Wie würdet ihr reagieren? - Selbstmord eines Vaters

  • Hallo!
    Ich habe eine 1. Klasse.
    Gerade bekam ich den Anruf einer Mutter, dass sich der Vater eines anderen Schülers erhängt habe. Der Vater war sehr beliebt im Ort und hat meine halbe Klasse als Fußballmannschaft trainiert.
    Wie würdet ihr reagieren? Ich fühle mich so hilflos.
    Bin für jede Antwort dankbar.
    Alles Liebe
    Tamina

  • Hallo Tamina,


    weil noch niemand geantwortet hat, tue ich es jetzt mal.


    Eine schwierige Frage und ich kann dazu gar nichts aus Erfahrung berichten. Wenn so viele Schüler den Vater kannten, würde es sich anbieten, über den Vater und den Tod allgemein zu sprechen, aber ob das sinnvoll ist, wenn das Kind in der Klasse ist?


    Vermutlich wird das Kind morgen oder in den nächsten Tagen aber nicht in der Schule sein, dann könntest du mit der Klasse darüber sprechen. Vielleicht ein Gebet halten, vielleicht habt ihr eine Kirche nebenan, wo ihr eine Kerze anzünden könntet.


    Dem Kind würde ich sagen, dass es dir sehr leid tut. Ich glaube, du hilfst ihm am meisten, wenn du normalen Unterricht machst. Ich weiß nicht, vielleicht wäre es auch eine Möglichkeit, wenn du bei der ersten Stunde des Kindes irgendein Zeichen der Anteilnahme zeigst, z.B. ein gemeinsames Gebet oder eine Kerze, man könnte evt. auch im Klasszimmer eine Kerze für den Vater anzünden (solltest wohl am besten nur du machen). Oder du schreibst einen kleinen Beileidsbrief an das Kind, den es sich von der Mutter vorlesen lässt.


    Femina

  • Hallo Tamina,
    es wird auf jeden Fall wichtig sein, das Thema TOD anzusprechen. Die Kinder können ihre Gedanken äußern, was ihrer Ansicht nach nach dem Tod passiert. Es wäre schön, wenn du ihnen auch deine Meinung sagen könntest. Wenn du an ein Weiterleben glaubst, sag es ihnen. Die Kinder können evtl. Bilder über ihre Gefühle malen oder malen und schreiben, was sie von dem Verstorbenen noch wissen und woran sie sich erinnern. Diese Blätter werden zu einem Buch gebunden. Dieses "Erinnerungsbuch" würde ich in der Klasse lassen, so dass die Kinder immer hingehen und es anschauen können, wenn ihnen danach ist.
    Die Kinder könnten darüber hinaus noch ein Bild malen für das Grab. Wenn ein paar Wochen um sind, könnte die Klasse zum Friedhof gehen und die Bilder und ein Blümchen auf das Grab legen.
    Den Selbstmord würde ich in keinem Fall thematisieren. Der Vater war krank - irgendwie. Denn wer sich tötet, ist in einer Ausnahmesituation, die man für Kinder durchaus mit dem Wort krank beschreiben kann.
    So ähnlich habe ich vergleichbare Situationen schon durchlebt.
    Es wird gut gehen, du wirst sehen. Und du wirst merken, dass es sehr wichtig für die Kinder ist, auch und gerade für das betreffende Kind, dessen Vater starb.
    Viele Grüße
    venti

  • Zitat

    Vielleicht ein Gebet halten, vielleicht habt ihr eine Kirche nebenan, wo ihr eine Kerze anzünden könntet.


    Eine Kerze würde ich auf alle Falle anzünden, und zwar in der Klasse. Was du dazu sagst, wird ein wenig von deinem eigenen Glauben abhängen und davon, ob der Vater getauft war. Es sollte jedenfalls zum Ausdruck kommen, dass das Licht der Kerze ein Zeichen dafür ist, dass Ihr in dieser Stunde in euren Gedanken und Erinnerungen bei ihm seid.


    Es gibt ein schönes Bilderbuch, für eine erste Klasse sehr geeignet, von einem alten Dachs, der im Traum in den Tod hinübergleitet ( erläuft durch einen tunnel, und plötzlich kann er sich wieder bewegen wie in jungen Jahren). Seine jungen Freunde sind zuerst sehr traurig. Dann bringt jeder eine schöne Erinnerung an das vor, was er vom Dachs gelernt hat. In der Buchhandlung wird man dir den genauen Titel sagen können.


    Ich denke, dass das Buch auch einige Tage später noch passend sein wird.


    Bablin

    Wer hohe Türme bauen will,
    muss lange beim Fundament verweilen.
    Anton Bruckner

  • Hallo Tamina,


    wenn Du einen schönen Spruch möchtest, dieser ist von einem guten Freund, der leider zu früh von uns gegangen ist.


    Wenn Du bei Nacht den Himmel anschaust,
    wird es Dir sein als lachten alle Sterne,
    weil ich auf einem von ihnen wohne,
    weil ich auf einem von ihm lache.
    Du allein wirst Sterne haben, die lachen können.
    Und wenn Du dich getröstet hast,
    wirst Du froh sein mich gekannt zu haben.


    Gruß Schulkind

  • Bei uns in der Gemeinde hat sich ein Messdienerleiter das Leben genommen -- mit 18 Jahren. Die Leiter sind nach einer Woche an sein Grab gegangen, haben einen Text vorgelesen (den hab ich gerad nicht vorliegen), und jedes Kind durfte an eine Rose einen Text für ihn schrieben. So haben sie Abschied genommen.


    Lg,
    Tina

  • Hallo Leute,


    so wie ich Tamina verstanden habe, kannten nicht alle den Vater und hatte nicht jeder einen Bezug zu ihm. Das muss man auch berücksichtigen, wenn man irgendeine eine Aktion plant. Aber man kann den Schülern ja klar machen, dass es um den Vater von dem einen Kind geht, und dass man auch am Tod eines Fremden Anteil nehmen kann (soweit das in einer 1. Klasse halt geht).


    Das Problem sehe ich nur darin, was antwortet man, wenn die Kinder fragen, wie der Vater gestorben ist?


    Femina

  • Hallo ihr Lieben!
    Vielen Dank für eure Antworten, sie helfen mir schon viel weiter.


    Die ganze Sache ist noch viel schlimmer als erwartet. Da die Mutter mich heute anrief, weil ich sehr guten Kontakt zu ihr habe, bin ich dort hin gefahren.
    Der Vater hat sich im Spielzimmer vor der Tür des kleinen Jungen erhängt und das Kind hat ihn morgens, als alle noch schliefen, gefunden. Er schrie: "Mama, Mama! Der Papa hängt da! Der ist ganz kalt! Der ist tod! Der kommt nie mehr wieder! Hol eine Decke!" Und dann hat er nur noch geschrieen.


    Gott sei Dank hat er schon psychologische Betreuung gehabt. Er kommt auch morgen wieder in die Schule.


    Ich werde sehen, was von den Kindern kommt. Der Vater wollte die Klasse für ein Fußballtunier im Mai trainieren. Von daher kannten ihn alle Kinder vom Sehen.
    Wenn die Kinder fragen, wie er gestorben ist, dann werde ich ihnen so antworten, dass ich sage: Der Papa von XY, dem ging es nicht so gut, dem ging es so schlecht, dass er so krank war, dass er nicht weiter leben konnte." Ich werde nicht sagen "nicht weiter leben wollte". Die Todesursache wissen die anderen Kinder aus dem Fußballclub auch schon.


    Es wird schon wieder werden. Life goes on.


    Alles Liebe
    Tamina

  • Zitat

    Tamina schrieb am 06.03.2005 22:01:
    Der Vater hat sich im Spielzimmer vor der Tür des kleinen Jungen erhängt und das Kind hat ihn morgens, als alle noch schliefen, gefunden. Er schrie: "Mama, Mama! Der Papa hängt da! Der ist ganz kalt! Der ist tod! Der kommt nie mehr wieder! Hol eine Decke!" Und dann hat er nur noch geschrieen.


    Das ist ja furchtbar. (Nebenbei: Wie kann ein Vater nur so einen Ort auswählen? Wollte er nah bei seinem Jungen sein?)


    Ich wünsche dir, dass du die richtigen Worte in der Klasse findest.


    Liebe Grüße,
    Femina

  • Hi!
    So. Ich war heute den gesamten Nachmittag bei der Mutter und wir haben geredet.
    Der Junge ist in psychologischer Behandlung und sie bekommt auch gute Hilfen. Es gibt wieder Lichtblicke.
    Sie wird wegziehen, aber so, dass die Kinder ihre gewohnte Umgebung behalten können.


    Meine Klasse ist einfach spitzenmäßig.
    Am Sonntag haben die Eltern einen Rundruf organisiert und haben ihren Kindern erklärt, was passiert ist.
    Alle Kinder verhalten sich ganz normal. Keiner geht zu ihm und sagt: "Du Armer, kann ich dir helfen." oder "Erzähl doch mal wie das passiert ist".
    Ich habe am Montag einen Stuhlkreis gemacht und weil ich zwei Wochen krank war, habe ich gefragt, was denn alles passiert sei in dieser Zeit. Damit erreichte ich einmal, dass das Kind, wenn es erzählen wollte von sich aus anfing, auf der anderen Seite, fiel es keinem großartig auf, wenn er nicht erzählen wollte und ich erfuhr so, was sie im Unterricht gemacht hatten.
    Das Kind meldete sich auch und ich konnte ihn so zuerst drannehmen. Er äußerte nur, dass am Samstag das Fußballtunier ausgefallen war und dass er bei seinem Freund geschlafen habe. Das war alles und es ging weiter.
    Während des Unterrichtes habe ich ihn dann zur Seite gerufen,damit ich ihm erklären konnte, dass er in die Übermittagbetreuung könnte wenn er wollte. Weil er mich immer so erwartungsvoll angesehen hatte, habe ich ihm dann noch erklärt, dass ich nichts sage, was er nicht möchte und dass er immer zu mir kommen kann.
    Eine wunderschöne Erfahrung war für ihn dann noch, dass er im Schwungtuch von der Klasse getragen wurde.
    Heute lachte und strahlte er dann schon wieder.
    Ich habe das Gefühl, dass er froh ist, wenn er in der Schule ist, weil er das Thema dann verdrängen kann. Aber das ist ja auch gut so.
    Aber nochmal. Ich habe eine ganz tolle Klasse.


    Vielen Dank an Euch.
    Alles Liebe
    Tamina

  • Hallo Tamina,


    da geht einem das Herz auf, wenn man so etwas liest. :)


    Ich glaube auch, dass die Schule den Kleinen ein bisschen ablenken kann.


    Femina

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