Schulsterben in Deutschland

  • Auf der ZDF Seite kann man momentan oben rechts einen Beitrag (per windows media player oder real player) des ZDF Morgenmagazines ansehen zum Thema Schulschließungen wegen Geburtenrückgang, den ich interessant fand.
    Der direkte Link:
    [URL=http://www.zdf.de/ZDFmediathek/inhalt/13/0,4070,2340365-0,00.html]http://www.zdf.de/ZDFmediathek…/0,4070,2340365-0,00.html[/URL]


    Zahlen:
    Im Osten wurden 3000 Schulen seit der Wende geschloßen.
    Im Saarland: 1/3 der Grundschulen sollen aktuell geschlossen werden.

    Kommt jemand aus dem Saarland und kann berichten? 1/3 ist doch ziemlich viel!

  • Hallo Laura
    Ich komme aus dem Saarland und habe ein bewegtes Schuljahr hinter mir. Es stimmt, es sind ca 1/3 aller GS, viele werden nur noch auslaufende Dependancen, manche Schulen werden sofort geschlossen. Es entstehen neue Schulzentren, die räumlich einige Kilometer voneinander entfernt sind. Grund für all dies: QUALITÄTSVERBESSERUNG.
    Zweizügigkeit ist das Merkmal aller Schulen, denn nur zweizügige Schulen sind "gute" Schulen.
    Schaut mal auf www.bildungsserver.saarland.de!
    Dort hat das KUMI ziemlich viel veröffentlicht. Trotzt Elternprotesten, Demos etc. sind viele Schulen nicht zu retten gewesen, aber es wird weiter gekämpft.
    Ich könnte einen Roman verfassen, aber ...
    Bye Pet

    Ich bin Grundschullehrer, ich muss nicht die Welt retten!!!

  • Ich bin aus dem Saarland, und habe mich als bisher stille Mitleserin jetzt angemeldet.
    Ich bin Mutter, keine Lehrerin.
    Es wurde viel gegen die Schulschließungen protestiert, aber noch lange nicht alle Eltern sind dagegen.
    Vielen ist es auch einfach egal, viele sind einverstanden. Nur davon hört man nichts.


    Die Schule, die mein Sohn besucht, gehört zu den auslaufenden Schulen. Er kann seine Grundschule dort noch als letzter Jahrgang beenden.


    Kinder aus 3 Dörfern besuchen diese Schule.
    Die Eltern der Kinder aus dem Schulort haben sich aufgeregt. Von den Eltern aus den beiden anderen Dörfern hat man eigentlich nichts gehört.


    Warum?
    Wir (ich bin auch aus einem anderen Dorf) sind es einfach gewöhnt, dass die Kinder mit dem Bus in einen anderen Ort fahren. Das tun sie, seit sie 3 Jahre alt sind. Wir haben hier nämlich auch keinen Kindergarten.
    Eltern sind es also gewöhnt, die Kinder kennen es nicht anders.
    Und uns ist es egal, ob sie mit dem Bus links oder rechtsrum aus dem Ort fahren.
    Und den Kinder ehrlich gesagt auch. Denn sie kennen auch aus dem Ort der zukünftigen Schule Kinder.


    Hier heißt es immer nur: was soll die ganze Aufregung.


    Als mein Mann noch zur Schule ging, ging er noch hier im Ort zur Grundschule. Dann wurde diese geschlossen. Sein Bruder fuhr schon mit dem Bus 1 Ort weiter. Vor 20 Jahren wurde diese dann auch geschlossen und die Kinder fuhren halt 2 Dörfer weiter.


    Und ich muss sagen, es hat den Dörfern gut getan.
    Die Orte wuchsen zusammen, man lernte die Menschen aus dem anderen Ort kennen. Orte, die früher total verfeindet waren, arbeiten heute auf Vereinsebene zum Wohle aller zusammen.
    Die Kinder kennen sich, sind nicht mehr auf ihren eigenen kleinen Heimatort beschränkt.


    Und dann der unsägliche Slogan: kurze Beine, kurze Wege.
    Wer hat denn den kurzen Weg? Das Kind, das zur nächsten Bushaltestelle geht, oder das Kind, das quer durch ein ganzes Dorf zu Fuß gehen muss?
    Ich habe in dem Dorf gewohnt, in dem die Grundschule ist. Von meinem Elternhaus bis zur Schule waren es 1,8 km.
    So weit ist keine Bushaltestelle entfernt.


    Aufregen tun sich nur die, die bisher die Schule schön bequem vor der Tür hatten. Zumindest hier bei uns.
    Die Kinder lernen in jeder Schule, egal ob in A oder in B.

  • Natürlich lernen Kinder in jeder Schule - zumindest sollte es so sein ;) .


    Jedoch kommt es in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen in einigen Regionen aufgrund ungünstiger demographischer Entwicklungen seit den 80er Jahren zu Schulschliessungen in einem Umkreis, der schon von Grundschulkindern einen täglichen Fahrweg von mehr als 60 min pro Strecke abverlangt. Da ist nichts mit "mal eben in den Schulbus steigen und 10 min ins übernächste Dorf fahren". Teilweise existiert eben kein Schulbusverkehr und schon relativ kleine Kinder sind auf entweder a) "Taxiservice" durch Eltern oder andere oder b) enorme Selbstständigkeit (Zurechtfinden im ÖPNV, Umsteigen, Fahrplanlesen usw.) angewiesen. Erhöhte Selbstständigkeit ist natürlich immer wünschenswert, aber ich denke, dass 6-Jährige mit den Details (Fahrplan etc.) überfordert sind.


    Zudem kommt noch, dass die Problematik zirkulär ist - Abzug von Bildungseinrichtungen aus der Region - Wegzug vom Menschen mit Kindern. Wegzug von Menschen mit Kindern - Abzug von Bildungseinrichtungen usw.
    Dies führt in den genannten Regionen bereits zur Überalterung ("Vergreisung") von Landstrichen. Wie das in 20 Jahren aussehen mag und welche Folgen das hat, davor graust es die Demographen (Menschen werden immer älter, aber auch im Alter pflegebedürftig - aber wer pflegt sie, wenn rundherum nur Alte wohnen und Menschen im arbeitsfähigen Alter aufgrund Wegzugs ca. 1 Stunde entfernt wohnen?). Nur als Beispiel.


    Wenn ich das hier so schreibe, glaube ich, dass wir das Thema schon mal hatten. Brandenburg und MVP reagiert mit "Kleinen Grundschulen" auf die demographische Entwicklung - leider 8 - 10 Jahre zu spät. Diese Massnahmen hätten schon zu DDR-Zeiten beginnen müssen, da es den "Geburtenknick" schon Mitte der 80er gab.


    LG, das_kaddl.

  • So ist es im Saarland nicht.
    An die Grundschulen fahren extra Busse.
    Die Kinder haben auch keinen Fahrweg von 60 min und den öffentlichen Nahverkehr brauchen sie auch nicht zu nutzen.
    Es fahren meist private Busunternehmen, die extra dafür eingesetzt sind und nur die Schüler fahren.


    Was das-kaddl schreibt ist ja furchtbar.

    Zitat

    der schon von Grundschulkindern einen täglichen Fahrweg von mehr als 60 min pro Strecke abverlangt. Da ist nichts mit "mal eben in den Schulbus steigen und 10 min ins übernächste Dorf fahren". Teilweise existiert eben kein Schulbusverkehr und schon relativ kleine Kinder sind auf entweder a) "Taxiservice" durch Eltern oder andere oder b) enorme Selbstständigkeit (Zurechtfinden im ÖPNV, Umsteigen, Fahrplanlesen usw.) angewiesen. Erhöhte Selbstständigkeit ist natürlich immer wünschenswert, aber ich denke, dass 6-Jährige mit den Details (Fahrplan etc.) überfordert sind.


    Was den Wegzug von Familien betrifft:
    Hier zieht doch keiner wegen 4 Jahren Grundschule um.
    Ab Klasse 5 müssen eh die meisten Kinder fahren.
    Gründe für Umzug und Vergreisung von Orten ist die Arbeitsplatzsituation. Junge Menschen finden oftmals hier auf dem Land (nur 1 großer Arbeitgeber) keine Stelle. Also ziehen sie in die großen Ballungsgebiete, wo es mehr Arbeit gibt.
    Studenten ziehen oftmals weg, für sie gibt es hier keine Arbeit. So vergreisen die ganz kleinen Orte, das Dorf in dem wir wohnen auch.


    Dazu kommt eine seltsame Politik in Bezug auf Neubaugebiete.
    Die Menschen wollen bauen, nur in vielen Dörfern gibt es kein Neubaugebiet. Manche große Orte haben Riesen-Neubaugebiete.
    Die kleineren weisen gar keine aus.
    Nicht mangels Nachfrage, es ist halt einfach so.
    Also müssen die jungen Menschen aus den kleinen Dörfern raus.
    Mietwohnungen werden auch nicht im Dorf gebaut. Die Mietpreise sind niedriger.
    Aber an der Schule liegt es hier nicht, auch wenn das in Schulschließungs-Diskussionen so behauptet wird.

  • Fröhliches Hallo an saarländische Grundschullehrer!


    Wie ist jetzt eigentlich die Situation im Saarland - ein Jahr nach der Zusammenlegung der Schulen. Ist eigentlich etwas in Richtung Qualitätsverbesserung passiert? Ich hab da keinen Einblick hin. Ist schon irgendwie ein (wenn auch subjektiver) Eindruck bezüglich Unterrichtsqualität und Klassenstärke möglich? Wie beurteilt ihr im Rückblick eigentlich diese Maßnahme? Hat sich etwas zum Guten oder zum Schlechten verändert?


    Viele Grüße,


    Neckri


  • Hallo Pet, aus welchem Teil des Saarlandes kommst du? Meld dich doch mal ich lebe und arbeite auch hier. Unsere Schule wurde im letzten Jahr aus vier Schulen und 6 Orten zusammengelegt.

    Wer nie verliert, hat den Sieg nicht verdient.


  • Aus meinen ca 13 bis 15 Schülern starken Klassen wurde jetzt eine mit 30 Kindern. Möchtest du noch mehr wissen?

    Wer nie verliert, hat den Sieg nicht verdient.

  • Ich habe eine kleine erste Klasse mit 19 Schülern erhalten, keine Frage.
    Allerdings ist unser Schulgebäude jetzt so augelastet, dass wir keinen einzigen freien Raum mehr haben. Integrationslehrer dürfen sich dann im Winter wohl auf den kalten Flur setzen.
    Ich kann mich nicht beschweren, da ich an einer Schule bin, zu der nicht noch eine Dependance gehört. Trotzdem kenne ich die Probleme von Kollegen: Post kommt nicht an, man kriegt nicht alles mit etc.
    Förderstunden sollten mit der Parallelklasse abgestimmt sein, damit man Schüler gemeinsam fördern kann.
    Fazit: Stundenplanmäßig und raummäßig und mit nur zwei Leuten sehr schwer zu bewerkstelligen. Wenn wir dann jedes Mal vorher Bänke und Tische umräumen, dann wird die Stunde wohl zu Ende sein. V.a. ich fördere acht Kinder, die Kollegin hat dann ihre Klasse und meinen Rest mit ca. 32 Schülern. Tische und Stühle, wie erwähnt, sind nicht ausreichend vorhanden.
    Und wenn es dann so ist wie bei Titania, ja dann gute Nacht, aber QUALITÄTSVERBESSERUNG.
    Bärbel
    Es ist nicht so schlimm, mit dem Bus zu fahren, keine Frage, aber warum muss man Schulen einfach auflösen anstatt sie auslaufen zu lassen, warum muss alles über das Knie abgebrochen werden!
    Antwort ganz einfach: Die Politik bestimmt die Schule und mit ihr das liebe Geld, das ist alles, sonst nichts.
    Gute Nacht, jetzt ist mein Frust raus
    Pet

    Ich bin Grundschullehrer, ich muss nicht die Welt retten!!!

    Einmal editiert, zuletzt von Pet ()

  • Kleines Rechenbeispiel:
    Die letzte Landtagswahl war 2004!
    Die Schulzusammenlegung erfolgte 2005!


    Frage: Wieviel Zeit bleibt, damit die Eltern das wieder vergessen und die Regierung wiederwählen? :rolleyes:

    Wer nie verliert, hat den Sieg nicht verdient.

    Einmal editiert, zuletzt von Titania ()

  • Oh weh, das hört sich nicht gut an. Ich hätte noch nicht einmal so eindeutige Einschätzungen der Lage vermutet, weil ja immer posaunt wurde, dass die Klassenstärke nichts mit der Unterrichtsqualität zu tun habe. Das war mir nie so recht einleuchtend. Ich denke eben auch, dass man nicht nur die sprichwörtliche Kirche, sondern auch die Grundschüler im Dorf lassen sollte.


    Vielen Dank für die Antworten.


    Grüße von Neckri

  • Zitat

    Neckri schrieb am 12.10.2006 08:29:
    Ich denke eben auch, dass man nicht nur die sprichwörtliche Kirche, sondern auch die Grundschüler im Dorf lassen sollte.


    Bei dem Satz musste ich an eine meiner Diplom-Examensklausuren denken, in denen ich das genau so beschrieben habe; auch ohne einen romantischen Blick auf die Kindheit zu werfen, erfüllt die Schule im Dorf noch andere Funktionen als "nur" Qualifizierungs- und Selektions-Institution zu sein.


    LG, das_kaddl.

  • Zitat

    Neckri schrieb am 12.10.2006 08:29:
    Ich denke eben auch, dass man nicht nur die sprichwörtliche Kirche, sondern auch die Grundschüler im Dorf lassen sollte.
    Vielen Dank für die Antworten.
    Grüße von Neckri


    Das Problem ist nur, dass in den Dörfern nicht mehr genug Kinder für einen Jahrgang geboren werden. Wir haben im Nachbardorf das Phänomen, dass es momentan für den Jahrgang in 5 Jahren nicht ein Kind gibt. Möglicherweise ziehen 2-3 in diesem Alter noch dahin, aber damit kann man auch nicht unterrichten.


    Ich sehe auch das Problem nicht in meinen 30 Kids, mit denen arbeite ich effektiver als vor zwei Jahren mit 7 Schülern, weil man den Unterricht straffer gestaltet. Aber ich wehre mich dagegen, dieses als Qualitätsverbesserung anzusehen. Auch wenn ich jetzt 5 Förderstunden habe. Leider habe ich noch niemanden gefunden, de mir mal zeigen könnte, wie ich 30 Kinder in einer 5. oder 6. Stunde noch individuell fördern könnte.

    Wer nie verliert, hat den Sieg nicht verdient.

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