Die (Selbst-) Täuschung der Frau S.

  • Düsseldorf, 04.02.2010. Aus Anlass der gerade veröffentlichten Broschüre „Die Initiative Gütesiegel Individuelle Förderung“ erklärt Schulministerin Barbara Sommer: „Der jahrelange Reformstau der Vorgängerregierung wurde in nur wenigen Jahren aufgelöst. Nordrhein-Westfalen ist schulpolitisch entscheidend vorangebracht worden. In allen wichtigen Bereichen zeigt sich jetzt, dass die Schülerinnen und Schüler davon profitieren. Sie machen bessere Abschlüsse, bleiben weniger oft sitzen und die Durchlässigkeit nach oben ist enorm gestiegen.“


    Quelle: Ministerium für Schule und Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen


    Spontan fällt mir dazu ein: Die CDU hatte sich vor 5 Jahren auf die Fahnen geschrieben "Lehrerarbeitzszeit gerechter und flexibler" zu gestalten, nachdem 1999 (!) amtlich dokumentiert wurde, dass doppelte KorrekturfachlehrerInnen in NRW erhebliche unbezahlte Mehrarbeit leisten. Was hat sie getan, um diesen "Reformstau" zu beseitigen? - Erraten! Nichts!

  • Du arme doppelte Korrekturfachlehrerin, jetzt hat die böse Frau S schon wieder nichts für dich getan :rolleyes:.

    Vermeintliche Rechtschreibfehler sind ein Vorgriff auf kommende Rechtschreibreformen und deren Widerruf.

  • Nana, wer lästert denn da. Vaila, ich bin mit bei dir im Boot. Da wird auch nichts passieren, Reformstau schönreden ist nun mal eine wichtige Präferenz im Ministerium.
    Gruß,


    putzi

    "I think it would be a great idea." (Mohandas Karamchand Gandhi when asked what he thought of western civilization)

    • Offizieller Beitrag

    Nun ja, NRW betreibt Etikettenschwindel und der Landesregierung ist es noch nicht einmal peinlich.


    Blei (mir fiele da noch ein drastischeres Wort ein, aber gut...) wird per Dekret zu Gold umetikettiert und schon haben wir weniger Sitzenbleiber, bessere Abschlüsse etc.


    Es reicht mitunter schon, wenn per Dekret festgelegt wird, dass ein Schüler mit 45% der Maximalpunktzahl bereits ein ausreichend bekommt - das gilt in NRW laut KLP und ZA-Regelungen für Sek I und Sek II.


    Fazit: Wir senken das Niveau, verkaufen das als Reform - und wundern uns dann später, wenn die erhoffte höhere Zahl an Studenten an den Unis gnadenlos scheitert.


    Gruß
    Bolzbold

  • Zitat

    Original von Bolzbold
    Fazit: Wir senken das Niveau, verkaufen das als Reform - und wundern uns dann später, wenn die erhoffte höhere Zahl an Studenten an den Unis gnadenlos scheitert.


    Ja, und nicht erst an der Uni, sondern viele schon früher, weil sie schlicht und einfach nicht ausbildungsfähig sind. Sooooo viele Betriebe klagen...
    Wenn ich sehe, wie gut ich den Müll (sorry, anders kann man das oft nicht mehr nennen), den meine SuS schreiben noch bewerten soll, wird mir alles aber nicht besser.

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original von Finchen


    Ja, und nicht erst an der Uni, sondern viele schon früher, weil sie schlicht und einfach nicht ausbildungsfähig sind. Sooooo viele Betriebe klagen...
    Wenn ich sehe, wie gut ich den Müll (sorry, anders kann man das oft nicht mehr nennen), den meine SuS schreiben noch bewerten soll, wird mir alles aber nicht besser.


    Tja, und dann beißt sich die Katze wieder in den Schwanz. Dann haben wir offenbar doch nicht so gut gefördert und jeden einzelnen Schüler "mitgenommen".


    Staatlich verordnetes Versagen würde ich das nennen.


    Gruß
    Bolzbold

  • Bolzbold und Finchen, ich stimme euch völlig zu! Auch dieses Konzept der "individuellen Förderung" ist für mich eine Seifenblase, aus politischer Sicht jedoch ein genialer Coup: sie kostet nichts, weil man LehrerInnen damit noch mehr Arbeit aufbürdet, und man kann sich mit fremden Federn schmücken. Früher hieß das Binnendifferenzierung (eigentlich ein ganz alter Hut) und wurde an Gymnasien selten praktiziert, weil sie so vorbereitungsaufwändig ist. Warum sollte man an Gymnasien auch binnendifferenzieren, da sich hier ja nur die Besten eines Jahrgangs tummeln?


    Das hat sich offensichtlich geändert! Die Frage ist nur: Woran liegt das? Frei nach einem bekannten Zitat: Wie muss sich das Dorf ändern, um ein Kind zu erziehen? Ich möchte die Veränderungen und Reformen, zu denen ich nicht befragt wurde und die über meinen Kopf hinweg beschlossen wurden, nicht allein schultern!

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original von Vaila
    Das hat sich offensichtlich geändert! Die Frage ist nur: Woran liegt das? Frei nach einem bekannten Zitat: Wie muss sich das Dorf ändern, um ein Kind zu erziehen? Ich möchte die Veränderungen und Reformen, zu denen ich nicht befragt wurde und die über meinen Kopf hinweg beschlossen wurden, nicht allein schultern!


    Nun ja, das sind dann wohl die Auswüchse eines ursprünglich absolutistisch-hierarchischen Verwaltungssystems preußischer Tradition, welches mittlerweile immerhin in eine parlamentarischen Demokratie eingebettet ist.


    Das ist in der Tat der eigentliche Skandal. Die politische Spitze trifft Entscheidungen, ohne diejenigen, die die tatsächliche Situation kennen und die die Entscheidungen umzusetzen haben, zu befragen.


    Und wer doch den Mund aufmacht, der wird eben schnell mal persönlich nach Düsseldorf (hier natürlich zur BezReg.) zitiert...


    Gruß
    Bolzbold

  • Liebe Leute, bei allem parlamentarischen Verständnis - aber in einer Demokratie entscheidet über die Reform und Zielsetzung einer Behörde nicht die Behörde sondern der Gesetzgeber im parlamentarischen Entscheidungsprozess. In anderen Worten - die gewählte Regierung entscheidet und die Schule führt durch, was ihr per Weisung aufgetragen ist. So ist das und nicht anders darf es sein, sonst wäre es undemokratisch!


    Die Lehrerschaft hat durchaus gesetzlich klar definierte Mitsprachemöglichkeiten. Auf dem Dienstweg greift das Remonstrationsrecht, im ministeriellen Entscheidungsgang die festgeschriebene Beteiligungspflicht der Verbände, auf allgemeinpolitischer Ebene die Rechte des individuellen Lehrers als Bürger.


    Mit "Absolutismus" oder "Kadavergehorsam" hat das alles nichts zu tun.


    Nele

  • Nur als 0815-Beamter ganz unten in der Hierarchie bist du erst einmal der ... in dem System.


    Das Beamtenrecht schränkt die Arbeitnehmerrechte und erst recht die allgemeinen bürgerlichen Rechte gewaltig ein.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original von neleabels
    Die Lehrerschaft hat durchaus gesetzlich klar definierte Mitsprachemöglichkeiten. Auf dem Dienstweg greift das Remonstrationsrecht, im ministeriellen Entscheidungsgang die festgeschriebene Beteiligungspflicht der Verbände, auf allgemeinpolitischer Ebene die Rechte des individuellen Lehrers als Bürger.


    Mit "Absolutismus" oder "Kadavergehorsam" hat das alles nichts zu tun.


    Nele



    Nele


    Eine Remonstration greift nur dann, wenn ich als Beamter Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Weisung habe.
    Nur dürfte die Rechtmäßigkeit der G8-Reform, der individuellen Förderung etc. weniger das Problem sein. Ergo bringt eine Remonstration bei den vorher angeklungenen Missständen nichts. Von einem Remonstrationsrecht bei Bedenken gegen die pädagogische Sinnhaftigkeit habe ich bislang noch nichts gehört.


    Die Beteiligungspflicht der Verbände ist schön und gut. Sie beteiligen sich ja auch lautstark - vor allem die GEW mit ihrer Verteufelung des Gymnasiums.


    Gegen pädagogischen Unsinn, ideologisierte Bildungspolitik und beratungsresistente Amtsleiter hilft das jedoch nicht viel.


    Gruß
    Bolzbold

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