Warum macht man aus Unterrichten eine Wissenschaft?

  • Geht es euch auch so? Nachdem ich mir in Unterrichtsentwürfen alle Prozesse bewusst mache, die ich da anstoße, aus Kernlehrplänen mit scheußlichem Amtsdeutsch und Fachdidaktiken mit gedrechselten Formulierungen zitieren muss, stehe ich praktisch selber neben mir und beobachte mich. Ich finde, das verkrampft einen total - nun gut, ein paar Methoden und ihre Wirkung sollte man schon kennen, aber aus dem Bauch heraus mache ich es einfach viel besser, als wenn ich mich ständig frage" ist das noch ok, oder müsste ich jetzt nicht schnellstens zur Methode xy überwechseln" etc. pp. Ich habe das Gefühl, das Ganze soll künstlich verwissenschaftlicht werden, um sich einen seriöseren und anspruchsvolleren Anstrich zu geben und die Existenz der Fachleiter zu rechtfertigen. Dabei würden praktische Tipps den meisten doch viel eher weiterhelfen, als sich zu fragen, ob man jetzt die implizit-analytische oder explizit-analytische Methode der Texterschließung gewählt hat.


    Sonnenkönigin

    Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.

    Einmal editiert, zuletzt von Sonnenkönigin ()

  • Geht es euch auch so? Nachdem ich mir in Unterrichtsentwürfen alle Prozesse bewusst mache, die ich da anstoße, aus Kernlehrplänen mit scheußlichem Amtsdeutsch und Fachdidaktiken mit gedrechselten Formulierungen zitieren muss, stehe ich praktisch selber neben mir und beobachte mich. Ich finde, das verkrampft einen total - nun gut, ein paar Methoden und ihre Wirkung sollte man schon kennen, aber aus dem Bauch heraus mache ich es einfach viel besser, als wenn ich mich ständig frage" ist das noch ok, oder müsste ich jetzt nicht schnellstens zur Methode xy überwechseln" etc. pp. Ich habe das Gefühl, das Ganze soll künstlich verwissenschaftlich werden, um sich einen seriöseren und anspruchsvolleren Anstrich zu geben und die Existenz der Fachleiter zu rechtfertigen. Dabei würden praktische Tipps den meisten doch viel eher weiterhelfen, als sich zu fragen, ob man jetzt die implizit-analytische oder explizit-analytische Methode der Texterschließung gewählt hat.

    Willkommen in der Wirklichkeit :D


    Ja, genau so ist das ... und daher auch überhaupt nicht verwunderlich, dass es Mentoren/Lehrer gibt, die das sogar gut finden, dass die Fachseminare erst nach 8 Monaten beginnen. Bis dahin hätten die OBASler genügend Praxis und von guten Mentoren/Lehrern genügend gelernt, dass sie das Seminar (und seine Praxisrelevanz) besser einordnen und ertragen könnten. :D

    "Der erste Schritt zum Lernen ist die Liebe zum Lehrer - weil man die Liebe zur Wissenschaft von Heranwachsenden noch nicht erwarten kann."


    Erasmus von Rotterdam



  • Das war bei mir bislang auch der erste Eindruck der Fachdidaktik. Manches ist ganz sinnvoll, zum Beispiel als uns verschiedene allgemeine Methoden wie Stationenlernen etc. näher gebracht wurden.
    Es ist gut sowas mal einsetzen zu können. In der naturwissenschaftlichen Fachdidaktik ist zum Beispiel das Experiment recht zentral und da gab es durchaus die ein oder andere interessante Einsicht in der Fachdidaktik.
    90% des Inhalts blieben allerdings Zirkus und Wichtigtuerei.

    das Ganze soll künstlich verwissenschaftlich werden, um sich einen seriöseren und anspruchsvolleren Anstrich zu geben

    Das ist aus meiner Sicht der Kerngrund, den Du nennst. Ich habe sehr oft Gänsehaut (im negativen Sinne) bekommen, wenn Leute feierlich irgendwelche trivialen Zusammenhänge mit hochgestochenen Fachwörtern versehen haben. Eine kleine Welt für sich und manch einer geht darin auf.

  • Hm, also offen gestanden, mich lassen die gestellte Frage und die bisherigen Antworten etwas ratlos zurück. Ich habe den Eindruck, dass hier ein unklarer Begriff von Fachdidaktik vorliegt, der dann zu den entsprechenden Wertungen führt (gepaart mit der empfundenen Überlegenheit gegenüber den Ausbildern, weil die sich ja so "wissenschaftlich aufplustern" müssen). Vielleicht sollte man sich erst mal klar machen, was Didaktik ist und wofür sie gut ist.


    (Allgemeine) Didaktik ist Unterrichtstheorie: Wie soll Unterricht idealerweise laufen? Welche Ziele setzt er sich? Welche Unterrichtsinhalte sind lehrens- und lernenswert? Die Fachdidaktik kümmert sich um diese Fragen vor dem Hintergrund der jeweiligen Bezugswissenschaft: Was ist guter Französisch- oder Spanischunterricht? (Z. B. kommunikationsorientiert, kompetenzorientiert, etc.) Zugegeben: Wissenschaftsbereiche bilden dann ihre eigene Terminologie und dann geht's schnell ins Jargonhafte und tendenziell Lächerliche. Aber deshalb sind ja die Fragen, die die Didaktik stellt, nicht schon sinnlos.


    Sollte sich jetzt jeder Lehrer damit beschäftigen? – Ich meine: Ja. Warum?


    Zum Beispiel:

    • Es muss ein neues Lehrwerk angeschafft werden: Welches ist das geeignete, welches entspricht dem Lehrplan, welches hat die beste Progression für unsere Lerngruppen? (Hier kann man sich nicht nur auf sein Bauchgefühl verlassen oder nur auf den Verlagsvertreter vertrauen.)
    • Eine Unterrichtsreihe sollte auch nach klaren Kriterien, d. h. letztlich wissenschaftlichen Kriterien, aufgebaut sein – und eben nicht nach Bauchgefühl. (Dass man das dann als Profi nicht mehr alles aufschreibt wie in der Ausbildung, sondern im Kopf 'durchdenkt', ändert ja nichts an den Grundüberlegungen.)
    • Alternativen (wenn's mal im Unterricht nicht läuft) kann man auch nicht nur aus dem Bauch entwickeln, sondern muss alternative Strategien irgendwann mal kennengelernt und im Hinblick auf Vorteile/Nachteile etc. durchdacht haben.

    Dass man sich professionell mit solchen Problemen auseinandersetzen kann, soll die Beschäftigung mit Fachdidaktik leisten. Wenn man nur Rezepte aus der Praxis 'nachbackt', kann man dies eigentlich nicht erreichen. Unser Unterricht in der Sek. I soll wissenschaftsorientiert und in der Sek. II wissenschaftspropädeutisch sein – nur mit Bauchgefühl ist das m. E. nicht machbar.

    Einmal editiert, zuletzt von philosophus ()

    • Offizieller Beitrag

    @ philosophus *gefällt mir*


    Mein erster Gedanke war einfach nur: Doch, das ist nicht nur Wichtigtuerei, das hat seine Berechtigung, das ist wichtig! Ich muss doch auch in der Lage sein, mir Gedanken darüber zu machen, welche Lernziele ich in einer Stunde habe, wie ich die einzuordnen habe, was Sachanalyse und Pädagogische Analyse ausmacht für ein Thema, etc. Wenn ich das nie geübt und gelernt habe, kann ich auch nur semierfolgreich Unterricht planen und letzten Ende durchführen.

  • Stimmt. Allerdings ist das keine Wissenschaft sondern solides Handwerk und sollte auch entsprechend runtergekocht behandelt werden. Die allumfängliche Worthülsenbläherei, die einem aus jedem Fachbuch entgegenquillt, steht dabei nur im Weg - ich sage nur "Taxonomie der Lernziele"!


    Nele

  • Hm, also offen gestanden, mich lassen die gestellte Frage und die bisherigen Antworten etwas ratlos zurück. Ich habe den Eindruck, dass hier ein unklarer Begriff von Fachdidaktik vorliegt, der dann zu den entsprechenden Wertungen führt (gepaart mit der empfundenen Überlegenheit gegenüber den Ausbildern, weil die sich ja so "wissenschaftlich aufplustern" müssen). Vielleicht sollte man sich erst mal klar machen, was Didaktik ist und wofür sie gut ist.

    eine Überlegenheit gegenüber meinen Ausbildern empfinde ich keineswegs, wenn ich aber sehe, dass sie ihre eigene Theorie nicht in der Praxis umsetzen können, scheint die Didaktik eben auch nur in der Theorie zu funktionieren, und das lässt mich wiederum ratlos zurück.


    (Allgemeine) Didaktik ist Unterrichtstheorie: Wie soll Unterricht idealerweise laufen? Welche Ziele setzt er sich? Welche Unterrichtsinhalte sind lehrens- und lernenswert? Die Fachdidaktik kümmert sich um diese Fragen vor dem Hintergrund der jeweiligen Bezugswissenschaft: Was ist guter Französisch- oder Spanischunterricht? (Z. B. kommunikationsorientiert, kompetenzorientiert, etc.) Zugegeben: Wissenschaftsbereiche bilden dann ihre eigene Terminologie und dann geht's schnell ins Jargonhafte und tendenziell Lächerliche. Aber deshalb sind ja die Fragen, die die Didaktik stellt, nicht schon sinnlos.

    THEORIE, wie du selber schreibst - in der Praxis läuft Unterricht aber nicht so ab und das wissen doch alle Beteiligten. Natürlich kann ich dies alles THEORETISCH untersuchen, für die Praxis bringt es mir aber rein gar nix, da meiner Ansicht nach der Unterricht vor allem auf der Beziehungsebene abläuft und da sollte ich lieber meine sozialen Fähigkeiten ausbilden.


    Sollte sich jetzt jeder Lehrer damit beschäftigen? – Ich meine: Ja. Warum?

    Damit beschäftigen schon, aber vor dem Hintergrund, dass sich vieles nur begrenzt in der Praxis umsetzen lässt.


    Zum Beispiel:
    Es muss ein neues Lehrwerk angeschafft werden: Welches ist das geeignete, welches entspricht dem Lehrplan, welches hat die beste Progression für unsere Lerngruppen? (Hier kann man sich nicht nur auf sein Bauchgefühl verlassen oder nur auf den Verlagsvertreter vertrauen.)EiDasne Unterrichtsreihe sollte auch nach klaren Kriterien, d. h. letztlich wissenschaftlichen Kriterien, aufgebaut sein – und eben nicht nach Bauchgefühl. (Dass man das dann als Profi nicht mehr alles aufschreibt wie in der Ausbildung, sondern im Kopf 'durchdenkt', ändert ja nichts an den Grundüberlegungen.)
    Alternativen (wenn's mal im Unterricht nicht läuft) kann man auch nicht nur aus dem Bauch entwickeln, sondern muss alternative Strategien irgendwann mal kennengelernt und im Hinblick auf Vorteile/Nachteile etc. durchdacht haben.
    Dass man sich professionell mit solchen Problemen auseinandersetzen kann, soll die Beschäftigung mit Fachdidaktik leisten. Wenn man nur Rezepte aus der Praxis 'nachbackt', kann man dies eigentlich nicht erreichen. Unser Unterricht in der Sek. I soll wissenschaftsorientiert und in der Sek. II wissenschaftspropädeutisch sein – nur mit Bauchgefühl ist das m. E. nicht machbar.

    Natürlich kann man nicht nur mit Bauchgefühl agieren und natürlich muss man Dinge planen/durchdenken, analysieren. Oftmal hilft praktisches Handwerk aber weiter als 1000 wissenschaftl. Theorien. Und mal ehrlich - inder Sek I wissenschaftlich arbeiten? Das ist doch wirklich allerunterste Schiene, was man da macht - und in der Oberstufe wissenschaftspropädeutisch arbeiten, ist auch nur holde Theorie, weil die Kenntnisse der SUS das gar nicht hergeben - damit kannst du frühestens an der Uni anfangen.
    Wenn man wissenschaftlich arbeiten will, ist man auf jeden Fall an der Schule falsch - es sei denn, du züchtest vielleicht in deinem Labor nach dem Unterricht noch Mäuse.

    Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.

  • was Sachanalyse und Pädagogische Analyse ausmacht für ein Thema, etc.

    Das kann ich aber mit Sicherheit auch ohne diese Begriffe aufzuführen. Und sorry, wenn das jetzt unsympathisch 'rüberkommt, aber es kommt kein Komma vor etc.

    Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.

  • Wenn sich deine Vorstellung von Wissenschaftlichkeit in der Klischeevorstellung vom Kittelträger mit wirren Haaren erschöpft, der Mäuse züchtet, dann muss ich dir recht geben. Ansonsten aber leider in keinem Punkt: Wissenschaftsorientierung heißt nicht, dass man mit den Sek.I-Schülern Wissenschaft treibt, sondern dass der Unterricht überprüfbaren Kriterien folgt und auf Stand der Fachwissenschaft ist (die dann wiederum didaktisch reduziert wird – auch eine wichtige Aufgabe der Didaktik!): Das heißt z. B. kein Basta!-Unterricht ("Das stimmt weil ich es sage") und auch kein magisches Denken oder Bezug auf Traditionen ("Das war schon immer so."). Wissenschaftspropädeutik ist in der Sek. II vorgeschrieben und im übrigen ja auch keine schwarze Kunst: die Schüler zu klaren Argumentationen anhalten, ihnen beibringen, dass man Quellen nicht unterschlägt, sondern benennt, und dass Behauptungen/Thesen bestimmten Güte-Kriterien unterliegen müssen.


    Wenn man diese Forderung nach Klarheit und Transparenz als unrealistisch abtut, dann macht man es sich doch arg bequem. Ich finde nicht, dass es etwas bringt, Theorie gegen Praxis aufzurechnen. Gefordert ist von uns "reflektierte Praxis"; nicht nur wissen, wie, sondern auch warum.


    Wenn es in diesem Thread aber nur darum geht, die üblichen Klischees zu zelebrieren, dann verabschiede ich mich mal.

  • Stimmt. Allerdings ist das keine Wissenschaft sondern solides Handwerk und sollte auch entsprechend runtergekocht behandelt werden. Die allumfängliche Worthülsenbläherei, die einem aus jedem Fachbuch entgegenquillt, steht dabei nur im Weg - ich sage nur "Taxonomie der Lernziele"!

    Welchen Namen man dem Kind jetzt gibt, ist relativ egal – aber bestimmten Kriterien müssen eben auch diese 'handwerklichen' Entscheidungen genügen. Ich möchte keinen Schreiner haben, der mir die Möbel nur nach seinem Bauchgefühl anfertigt, da sollte schon auch gemessen werden.

  • Ein weites Feld.


    Ich denke, die Didaktik ist mittlerweile selbst so heterogen, dass es "die" Didaktik gar nicht gibt. Stattdessen gibt es eine Reihe von "Didaktiken" mit unterschiedlichen Zielen und Ansprüchen.


    Aus meiner Sicht hat "die" Didaktik mindestens zwei völlig legitime Betätigungsfelder:


    (1.) Leitlinien, Methoden und Inhalte für Unterricht allgemein zu definieren. Dies setzt imho selbst praktische Unterrichtserfahrung voraus, ist in jedem Fall in erster Linie ein reflektiertes Handwerk, aber für die Weiterentwicklung von Unterricht unverzichtbar.


    Dieser Bereich der Didaktik leidet allerdings seit Entstehung der universitären Didaktik bzw. vor allem: Fachdidaktik in den 1960er/70er Jahren darunter, dass er von Menschen überschwemmt und besetzt wird, denen jede Praxiserfahrung fehlt und die daher oft nur eine sehr begrenzte Fähigkeit haben zu beurteilen, was sie eigentlich vorschlagen. So wird die Notwendigkeit, in der Schule Unterricht erst möglich zu machen, von diesen Theoretikern notorisch unterschätzt. Sie haben zwar alle möglichen Ideen davon, was Großartiges denkbar wäre, wenn Kinder nicht so wären, wie sie sind. Sie können jedoch in der Regel nicht beantworten, was etwa an einer Hauptschule im sozialen Brennpunkt geschehen soll, in der faktisch viele Stunden keine Unterrichtsstunden mehr sind, oder wie man mit der Tatsache umgehen soll, dass Kinder sich nicht nach Gruppenarbeiten verzehren. Sie haben keine ernsthaften Vorschläge zu machen, wie man Deutschaufsätze zum "gestaltenden Interpretieren" seriös bewerten soll, obwohl sie selbst diese Aufsatzform durchgesetzt haben - abgesehen vom didaktischen Standardtipp natürlich, auf Bewertungen zu verzichten, ein Tipp, der mehr über das Elend der Didaktik als das der Schule aussagt. Usw.


    (2.) Empirisch zu ermitteln, welche Effekte Unterricht hat oder ähnliches. Diese Seite der Didaktik ist im Kommen und wichtig. Es ist bemerkenswert und praxisrelevant, wenn die Studie von Plath und Richter zum Lesen in der Grundschule feststellt, dass die Lehrerinnen die Kinder genau DIE Bücher lesen lassen, die die Kinder nicht lesen wollen (nämlich problemorientierte Bücher, eine Seuche, die sicherlich auch wieder die Didaktik mit in die Grundschulen getragen hat). Es ist bemerkenswert, wenn die Studie von Steiner et. al. feststellt, dass die soziale Selektivität der Grundschule sich zwischen 1972 und 2002 erhöht hat - auch hier erschreckenderweise wegen didaktischer Erfolge. Pointiert zusammengefasst zeigt eine empirische didaktische Studie hier, wie Neuansätze der Didaktik zahllose (Unterschichten)biographien beschädigt haben. Es ist bemerkenswert, wenn Fritzsche et. al. zeigen, dass handlungs- und produktionsorientierte Verfahren im Literaturunterricht der Klassen 5 und 6 analytischen Verfahren nicht überlegen sind. Übrigens erneut nichts anderes als eine empirische didaktische Kritik didaktischer Heilsbotschaften


    Solche Dinge kann man als Lehrer schon mal wissen. Wie es auch eigentlich peinlich ist, wenn man im Forum sieht, dass die meisten Lehrer die Potsdamer Studie zur Lehrerbelastung nicht kennen - was nicht im engeren Sinne mit Didaktik zu tun hat, aber in die Richtung geht.


    Übrigens muss man m. E. bei aller Didaktik-Schelte bedenken, dass man oft gar nicht merkt, wie viel von der kritisierten Didaktik man in sich trägt. Z. B. ist die Idee, Unterricht lebe von Beziehungsarbeit, selbst eine zentrale didaktische Idee (etwa in den Schriften K. Reichs). Sie ist NICHT einfach aus der schulischen Praxis entstanden. Vielleicht ist die Didaktik also besser als ihr Ruf ;-).

    • Offizieller Beitrag

    Das kann ich aber mit Sicherheit auch ohne diese Begriffe aufzuführen. Und sorry, wenn das jetzt unsympathisch 'rüberkommt, aber es kommt kein Komma vor etc.

    Mir sollte aber klar sein, was was ist. Es kommt oft genug vor, dass beide Thematiken miteinander vermischt werden.


    Und natürlich entschuldige ich mich hiermit hochoffiziell für meinen Tippfehler. Es soll ja Menschen geben, die fehlerlos sind. Ich bin es leider immer noch nicht.

    • Offizieller Beitrag

    Wenn sich deine Vorstellung von Wissenschaftlichkeit in der Klischeevorstellung vom Kittelträger mit wirren Haaren erschöpft, der Mäuse züchtet, dann muss ich dir recht geben. Ansonsten aber leider in keinem Punkt: Wissenschaftsorientierung heißt nicht, dass man mit den Sek.I-Schülern Wissenschaft treibt, sondern dass der Unterricht überprüfbaren Kriterien folgt und auf Stand der Fachwissenschaft ist (die dann wiederum didaktisch reduziert wird – auch eine wichtige Aufgabe der Didaktik!): Das heißt z. B. kein Basta!-Unterricht ("Das stimmt weil ich es sage") und auch kein magisches Denken oder Bezug auf Traditionen ("Das war schon immer so."). Wissenschaftspropädeutik ist in der Sek. II vorgeschrieben und im übrigen ja auch keine schwarze Kunst: die Schüler zu klaren Argumentationen anhalten, ihnen beibringen, dass man Quellen nicht unterschlägt, sondern benennt, und dass Behauptungen/Thesen bestimmten Güte-Kriterien unterliegen müssen.


    Wenn man diese Forderung nach Klarheit und Transparenz als unrealistisch abtut, dann macht man es sich doch arg bequem. Ich finde nicht, dass es etwas bringt, Theorie gegen Praxis aufzurechnen. Gefordert ist von uns "reflektierte Praxis"; nicht nur wissen, wie, sondern auch warum.


    Wenn es in diesem Thread aber nur darum geht, die üblichen Klischees zu zelebrieren, dann verabschiede ich mich mal.


    +1 ! :)


    Und: von den "Bauchgefühlt kann ich das am allerbesten, ich brauch mich mit nix theoretischem zu beschäftigen"-Lehrern, die dann allerdings leider die einzigen sind, die ihren bauchgefühlten Unterricht so super finden, kenn ich schon zu viele. :cursing:



    Was allerdings nichts an meiner Zustimmung zu neles Beitrag bezüglich der Wortschwurbelei ändert. Das Ganze ginge genausogut auch auf Deutsch.

  • Übrigens muss man m. E. bei aller Didaktik-Schelte bedenken, dass man oft gar nicht merkt, wie viel von der kritisierten Didaktik man in sich trägt. Z. B. ist die Idee, Unterricht lebe von Beziehungsarbeit, selbst eine zentrale didaktische Idee (etwa in den Schriften K. Reichs). Sie ist NICHT einfach aus der schulischen Praxis entstanden. Vielleicht ist die Didaktik also besser als ihr Ruf ;-).

    Die Idee, Unterricht lebe von Beziehungsarbeit, eine zentrale didaktische Idee ... und nicht einfach aus der schulischen Praxis entstanden ... also ich weiß definitiv nicht, woraus diese Idee wirklich entstanden ist, aber schauen wir uns dazu doch einfach mal die historischen Fakten an:


    Mitte/Ende des 15ten Jahrhunderts gab es bereits die ersten Gelehrten, die die Beziehungsarbeit in der Lehre als zentralen - wenn nicht sogar den wichtigsten - Punkt herausgestellt haben.


    Die ersten Quellen didaktischer Ideen/Modelle finde ich Anfang/Mitte des 17ten Jahrhunderts.


    Der angesprochene K.Reich ... der hat sogar erst runde 500 Jahre nach den besagten Gelehrten, im 20ten Jahrhundert, überhaupt gelebt.



    Womit - wenn dem tatsächlich so ist, aber ich mag ja wichtige Quellen übersehen haben - klar wäre, dass die Beziehungsarbeit in der Lehre/im Unterricht im Ursprung überhaupt gar keine zentrale didaktische Idee ist ... vom zeitlichen Ablauf her schon gar nicht sein kann. DIESE Idee war schon lange da ... als noch niemand überhaupt an so etwas wie Didaktik gedacht hat ... und damit hätte die Didaktik diese Idee schlichtweg nur geklaut.


    Hoffentlich macht die Didaktik da nicht den Guttenberg, sondern nennt auch immer schön die Quellen der Idee "Beziehungsarbeit" und verkauft sie nicht als ihre eigene ;)


    Unabhängig davon kann die "Beziehungsarbeit" natürlich in der Didaktik trotzdem eine zentral Idee sein, aber sie kommt da eben ursprünglich gar nicht her ... und dann sollte die Didaktik auch nicht die entsprechenden Lorbeeren - sprich den guten Ruf - ernten.



    Und ich vermute mal, vor 600 Jahren wurde einfach solide handwerklich gearbeitet ... ohne jegliche Wortschwurbelei ... ohne Verwissenschaftlichung ... und dann wäre die "Beziehungsarbeit" sogar ein Opfer der Didaktik ... :D

    "Der erste Schritt zum Lernen ist die Liebe zum Lehrer - weil man die Liebe zur Wissenschaft von Heranwachsenden noch nicht erwarten kann."


    Erasmus von Rotterdam



    3 Mal editiert, zuletzt von step ()

  • Hm, ich verstehe die Argumentationsführung nicht. Wieso wird ein Gedanke deshalb falsch, weil er schon einmal gedacht worden ist? (Übrigens fallen mir auf Anhieb 2500 Jahre alte Quellen ein, in denen schon davon die Rede ist, dass Lehren/Lernen als dialogischer Prozess, mithin im Rahmen einer Beziehung, stattfinden.) Vielleicht hat ja Reichs konstruktivistische Didaktik (die ich – aus anderen Gründen – für ein recht luftiges Unternehmen halte) neue Aspekte beigesteuert, die diese alte "Weisheit" stützen. (So wie die Neurowissenschaft derzeit Sachen empirisch nachweist, die etwa Comenius schon vor knapp 400 Jahren vermutet hat. Wo ist da das Problem?)

    Und ich vermute mal, vor 600 Jahren wurde einfach solide handwerklich gearbeitet ... ohne jegliche Wortschwurbelei ... ohne Verwissenschaftlichung ... und dann wäre die "Beziehungsarbeit" sogar ein Opfer der Didaktik ... :D

    Oder die Ausdrücke galten damals noch nicht als "Schwurbelei", weil die Leute noch Latein und Griechisch konnten. ;)

  • philosophus

    Zitat

    Wenn nicht wissenschaftlich – wie denn sonst?


    Welches didaktische Modell bzw. welche Unterrichtstheorie ist denn wissenschaftlich belegt?
    Wo sind die entsprechenden Studien, die verschiedene didaktische Modelle vergleichen und eine Aussage über deren Eignung unter bestimmten Bedingungen machen?


    Ich hätte gerne mal einen Unterricht gesehen, der nach veschiedenen didaktischen Modellen vorbereitet wurde (gleicher Inhalt, vergleichbare Zielgruppe) und in seiner Wirkung (Unterrichtsprozeß und Unterrichtsergebnis)
    kurz- mittel- und langfristig analysiert worden wäre.


    Grüße
    Steffen


    PS: Und bitte jetzt nicht die Ausrede: "...das hat alles mit Menschen zu tun, da geht das mit den wissenschaftlichen Kriterien nicht so..." Die Psychologen können sowas, und die Mediziner auch, warum die Pädagogik nicht?

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :_o_P


    8_o_) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • Hm, ich verstehe die Argumentationsführung nicht. Wieso wird ein Gedanke deshalb falsch, weil er schon einmal gedacht worden ist?

    Ein Gedanke deshalb falsch, weil er schon einmal gedacht worden ist? Das frage ich mich gerade auch ... zumal ich den Zusammenhang jetzt nicht verstehe, da ich das ja gar nicht geschrieben habe!
    Und man schaue nur mal in meine Signatur, dann weiß man, wie ich das mit der "Beziehung" sehe ... also genau das Gegenteil des falschen Gedanken.


    Es ging - ausgehend von der Bemerkung, dass man bei aller Kritik an der Didaktik bedenken sollte, dass man sich u.U. selbst ihrer Ideen, z.B. der Beziehungsarbeit, bedient - ausschließlich um den Ursprung dieser Idee ... das dies eben nicht das Verdienst der Didaktik ist, sondern "nur" von ihr aufgegriffen worden ist.


    Also überhaupt kein Problem ... und du untermauerst meine Argumentation ja sogar noch, indem du noch viel ältere Quellen (und damit zeitlich noch weiter vor jeder Didaktik) beisteuerst als die, die ich angesprochen hatte.


    Das grundsätzliche Problem liegt (darum ging es in meinem zitierten Beitrag aber gar nicht) in der Pseudowissenschaftlichkeit der Didaktik ... und da brauche ich jetzt (denkenswerterweise) nur noch auf den letzten Beitrag von SteffdA zu verweisen. :super:
    Da stehen jedem (Natur-)Wissenschaftler die Haare zu Berge, was da in der Didaktik als Wissenschaft bezeichnet wird ... :schreck:

    "Der erste Schritt zum Lernen ist die Liebe zum Lehrer - weil man die Liebe zur Wissenschaft von Heranwachsenden noch nicht erwarten kann."


    Erasmus von Rotterdam



    4 Mal editiert, zuletzt von step ()

  • Klasse Beitrag SteffdA :thumbup:


    Ganz genau, wenn die Pädagogik oder die Didaktik ernst genommen werden soll, dann müssen wissenschaftlich haltbare Versuche mit entsprechendem Versuchsdesign durchgeführt werden.
    Aus meiner Sicht sollte man den Psychologen die Forschung in Pädagogik überlassen, denn dem normalen Pädagogen fehlen einfach zu viele Kentnisse in Testtheorie und Statistik um Haltbares herauszufinden. Sehr lange wird sich diese ideologisch geprägte "Forschung" wie sie die Didaktik und Pädagogik großteils noch betreibt nicht mehr halten können denke ich.
    Man muss zugestehen, dass in neueren Publikationen die Theorien häufiger durch empirische Studien untermauert werden als es in den älteren der Fall war. Übrigens ist die moderne Psychologie auch viel naturwissenschaftlicher als noch vor einigen Jahrzehnten. Die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften sind halt ein bisschen langsamer, werden sich aber auch dahin entwickeln (müssen).
    Unter dieser Prämisse könnte Didaktik und Pädagogik in meinen Augen durchaus interessant werden und nicht nur unter schwach begründbare Alltagsweisheiten abgetan werden.


    Lustig fand ich in dem Zusammenhang übrigens die Erkenntnis aus empirischer Forschung, dass Frontalunterricht in Naturwissenschaften bei Mädchen zu besserem Lernerfolg führt, als der so hochgelobte schülerzentrierte Unterricht. Bei Jungs war es glaube ich nicht signifikant, muss die Studie noch einmal suchen. Vielleicht produzieren die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu viel Ernüchterung in den Reihen der Didaktiker?
    Könnte mir sehr gut vorstellen, dass herauskommt, dass fast jede der heute und auch damals etablierten Methoden ihre Berechtigung hat und außerdem ein großer Anteil des Lernerfolgs von nicht unterrichtlich steuerbaren Faktoren abhängt.
    Es könnte herauskommen, dass sowohl Unterricht im asien style (Drill), als auch waldorfmässiger, offenerer Unterricht gleiche Berechtigung hat. Vielleicht stellt man nämlich fest, man müsste Schüler A aufgrund seiner Veranlagung auf eine Schule mit hartem Drill schicken, Schüler B hingegen auf eine Schule, wo er offene Lernangebote bekommt, so, dass er sich nach seiner intrinsischen Motivation zu vollem Potential entfalten kann. Doch was macht man dann? Ganz pragmatisch halt, wie es jeder gute Lehrer eh schon macht, verschiedene Lerntypen mit verschiedenen Methoden ansprechen um im Durchschnitt möglichst viele zu erreichen.



    Das Problem bei der Didaktikforschung sehe ich auch darin, dass die "Forscher" ihre eigene Existenz in Frage stellen würden, wenn sie beispielsweise festellen würden, dass die Lehrmethoden von vor 20 Jahren doch ganz gut waren und man einfach dabei bleiben sollte. Stattdessen müssen, um die Existenz der Didaktikforschung zu rechtfertigen, immer irgendwelche Dinge verändert werden. Das führt dann dazu, dass sinnvolle Dinge über Bord geworfen, oder, wenn man nicht darauf verzichten kann, diese einfach unter anderem Namen und aus anderem Blickwinkel als Neuheit verkauft werden.
    Man denke an die bahnbrechende, nie zuvor gesehene Idee der Kompetenzorientierung. Ich habe selten so gelacht, als man mir weismachen wollte, dass es ein ganz anderes Konzept sei als der Unterricht zu der Zeit, als ich unterrichtet wurde.
    Woher wohl auch die ganzen deutschen Nobelpreisträger kamen damals, als die Unterrichtsmethoden aus der Sicht der heutigen Didaktiker steinzeitlich waren.

  • Wenn man diese Forderung nach Klarheit und Transparenz als unrealistisch abtut, dann macht man es sich doch arg bequem. Ich finde nicht, dass es etwas bringt, Theorie gegen Praxis aufzurechnen. Gefordert ist von uns "reflektierte Praxis"; nicht nur wissen, wie, sondern auch warum.


    Wenn es in diesem Thread aber nur darum geht, die üblichen Klischees zu zelebrieren, dann verabschiede ich mich mal.


    Wenn sich deine Vorstellung von Wissenschaftlichkeit in der Klischeevorstellung vom Kittelträger mit wirren Haaren erschöpft, der Mäuse züchtet, dann muss ich dir recht geben. Ansonsten aber leider in keinem Punkt: Wissenschaftsorientierung heißt nicht, dass man mit den Sek.I-Schülern Wissenschaft treibt, sondern dass der Unterricht überprüfbaren Kriterien folgt und auf Stand der Fachwissenschaft ist (die dann wiederum didaktisch reduziert wird – auch eine wichtige Aufgabe der Didaktik!): Das heißt z. B. kein Basta!-Unterricht ("Das stimmt weil ich es sage") und auch kein magisches Denken oder Bezug auf Traditionen ("Das war schon immer so."). Wissenschaftspropädeutik ist in der Sek. II vorgeschrieben und im übrigen ja auch keine schwarze Kunst: die Schüler zu klaren Argumentationen anhalten, ihnen beibringen, dass man Quellen nicht unterschlägt, sondern benennt, und dass Behauptungen/Thesen bestimmten Güte-Kriterien unterliegen müssen.

    Nein, insofern gebe ich dir völlig recht. ich war nur gerade ein wenig genervt, weil ich besagte erstellung der unterrichtsentwürfe doch als etwas künstlich und aufgebläht empfinde.

    Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.

    Einmal editiert, zuletzt von Sonnenkönigin ()

  • die empirischen Studien sind in der erforderlichen Langzeitform doch nie gemacht worden, um die aufgestellten Behauptungen zu belegen.


    Ja, und das es jetzt nicht mehr um Wissens- sondern um Kompetenzerwerb geht, wurde uns auch im Seminar vorgebetet, wobei es ja nur eine Frage der Definition ist, wie man beides voneinander abgrenzen will.

    Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.

Werbung