dominik89 Was du zuletzt schreibst, klingt ganz anders als deine ersten paar Beiträge. Ja, da sind wir doch recht nah beieinander. Ich versuche dir mal die Widersprüche aufzuzeigen, die mich zu einer deutlich schärferen Antwort gebracht haben als es wahrscheinlich angemessen war. Dafür bitte entschuldige
Du schreibst zu Beginn:
Aus der Ferne frage ich mich allerdings, ob sich die Schweiz als potenzieller Arbeitsmarkt überhaupt auf dem Radar der deutschen Lehrpersonen befindet? [...] Aufgrund des aktuellen Lehrermangels ist es sogar so, dass man sich das Arbeitspensum mehr oder weniger frei aussuchen kann. Dass der Arbeitgeber da einfach seinen Willen durchsetzt, wäre aber in jedem Fall undenkbar.
"Die Schweiz" ganz allgemein, es geht erst mal gar nicht spezifisch um einen bestimmten Kanton und eine bestimmte Schulstufe. Darauf meine Antwort, dass das so pauschal nicht stimmt, dass man hier beliebig dar Arbeitspensum verhandeln könne und dabei bleibe ich auch - es stimmt einfach nicht. Was du infolge übrigens selbst auch einräumst:
In meinem Kanton bedeuten 28 Wochenlektionen ein 100% Pensum. Schlussendlich ist ein 100% Pensum aber kaum zu schaffen, weil die Arbeiten neben der eigentlichen Unterrichtstätigkeit so umfangreich sind, dass die meisten engagierten Lehrpersonen reihenweise Überstunden machen müssen (die dann auch nicht komplett in den Ferien abgebaut werden können, weil dort in der Regel die Vorbereitung weitergeht).
Volià. Doch nicht alles so toll, wie es in deinem ersten Beitrag noch klang. Welches Pensum arbeitest du denn selbst? Ich schätze auf 80 - 100 %, du bist ein Mann. Natürlich hattest du noch nie Probleme dein Pensum zu "verhandeln", du arbeitest genau im Sinne der Schulleitung mutmasslich Vollzeit inkl. KLP-Funktion. Geh mal und frag die jungen Mütter in deinem Kollegium, wie toll sie ihre Teilzeit "verhandeln" konnten. Geh mal und frag die jungen PH-Absolventinnen (es sind zu 90 % junge Frauen), wie toll sie "verhandeln" konnten, ob sie zum Berufseinstieg vielleicht doch nicht grad sofort eine Klassenleitung übernehmen wollten. Müssen sie nämlich ganz oft weil's einfach viel zu wenig Primarlehrpersonen gibt. Alles was du infolge für den Kanton Zürich schreibst könnte irgendeine Kollegin aus dem Baselland ganz genauso schreiben. Die Situation ist überall im Land die gleiche, es gibt zu wenig Lehrpersonen für die Primar und Sek.
Im Baselland arbeitet man für eine 100 % Stelle an der Primar übrigens nur 26 Wochenlektionen, ich glaube wir sind derzeit der Kanton mit der niedrigsten Pflichtlektionenzahl über alle Schulstufen hinweg. Nur arbeitet die 100 % an der Primar kaum irgendjemand weil es gar nicht möglich ist. Weil die Kolleginnen damit beschäftigt sind, den heilpädagogischen Förderbedarf zu organisieren und sich gegen amoklaufende Eltern zu wehren. Also die arbeiten dann eben schon 100 %, bekommen aber weniger Geld dafür, weil es offiziell Teilzeit ist. Exakt das schreibst du selbst übrigens auch für Zürich (siehe oben). Es wirkt in der Summe also etwas komisch, dass du den Kolleginnen und Kollegen hier im Forum die Primarschule in der Schweiz als tollen, alternativen Arbeitsort zu einer deutschen Grundschule verkaufen willst.
Die Schulstufe mit den bei Weiten besseren Arbeitsbedingungen im Vergleich zu Deutschland ist die Sek II, vor allem das Gymnasium. Das ist hier die "Königsdisziplin" in die die Bildungsdirektionen landauf, landab auch das meiste Geld reinschiessen. Die gewerkschaftliche Solidarität mit der Primar und der Sek I ist zumindest bei uns im Kanton sehr gross. Ich behaupte, alle Kolleginnen und Kollegen würden gutheissen, was ich weiter oben schrieb: Wenn wir der Primarschule eine Reduktion des Vollzeitpensums "erkaufen" könnten, würden wir es gleich morgen tun. Die BKSD wird uns die Pflichtlektionenzahl von 22 auf 23 erhöhen, das kommt ziemlich sicher demnächst. Damit wäre Geld gespart, wir haben den teuersten Stundenlohn. Ich glaube allerdings kaum, dass das Geld bei den Kolleginnen und Kollegen der Primarschulen ankommt, leider verlässt uns ja auch irgendwann dann mal unsere gute Monica Gschwind.
Mit Silvia Steiner habt ihr in Zürich übrigens auch eine von den Guten auf dem Posten sitzen, auch wenn sie von den populistischen Medien zur rechten Zeit des Grauens verrissen wird (der Tagi geht mir diesbezüglich in letzter Zeit echt nur noch auf den Sack). Stichwort "Poldis". Natürlich hat Frau Steiner recht damit, dass das Programm nicht verlängert werden sollte. Wir brauchen an den Primarschulen nicht noch weitere 600 Hausfrauen, die auch mal Kindern ein bisschen das Rechnen beibringen wollten (das ist jetzt bewusst sehr überspitzt ausgedrückt), wir brauchen eine komplette Überarbeitung der Ausbildung unserer Primarlehrpersonen und einen massive Steigerung der Attraktivität dieses Berufs. Das erreichen wir nicht, indem wir die Anforderungen an die Professionalität nur immer noch weiter absenken. Wir brauchen ein besseres Ausbildungsprogramm an den Pädagogischen Hochschulen, eine kleinere Pflichtlektionenzahl und mehr Assistenz, vor allem für die Zusatzaufgaben im heilpädagogischen Bereich.
Aber vielleicht stimmst du mir zu, dass der PH-Unterricht derzeit (trotz der vielen Praktika) viel zu theoretisch ist.
Nein, da stimme ich dir tatsächlich nicht zu. Die fachwissenschaftliche Ausbildung, vor allem in den Kernfächern, ist viel zu schlecht und müsste dringend vertieft werden. Du unterschätzt da glaube ich, dass du eben einen fachwissenschaftlichen Master im MINT-Bereich hast und für dich persönlich der Bereich an der PH einfach nicht so wichtig war. Der reguläre Weg an die PH führt in der Schweiz aber über die Fachmaturität Pädagogik und glaub mir, ich weiss sehr gut, was die Schülerinnen und Schüler können und vor allem was sie nicht können. Ich weiss ja, was ich ihnen beibringe und ich weiss, dass an der PH nicht mehr allzu viel dazu kommt (wenn überhaupt). Ich unterrichte gerade einen FMP-Kurs in Physik, die sind wirklich toll und man könnte noch sehr viel mehr mit ihnen vertiefen, wenn wir die Zeit dazu hätten. Haben wir aber nicht, letzte Woche hatten sie schon die schriftlichen Abschlussprüfungen.
Was du infolge schreibst, was du gerne mehr an Praxisausbildung gehabt hättest, finde ich bedauerlich, dass das nicht passiert ist. Das ist gar nicht Aufgabe der PH sondern hätte man dir in den Berufspraktika beibringen müssen. Ich arbeite selbst als Praxislehrperson für die FHNW (herzlichen Glückwunsch zu deiner Ausbildung, das ist mutmasslich die schlechteste PH im ganzen Land), im Bereich Sek II sind uns die Praxisphasen in den letzten Jahren einfach sukzessive zugunsten irgendwelcher Schwurbel-Veranstaltung zusammengestrichen worden. Dann hatte man leider auch im Partnerschulprojekt keine Zeit mehr, neben der fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Vor- und Nachbereitung des Unterrichts mit den Studis sowas auch noch anzuschauen. So gut es ging, habe ich es immer gemacht. Aber man braucht Zeit um wirklich über Fallbeispiele zu sprechen und man braucht vor allem mehr Zeit in den Klassen um gewisse Probleme überhaupt erst zu sehen. Erfreulicherweise wird sich das künftig alles wieder ändern, die Leitung Berufspraktische Studien hat nämlich gewechselt. Weisst du, was im Bereich Sek II da die letzten Jahre ganz eindeutig das Problem war? Zu viele Deutsche in neuralgischen Positionen, die unser Bildungssystem in der Schweiz gar nicht kennen. Jetzt hat endlich wieder ein Schweizer übernommen, der selbst in der Schweiz auch unterrichtet hat. Magst du mir erzählen, wie das im Bereich Primar bei dir gelaufen ist? Ist ja die gleiche PH (du warst wahrscheinlich Campus Brugg/Windisch, ne?), das würde mich jetzt wirklich interessieren.
[Fortsetzung folgt ...]