Probleme in Sexualkunde

  • Hallo zusammen,


    Ich unterrichte gerade zum ersten Mal in der 7. Klasse eines Gymnasiums Sexualkunde. Da ich einige Schüler aus sehr religiösen Elternhäusern in der Klasse habe, gab es bereits im Vorfeld der Unterrichtsreihe Probleme. Einige Eltern wollten ihre Kinder vom Unterricht befreien lassen, da die Unterrichtsinhalte ihrer Ansicht nach gegen ihren Glauben verstießen. Nachdem wir mit den Eltern ausführlich gesprochen haben, sind nun die meisten Schüler auch anwesend. Das Problem ist allerdings, daß einige Schüler sich dem Unterricht demonstrativ verweigern. Sie schauen Arbeitsblätter nicht an, bringen das Lehrbuch nicht mit, melden sich nicht. Meine Versuche sie in den Unterricht zu integrieren werden ignoriert.


    Habt ihr Erfahrung mit solchen Situationen und wie würdet ihr dieses Problem angehen? Den Schülern ist das Thema offensichtlich sehr unangenehm. Ich möchte gerade bei diesem Thema auf niemanden irgendeinen Druck ausüben. Andererseits weiß ich nicht wie ich diese Schüler dann fair bewerten soll und ob es nicht eigentlich meine Aufgabe wäre auch in diesem Fall neue Versuche zu unternehmen die Schüler in den Unterricht zu integrieren.


    Für Tipps wäre ich dankbar. :)


    Liebe Grüsse


    Mary

  • Inhaltlich kann ich dir leider nicht helfen, ich habe keine Idee, wie du diese Schüler dazu bekommst, den Stoff zu lernen, hier geht es wohl kaum um Verständnisprobleme? So wie du es beschreibst, sind es ja keine "klassischen" Verweigerer, sondern Schüler, deren Verhalten anscheinend zuhause protegiert wird. Gespräche mit den Eltern und den Schülern habt ihr auch geführt, es sollte daher klar sein, dass der Stoff zu unterrichten ist.
    Aber da Schule kein Wunschkonzert ist bei dem man sich die Stoffe aussuchen kann und ihr alle weichen Möglichkeiten ausgeschöpft habt, würde ich wahrscheinlich konsequent darauf hinweisen, dass es Noten gibt: in Form von mündlicher Abfrage des Stoffes der letzten Stunde, sofortige Rückmeldung über die mündliche Mitarbeit während der Stunde in Form von Noten, Benotung der Mappenführung, bei Arbeitsverweigerung die Note demostrativ notieren, Elternbriefe über die ungenügende Arbeitshaltung, u.ä.
    Nehmen die Schüler und die Eltern die Fünf oder Sechs in Kauf, ist das dann so. Man kann nur hoffen, dass niemand später in den medizinisch-pflegerischen Bereich möchte.

  • Hi MaryJ., willkommen im Forum!


    Wo bist Du denn, im Siegerland? Ich habe Erfahrungen aus dem Westerwald, da ist es auch nicht immer so wie "normal"; allerdings habe ich keine Erfahrungen aus dem Biounterricht. Falls ich das noch hinzufügen darf: Vermutlich kommen die Schüler aus einem freikirchlichen Milieu; das ist (im Unterschied zum landeskirchlichen Milieu) durchaus nochmal ein Unterschied.
    Ich teile Danaes Meinung: Du hast gut genug erklärt, was Sache ist, es ist nun mal normaler Unterricht, und da müssen die Schüler schon Leistung zeigen.


    Vielleicht könntest Du an geeigneter Stelle noch unterstreichen, dass es hier nicht um persönliche Erfahrungen geht, und auch nicht darum, die Schüler moralisch zu beeinflussen, sondern dass alles, was ihr da macht, rein biologisch-medizinisch ist. Vielleicht entlastet es die Schüler, wenn sie sich klar machen, dass es nicht um sie persönlich geht, sondern nur um den Stoff (auch wenn das didaktische Dogma normalerweise andersrum ist... :D )


    Allerdings solltest Du auch nicht zuuu streng sein: Wenn Du bei einigen schüchternen Schülern nicht sanktionierst, wenn sie nicht mitmachen, solltest Du es im Falle dieser freikirchlichen auch nicht machen; sie dürfen ja nicht für ihre religiöse Ausrichtung bestraft werden.


    Übrigens: Schau Dir auch mal an, was Du schon geschafft hast! Dass die Schüler trotz anfänglicher Weigerung nun im Unterricht sitzen, ist doch gut (auch wenn nichts anderes akzeptabel gewesen wäre...).


    Hamilkar

  • Ich wäre da tolerant und würde den Sexualkundeunterricht nicht den Freikirchlern-Kindern aufdrücken wollen. Es ist zwar nicht so ganz wünschenswert, dass in unserer Gesellschaft Parallelgesellschaften ihr eigenes Ding in puncto Lehrplan durchziehen, aber auf der anderen Seite sind diese Kinder sehr gut erzogen und ansonsten leistungsbereit und diszipliniert arbeitend. Unterm Strich sehr positive Schüler.8)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

  • ... und ich könnte mir durchaus vorstellen, dass gerade diese Schüler, die so abweisend reagieren, ganz genau zuhören, was im Unterricht gesagt wird - denn zu Hause ist dieses Thema ja wohl tabu.


    Gruß venti :)

  • Ich wäre da tolerant und würde den Sexualkundeunterricht nicht den Freikirchlern-Kindern aufdrücken wollen.


    Ähm, gerade, weil einige Gruppierungen ihr eigenes Süppchen kochen (wollen) ist es notwendig, verbindiche Lehrpläne zu haben mit Themen, die man auch unterrichten muss. Ich bin strikt dagegen, jemanden von einem Unterrichtsthema auszuschließen, nur weil da irgendwo der Schuh drückt. Einem rechtsorientierten Schüler kann man auch aus Sicht der Toleranz nicht den Geschichtsunterricht anders gestalten, ein heidnisch erzogenes Kind muss trotzdem bis zu einem gewissen Alter am Religionsunterricht teilnehmen. Und gerade Sexualkunde ist heutzutage wichtig! Ich würde es so handhaben: Elternbriefe, Hinweis auf Noten / Beteiligung und wenn die "lieben Kleinen" sich dann immer noch - bedingt durch die Einstellung ihrer Eltern - verweigern die Konsequenz in Form von mangelhaften Leistungsrückmeldungen. Schade um die Kinder, aber manchmal geht's eben nicht anders. Evtl. hilft ja auch ein Eltern-Schulleiter-Gespräch in dem das alles nochmals verdeutlicht wird. Meine Güte, sollen diese Kinder dann auch dem Biologierunterricht fern bleiben, wenn die Evolutionstheorie und Vererbungslehre unterrichtet wird, nur weil sie diese ablehnen und daran glauben, dass die Welt vor 6000 Jahren innerhalb von einer Woche erschaffen wurde? Ist für mich ein Reizthema. :cursing:

    • Offizieller Beitrag

    ein heidnisch erzogenes Kind muss trotzdem bis zu einem gewissen Alter am Religionsunterricht teilnehmen.


    Ich gebe dir bei allem Recht, nur in diesem Fall ist zumindest in Hessen eine Abmeldung durch die Eltern möglich. Ich selbst war z.B. nur in der 13. Klasse mal ein Halbjahr in Religion, weil ich damals noch einen einfachen Grundkurs brauchte ;)

  • Ich wäre da tolerant und würde den Sexualkundeunterricht nicht den Freikirchlern-Kindern aufdrücken wollen.


    Auch die Kinder von Fundamentalisten haben das Recht, durch rationale Aufklärung vor ungewollten Schwangerschaften, Geschlechtskrankheiten und vor psychischen Schäden bei der Entdeckung ihrer Sexualität geschützt zu werden. Dagegen hat der Aberglaube der Eltern zurück zu stehen.


    Zitat

    Es ist zwar nicht so ganz wünschenswert, dass in unserer Gesellschaft Parallelgesellschaften ihr eigenes Ding in puncto Lehrplan durchziehen, aber auf der anderen Seite sind diese Kinder sehr gut erzogen und ansonsten leistungsbereit und diszipliniert arbeitend. Unterm Strich sehr positive Schüler.8)


    Durch die perpetuierte Angst vor ewiger Verdamnis, durch eine mit Druck durchgesetzte patriarchale Ideologie und durch die Furcht vor sozialer Ausgrenzung aus einer kleinen gesellschaftlichen Randgruppe - das sind die Merkmale von Fundamentalismus - lässt sich natürlich leicht Konformität gegenüber den Forderungen einer hierarchischen Macht herstellen. Positiv ist daran nichts, auch wenn du ja bekanntermaßen Sympathien für diese Ideologien empfindest...


    Nele

  • ein heidnisch erzogenes Kind muss trotzdem bis zu einem gewissen Alter am Religionsunterricht teilnehmen.


    Nein, an staatlichen Schulen muss es das nicht, an konfessionellen Schulen schon - eine Teilnahme am Religionsunterricht kann durch die Eltern oder durch den religionsmündigen Schüler aus Gewissensgründen verweigert werden; eine Prüfung ist nicht zulässig.


    Nele

  • Vielleicht ist es dir ja möglich im Unterricht ein bisschen offener zu arbeiten?
    Dann könnten sich die entsprechenden Schüler unbeobachteter fühlen und doch einen verstohlenen Blick wagen.
    Ich vermute nämlich mal, dass dieses Thema sie schon interessieren würde.
    In einem Frage-Antwort Frontalunterricht würde ich mich als Schüler einer 7. Klasse bei dem Thema auch nicht wohl fühlen.
    Die Schüler tun mir nur Leid, weil sie von ihren Eltern wahrscheinlich unter Druck gesetzt werden, bloß nicht die bösen Arbeitsblätter anzuschauen. Hoffentlich bekommen sie kein gestörtes Verhältnis zu ihrer Sexualität.

  • Zitat neleabels :

    Naja, Du machst es Dir da schon etwas einfach. Sicherlich herrschen bei den Freikirchlern meistens sehr konservativ geprägte Lebensauffassungen vor. Klar geregelt ist auch in den Familien die klare Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau, die aber nicht schlecht sein muss, zumal das Verhältnis von Mann und Frau in unserer modernen Gesellschaft seit den Werteverirrungen der 68er irgendwie gar nicht mehr funktioniert und auch nie funktionieren wird, wenn wir die Entwicklung ohne gedankliche Schere im Kopf betrachten.


    Sicherlich ist das Zusammenleben in den Familien der Freikirchler hierarchischer strukturiert, aber dafür auch mit mehr Verbindlichkeit und Zusammenhalt. Kann unsere ach so moderne Gesellschaft dem wertemäßig Paroli bieten, wenn man tagtäglich wahrnimmt, dass die Institution Ehe/Familie immer mehr zu entschwinden droht ?


    Als langjähriger Schulstubenmeister und auf Effizienz bedachte Persönlichkeit betrachte ich die Fakten : Die Kinder der Freikirchler sind gut erzogen und strebsam. Die Anweisungen der Lehrer werden beachtet und machen deswegen einem das Leben als Lehrer nicht schwer. Durch Strebsamkeit und Disziplin erreichen sie meistens sehr gute Schulabschlüsse. Genauso erfolgreich verläuft ihr Berufsleben. Etliche ehemalige freikirchliche Schüler, die ich kenne, haben erfolgreiche Unternehmen gegründet, die sich etabliert haben und zahlen somit ordentlich Steuern in die Staatskasse. Zumindest ist mir persönlich kein Drückeberger, der sich in die soziale Hängematte legt, bekannt. Ein nicht geringer Anteil engagiert sich ehrenamtlich im sozialen Bereich.


    Ich vermag nicht zu erkennen, was da nicht positiv sein sollte, geehrter neleabels ! Persönlich zufrieden und in sich ruhend sind die meisten Freikirchler auch. Warum sich dann darüber aufregen, dass die Sexualkunde in freikirchlichen Kreisen nicht erwünscht ist ? 8)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

    Einmal editiert, zuletzt von Elternschreck ()

  • Warum sich dann darüber aufregen, dass die Sexualkunde in freikirchlichen Kreisen nicht erwünscht ist ?


    Wir regen uns nicht darüber auf. Vielmehr darüber, dass wir im Unterricht darauf Rücksicht nehmen sollten, wenn es nach deren Meinung geht. Sexualkunde ist ein Thema, welches im Lehrplan steht. Da wird keiner nach seiner Befindlichkeit und religiösen Einstellung gesondert behandelt. Ein Ausschluss sieht weder der Lehrplan noch das Schulgesetz, noch die aktuelle gesellschaftliche Situation vor. Ich bin strikt dagegen, Themen nach "wichtig - weniger wichtig" oder sonstigen Schwerpunkten zu gewichten. Ich muss es unterrichten, weil mein Dienstherr es wünscht (und ich es imho für richtig empfinde). Der Lehrplan setzt die Mindestanforderungen, die wir uns nunmal nicht einfach aussuchen können, geschweige denn interpretieren. Alles darüber hinaus kann diskutiert werden. Klar, Sexualkunde ist ein strittiges Thema, aber wir sollte es eben wie ein "normales Thema" behandeln. Sollte jemand nicht damit einverstanden sien, so steht es ihm frei, eine private Schule zu besuchen, die die Gwichtungen anders legt. Mal davon abgesehen, dass die Inhalte sich eh nicht so sehr unterscheiden. Um zum Ausgangsthema zurück zu kehren: Es macht imho keinen Unterschied, ob die Schüler den Mathematikunterricht oder Biologie verweigern. Unterrichtsverweigerung kann einfach zu 99% nicht mit guten Noten bewerttet werden. Das sollten Eltern und Schüler einsehen.

  • Zur Notengebung: Bitte kläre ab, ob du die Schüler in Sexualkunde überhaupt benoten darfst. In Bayern z.B. dürfen während der Sexualkunde keinerlei Noten gemacht werden.


    Sarek

  • Danke für eure Antworten.


    Es handelt sich tatsächlich um Schüler aus dem freikirchlichen Milieu. Die Kinder sind meinem Eindruck nach sehr gut erzogen, sie sind sehr höflich, anständig, ordentlich und fleissig und sie gehören eigentlich zu den besten Schülern in der Klasse. Daher möchte ich sie auch ungern schlecht benoten, weil ihre Verweigerung eben nicht aus Faulheit resultiert, sondern offensichtlich aus Scham und einem Gewissenskonflikt mit dem Unterrichtsstoff.


    Den Schülern ist anzumerken, dass das Ganze ihnen sehr unangenehm ist. Für sie ist das Ganze wohl ein Tabubruch. Hinzu kommt, dass die anderen Schüler auch sehr offen sprechen und sich mit ihrem Vorwissen in den Unterricht einbringen.


    Ich möchte eigentlich nur das Beste für diese Schüler und ich glaube nicht, dass es zu ihrem Besten ist, wenn ich sie mit schlechten Noten unter Druck setze. Obwohl ich schon sehr behutsam mit dem Thema umgehe, kann ich auch verstehen, wenn es gerade für solche Schüler zu intim und privat ist, über ein solches Thema im grösseren Kreis zu sprechen.


    Aber ich kann den Schülern natürlich auch nicht für ihre Verweigerung einfach eine passable Note geben, das wäre widerum unfair den Schülern gegenüber, die sich immerhin bemühen am Unterricht mitzuwirken.


    Keine einfache Situation irgendwie.

  • Ich wäre da tolerant und würde den Sexualkundeunterricht nicht den Freikirchlern-Kindern aufdrücken wollen. ..., aber auf der anderen Seite sind diese Kinder sehr gut erzogen und ansonsten leistungsbereit und diszipliniert arbeitend. Unterm Strich sehr positive Schüler.8)

    Und was ist, wenn Schüler aus anderen Religionen (z.B. aus dem Islam) ihre Kinder vom Sexualkunde-Unterricht befreien möchten?? Wärst du da auch so tolerant, selbst wenn es sich nicht um einen ganz lieben Schüler handelt, der wunderbar erzogenen ist, mit tollen Wertvorstellungen? Okay, in den meisten Fällen ist auch hier der Familienzusammenhalt groß und es sind klare hierarchische Familienstrukturen vorhanden (Mann = Chef), die du ja anscheinend so präferierst.

  • Aber ich kann den Schülern natürlich auch nicht für ihre Verweigerung einfach eine passable Note geben, das wäre widerum unfair den Schülern gegenüber, die sich immerhin bemühen am Unterricht mitzuwirken.


    Ganz genau. Als Lehrer hast du einen Bildungsauftrag und der beinhaltet, dass du alle Schüler gleich behandelst, unabhängig der Religion oder Herkunft. Klar ist es schwer, wenn man einzelne Schüler als besonders nett empfindet und bisher ein positives Bild von ihnen hatte / hat. Aber du darfst deine Botengebung nicht davon abhängig machen. Ich sitze doch auch nciht vor den Zeugnissen und lege die Noten danach fest, ob ich jemanden besonders mag, weil er gut erzogen etc ist. Sprich mit deinem SL. Sagt der, dass du Sexualkunde benoten musst, dann musst du das auch, und zwar bei allen Schülern. Dann gilt, dass diejenigen eben die besseren Noten bekommen, deren Leistungen aben auch gut sind. Musst du Sexualkunde nicht benoten, dann benote alle Schüler nicht. Ich weiß, dass wir Lehrer auch nur Menschen sind, die für die Kinder das beste wollen und uns von Gefühlen lenken lassen, aber der Beruf setzt nunmal eine gewisse Objektivität voraus. Was du privat davon hältst, diesen Bereich zu benoten ist eine Sache, was dein Dienstherr von dir will eine andere. Also, klär das ab und behandle alle gleich. Eine andere Möglichkeit hast du nicht. Und wenn du Noten geben musst, dann erkläre es den Schüler, was die Konsequenzen einer Unterrichtsverweigerung sind.

  • Würde dann nicht die Bemerkung "teilgenommen" reichen ?


    Und genaus das sollte mit dem Dienstherr, bzw dem Schulleiter abgeklärt werden. Da gibt's Vorschriften. Muss der Bereich benotet werde, so wird darüber dann auch nicht diskutiert, bzw. es wird sich nicht darüber hinweg gesetzt und die Sache ist klar. Dafür müssten wir die rechtlichen Bedingungen kennen.

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