Vom Lehramtsstudium zum Ingenieur zum Lehrer - Chancen?

  • Hallo liebe Lehrer und angehende Lehrer,

    schön, dass es dieses Forum gibt :-).


    Wegen meiner späteren speziellen Frage zunächst ein kleiner Ausflug zu meinem Lebenslauf:

    Technisches Gymnasium mit Profil Informationstechnik, drei Semester Realschullehramt (Deutsch, Englisch, ev. Theo) an der PH, Abbruch des Studiums und Ausbildung zum Fluggerätelektroniker mit anschließendem Bachelorstudium Flugzeugbau.


    Da ich mit meinem Abschluss aufgrund von Covid-19 wohl in den nächsten Jahren leider nicht viel bewegen kann - der Arbeitsmarkt ist sozusagen tot - und der Beruf Lehrer mich nie gänzlich losgelassen hat, überlege ich mir gerade, den Master of Education für berufsbildende Schulen anzuschließen.

    Hier in Hamburg gibt es an der TU HH zusammen mit der Uni HH einen eigens entwickelten Aufbaustudiengang für Ingenieure.


    Natürlich wird es wichtig für mich sein, genau zu reflektieren, warum ich damals vom Lehramt abgesprungen bin. Grundsätzlich hatte ich seit dem Jugendalter beide Interessen und es viel mir damals schon schwer, mich für eine Richtung zu entscheiden (luftfahrtbegeistert, Segel-/Motorflieger - aber eben auch engagierter Nachhilfelehrer und Gruppenleiter, Kinder-/Jugendfreizeiten etc.). Zu meiner „Verteidigung“ könnte ich noch anführen, dass ich bis heute den Kontakt zur Jugend nicht verloren habe (ich bin Pate für Schüler mit Migrationshintergrund).


    Der Hauptgrund für meinen Abbruch damals waren wohl meine gewählten Fächer, die mir in der eigenen Schulzeit großen Spaß gemacht hatte, im Studium dann aber mangels Begeisterung für intensive Literaturarbeit eher zum Alptraum wurden. Die ersten Unterrichtsversuche im Blockpraktikum (dank PH schon so früh) fand ich toll und nach wie vor fühle ich mich zum Lehrerberuf hingezogen.

    Mir ist aber auch bewusst, dass ich spätestens im Referendariat wieder viel Zeit mit Literaturrecherchen und dem Schreiben von ausführlichen Unterrichtsentwürfen, Stundenskizzen, Berichten und Reflexionen verbringen werde und so frage ich mich, ob ich mir vielleicht selbst etwas vormache und ich an meine Grenzen geraten könnte. Aber vielleicht ist es ja mit meinen möglichen Fächern (Metalltechnik, Physik, Informatik) halb so wild?


    Lange Rede, kurzer Sinn:


    Meint ihr, eine Schulleitung wird meinen erneuten Wechsel negativ auslegen (lebenslauftechnisch drehe ich mich ja sozusagen im Kreis) und ich sollte mich auf eine erschwerte Ref-Suche bzw. längeren Berufseinstieg einstellen, wenn überhaupt?


    Wie schwer tut man sich in den erziehungswissenschaftlichen Modulen und dem Ref, wenn man nicht gerade ein Faible für das Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten hat?


    Mit meinen Mathenoten aus dem Grundstudium des Bachelors kann ich leider nicht gerade einen Preis gewinnen. Möglicherweise unterrichte ich ja dann aber auch Physik/Mathe an einem Technischen Gymnasium und so frage ich mich, ob ich fachlich bestehen könnte (?).

    Wäre dies ein Grund, um mir eine Anstellung zu verweigern bzw. wie relevant sind die Fachnoten aus dem Bachelor für einen erfolgreichen Berufseinstieg/dem Schulalltag?


    Über eure Einschätzungen, Anregungen oder Tipps würde ich mich sehr freuen.

    Ganz vielen lieben Dank!

  • Mach den Master für Lehramt an beruflichen Schulen, wie du bereits herausgefunden hast. Du wirst extrem gesucht sein. Das Zweitfach ist egal, weil du mit hoher Wahrscheinlichkeit nur deine beruflichen Fächer unterrichten wirst. Der Lebenslauf ist im Lehrerberuf irrelevant. Im Lehramt an beruflichen Schulen passt du schon damit sehr gut rein.


    Dir viel Spaß und Erfolg :)

  • Huhu,


    ich würde es auch wagen. Ich glaube nicht, dass dir dein bisheriger Lebensweg negativ ausgelegt werden wird. Im beruflichen Schulwesen ist, gerade bei den technischen Lehrern, eine "Karriere" a la Schule, Uni, Schule doch eh quasi nicht existent.


    In deinem Ausbildungsberuf warst du doch sicher auch an einer Berufsschule, oder? Die haben keinen Bedarf?


    Lg und gute Entscheidung,

    Mrs Pace

  • Beim Schreiben deiner Entwürfe würde ich auf jeden Fall empfehlen, eine andere Schriftgröße als hier zu wählen. Ich musste tatsächlich die Webseite auf 200% vergrößern, um etwas zu erkennen :)


    Ansonsten: Deine Fachkombi wäre bombe, Jobgarantie an Berufsschulen inkl. Da gibts dann aber natürlich nicht nur ein Berufliches Gymnasium, sondern auch Ausbildungsberufe. Die würden mir fachlich mehr Sorge bereiten als Schüler in Vollzeit, da diese meist Vorwissen aus dem Job haben. Aber insgesamt bist du im Regelfall fachlich Welten weiter als die SuS. Das ist sicherlich nicht das Problem. Wenn du in der Lage bist, ein Studium abzuschließen, bist du auch fachlich (nicht unbedingt didaktisch) in der Lage, SuS zu unterrichten.


    Ich bin zwar keine Schulleitung, behaupte aber, es interessiert die Null, wie deine vorheriger Lebensweg war. Ist ja nicht so, dass es besonders viel Auswahl gibt. Außerdem wären gerade an Berufsschulen/Berufskollegs ja Leute interessant, die vorher auch mal gearbeitet haben.


    In NRW bin ich durchs gesamte Ref ohne das Lesen von irgendwelchen fachdidaktischen Büchern ausgekommen. Beim Schreiben der Entwürfe hilft Erfahrung und ein bißchen logisches Denken. Auf keinen Fall ist hier irgendeine Literaturrecherche notwendig. Zwei Zitate von Hilbert Meyer ausm Internet rein klatschen, vielleicht noch eins von Gruner ausm Internet und fertig. Vielleicht ist das in anderen Fächern wichtiger, in meinen wars egal.

  • Mir ist aber auch bewusst, dass ich spätestens im Referendariat wieder viel Zeit mit Literaturrecherchen und dem Schreiben von ausführlichen Unterrichtsentwürfen, Stundenskizzen, Berichten und Reflexionen verbringen werde und so frage ich mich, ob ich mir vielleicht selbst etwas vormache und ich an meine Grenzen geraten könnte.

    Du musst im Ref aufschreiben, warum du was wie zu tun gedenkst. Das kann man klar und kurz halten, wenn man es auf den Punkt bringt. Du hast Flugzeugbau studiert, ich tippe mal so ins Blaue, dass du genug Reflexionsfähigkeit und Schreibkenntnisse besitzt, um ein Ref zu bestehen;) Im Ref geht es darum, zu lernen dein Fachwissen runterzubrechen und erklären zu können.


    Zum Schulleiter: das Mitspracherecht ist gering. Außerdem gibt's keine Vorstellungsgespräche mit Lebensläufen und Fragen der Art "was sind Ihre größten Schwächen". Schule ist meiner Erfahrung nach ein recht amtliches System, in dem Fächer gesucht werden und keine Menschen. Hast du das richtige Fach, gibt's auch die Stelle.

  • Meint ihr, eine Schulleitung wird meinen erneuten Wechsel negativ auslegen (lebenslauftechnisch drehe ich mich ja sozusagen im Kreis) und ich sollte mich auf eine erschwerte Ref-Suche bzw. längeren Berufseinstieg einstellen, wenn überhaupt?

    Meine Lebenslauf ist noch viel exotischer als deiner. Damit bist du in gute Gesellschaft an beruflichen Schulen. Die meisten Lehrkräfte im technischen Bereich haben vorher was anderes gemacht. Da bist du mit einem regulärem Lehramtsabschluss eher der Exot.


    Der Bedarf ist in Hamburg, wie auch in vielen anderen Bundesländern, sehr hoch. Es herrscht quasi Einstellungsgarantie, zumindest im technischen Bereich.


    Fast alle, die mit mir diesen Sommer den Vorbereitungsdienst abgeschlossen haben, haben nun eine Planstelle. Die mit ungünstigen Fächern haben zumindest eine befristete Anstellung bekommen.

  • In NRW bin ich durchs gesamte Ref ohne das Lesen von irgendwelchen fachdidaktischen Büchern ausgekommen. Beim Schreiben der Entwürfe hilft Erfahrung und ein bißchen logisches Denken. Auf keinen Fall ist hier irgendeine Literaturrecherche notwendig. Zwei Zitate von Hilbert Meyer ausm Internet rein klatschen, vielleicht noch eins von Gruner ausm Internet und fertig. Vielleicht ist das in anderen Fächern wichtiger, in meinen wars egal.

    Da merkt man den riesigen Unterschied zwischen den Schulformen. Aber ist doch cool, wenn man das Ref bei euch weitestgehend ohne nervenaufreibende Literaturarbeit durchziehen kann ;) .

  • Mach den Master für Lehramt an beruflichen Schulen, wie du bereits herausgefunden hast. Du wirst extrem gesucht sein. Das Zweitfach ist egal, weil du mit hoher Wahrscheinlichkeit nur deine beruflichen Fächer unterrichten wirst. Der Lebenslauf ist im Lehrerberuf irrelevant. Im Lehramt an beruflichen Schulen passt du schon damit sehr gut rein.


    Dir viel Spaß und Erfolg :)

    Ich schließe mich da FAST an.


    Würde aber eher vorschlagen: Mach den Ingenieursmaster und geh dann per Quer- oder Seiteneinstieg an die berufliche Schule. In den MINT-Fächern, dort vor allem den T-Fächern, ist das kein Problem, und Du hast einen großen Vorteil: Wenn Du später willst, kommst Du einfacher wieder raus, weil Du einen "wirtschaftstauglichen" Abschluss hast.


    Der einzige Unterschied im Ref (bei uns) ist, dass die Quereinsteiger das erste halbe Jahr einen zusätzlichen Pädagogik-Kurs haben. Ansonsten alles gleich: Bezahlung, Status, Stundenzahl, retliche Ref-Ausbildung etc. Und an der BS guckt Dich als Quereinsteiger auch keiner blöd an, die sind da der Normalfall.


    Und mach Dir keine Gedanken über versäumte Pädagogikinhalte von der Uni. Die sind meist dermaßen weltfremd, dass sie an der berufsbildenden Schule kein Mensch braucht (just for the records: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das an anderen Schulformen anders ist).

  • Beim Schreiben deiner Entwürfe würde ich auf jeden Fall empfehlen, eine andere Schriftgröße als hier zu wählen. Ich musste tatsächlich die Webseite auf 200% vergrößern, um etwas zu erkennen :)

    Danke! Mir ging's genauso!


    Für Niedersachsen kann ich sagen, dass du mit Metalltechnik als berufliche Fachrichtung an den BBS derzeit auf jeden Fall eine Stelle bekommen würdest.


    Unterrichtsentwürfe habe ich auch nie gerne geschrieben (und bin froh, dass ich es mittlerweile nicht mehr muss), aber das ist gut schaffbar.

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • @DpB: Verstehe ich da richtig, dass du zumindest in bestimmten beruflichen Fachrichtungen ein spezifisches Lehramtsstudium für unnötig hältst?

  • @DpB: Verstehe ich da richtig, dass du zumindest in bestimmten beruflichen Fachrichtungen ein spezifisches Lehramtsstudium für unnötig hältst?

    Richtig.

    Geschätzt 80% der technischen Lehrer bei uns sind Quereinsteiger o.Ä.

    Die sind keinen Deut schlechter als wir.eher besser, weil die meisten Erfahrung aus der echten Welt mitbringen (ich zwar auch, aber das ist für einen reinen Lehramtler nicht normal).


    Die Pädagogik die Du bei uns brauchst ist mit "sei konsequent, dabei kein Arsch und bleib authentisch" nahezu abschließend zusammengefasst. Und die Didaktik... ehrlich, DIE lernt man im Ref. Auch da ist das Unizeugs zu allgemein und abgehoben.

  • Hallo zusammen,

    wow, vielen Dank!! Das ist ja der Wahnsinn - mit so einer Resonanz hätte ich nicht gerechnet.

    Nach den vielen Ermutigungen werde ich diesen Weg unbedingt weiter verfolgen.


    Die Idee mit dem Ingenieursmaster und anschließendem Quereinstieg finde ich spannend, danke dafür. Ob ich mich allerdings für die hier im Flugzeugbaumaster angebotenen Module wie Aeroelastik und höhere Festigkeitslehre im Leichtbau begeistern kann, muss ich mal schauen.

    Meine Hoffnung ist ja, dass der Hamburger Aufbaustudiengang M.Ed. dank Zusammenarbeit mit der TU sehr praxisnah ist und sowohl gutes pädagogisches als auch vertiefendes technisches Handwerkszeug vermittelt. Aber da muss ich mir mal noch genauer die Modulpläne zu Gemüte führen.


    Dann werde ich als Nächstes den Kontakt zu meiner Berufsschule wieder aufleben lassen und mich mit ein paar meiner ehemaligen Lehrer unterhalten. Wenn ich nett frage, darf ich bestimmt auch mal hospitieren, um auch die anderen Schulformen abgesehen vom Fuggerätelektronikerkurs kennen zu lernen.


    Danke euch allen!


    PS: Entschuldigt die kleine Schrift - das Einfügen von Word war wohl der Übeltäter ^^.

  • ... Ob ich mich allerdings für die hier im Flugzeugbaumaster angebotenen Module wie Aeroelastik und höhere Festigkeitslehre im Leichtbau begeistern kann, muss ich mal schauen.

    Wieso, klingt doch sexy :victory:

  • Dann werde ich als Nächstes den Kontakt zu meiner Berufsschule wieder aufleben lassen und mich mit ein paar meiner ehemaligen Lehrer unterhalten. Wenn ich nett frage, darf ich bestimmt auch mal hospitieren, um auch die anderen Schulformen abgesehen vom Fuggerätelektronikerkurs kennen zu lernen.

    Absolut richtige Vorgehensweise :) Wenn du nett mit der Schulleitung sprichst, machen die oft vieles möglich. Ansonsten sind die oft so gut vernetzt, dass sie auch andere Berufsschulen empfehlen können. Vor allem können die Schulen dir sagen, was genau sie brauchen und wie du das erreichst.

    Viel Erfolg

  • Das ist sehr viel Tensoralgebra, partielle Differentialgleichungen, Kontinuumsmechanik, Materialmodelle etc.


    Ich wäre sofort dabei, in meinem Master habe ich sowas gemacht und mir hat's gefallen. Ich kann aber auch gut verstehen, wenn man da nicht drauf steht.

  • Sagen wir mal so: Im Lehramtsbereich gibt es ja das Klischee, dass viele sich um die Fachwissenschaft drücken, da sie deren Sinnhaftigkeit mit Blick auf die spätere Tätigkeit nicht sehen. In einem Fachmaster hättest du die volle Breite Fachwissenschaften im Vergleich zum fachlich abgespeckten Lehramtsmaster. Wer sich für "Aeroelastik und höhere Festigkeitslehre im Leichtbau" total begeistern kann, weiß ja, wofür er sich eher entscheiden wird ;) .

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