Ich will mich eigentlich an dieser Diskussion überhaupt nicht beteiligen, möchte nur folgendes anmerken: Bolzbold ist hier der Historiker. So wie wir Naturwissenschaftler oftmals nervös werden, wenn es um haarsträubend falsche Aussagen rund um Corona geht, möge man doch bitte auch die Expertise der Geisteswissenschaftler respektieren. Ich möchte behaupten, dass ich als Laie historisch überdurchschnittlich interessiert bin und in einigen Teilbereichen auch recht gut belesen bin. Deutschland war vor Hitler in Teilen schon sehr fortschrittlich und das eben nicht von "aussen aufgedrückt" sondern "von innen geboren". Vorsicht an dieser Stelle also mit Vergleichen. Geschichte wird nur allzu oft nicht richtig verstanden und es ist frustrierend, wie wenig wir aus ihr lernen.
Geschichte? Gemeinschaftskunde? - Ja, habe ich nicht studiert, obwohl es meine Lieblingsfächer an der Schule waren (aber schon damals war klar, dass keine Lehrer mit diesen Fächern benötigt werden und so habe ich Mathe statt Geschichte gewählt, ich habe aber Abitur in Geschichte geschrieben). Und ich weiß, dass ich hier in Kürze nicht wiedergeben kann, was mich seit vielen Jahren beschäftigt, worüber ich sehr viel nachgedacht und gelesen habe (auch deshalb tausche ich mich mit anderen gerne aus, auch deshalb habe ich heute morgen hier geschrieben).
Trotzdem: ich beschäftige mich seit über 40 Jahren mit diesen Themen. Angefangen hat es mit einem Kinderbuch über Afghanistan, dann kam der Einmarsch 1978, ich habe alles verschlungen (von Memoiren eines russischen Offiziers um 1980 ca. 15 Jahre später veröffentlicht, über den Beginn der Taliban bis allgemeinen Berichten über das Land). Dieses Land hat mich immer fasziniert und traurig gestimmt. Auch über den Iran (wurde hier ein paar Male genannt) habe ich sehr vieles sehr verschiedenes gelesen (von Memoiren einer Tochter Mossadeghs (hätte es damals die Chance auf (dauerhafte) Demokratie gegeben oder hätte er sich als starker Mann für viele Jahre aufgespielt), die beiden Schahs usw. Ich habe viel darüber nachgedacht, habe mich immer weiter informiert (ich habe sicher mehr Zeit damit verbracht als mit chemischen oder gar mathematischen Themen).
Und ja, ich kenne die "demokratischen" Vorbewegungen in Deutschland. Ich bin in der Stadt von Friedrich Hecker aufgewachsen, ich habe mich bereits als Jugendliche mit ihm und seinen Ideen auseinandergesetzt, es gibt hier ein Hecker-Gymnasium. In Frankfurt wollte ich zuerst die Paulskirche besuchen und blieb viele Stunden drinnen (meine Begleitung verschwand entnervt, aber wenn ich schon mal da bin). Mir fallen August Bebel und Waldeck ein. Bolzhold schreibt ab 1870. Ich kann einiges über das kleine Baden berichten, es hatte seit 1818 eine Verfassung, war konstitutionelle Monarchie, lt. Wikipedia durften immerhin 17 % der Bevölkerung wählen. Aber das ist weder Demokratie noch hatte das Volk demokratisches Denken. Auch in anderen Völkern gab es solche Vordenker.
DpB schrieb oben, dass vielleicht dazu ein gewisser Wohlstand dazu gehört, ich ergänze auch Bildung. Zu viele trauerten während der Weimarer Zeit dem Kaiserreich nach und folgten später bereitwillig Hitler, es waren nicht nur einzelne. Dass es wirtschaftlich aufwärts geht, war wichtiger als Demokratie.
Auf der Seite Einstellungen zur Demokratie | bpb
lese ich, ich zitiere:
Geprägt durch Erinnerungen an das Kaiserreich und die Weimarer Republik stand die Bevölkerung in den 1950er-Jahren der Demokratie skeptisch gegenüber. Dies hat sich seither grundlegend geändert. Seit langem wertet die große Mehrheit die Demokratie als die beste Staatsform. Unterschiede gibt es bei der Wertschätzung der Demokratie als Staatsform zwischen West- und Ostdeutschland.
Gründe der anfänglichen Demokratieskepsis
Wer von der Instabilität der Weimarer Republik und ihrem Zerfall nach nur 14 Jahren traumatisiert worden war, blickte auf den zweiten Anlauf zur Demokratie in Deutschland voller Skepsis. Und wer im Deutschen Kaiserreich den besseren Staat gesehen hatte, dem schien die Demokratie eine schlechte Wahl zu sein. So dachte noch in den 1950er-Jahren ein nennenswerter Teil der Bevölkerung. Allerdings nahm die Zustimmung zur Demokratie in dem Maße zu, in dem Erinnerung an das Kaiserreich und die Weimarer Republik allmählich verblasste und in dem sich die Bundesrepublik als ein politisch stabiles Gemeinwesen erwies, das obendrein eine beträchtliche Wohlstandssteigerung zustande brachte. Noch aber werteten einflussreiche Beobachter diese Art der Demokratieakzeptanz als zerbrechlich.
(Zitatende)
Das deckt sich mit allem, was ich sowohl aus der Weimarer Zeit, als auch aus den 50er/60 er Jahren gelesen habe, das deckt sich, was ich von Älteren noch in den 70er/80er Jahren (z. B. über Hitler oder auch 1968) gehört habe. Ich habe Dahrendorf gelesen. Was wäre gewesen, hätten die Amerikaner unser Land nach 1945 nur halbherzig betreut, hätten sich zunehmend verabschiedet, weil die Deutschen in ihren Augen kein Verständnis für Demokratie haben (in Afghanistan waren es theoretisch 20 Jahre, aber schon lange war klar, dass das Land aufgeben war). Und ich habe Verwandtschaft in den neuen Bundesländern, bei Besuchen in den 90er Jahren hörte ich dieselben nicht demokratischen Ideen wie Jahre zuvor. Auch bei ihnen ging es vor allem um Wohlstand. Ich habe mich damals gefragt, ich frage mich heute, wie sicher ist unsere Demokratie, wenn unser Reichtum ins Schwanken gerät? Wenn terroristische Banden (Parteien etc.) uns drohen? Werden dann wirklich genug Menschen aufstehen, um die Demokratie zu verteidigen? Ich bin ziemlich in Sorge, dank Klimakrise ist es ja nicht ausgeschlossen.
Das sind ein paar der Gedanken sehr kurz notiert (über alles könnte ich stundenlang reden, wünschte ich intensiven Austausch), es beschäftigt mich seit langem sehr.