Hallo liebes Forum, bald stehen ja wieder ZK an, oder wie ich sie schon jetzt, nach erst 18 Monaten Lehrersein liebevoll nenne: Ramschkonferenzen.
In meinen mehr als 20 Jahren Berufserfahrungen vor der Schule, u.a. als Vertriebsingenieur habe ich in vielen Betrieben, in vielen Abteilungen, Werkstätten und allen möglichen Orten betrieblicher Wirksamkeit unzählige Situationen erlebt, in denen Leute mit ihrem Job überfordert waren, mit den unterschiedlichsten Konsequenzen. Natürlich ist der Grund für Überforderung nicht immer, dass den Leuten Qualifikationen zugesprochen wurden, für die ihnen eigentlich Kompetenzen fehlen, das ist mir klar.
Möchte man wirklich im Flugzeug sitzen und den Piloten, der einen begrüßt, als den S wiedererkennen, der damals mit vier 5en eigentlich niemals die fachgebundene Fachhochschulreife hätte bekommen dürfen? Und der hat nun also ein Studium geschafft, obwohl wir uns damals schon alle im Kollegium sicher waren, dass er nur geschummelt hat und wir ihn bloß nie erwischt haben? Der in den mündlichen Prüfungen, in die wegen seiner schwachen Leistungen musste, so gut wie keine eigenständige Leistung gezeigt hat?
Die Kollegen, die in einer ZK so Dinge sagen wie "Ok, dann mache ich aus meiner 5 eine 4" tun den SuS damit zwar kurzfristig einen Gefallen, langfristig aber imho überhaupt nicht. Ausnahmen bestätigen die Regel. Klar. Aber wie findet man die Grenze? Und gute Gründe kann es auch immer wieder geben. Kriegstraumata. Schwieriges Elternhaus. Lange/schwere Krankheit. Usw. Und man kennt als Fachlehrer diese Gründe auch nicht immer.
Ich weiß dann immer nicht so genau, wie ich mich verhalten soll.
Wie seht Ihr das?
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Vielleicht bist du ja - und das ist nicht abwertend gemeint - noch zu viel Vertriebsingenieur.
Als Lehrer ist man in erster Linie Pädagoge. Und da geht es auch um Leistung, aber eben nicht nur.
Schule ist kein Wettbewerb, bei dem man durch Selektion die besten herausfischt und die schlechten rauskickt. Es geht darum möglichst vielen Schüler möglichst viel beizubringen.
Im Pädagogikseminar meines Referendariats hieß es: Ihr Ziel muss bei jeder Arbeit ein Schnitt von 1,0 sein. Alle Schüler haben alles verstanden.
Das ist mir (leider) noch nie gelungen.
Also muss man sich permanent hinterfragen, aber natürlich auch die Leistungsbereitschaft und das Leistungsvermögen der Schüler.
Zu der Konferenzsituation: Bei uns wird nachgefragt, ob eine 5, die die Versetzung verhindert, auch eine klare ist. Manchmal kommt es vor, dass ein Schüler in 3 Fächern zwischen 4 und 5 steht, da muss man nicht zwingend immer die schlechtere Note geben.
Ebenso, ob es möglich ist, noch eine 2 oder 3 als Ausgleich zu erhalten, wenn der Schüler auch da womöglich häufiger bei 2,5 eine 3 erhalten hat.
Dann wird die persönliche Situation des Schülers reflektiert, die Sozialpädagogin ist immer dabei. Weil wir Pädagogen sind.
Im letzten Schuljahr wäre beispielsweise sonst ein Schüler durchgefallen, dessen Vater verstarb. Wir Kollegen hatten das nicht mitbekommen.
Da hilft in Baden-Württemberg, dass die Note nicht aus einer rein arithmetischen Berechnung ergibt. Mit diesem Hintergrundwissen war die Leistung des Schülers viel höher einzuschätzen. (Als mein Vater starb, unterbrach ich mein Studium und war eine Zeitlang völlig von der Rolle.)
Wichtig ist bei der Betrachtung der Schüler auch, dass wie schon jemand vor mir schrieb, gerade in den Klassen 8 bis 12 die Schüler mitten in ihrer Persönlichkeitsfindung sind. Daher sind in der Schule Pädagogen am Werk, die Professoren an der Uni haben diese Rolle zumindest in dieser Form nicht mehr.