Vielen Dank für deine Beiträge, Powerflower! Die Links sind sehr interessant, die "Leidmedien" bringen die Sache gut auf den Punkt und bei Peter Radtke lese ich, dass es halt nicht so einfach ist.
Das ist es wirklich nicht. Ich erlebte bei einer Veranstaltung, dass ein blinder Mann darum bat, zur Toilette geführt zu werden. Da stand einer auf und sagte: "Klar. Sagen Sie mir, was ich tun soll. Ich habe noch nie einen Blinden geführt." Ich habe diese erfrischende, unverkrampfte Offenheit bewundert und gedacht, dass ich in lauter Unsicherheit darüber, was ich sagen und tun soll, in Krampf erstarre und dass damit niemandem geholfen ist. Es ist sicher wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, was und wie man redet und - speziell als Journalist - schreibt, und einige Beispiele bei den "Leidmedien" sind mir auch schon oft aufgefallen (speziell dieses "er bewältigt sein Schicksal heldenhaft, obwohl ..." verursacht mir immer Widerwillen).
Diese Sprachregelungen sind Ausdruck eines Prozesses, man kann sie nicht verordnen. Einige Ausdrücke setzen sich durch, andere nicht. Es ist nicht gelungen, die Kalorien durch Joule zu ersetzen, und auch das Binnen - I will eigentlich keiner mehr haben. Gemäß "Euphemismuskarussell" ist es nur eine Frage der Zeit, bis "Inklusion" auch zum Schimpfwort verkommt und ersetzt werden muss.
Die Jugendlichen haben feine Antennen und ihre Sprache bringt manches zum Ausdruck. Sie lassen sich von Tabus nicht abschrecken. Natürlich bleiben wir mit ihnen im Gespräch und machen sie aufmerksam, wenn sie gedankenlos vor sich hin plappern und -schimpfen und ihre Sprache kränkend und diskriminierend ist. Aber unser Einfluss ist beschränkt. Die Jugendlichen untereinander haben ihren eigenen Sprachcode, und der Klang, den ein Wort für sie hat, ist ein anderer als das, was ich da heraushöre. Es ist ein bisschen wie eine Fremdsprache. Man muss da erst richtig eintauchen, bis man begreift, wie bestimmte Ausdrücke gemeint sind. Bei der Jugendsprache ist das nicht so einfach, weil die Vokabeln größtenteils die unsrigen sind, und sich doch etwas anderes dahinter verbergen kann (nicht muss).
In meiner Gegenwart reden die Jugendlichen in der Regel "zivilisiert", aber meine Tochter zum Beispiel reagiert ziemlich grantig, wenn man diese Jugendlichenausdrücke, die man eben doch ab und zu aufschnappt, mal selbst benutzt. Das ist peinlich!
Gerade in Schulen ist man in Deutschland mit der Barrierefreiheit noch nicht sehr weit. Bei uns ist ein gebrochener Fuß schon ein Problem, weil einige Räume tatsächlich nur über Treppen zu erreichen sind. Irgendwie wird es sich hoffentlich weiterentwickeln. Vielleicht reden Jugendliche nicht immer so, wie wir das wünschen. Aber ich bin trotzdem sicher, dass sie trotzdem an dieser Entwicklung mitarbeiten werden. "Das ist ja behindert!" ist ein gräßlicher Ausruf, aber - und das war auch mein Ansinnen bei meinem Ausgangsposting - es könnte so etwas heißen wie "Das ist absurd, muss sofort geändert werden, ist menschenunwürdig, ..." Und wir hören nur den Tabubruch und das politisch Unkorrekte.
Und jetzt im Moment, wo ich dies schreibe, verunsichert es mich auch schon wieder. Verstehst du das?