zum Beispiel sind tatsächlich Förderschulen mit dem Schwerpunkt Hören ganz anders ausgestattet als die anderen Schulen. Da haben die Kinder Kopfhörer und Hörgeräte, die die Lehrkraft vorne an einem Pult steuern kann usw.... So etwas haben die anderen Schulen gar nicht. Gebärdensprache usw... Wie soll man als nicht in dem Bereich ausgebildete Lehrkraft diese Kinder fördern, zumal die Ausstattung fehlt?

    Vor allem ist es auch völlige Ressourcenverschwendung, 5 Kinder mit Förderbedarf Hören auf 5 verschiedene Schulen zu verteilen, statt diese an einer Schule zu bündeln, an der die von dir beschriebene Ausstattung und Lehrkräfte mit Expertise in Sachen Gebärdensprache vorzufinden sind. Und das in Zeiten knapper Kassen...

    Es kommt denke ich auf die Ausprägung der Autismus-Spektrums-Störung an. Leichte Fälle können am Gymnasium unterrichtet werden. Bei schweren Fällen kann eine Förderschule mit Schwerpunkt emitionale-soziale Entwicklung Sinn machen. Hier gibt es keine Pauschallösung und es sollte auf den Einzelfall geschaut werden.

    Ich finde den Vorwurf, dass Förderschulen gegen Menschenrechte verletzen, schwierig. Greifen wir aber mal den Vergleich mit schwarz und weiß auf.

    Wir haben uns implizit gesellschaftlich darauf geeinigt, dass im beruflichen Kontext nach Fähigkeit diskriminiert werden darf. Habe ich einen unterdurchschnittlichen IQ, kann ich kein Gehirnchirurg oder Maschinenbauingenieur werden. Als Gehirnchirurg kann ich aber jegliche/s Hautfarbe, Sexualität oder Geschlecht haben, ohne dass dies unmittelbar meine Arbeit beeinflusst

    Unter der Premisse, dass die Berufswelt nach Leistungsfähigkeit selektiert, ist das Ziel im pädagogischen Kontext, aus den vorhandenen Ressourcen das Maximale herauszuholen. Da muss ich bei Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichen Voraussetzungen auch unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Habe ich ein Kind mit einer geistigen Behinderung, weiß ich, dass es schlichtweg keinen Sinn macht, ihm die Relativitätstheorie zu vermitteln. Hier geht es eher (je nach Grad der Behinderung) darum, dass das Kind Rechnen und Schreiben lernt und sich selbstständig im Alltag zurechtfindet. Ein Kind, das Wutprobleme hat, braucht auch erst einmal keine Relativitätstheorie, sondern muss erst einmal in einem geschützten Raum lernen, wie man sich als Teil der Gesellschaft zu verhalten hat.

    Das heißt nicht, dass das Menschen zweiter Klasse sind, sondern dass das Menschen sind, bei denen der Regelweg nicht zu den tatsächlich vorhandenen Bedürfnissen passt.

    Ein Kind mit geistiger Behinderung erhält Bildungsteilhabe - wo bleibt ihm hier etwas verwehrt? Weil es kein Subjonctif und Analysis lernt? Ich würde mal eher fragen, ob die Kinder und Jugendlichen mit Einschränkung, die im Rahmen gemeinsamer Beschulung beschult wurden, nach Ende der Schulzeit nennenswerte Freundschaften oder gar Partnerschaften mit Menschen ohne Einschränkung führten, oder ob es nicht eher so ist, dass man sich doch nach der Schulzeit auseinanderentwickelt, weil Interessen und Bedürfnisse ganz andere sind.

    Natürlich bewerte ich nicht unaufgefordert den Schreibstil eines Schülervaters, das ist klar. Außer, es würden jetzt in einem Schreiben Beleidigungen oder dergleichen drin stehen. Würde mich hingegen der Schülervater nach meiner persönlichen Meinung fragen, würde ich eher die selbstgeschriebene Nachricht mit Fehlern nehmen als das mit KI verfasste Schreiben. Die Gründe habe ich zuvor genannt.

    Ist es bei irgendwem in dieser Liste okay, die KI zu verwenden? Und wo zieht man die Grenze?

    In Fällen, in denen die Schreibskompetenz schwach ist (Fall 3/4/6/7), wäre für den Lernfortschritt eine selbst formulierte, vermeintlich fehlerhafte Nachricht dennoch besser als das perfekte Schreiben, das der Betroffene im schlechtesten Fall kognitiv nicht überblicken kann. Wir bringen Kindern und Jugendlichen die Grundkompetenzen auch bei, um mündig und autonom handeln zu können. Dasselbe Recht haben im Sinne des lebenslangen Lernens natürlich auch Erwachsene, die aus welchem Grund auch immer diese Kompetenzen noch nicht oder nur teilweise erworben haben.

    Hilfsmittel wie ein Taschenrechner oder eine KI können zur Erleichterung eingesetzt werden, vorausgesetzt, ich bin mit der Thematik insoweit vertraut, dass ich nachvollziehen kann, ob das Ergebnis sinnig erscheint, es erklären und im Zweifelsfall auch ohne Hilfsmittel produzieren könnte. Häufiger Gebrauch kann auch dazu führen, dass vermeintlich verinnerlichtes Wissen aufgrund fehlender Übung verloren geht. Dann wäre es eher problematisch, wenn man dem Ergebnis vom Taschenrechner oder der KI blind vertraut. Mit Abstrichen könnte ich mir daher im Rahmen deiner Beispiele noch am ehesten bei Fall 1 vorstellen, dass der Einsatz mehr Vor- als Nachteile bringt.

    Grundsätzlich wachsen auch Menschen an den Anforderungen, die an sie gestellt werden. Ich denke, jeder hatte in seiner eigenen Schulzeit mindestens eine anspruchsvolle Lehrkraft, bei der man sich besonders anstrengen musste, um eine gute Note zu bekommen.

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