So gesehen sind aber auch viele andere Vorgaben in der Risu nicht wirklich zielführend.
In der Tat ist das auch so. Wir nutzen die RISU als unverbindliche Handlungsempfehlung, rechtlich bindend ist sie für uns nicht. Weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass ich als studierte Chemikerin selbst entscheiden kann. Was auch völlig zutreffend ist, die Unfallstatistik spricht an dieser Stelle für sich. Die Geschichte mit unserer Assistenz und dem Schneidebrett ist ja kein Zufall. Die hat 18 Jahre lang an einer deutschen Schule gearbeitet. Es hat einen Moment gebraucht ihr beizubringen, dass RISU jetzt aus ist.
Ich halte dies aber auch für sinnig.
Ah! Jetzt kommen wir, glaube ich, zusammen. *Du* hältst das für sinnig. Du weisst allerdings auch selber, dass es niemals einen relevanten "Unfall" geben wird. Niemand wird dich jemals fragen, ob Schüler X gerade gegessen hat während du dich an der Glasscherbe eines zerbrochenen Becherglases geschnitten hast, weil A mit B gar nichts zu tun hat.
Zum einen lernt der Schüler, dass es im Berufsleben Gefährdungsbereiche gibt, in denen bestimmte Regeln einzuhalten sind. Sobald ich eine Baustelle betrete habe ich Sicherheitsschuhe und einen Helm zu tragen.
Volià, das halte ich für eine akzeptable Argumentation. Würde ich immer noch an einer Berufsschule unterrichten, würde ich es wahrscheinlich auch ganz genau so sehen und halten, mit der gleichen Begründung. Da sind wir wieder an dem Punkt: Regeln gilt es situativ zu hinterfragen und anzupassen. Ich schrieb bereits, ich bestehe schon seit längerer Zeit nicht mehr dogmatisch auf das Tragen von Kittel und Schutzbrille im Labor. Das tat ich noch mit meinen ersten Lerngruppen, einfach weil mir selber die Routine gefehlt hat die Leute richtig einzuschätzen und den Überblick zu behalten. Es klappt aber ganz wunderbar zu sagen, wir pipettieren heute im Wesentlichen Wasser bzw. wässrige Lösungen, wir brauchen weder Kittel noch Schutzbrille. Und das nächste Mal arbeiten wir mit 0.1 mol/L Natronlauge, wer da die Schutzbrille nicht jederzeit über den Augen hat, beendet die Arbeit und verlässt das Labor. Gymnasiasten und Fachmittelschülerinnen der Sekundarstufe II funktionieren da ausreichend vernünftig und adaptiv. Die ganz grosse Mehrheit meiner Schülerinnen und Schüler ist am Ende tatsächlich in der Lage, Standardsituationen selbst korrekt einzuschätzen. Das halte ich für einen unverzichtbaren Lernerfolg. Den gewichte ich höher als meinen persönlichen Komfort, den ich mit einer immer gültigen "ist-halt-so-Regel" freilich habe. Heisst nicht, dass ich mir nicht absolut auch Situationen vorstellen kann, in denen ich die "ist-halt-so-Regel" aber ohne mit der Wimper zu zucken sofort ziehe und dann auch absolut diktatorisch umsetze. Heisst auch nicht, dass ich im wahren Leben einem Kollegen, der an dieser Stelle auf die "ist-halt-so-Regel" besteht, eine Szene machen würde. Das stünde mir überhaupt nicht zu.
Ich habe auch keine Lust, die Reste der Kartoffelchips überall aus den Ecken und Winkeln herauszuholen.Auch ausgediente Kaugummis unter den Tischen brauche ich nicht.
Auch das kann ich absolut nachvollziehen. Allerdings mache ich das eben gar nicht, also Krümel aus allen Ecken rausholen. Wenn meine Jugendlichen Dreck machen, machen sie diesen Dreck auch selbst wieder weg. Ihnen das beizubringen, ist Teil meines Erziehungsauftrags und dem komme ich nicht mit generellen Verboten bei. Ich lasse Essen und Trinken im Physikpraktikum aber auch nicht zu, so lange Geräte auf den Tischen stehen. Ich sehe nicht ein, dass unsere Geräte beschädigt werden, die kosten Geld. Ein verkrümelter Tisch ist hingegen kein Schaden, dafür braucht es nur einen Lappen und einen Schüler, der den in die Hand nimmt.