Als ich in dem Alter war, von dem wir hier reden, habe ich privat auch keine Bücher mehr gelesen. Freunde, Partys etc waren wichtiger als Lesen. Ich habe nur noch für die Schule gelesen, aber das musste ich auch mangels Alternativen (es gab einfach noch keine Szenenanalyse zu Faust im Netz wie heute 3000-fach und mit Videos etc).
Vorher allerdings, also ab Grundschule bis Klasse 6, war ich Stammkunde in der Bibliothek. Vielleicht liegt auch darin das Problem? Ich sehe es ja nur als Mama eines Grundschulkindes, deshalb weiß ich nicht, ob sich da etwas geändert hat.
Wenn Eltern meiner Generation Wert auf Bildung gesetzt haben, gab es für die Kinder Bücher. Allein um den Wissensdurst zu stillen, den Kinder eigentlich haben. Fernsehen und Computer waren begrenzt. Andere Kinder wurden vor die Glotze gesetzt, wenn die Eltern sich nicht beschäftigen wollten/konnten, aber es waren (hoffentlich zumindest) Kindersendungen und Filme, die schon irgendwie einen pädagogischen Nutzen oder Wissensmehrwert hatten.
Heute sehe ich Kinder vor Schulbeginn, denen ein Tablet oder Handy gegeben wird, damit sie ruhig sind. Auf Bahn- oder Autoreisen sieht man kaum noch Bücher, sondern digitale Geräte. Ich kann nicht genau beurteilen, was die Kinder da sehen, aber es ist selten ein komplexer Film, sondern eher im TikTok Stil mit geringer Aufmerksamkeitsspanne.
Meine Tochter ist in der zweiten Klasse, fast die Hälfte der Schüler haben bereits ein Handy. Vor zwei Wochen gab es Buchpräsentationen, mehr als 1/3 der Kinder hat noch kein eigenes Buch gelesen und die Klassenlehrerin musste ihnen eins vorgeben. Im Gegensatz zu mir ist meine Tochter keine Leseratte, aber ein paar Bücher hat sie in Eigenregie bereits gelesen. Ich fände es komisch, wenn nicht, aber das müssen die GS-LehrerInnen besser einschätzen können.
Was ich eigentlich sagen wollte: Mir kommt es so vor, als würde die eigentlich in jedem Menschen angelegte Gier nach Wissen viel früher abgeschaltet werden als noch vor 20 Jahren. Grammatikalische Strukturen, variabler Ausdruck und Satzbau, ein Gefühl für Rechtschreibung und Zeichensetzung werden, so denke ich, viel durch Lesen erworben. Wenn das wegfällt, brauchen wir uns nicht über die Zustände in der Oberstufe zu wundern.
Ich kann Texte, die ich vor 10 Jahren in der Schule habe lesen lassen, heute nicht mehr verwenden, weil sie wirklich nur noch von einzelnen Schülern verstanden werden. Das gilt übrigens ebenso für Schulbücher. Diese sind mittlerweile zu schwierig für die SchülerInnen. Und selbst bei Reduktion von Inhalten werden die Leistungen immer schlechter. Gleichzeitig steigt aber die Anspruchshaltung an guten Noten bzw Abschlüssen. Wenn ich "schlechte" Noten gebe, habe ich in jeder Klasse SchülerInnen, die darüber diskutieren wollen. Sie erkennen nämlich noch nicht einmal einen Unterschied zwischen guten und schlecht formulierten Texten etc.
Mittlerweile kann ich Kollegen verstehen, die dennoch versetzen/die bessere Note geben/die Klassenarbeit besser bewerten. Es kostet nämlich viel Kraft und Energie