1. Klasse oder wie bringe ich 28 Schüler zur Ruhe?

  • Lernen ermöglichen, heisst …


    anregen, statt belehren.


    z.B. anlässlich einer Wespe im Klassenraum anzuregen: "Möchtet Ihr mehr
    über Wespen wissen?" Ich habe das Ja-Geschrei meiner Schüler noch in
    den Ohren, als ich vor wenigen Wochen so in ein Naturthema
    eingestiegen bin. Die Schüler fragen: "Möchtest Du auch etwas über
    andere Insekten wissen?" Bienen, Ameisen, Kellerasseln und
    Schmetterlinge wurden nachgefragt. Wir sammelten, was wir schon
    wissen und was wir nicht wissen. Von mir dazu Angebote gemacht:
    Ausflug in unsere grüne Umgebung mit Becherlupen, Film über Bienen,
    Besuch eines Imkers, Besuch eines tropischen Schmetterlingshauses, …
    Darum rankten sich Texte schreiben, lesen, Groß- und Kleinschreibung …
    Immer mit der Fragestellung: "Möchtest du …" oder "Möchtet Ihr…"


    echte Fragen stellen. Lehrerfragen sind in der Regel keine
    Fragen, die sich dem Lehrer stellen, sondern Fragen, die er benutzt, um Wissen abzufragen.
    Nützlich und sinnvoll scheint mir für Hausaufgaben zu sein, neu
    Erworbenes zu trainieren. Also fragte ich jeden (immer wieder):
    "Was könntest Du zu Hause üben, um darin besser zu werden?"
    Mit der Zeit fiel jedem etwas ein und sie begannen ganz individuelle
    Hausaufgaben zu machen. Schließlich war nur noch einer übrig. Er
    entschuldigte sich mit den unterschiedlichsten Gründen. Ich fragte ihn:
    "Kann es sein, dass du einfach keine Lust hast, Hausaufgaben zu machen?"
    Er sah mich zweifelnd an, fürchtete wohl das übliche Tadeln.
    "Ich schimpfe nicht! Mir ist es lieber, wenn Du es sagst, wie es für dich ist."
    Er: "Ich hatte keine Lust!". Die anderen sagten dazu nichts. Sie sind
    noch nicht darin geübt, in der Klasse spontan miteinander zu reden.
    Ich ließ diese Aussage zwei- dreimal zu, dann meinte ich – da die
    anderen Kinder nichts dazu äußerten: "Ich mache mir Sorgen um Martin.
    Er hat keine Lust, Hausaufgaben zu machen. Habt Ihr Ideen für ihn?"
    Durkan meinte: "Du interessierst Dich doch sehr für Fußball, Martin. Du
    könntest doch etwas über Fußball lesen oder etwas darüber schreiben!"
    Martin hatte am nächsten Tag Hausaufgaben: Er las uns eine
    Fußballgeschichte vor. Seither macht er Hausaufgaben.


    thematisieren: Alles was uns betrifft, ist Gegenstand eines
    Gespräches, oft nur eines ganz kurzen, oft nur eine Bemerkung,
    während wir gerade etwas gemeinsam tun. 'Lernen' ist eines der
    zahlreichen Dauerthemen.
    Manchmal setzen wir uns zusammen und helfen uns gegenseitig auf die
    Sprünge, wieso wir eigentlich was lernen. "Wieso soll man Wörter so
    schreiben, wie sie im Duden stehen?" Eine Schülerin stellte in diesem
    Sinne eine Frage vor Jahren und fügte hinzu: "Du kannst doch lesen,
    was ich schreibe – oder?" Ich bestätigte dies. "Für mich genügt das
    auch. Doch anderen genügt das nicht!" "Ja, das stimmt!", meinte eine
    andere Schülerin. "Mein Vater schimpft mit mir, weil ich so viele Fehler
    mache!" "Und meine Mutter ist Sekretärin. Wenn die Fehler in einem
    Brief macht, kriegt sie Ärger mit ihrem Chef!", erzählte ein Junge.
    "Hat sie dir das erzählt?" "Ja!" Ich beglückwünschte ihn im Stillen zu seiner Mutter. ..
    Manchmal ist es nur ein kurzer Austausch: Eine Schülerin trägt ein Gedicht
    vor. Die anderen sind beeindruckt. "Wie hast du das geschafft?",
    frage ich. "Melissa hat es mir oft vorgelesen und ich habe es immer
    wieder nachgesagt!" So kriegen wir Tipps zum Lernen.
    Oder der Imker erzählt, wie er gelernt hat, Bienen zu züchten.


    einigen, statt schlichten. Miriam steht heulend vor mir und
    beklagt sich über Zaid, der sie in ein Gebüsch geschubst hat. Um Ärger
    mit mir zu vermeiden – das erwartet er aus alter Gewohnheit – wiegelt
    er erst mal ab. "Ich hab' Dich nur ein bisschen geschubst!" "Aber ich bin
    ins Gebüsch gefallen!", meint Miriam. "Das stimmt!", bekräftigt Aline.
    "Aber Du hast schlimme Wörter zu mir gesagt!", verteidigt sich Zaid weiter.
    "Aber nur, weil Du mich nicht auf den Baum gelassen hast!", verteidigt
    sich Miriam.
    Ich bin der Meinung, dass rechtfertigen nichts bringt. Mit
    Schuldzuweisungen löst man auch unter Erwachsenen keinen Konflikt.
    "Wie hat euer Streit denn angefangen!" Wichtig für diese Art von
    Konfliktlösung ist, dass jeder erleben kann, dass er - ohne getadelt
    zu werden - sein Verhalten beschreiben kann. Schließlich kommen
    wir zum Anfang des Streites: "Thomas hat gesagt, ich soll dafür
    sorgen, dass niemand mehr in den Baum klettert!" Thomas steht
    dabei und meint: "Ich habe damit aber nicht gemeint, dass du andere
    schubsen sollst!" Zaid guckt betroffen. Nun hat er wieder den
    Schwarzen Peter, denke ich und er merkt es daran, dass ihm
    unbehaglich ist. Er kann es nur nicht sagen.
    Deshalb frage ich Thomas: "Wie hast Du es denn gemeint!" "Na, es
    waren schon so viele Kinder im Baum und ich hatte Angst, dass jemand
    runterfällt, wenn noch mehr dazukommen. Ich habe ja nichts von
    schubsen gesagt!" "Zaid wollte dir helfen und ihm ist 'schubsen'
    eingefallen!"
    Alle Beteiligten sind ganz still und nachdenklich geworden. "Was hätte
    denn Zaid tun können?", frage ich. Miriam meint: "Zaid hätte mir das
    ja sagen können!" Zaid guckt wieder betroffen. "Hat Dir Thomas
    gesagt, warum niemand mehr in den Baum klettern soll?", frage ich.
    "Nöö!", meint Zaid. Keiner sagt mehr etwas. Ich mache einen Vorschlag:
    "Was haltet ihr davon, wenn wir gleich in der Klasse gemeinsam darüber
    nachdenken, was Ihr tun könnt, wenn jemand denkt, dass schon
    genügend Kinder im Kletterbaum sitzen?" Sie nicken, spielen den Rest
    der Pause friedlich miteinander. Und wir haben wieder etwas zum
    thematisieren.


    Das war ein kleiner Einblick in einige meiner Handlungskonzepte.


    monika :)

    Die Disziplin des Lernens unterscheidet sich von der Disziplin der Schule.

  • Entschuldigt bitte die Ironie, aber da hat wohl jemand einen Reformpädagogen gefrühstückt...
    Und allein die Formulierung (hier und da mal ein "Erzählpräsens"), lässt das Ganze doch sehr abgehoben klingen.
    Ich würde mal meinen so unterrichten 90 Prozent der Kollegen an der GS, nur heben sie das nicht so hoch und machen nicht so ein sprachliches Bimborium darum. Klar, was du sagst ist richtig, jedoch nichts besonderes.
    Und auch du wirst sicher mal Konsequenz brauchen. Was machts du denn, wenn dein Zaid dem anderen mal richtig eins auf die Nase gibt? Oder das Kind mal wirklich auf nichts Lust hat? Und dir sagt du könnest es mal? (Gibts auch in der GS)
    Ich finde auch das Prinzip NUR nach Lunst und Laune der Kinder zu arbeiten fragwürdig. Im Leben geht es nicht immer nur um Lust und Laune und Schule sollte kein Schonraum sein, sondern eben auf das Berufs- und weitere Leben vorbereiten.

    They'll never know the lovely dance,
    Can never feel the touch of night,
    For tame birds sing a song
    Of freedom while the wild birds fly.

  • Sind Reformpädagogen merkwürdig oder besonders abgehoben?
    Nein, so wie beschrieben arbeiten nicht 90 Prozent der Grundschullehrkräfte. Eher so wie im Anfangsbeitrag.
    Fast keiner hört zu, nur wenige reagieren auf optische (Ruhefüchslein) oder akustische Signale (Gong), auch abwarten bis alle ruhig sind, klappt nicht. Wenn der letzte endlich merkt, dass er leise sein soll, fängt der erste schon wieder an zu plappern
    Nach dem großen Pädagogen Pawlow.
    Doch, Schule ist ein Schonraum. Kinder soll es gut gehen, damit sie so viel wie möglich lernen und erreichen können.
    Sie sollen nicht abgehärtet werden für die Arbeitswelt und nicht vorbereitet auf ein Untertanendasein.
    In einer Schule in der es nicht "müssen, aber, wir, stillsitzen, Mundhalten..." gibt und keine Strafen, wehren sich Kinder nicht gegen ihr Lernen. Und sie müssen nicht ständig angetrieben und ermahnt werden, auch nicht in einer fünften oder zehnten Stunde.

  • Nunja, nach eurer Ansicht haben die Kinder eben einfach keine Lust auf das Ruhefüchschen zu reagieren ;) Lasst sie doch. *ironieende*


    Und ich habe nirgends behauptet, dass es den Kinder nicht gut gehen soll in der Schule, im Gegenteil. Kinder brauchen Grenzen, auch das gehört dazu, damit sie sich wohlfühlen.


    Wenn du jetzt denkst in meinem Unterricht läuft es nur über Strafe und Druck, hast du dich geirrt. Nur bei mir geht es eben nicht nur nach Lust und Laune und wer sich nicht benimmt, hat die Konsequenzen zu tragen. So läuft es in unserer Gesellschaft und so muss es auch in der Schule laufen.


    Ich kann Beiträge, in denen so idealisiert wird nicht ernst nehmen.
    Ich habe einen Schüler der kommt von der Waldorfschule, die hatten es da nicht leicht mit ihm. Der wollte nämlich einfach gar nichts machen ;) Er wollte nichts über die Wespe im Klassenraum wissen und er wollte eben GAR NICHTS lesen...Gelernt hat er nicht viel. Normal intelligent ist der Knabe aber. Nun sitzt er bei uns, hat hier und da mal ein Problemchen, aber wird in der achten Klasse jeden Tag besser in Rechtschreibung...


    Und Kinder, die in der GS nur nach Lust und Laune gearbeitet haben, haben es sehr schwer in der SEK 1. Wir müssen nämlich Abschlussarbeiten schreiben. Und ob du dich für englische Grammatik interessierst oder nicht, lernen wirst du sie müssen. WIE ich das gestalte bleibt ja mir überlassen. Und das geschieht durchaus mit Spaß und Motivation. Nur gibt es eben Vorgaben und Regeln.


    Grundschule ist kein Kindergarten, vergesst das nicht.

    They'll never know the lovely dance,
    Can never feel the touch of night,
    For tame birds sing a song
    Of freedom while the wild birds fly.

  • Natürlich wollen und sollen Kinder mit Spaß und Freude lernen. Dazu brauchen sie aber einen festen Rahmen, der ist besonders wichtig für Schüler die aus diversen Gründen Schwierigkeiten haben, sich auf den Schulalltag einzulassen (wie im Ausgangsthread beschrieben). Kann Nananele nur zustimmen: in den meisten mir bekannten Grundschulklassen werden den Kindern sehr motivierende Lernsituationen geschaffen und dass man die herumfliegende Wespe aufgreift ist wahrlich nichts besonderes... Trotzdem geht es nicht immer nach dem Lust und Laune Prinzip. Probleme habe ich in monikas Darstellung mit der ultimativen Fragestellung "Möchtest du...". Klar kann man sowas auch in den Unterricht einbeziehen (was ja auch seht viele Grundschullehrer auf verschiedene Weise tun...) ABER dieses müssen Kinder erst Schritt für Schritt lernen UND sie müssen auch die andere Situation lernen (Pflichtaufgaben). Das "Möchtest du dies oder das" kennen die meisten der Kinder heute nämlich nach meiner Beobachtung seit der frühesten Kindheit von zu Hause. Kein Wunder, wenn ein zweijähriger überfordert ist, wenn er entscheiden soll, ob er heute die blaue oder die rote Hose tragen soll oder sonstige altersunangemessene Entscheidungen treffen soll. Diese Tendenz in der Erziehung sollte Schule nicht noch verstärken. Viele Kinder sind sooo dankbar für die Struktur und Konsequenz, die sie in der Schule kennen lernen...
    Meine Meinung.
    LG Mare

  • Nur bei mir geht es eben nicht nur nach Lust und Laune und wer sich nicht benimmt, hat die Konsequenzen zu tragen. So läuft es in unserer Gesellschaft und so muss es auch in der Schule laufen.
    Das muss eine Schule als Staatliche Einrichtung sein, in der vorher feststeht, was Kinder hinterher wissen und können.
    Und in der angenommen wird, dass Kinder keineswegs von selber lernen können und schon gar nicht wissen, was für sie wichtig sei.
    Kinder die selber lernen dürfen, lernen so viel ihnen erreichbar ist. Lernbegleiter müssen nur noch dafür sorgen, dass möglichst viel in Reichweite ist.
    Der Hinweis auf die Gesellschaft veranlasst mich darauf hinzuweisen, dass hierzulande alle Gefängnisse total überfüllt sind.
    Obs was nützt?
    Eine deutliche Mehrheit hat bei der letzten Wahl nicht gewählt. Ob sie nicht regiert sein wollen?
    Selbstbestimmtes Lernen zur Kuschelpädagogik oder zum Lust und Laune Prinzip zu erklären, hindert manche womöglich, sich darüber zu informieren.

  • Nein, unerfahren bin ich wirklich nicht.
    Reichen 40 Jahre Erfahrung in Schule und Schulleitung?

  • Monika :respekt:


    In welcher Zeitschrift hast du denn deinen Beitrag schonmal veröffentlicht??


    Deine Schreibe klingt doch etwas gekünstelt für mich...


    Ganz im Ernst zur Diskussion:
    Klar ist es toll, wenn Kinder lernen dürfen, was sie wollen und jeder macht ne andere Hausaufgaben und offen offen offen.


    Aber dafür seid ihr auch an "offenen Schulen". Mit mehr oder weniger den Kindern, die so arbeiten können/wollen/sollen.


    An den staatlichen Regelschulen ist es nicht in dieser Konsequenz umsetzbar und viele Lehrer möchten es auch gar nicht.


    Letzendlich, finde ich, bleibt es Ansichtssache. Ich bin persönlich gegen eine völlige Öffnung.

  • Also ich war an einer Staatlichen Schule.
    Die Schulbehörden und etliche Eltern waren sehr misstrauisch. Die Kinder haben trotzdem gelernt was sie erreichen konnten, auch wenns nicht im Lehrplan vorgesehen war.
    An den staatlichen Regelschulen ist es nicht in dieser Konsequenz umsetzbar und viele Lehrer möchten es auch gar nicht.
    Natürlich wäre es möglich. Viele Lehrer trauen sich einfach nicht. Die glauben vielleicht auch nicht, dass das Licht im Kühlschrank wirklich ausgeht.
    Und so gibt es eben immer wieder mal Situationen wie im Eingangsbeitrag. Ich mochte solche Situationen nie und hab daran gearbeitet sie überflüssig zu machen. Monika offensichtlich auch.

  • Zitat

    Original von Mare
    Das "Möchtest du dies oder das" kennen die meisten der Kinder heute nämlich nach meiner Beobachtung seit der frühesten Kindheit von zu Hause. Kein Wunder, wenn ein zweijähriger überfordert ist, wenn er entscheiden soll, ob er heute die blaue oder die rote Hose tragen soll oder sonstige altersunangemessene Entscheidungen treffen soll. Diese Tendenz in der Erziehung sollte Schule nicht noch verstärken. Viele Kinder sind sooo dankbar für die Struktur und Konsequenz, die sie in der Schule kennen lernen...


    Genau dies ist auch meine Einschätzung.
    Robischon, meinst du nicht, dass Kinder auch damit überfordert sind, alles immer selbst entscheiden zu müssen? Ich erlebe diese Kinder, die Mara beschreibt, oft als "haltlos" und "schwimmend". Regeln geben Sicherheit. Ja und auch Vorschriften geben eine gewisse Sicherheit, einen Rahmen, in dem man sich bewegen darf. Diese Kinder schreien häufig förmlich danach. Es gibt heute Eltern, denen a) entweder der Mut fehlt ihren Kindern Grenzen aufzuzeigen, oder b) die Kraft oder c) die einfach meinen Kinder seien kleine Erwachsene, die schon alles entscheiden könnten. Ein Irrglaube!


    Das Bild von 28 Kindern in einer Klasse, die alle selbst entscheiden, was sie lernen möchten oder eben nicht halte ich für höchst idealisiert. Und ich rede nicht einfach daher. Habe an einer hier in der Gegend sehr bekannten Reformschule hospitiert und was soll ich sagen, dort wurde mit Wassser gekocht ;)
    Physikstunde, die Schüler arbeiten zum Thema Strom. 2 Gruppen arbeiten, eine Mädchengruppe plant das Wochenende, eine Jungengruppe diskutiert die neuesten Strategien für ein Online-Spiel. Nur eine Gruppe hat am Ende eine Zeichnung ihres Stromkreises angefertigt. Was ist denn jetzt mit den Kindern, die grade nicht lernen wollten? Bleiben die nicht auch auf eine Art auf der Strecke? Meinst du, dass alle Kinder in der Lage sind, ihr Lernen selber zu planen, diese große Verantwortung selbst zu tragen? Ich konnte das dort nicht sehen. Und diese Kinder besuchten diese Schule seit der ersten Klasse!


    In meinem Unterricht gibt es auch Projekte, Teamarbeit und Orientierung an Schülerinteressen, dennoch gibt es ebenso Regeln und Pflichten. In meinem Unterricht soll jedes Kind am Ende der Stunde die Zeichnung auf dem Papier haben. Und dabei helfe ich den Kindern. Denn nicht jedes Kind schafft es, sich selbst zuorganisieren.

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    Of freedom while the wild birds fly.

  • Das Bild von 28 Kindern in einer Klasse, die alle selbst entscheiden, was sie lernen möchten oder eben nicht halte ich für höchst idealisiert.
    Hast Du sowas denn schon mal gesehen oder gehört?
    In meinem Schulzimmer fand kein gleichzeitiger "Unterricht" statt, es gab keine vorgeschriebene Sitzordnung und nur drei Verbote und drei Erlaubnisse. Es gab feste Zeiteinteilungen und vor allem von mir aus ein absolut zuverlässiges Verhalten. Die Kinder erlebten, dass ich sie achtete.
    Das was Kinder lernen können und woran sie arbeiten können, stand einfach zur Verfügung, ein Jahr lang oder gerne auch zwei. So haben Schulanfänger schreiben und lesen gelernt, ihr mathematisches Verständnis entwickeln können, herausfinden können wie ein Stromkreis funktioniert, was für Saurier es gab, welche Meerestiere es gibt, wie man Landkarten lliest, wie mit Wasser oder mit Luft experimentiert werden kann, was es mit dem Mittelalter oder mit den Weltkriegen auf sich hatte, welches Essen gesund ist und vieles mehr. Das haben sie selbstständig und miteinander lernen und bearbeiten können. Informationen gab es an den Tafeln, auf Arbeitsblättern, in zahlreichen Sachbüchern und Nachschlagewerken und ständig mündlich oder schriftlich von mir auf Anfrage. Ich hab Kinder nicht gefragt, sondern hab sie fragen lassen. Und das taten sie ausgiebig. Wenn Du mehr wissen willst: Meine drei letzten Schuljahre hab ich auf einer Internetseite dokumentiert.
    Von meinen 40 Schuljahren hab ich in den letzten 18 zunehmend so gearbeitet
    Die Schulbehörden stellten die ständigen Kontrollen schließlich ein, weil sie sehen konnten, dass eigentlich nichts zu beanstanden war. Nur war es eben kein Unterricht mit Erklärungen, Anweisungen, Bewertungen und misstrauischen Kontrollen. Wers nicht glaubt, wird vielleicht nie erfahren was Kinder alles können.

  • Du beantwortest nicht die Fragen, die ich dir gestellt habe, sondern pickst dir eine Aussage raus und schreibst dazu, was gut läuft. Probleme (und du wirst sie auch haben) werden nicht angesprochen.


    Zu deiner Frage: Was ich gesehen habe, habe ich weiter oben beschrieben.


    Wenn als Antworten aber nur Beschreibungen des Unterrichts erfolgen, die ebenso aus einem Buch von (Reformpädagogen einsetzen) kommen könnten, dann ist das keine Basis für eine vernünftige Diskussion und auch keine Basis für die Fragestellerin im Ausgangspost, um an der Situation in ihrer Klasse etwas zu ändern.


    Ich habe nichts gegen deine Meinung und respektiere sie auch, aber ich würde mich freuen, wenn du auch auf die Probleme und Fragen regieren würdest.


    Robischon, meinst du nicht, dass Kinder auch damit überfordert sind, alles immer selbst entscheiden zu müssen?
    Was ist denn jetzt mit den Kindern, die grade nicht lernen wollten? Bleiben die nicht auch auf eine Art auf der Strecke?
    Meinst du, dass alle Kinder in der Lage sind, ihr Lernen selber zu planen, diese große Verantwortung selbst zu tragen?

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    Of freedom while the wild birds fly.

    2 Mal editiert, zuletzt von Nananele ()

  • Robischon, meinst du nicht, dass Kinder auch damit überfordert sind, alles immer selbst entscheiden zu müssen?
    Nein, das meine ich nicht.
    Kinder denen nicht Entscheidungen vorsortiert werden, denen zugetraut wird, dass sie wissen was sie möchten und was sie nicht möchten, können Entscheidungen treffen für sich. Wenn sie nicht sicher sind, fragen sie.
    Wenn ein Kind nicht arbeiten will, gibt es Gründe. Vielleicht ist es müde oder krank. Oder es ist gewohnt, immer wieder Vorgekautes nachkauen zu sollen und das kotzt es an. Wenn es wirklich frei und selbstbestimmt sein darf, lernt und arbeitet es so viel wie möglich. In vielen Umgebungen darf es das nicht.
    Meinst du, dass alle Kinder in der Lage sind, ihr Lernen selber zu planen, diese große Verantwortung selbst zu tragen?
    Ja das meine ich. Sie können auch selber essen und atmen und wissen wann sie Durst haben oder wann sie müde sind.
    In meinem Schulzimmer hab ich Kindern nicht vorgeschrieben wo sie sitzen sollten. Sie haben sich ihre Plätze selber gesucht und die Tische umgestellt, immer so wie es für sie passend war.
    Was macht man denn nun, um 28 Erstklässler in einigermaßen gelenkte Bahnen zu bringen?
    Ich hab sie auf ihren eigenen Bahnen lernen und arbeiten lassen.

  • Mein Beitrag entstand als Antwort auf den Wunsch eines Teilnehmers,
    Näheres über meine Handlungskonzepte zu lesen. Dem habe ich gern
    entsprochen. Dabei blieben viele Fragen offen.


    Meine Formulierung "Möchtest Du …?" oder "Möchtet ihr …?" entspricht
    meiner Sicht auf 'lernen'. Ich behaupte nicht, dass sie die einzig mögliche
    oder gar die "richtige" sei. Für mich zählt, ob 'lernen' funktioniert und ob
    alles was zum 'lernen' anregen soll, auch dafür brauchbar ist.


    Ich behaupte: Menschen lernen von Geburt an, weil sie lernen möchten.
    Sie hören damit ihr Leben lang nicht auf. Ich knüpfe an diese
    allgemeinmenschliche Aktivität an und verbinde sie mit den Anforderungen
    der Rahmenkonzepte und den Bildungsplänen der Fächer. Ich leite die
    Kinder an, wie sie innerhalb dieses Rahmens ihre eigenen Lernwege finden
    können. Mit Unterricht hat das nichts mehr zu tun.


    Eltern, Schüler reagieren auf meine Anleitung zum 'lernen'
    erst einmal so, wie dies hier auch Lehrer tun: Jeder darf tun und lassen
    was er möchte. Jeder lernt nur, wenn er Lust dazu hat. Das funktioniert
    für Kinder (und auch für Eltern) und auch für mich nicht, weil wir Augen
    im Kopf haben und sehen, wie es im Leben so zugeht. Es dauert einige
    Zeit bis Schüler durch mein Verhalten merken, dass bei mir nicht das
    "Lustprinzip" gilt, sondern dass ich sie und ihren Wunsch zu 'lernen' beim
    Wort nehme. Wir bauen gemeinsam Brücken zu dem, was wir laut
    Richtlinien lernen sollen. Wir schaffen gemeinsam Lernsituationen und
    Trainingszeiten. Wir beraten gemeinsam wie wir Lernprobleme lösen
    können. Wir nehmen Störungen ernst, thematisieren alles, was bei uns
    geschieht.


    Ich arbeite an einer normalen Grundschule. 55% meiner derzeitigen Schüler
    kommen aus muslimischen Familien. 10% kommen aus anderen Kulturen.
    Für meine Kollegen bin ich ein Problem (und ich nehme das sehr ernst):
    Die Skala der Bewertungen reicht von "Das ist doch nichts besonderes!"
    bis zu "Das geht doch gar nicht, was Du da machst!" Mein Schulleiter
    meint u.a., dass ich zu wenig reglementiere. Mein Schulrat sagt neben
    anderem, mir fehle Subordination. Ich sage zu all dem: Ja, da ist was dran!
    Nur an einem ist nichts dran: Schonraum habe ich nicht. Ich bin froh,
    wenn man mich in Ruhe arbeiten lässt. Wenn Kollegen interessiert sind,
    antworte ich gern.


    monika :)

    Die Disziplin des Lernens unterscheidet sich von der Disziplin der Schule.

    Einmal editiert, zuletzt von Monika ()

  • Ich glaube euch einfach diese Freiheit völlig ohne Probleme nicht.
    Das Bild, dass ihr hier darstellt wir sicherlich auch dunklere Flecken haben.


    Robischon, dass ein Kind weiß, wann es müde ist und Hunger oder Durst hat, ist ziemlich logisch, denn das passiert in unserem Körper von allein, jedes Tier kann das. In diesem Augenblick legt sich mein Kater schlafen! Ein Wunder! Ab heute entscheidet er selbst, wann er zum Tierarzt muss, denn er entscheidet ja auch, wann er Durst hat *stolzbin*


    Ist dass dann bei Kinder auch so? Lässt du sie bis ganz oben auf den Baum klettern? Sie werden ja schon merken, was passiert, wenn sie runterfallen?


    Meines Wissens nach ist die laissez-faire Erziehung schon seit einigen Jahren wieder etwas überholt und in der Schule fehl am Platze.


    Was ist mit den Kindern aus meinem Beispiel? Die, die eben nicht selber lernen wollten? Hast du auch an Sekundarstufen gearbeitet? Denn spätestens mit der Pubertät würde euere Idealbild ziemlich bröckeln. Und für Kinder, die in der GS nie gelernt haben nach Regeln zu arbeiten, für die wird die SEK 1 eine harte Zeit, mit viel Frust, denn sie sind eig. schon zu alt und gewisse elementare Dinge zu lernen.


    Aus Monikas Klasse würde ich meine Kinder nehmen, denn ich hätte Angst, dass bei all der Ideologie und Diskutiererei mit Kindern... doch etwas Stoff auf der Strecke bleibt.


    Ich habe Schüler von solchen "laissez-faire" Lehrern, die können kaum ein Wort richtig schreiben, wenn sie zu uns kommen. Nun sie hatten bisher eben keine Lust das zu tun... Und nun müssen sie es lernen... bitter und hart lernen. Das haben die Kinder dann von vier Jahren schöner Grundschulzeit. :rolleyes:


    Als ich studiert habe, haben sie uns auch so ein Bild eingetrichtert, das ihr hier beschreibt...Oh wie schön ist Summerhill... Dann kam ich in die Schule. Und da wurde dann schon heftig zurückgerudert von den Ausbildern. "Möchtest du..." diese Formulierung galt als verpönt. Denn die Kinder müssen lernen, es geht eben nicht nur nach möchten. Und geht es auch nicht! Eure Aufgabe ist es nicht, die Kinder zu bespaßen, sondern sie gemeinsam mit den Eltern auch ihr späteres Leben vorzubereiten. Und das könnt ihr abstreiten soviel ihr wollt, Schule hat neben dem Bildungsauftrag auch einen Erziehungsauftrag und zwar im Sinne der Gesellschaft.


    Auch an den Universitäten ist mittlerweile schon angekommen, dass es ohne Regeln nicht geht. Regeln und Grenzen geben Kindern einen sicheren Rahmen, indem sie sich bewegen können. Das gibt ihnen Sicherheit und das brauchen sie noch. Kinder sind noch nicht erwachsen, Kinder sind noch nicht voll entwickelt, es ist unsere Aufgabe ihnen zu helfen sich in unserer Welt und Gesellschaft zurecht zu finden. Kinder ohne Regeln und Grenzen schwimmen in der Vielfalt unserer Welt und einige gehen auch verloren.

    They'll never know the lovely dance,
    Can never feel the touch of night,
    For tame birds sing a song
    Of freedom while the wild birds fly.

  • Nein, ein Leben völlig ohne Probleme gibts nicht.
    Es gibt allerdings unterschiedliche Umgangsweisen mit Problemen.
    Dein Kater weiß selber, wenn es ihm nicht gut geht. Er frisst dann Gras oder rollt sich in einer dunklen Ecke zusammen.Zum Tierarzt wird er nicht von selber gehen.
    Kinder die miteinander lernen und arbeiten sind nicht krank oder behandlungsbedürftig. Etwas noch nicht zu können ist kein Leiden und keine Behinderung. Noch nicht an einem Ziel zu sein ist kein Makel.
    Unterricht, Belehrung, Anweisung, Erklärungen sind gutgemeintes Vorwärtsschubsen in Richtungen die ein Kind vielleicht auf Umwegen angepeilt hätte. Wenn es geschubst wird, wehrt es sich eventuell. Das soll es in Schulen bei traditioneller Arbeitsweise durchaus geben.
    Kinder, die erlebt haben dass man ihnen viel zutraut und die ihre eigenen Lernwege einschlagen dürfen, müssen nicht "motiviert" werden oder ermahnt. Kinder die bei mir in der Schule waren mussten in ihrer nächsten Schule nicht zum Arbeiten gedrängt werde. Sie fingen von selber an, weil sie das so gewohnt waren.
    Rückgemeldet wurde mir sowas nur aus der Hauptschule. Die waren dort sehr froh darüber.
    In den anderen Schularten waren Lehrerinnen und Lehrer die von mir gehört hatten und , wie Du, äußerst misstrauisch und ablehnend waren.
    Kinder brauchen feste Strukturen und Regeln. Das gab es bei mir. Ein ganz festes Ritual im Tagesablauf, drei Verbote und drei Erlaubnisse, Vertrauen und Achtung der Würde jedes Kindes.
    Kennst Du das Zitat von Piaget: Bei allem was wir einem Kind beibringen, nehmen wir ihm die Chance es selbst zu finden. ?
    Ich überlege noch, welche Probleme Du bei der Arbeitsweise von Monika oder bei mir Du beschrieben haben möchtest.
    Unterrichtsstörungen, Gewalt, Arbeitsverweigerung, Aufsässigkeit, Lärm, Fehler, Dummheit?

  • Robischon und Monika: Um nochmal auf die beschriebene Ausgangssituation zurückzukommen. Was macht ihr denn, wenn sich tatsächlich der Großteil eurer Schüler wie von euch beschrieben dem selbstmotivierten Lernen zugewandt hat, 24 von 28 Kindern freudig in der Klasse sitzen und etwas über die Wespe oder was auch immer lernen wollen, aber die verbleibenen vier Schüler (aus welchen Gründen auch immer) sich verhalten wie beschrieben: zwei fallen vom Stuhl, kriechen durch die Klasse oder was auch immer, ein weiterer schreit lauthals "ich bin nicht da, ich bin nicht da" und ein vierter versucht durch irgendeine andere Art eure Aufmerksamkeit zu erlangen. Da werdet ihr ja irgendwas unternehmen müssen, da die Lernwilligen ja nun zwangsläufig gestört sind.

  • Zitat

    Original von robischon
    Etwas noch nicht zu können ist kein Leiden und keine Behinderung. Noch nicht an einem Ziel zu sein ist kein Makel.


    Das wollte ich mit meinem Vergleich nichts gesagt haben. Ich denke auch nicht, dass man das zwischen den Zeilen lesen kann.
    Ich wollte damit lediglich ausdrücken, dass nicht jeder, der seine Primärbedürnisse befriedigen kann, gleichsam auch für sich allein verantwortlich sein kann.


    Schwierigkeiten, die mich interssieren würden, sind gar nicht so schlimmer Natur, wie du sie beschreibst, sondern eher die Dinge, die Mare in ihrem Post angeführt hat.
    Fehler sehe ich, sicher wie du auch, nicht als Unterrichtsstörung an. Den Begriff Dummheit führe ich im Zusammenhang mit Schülern nicht im Repertoire.


    Ja ich bin misstrauisch, jedoch nicht kategorisch ablehnend. Ich habe lediglich Probleme mit Idealisierungen jeglicher Art. Da du die Hauptschullehrer als Beispiel anführst, ich unterrichte auch an der HS. Ich habe auch wenig Probleme mit den Schülern, trotz oder gerade weil es bei mir feste Regeln gibt, Verbindlichkeiten, die im Alltag der Kinder fehlen.


    Ich schätze es ebenso sehr, wenn Kinder zu uns kommen, die selbständig arbeiten können, gleichsam müssen sie aber gelernt haben, sich auch mal "schubsen" zu lassen, wie du es nennst, denn wir haben nunmal Vorgaben.


    Dennoch interessiere ich mich, für das, was du/ihr tut. Ich bin nicht die Opposition, die immer nur "dagegen" brüllt. Ich weigere mich lediglich in Extreme zu verfallen. Nur "offener" Unterricht nein. Nur "belehrern" ebenso nein.


    Was mich brennend interessiert, was waren denn die drei Verbote und die drei Erlaubnisse?

    They'll never know the lovely dance,
    Can never feel the touch of night,
    For tame birds sing a song
    Of freedom while the wild birds fly.

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