Zentrale Prüfungen = Absenken des Niveaus?

  • Da habe ich doch mal wieder ganz gepflegt einen ziemlichen Hals, das gleich vorweg.


    Das Berufskolleg hatte noch eine Gnadenfrist bis es auch vom Zentralabitur betroffen ist. Zunächst trifft es dann die sogenannten "profilbildenden Fächer", also Betriebswirtschaftslehre mit Rechnungswesen zum Beispiel, im Jahr danach sollen die anderen Fächer, also zum Beispiel Deutsch, folgen.


    Nun sickern langsam die Vorgaben durch, die dann im Fach Deutsch gelten sollen. Mir wird -ehrlich gesagt- Angst und Bange, was da vorgeschlagen wird. Frau S. aus D. hat offenbar eine geschickte Taktik gewählt, könnte man meinen. Sie setzt einfach die Standards so niedrig an, dass es quasi unmöglich wird, durch die Prüfungen zu fallen. Das Fach Deutsch soll zum Beispiel nur noch "Zubringer" für das Fach Wirtschaft sein und ausschließlich entsprechende Themen behandeln (ein halbes Jahr "Wirtschaft und Ethik" beispielsweise). Das ist ja alles ganz schön, mag man meinen, aber jetzt kommt der Haken: Wir reden hier von der "Allgemeinen Hochschulreife", es kann doch gar nicht der Sinn der Sache sein, dass jetzt möglichst viele einen Abschluss bekommen, denn was hilft ein Abschluss, wenn ich nicht einmal einen vernünftigen Satz formulieren kann? (Richtig, es gibt einen Fehlerquotienten, der Satzbau zum Beispiel überhaupt nicht berücksichtigt.)


    Mir sträuben sich da zunehmend die Nackenhaare. Die Folge wäre eventuell, dass unsere Prüfungen der Fachhochschulreife einen höheren Schwierigkeitsgrad aufweisen könnten als das Zentralabitur. Bedenklich, meine ich, denn wir haben uns Jahre lang Mühe gegeben, einen gewissen Standard zu entwickeln und zu halten. Ist es wirklich akzeptabel, die Anforderungen immer weiter herunterzuschrauben, damit es der Gesellschaft und Öffentlichkeit so verkauft werden kann als hätte die Politik von Frau S. wirklich funktioniert?


    Wie seht ihr das? Was kann man eigentlich unternehmen? Nur hinnehmen und akzeptieren? Ist das Problem in den anderen Zentralprüfungen ebenfalls gegeben?


    Unter diesen Bedingungen müssten eigentlich Arbeitgeber und Universitäten Sturm laufen, weil die Kompetenzen, die die Jugendlichen erfüllen sollen, immer mehr auf das Auswendiglernen von Wissen beschränkt werden und zudem der Standard beständig gesenkt wird. Die Berufskollegs verstehen sich als Vermittler von Wissen, welches für die berufliche Zukunft von Bedeutung sein soll. Diese Möglichkeit wird Schulen zunehmend genommen, wenn das Ziel nur noch ist, möglichst viele Schüler zwar ohne Kompetenzen, aber mit einem Abschluss auf den Arbeitsmarkt und an die Universitäten zu schicken (wo sie unter diesen Bedingungen eigentlich nur versagen können).

    Man muss Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Stillschweigen bestärkt den Peiniger, niemals den Gepeinigten.“

    Elie Wiesel

    • Offizieller Beitrag

    Ich kann dir nur sagen, dass es dieses Jahr bei den Zentralen Abschlussprüfungen ähnlich war: Die waren auch sowas von einfach.
    Dagegen waren z.B. die Lernstandserhebungen in der 8 deutlich höher.


    Ob es gewollt ist, kann ich nicht sagen. Die Vermutung liegt nahe.


    Aber in NRW wundert mich momentan nichts mehr. :rolleyes:

  • Zitat

    Original von Birgit
    [...] Das ist ja alles ganz schön, mag man meinen, aber jetzt kommt der Haken: Wir reden hier von der "Allgemeinen Hochschulreife", es kann doch gar nicht der Sinn der Sache sein, dass jetzt möglichst viele einen Abschluss bekommen, denn was hilft ein Abschluss, wenn ich nicht einmal einen vernünftigen Satz formulieren kann? (Richtig, es gibt einen Fehlerquotienten, der Satzbau zum Beispiel überhaupt nicht berücksichtigt.)


    Ist aber nicht unser Problem. Es ist halt politisch gewollt, die Zahl der Abiturienten zu steigern. Macht sich besser bei PISA.


    Zitat

    Ist es wirklich akzeptabel, die Anforderungen immer weiter herunterzuschrauben, damit es der Gesellschaft und Öffentlichkeit so verkauft werden kann als hätte die Politik von Frau S. wirklich funktioniert?


    Ich weiß zwar nicht, wer Frau S. ist, aber dass Politiker nicht immer der Sache dienliche Dinge tun, dürfte jedem klar sein.


    Zitat

    Wie seht ihr das? Was kann man eigentlich unternehmen? Nur hinnehmen und akzeptieren? Ist das Problem in den anderen Zentralprüfungen ebenfalls gegeben?


    Genauso. Nichts. Ja. Ja.


    Zitat

    Unter diesen Bedingungen müssten eigentlich Arbeitgeber und Universitäten Sturm laufen, weil die Kompetenzen, die die Jugendlichen erfüllen sollen, immer mehr auf das Auswendiglernen von Wissen beschränkt werden und zudem der Standard beständig gesenkt wird.


    Universitäten und Arbeitgeber werden noch stärker als bisher selber selektieren. Auch Universitäten machen mittlerweile Auswahlgespräche. Das Abitur wird eine zwar notwendige aber nicht mehr hinreichende Qualifikation sein.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

    • Offizieller Beitrag

    Ich habe eine sehr gute Freundin an der Uni (Dozentin). Die erzählt mir dann immer, was da so alles ankommt und die allgemeine Hochschulreife hat. "Frau X, können Sie mir nicht ein paar Kapitel vorgeben für das Referat? Ich hab Probleme damit, ganze Bücher zu lesen!"
    (O-Ton Germanistikstudentin, auch nicht direkt im ersten Semester - und auch kein Einzelfall.)


    Und die Professoren schieben es auf uns Lehrer und wir schieben es auf die Eltern und die schieben es auf uns und wir schieben es auf die Politik und die schiebt es wieder auf uns oder die Finanzlage und dann haben wir noch die Medien und den allegeminen Werteverfall und das System, auf die wir es alle gemeinsam schieben können, und irgendwie stimt das auch alles und irgendwie stimmt das auch alles wieder nicht.


    Nein, ich fürchte, so lange wir (Lehrer, Schüler und Eltern) nicht gemeinsam etwas wollen und der Politik eine klare Ansage erteilen können, solange ist es recht hinfällig, sich drüber zu echauffieren.

    • Offizieller Beitrag

    Wir schreiben das (Schul)Jahr 1 nach der Zentralen Prüfung Klasse 10.


    Fazit:
    Alle der von meinen Kollegen und mir mit 5 vorbenoteten Schüler bekamen durch die ZP letztlich eine 4, weil sie deutlich besser abgeschnitten haben (bis zu zwei Noten besser) und damit per Erlass der Mittelwert gebildet werden musste.


    In Englisch hat das jetzt in meinem GK 11 die Auswirkung, dass dort Schüler sitzen, die eigentlich nichts in der Oberstufe verloren haben. Diese Schüler können einen für die Klasse 11 konzipierten Text nicht selbstständig erschließen, von der Anwendung von Leitfäden zur Arbeitstechnik /-methode der Textanalyse einmal ganz zu schweigen.


    Von 26 Schülern arbeiten 8 (!) regelmäßig mit, die anderen schweigen und verstehen nichts - sei es aus intellektueller Überforderung oder aus mangelndem Einsatz. Nach Rücksprache mit zwei von drei Parallelkollegen verhält es sich in den anderen Kursen genauso. Dasselbe finden wir in Deutsch.


    Der jetzige Jahrgang, der sich zu einem nicht unerheblichen Maß durch die ZP in die Oberstufe gemogelt hat (und der so sicherlich gar nicht erst dorthin gekommen wäre), ist mit Abstand der schlechteste von drei aufeinanderfolgenden 11er Kursen, die ich hatte.


    Jetzt stehen wir vor dem Dilemma, entweder das Niveau zu senken oder aber eine entsprechend hohe Zahl an Schülern über Bord gehen zu lassen.
    Ich tendiere zu letzterem, weil wir den Schülern keinen Gefallen tun, wenn sie dann in die 12 kommen und dort das Niveau dann auch gesenkt werden muss - vor allem wird das angesichts des Zentralabiturs, dessen Ansprüche mit Sicherheit pro Jahr steigen werden, nichts.


    Das spielt jetzt am Gymnasium genau in die Problematik hinein, die Birgit bereits erwähnt hat. Das Schlimme ist, dass Frau S. das dann noch als Erfolg verkaufen möchte und die Bevölkerung es ihr glaubt - nicht aber die Professoren und ihre Kultusministerkollegen. Die raufen sich die Haare angesichts dessen, was in den nächsten Jahren auf den Arbeitsmarkt und den Studienplatzmarkt kommt.


    Gruß
    Bolzbold

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