Dafür bin ich nicht ausgebildet...

  • Hallo,


    ich möchte mich heute mit einer etwas "kniffligen Frage" an euch wenden und hoffe - wieder einmal - auf euren reichhaltigen Erfahrungsschatz.


    Folgendes Problem:
    In der letzten Zeit ist es mehrfach vorgekommen, dass sich sowohl Schüler als auch Kollegen mit massiven schulischen und privaten Problemen an mich gewandt haben. (Dass manchmal die Grenze zwischen schulisch und privat sehr fließend sein kann, muss ich wahrscheinlich nicht erst betonen.)


    Ehrlich gesagt fühle ich mich aber völlig überfordert. Was macht man, wenn man eine emotional völlig aufgelöste Person am Telefon hat? Wie "verfolgt" man solche Dinge sinnvoll weiter?
    Das Problem ist, dass diese massiven Probleme im allgemeinem unter dem "Siegel der Verschwiegenheit", in einer Situation, in der man an eine Schweigepflicht gebunden ist (zumindest, wenn man seinen Job ernst nimmt), vorgebracht werden.


    Vielleicht ist es ja ganz hilfreich, dass ich im Allgemeinen emotional mindestens genauso begabt bin wie ein Holzklotz - so kann ich wenigstens, egal was los ist, einen gewissen emotionalen Abstand halten, egal wie aufwühlend / schockierend / etc. das ist, was mir dort anvertraut wird - und von dem jemand hofft, dass ich es schon irgendwie richten kann...


    Klar: Ein erster Schritt ist es, sich ein Einverständnis zu holen, dass man auf der Suche nach weiteren Informationen / Hilfe eine klar benannte Person mit einweihen darf. Aber was passiert bis dahin? Und: Reicht diese eine Person aus? Wahrscheinlich ist sie genauso hilflos wie ich. Wenn ich Glück habe, kann diese Person sehr anonym weitere Informationen einholen. (Und ohne Glück?)


    Es bleibt aber mein Grundproblem:
    Ich laufe mit einem Haufen "unangenehmer" Geheimnisse durch die Gegend, hoffe darauf, dass ich das allein bearbeiten kann oder ausgewählte Personen behilflich sein können. Und währenddessen geht "der normale Wahnsinn" in der Schule weiter. Man weiß, was im Hintergrund läuft, und wird eigentlich immer verschlossener, da man vieles nicht mitteilen kann / darf / sollte.


    Bei der Suche nach Lösungen / Hilfen sind mir eigentlich nur zwei (mehr oder weniger absurde) Möglichkeiten eingefallen:
    Supervision: Gibt es hier jemanden, der so etwas (für den schulischen Bereich) kennt und vielleicht sogar Erfahrung hat? Vor allem: Ist die Person, die die Supervision anbietet, ebenfalls an eine Schweigepflicht gebunden? Ist dies als Möglichkeit sinnvoll (ist es also etwas zum "Schutt abladen" und Input bekommen, um Schülern und / oder Kollegen behilflich zu sein)? Kann jemand vielleicht sogar konkret eine Empfehlung aussprechen?
    Fernstudium Seelsorge (ohne den kirchlichen Aspekt): Wie gesagt, ich war auf der Suche nach Möglichkeiten - egal wie absurd... Aber das, was ich zur Zeit regelmäßig leiste / leisten soll, geht schon in den Bereich "Seelsorge" (also nicht unbedingt psychologische Beratung, auch wenn dies ebenfalls mit hineinspielt). Insofern die Frage: Gibt es Fortbildungsmöglichkeiten, um aus dem oben erwähnten Holzklotz jemanden zu machen, der professionell mit solchen Situationen umgehen kann - inklusive eigener Verarbeitungsstrategien (denn irgendwie hänge ich an meinem nächtlichen Schlaf, und der ist zur Zeit - trotz Holzklotz - längst nicht immer gegeben...)


    Andere Vorschläge sind natürlich herzlich willkommen - ich möchte aber nochmal deutlich das Problem der Verschwiegenheit betonen (das so manche Lösung ausschließt).


    Ich würde mich freuen, wenn andere nicht ganz so hilflos wären wie ich...

  • Das musst du mit deinem eigenen Gewissen ausmachen. Man kann in gewissen Grenzen zuhören, Trost spenden, helfen - aber aber einem Punkte X wirst du zum Weltretter, und ab da geht es mit dir, deiner Klasse, deiner Familie, deinem Leben bergab. Da ist größte Vorsicht geboten.


    Den Kindern, die wirklich große Nöte und Ängste haben, würde ich sicherlich auch nach Kräften helfen. Wenn die manchmal von Schlägen erzählen oder ihren besoffenen Eltern und dabei bitterlich weinen, dann kann man bei allem Pragmatismus die Leute nicht abwimmeln.


    Ich habe aber auch schon Muttis gehabt, die viel geflennt haben, weil sie geschlagen wurden oder sich gerade ihre Familie auflöste etc. Das habe ich dann zeitlich limitiert mir angehört und Hilfe versprochen bzw. zugesagt. Vermittelt habe ich dann an Eheberatungsstellen, Suchtberatungsstellen, Frauenhäuser, die Diakonie, die Caritas usw. - aber nicht in Form von Abschieben, sondern in Form von konkreten Hilfen, Anweisungen etc., damit die Leute aus ihrem Jammertal herauskommen können.


    Ich könnte jetzt noch seitenweise dazu schreiben... aber es ist schon spät. Du fasst da jedenfalls ein existenzbedrohendes heißes Eisen an, sei dir darüber im Klaren. Mach dir einen klaren Kopp darüber, wie du in Zukunft damit umzugehen gedenkst, und weiche dann nicht vom definierten Weg ab - sonst bist du es, der ins Gras beißt.

    Einmal editiert, zuletzt von Philou ()

  • Danke, Philou, für deine Antwort.
    Mein Problem (bzw. das Problem meiner Schüler / Kollegen) geht leider weiter als Alkoholismus (durch Eltern, Schüler oder Kollegen), Schläge, Missbrauch oder Scheidung.
    Wie heißt es so schön: Been there, done that.
    Da gibt es klar umrissene, spezialisierte Angebote, auf die man zurückgreifen kann und die gut (wenn auch nicht von heut auf morgen) funktionieren.


    Was tun mit, du formulierst es so schön, dem hier:

    Zitat

    ein existenzbedrohendes heißes Eisen


    Ich weiß wirklich nicht, was tun...


    (Warum sonst sollte ich mir ein "alter ego" für diese Forum zulegen, kein Geschlecht, Bundesland, Fächerkombi angeben - und nur für den Fall, dass ein Mod neugierig wird, dafür sorgen, dass ich mich mit einer anderen als der üblichen IP-Adresse und Browserkonfiguration einlogge?)

  • Mein Gott, hat dir da einer 'nen Mord gebeichtet??


    Klingt doch etwas dramatisch, was du jetzt so auffährst ?(

  • Bei einem Mord wäre wenigstens eine klare Gestzeslage - keine Schweigepflicht (zumindest nicht für mich als Lehrer/in) -> einschalten der Polizei - Ende der Geschichte.


    Ansonsten: No comment.


    Nochmals: Ich bin kein Troll, übertreibe nicht,
    weiß in den meisten Fällen, was zu tun ist, was man tun kann (- oder vermittle diesen Eindruck - und aufgrund dieser "Lebenspraxis" genieße ich ein gewisses "Ansehen", das immer wieder dazu führt, dass man mich um Rat bittet - in letzter Zeit eben mehrfach bei Fällen, die absolut nicht einfach gelagert sind - und bei denen sehr erfahrene, hinzugezogenen Personen reagieren mit "sehr betroffen" - und auch nicht sofort Lösungen parat haben.)

    • Offizieller Beitrag

    Wenn du ein Problem umreisst, das du nicht näher benennen kannst, ist es natürlich schwer zu raten.


    Wenn du eine Straftat oder eine drohende Straftat erzählt bekommen hast, ist die Polizei der richtige Ansprechpartner und die Schweigepflicht egal.


    Für alles andere gibt es eigentlich Beratungs- und andere Anlaufstellen.


    Was man grundsätzlich tun kann, um von Kollegen nicht als seelischer Abladeplatz gebrauhcht zu werden, hängt sicher vom einzelnen Kollegen ab. Ich habe aber einem auch schon offen gesagt, dass mit seine Situation sehr leid tut, ich derzeit aber außerstande sehe weitere Hilfe anzubieten, als es überhand nahm. (Übrigens hat das dem Kollegen damals ganz gut getan: da er niemanden mehr für ständige Seelenstreicheleinheiten hatte, hat er sich auf den Weg der Problemlösung begeben).


    Bei Schülern gibts keinen solchen Ausweg, da sind wir verantwortlich, wenn sie sich uns anvertrauen. Was nicht heißt, dass wir die Verantwortung des Wissens alleine tragen müssen - Schweigepflicht geht nur so weit, wie sie niemanden gefährdet.
    Beratungsstellen beraten auch anonym und auch jemanden, der nicht selbst betroffen ist sondern mit drin hängt.


    Aber wie gesagt: wenn du deine Probleme nicht benennen kannst, stochern wir hier alle nur im Nebel..

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

    Einmal editiert, zuletzt von Meike. ()

  • Zitat

    Original von alter ego
    (Warum sonst sollte ich mir ein "alter ego" für diese Forum zulegen, kein Geschlecht, Bundesland, Fächerkombi angeben - und nur für den Fall, dass ein Mod neugierig wird, dafür sorgen, dass ich mich mit einer anderen als der üblichen IP-Adresse und Browserkonfiguration einlogge?)


    Dann sollte Dir aber klar sein, dass grade das bei vielen Forenusern (auch bei mir) erst mal große Skepsis erzeugt, da wir es nun mal regelmäßig erleben, dass hier Neulinge posten, die sich hinterher als Fake oder ähnliches rausstellen.
    Was erwartest du denn für Tipps, wenn du nur mit so nebulösen Andeutungen kommst? Da kann Dir beim besten Willen niemand mit einem konkreten Rat helfen, über Selbstverständlichkeiten hinaus, wie (1) ziehe eine klare Grenze, wenn es dir zuviel wird und (2) suche Dir vertrauenswürige Unterstützung in Deinem Umfeld (der Schulpsychologe kann dich zB beraten).
    Die Schweigepflicht eines Lehrers ist übrigens nicht gleichzusetzen mit der eines Artzes oder Anwaltes, sie gilt nur gegenüber Unbeteiligten / Außenstehenden. Deinem Vorgesetzten oder Kollegen, für die die Information dienstlich relevant sein könnte, gegenüber ist man als Lehrer sogar verpflichtet Dinge weiterzugeben. Dies sollte man Schülern gegenüber auch deutlich machen, bevor sie einem mit dem Pfarrer verwechseln und dadurch in problematische Situationen bringen.


    Grüße,
    Moebius

  • Abgesehen von den Fragen / Antworten der anderen:
    Aus welchem Grund wenden sich die von Dir genannten Personen mit ihren massiven Problemen ausgerechnet an Dich? Bist Du Vertrauenslehrer oder Beratungslehrer an Deiner Schule bzw. dort in einer ähnlichen Funktion tätig? Wenn nein - dann würde ich solche Anfragen von Schülern oder Kollegen abblocken. Du bist nicht der emotionale Mülleimer für andere.


    Vielleicht kannst Du noch ein paar Informationen hinzufügen.


    Grüße
    Raket-O-Katz

  • Danke an alle, die "irgendwie" versuchen, zu helfen. Ich weiß, dass ihr ein nicht bekanntes Problem nicht lösen könnt (und es es so brisant, dass das Internet nicht der richtige Ort dafür ist).
    Mir geht es ja auch nicht um die Lösung, sondern viel allgemeiner um das "wie gehe ich (persönlich) damit um". Denn: "Irgendwie" wird sich ein Problem schon bearbeiten lassen, selbst wenn "Experten" zunächst entsetzt zurückschrecken, wenn sie vom Problem hören. Insofern war meine Frage nach "Supervision" (die ich aus anderen Ländern kenne für Menschen, die im Bereich Psychologie arbeiten) - oder irgendeiner anderen Möglichkeit, die ihr kennt - das Hauptziel meiner Anfrage. Ist vielleicht nicht ganz deutlich geworden.
    Raket-O-Katz vermutet richtig, dass ich diese Dinge im Rahmen einer Funktion an der Schule erfahre, jedoch nicht als Vertauens- oder Beratungslehrer (der ja meist hier und da eine Fortbildung gemacht hat und somit wahrscheinlich besser auf den Job vorbereitet ist).
    Meike.'s Hinweis "Beratungsstellen beraten auch anonym und auch jemanden, der nicht selbst betroffen ist sondern mit drin hängt. " ist schon ganz hilfreich - man könnte sich dort evtl. Anregungen holen. (Denn den Schulpsychologen habe ich bisher nur ein einziges Mal "schemenhaft" wahrnehmen können (in Zusammenhang mit einem Missbrauchsfall). Ansonsten ist der viel zu überlastet, als dass er zeitnah zur Verfügung stünde.


    Nun gut, es war zumindest einen Versuch wert. Ich weiß, dass ich alles mache, was anscheinend möglich ist. Andere (ihr...) scheinen auch nichts weiter tun zu können als Probleme selbst zu lösen, auf Beratungsangebote zu verweisen und sich irgendwie "durchzuwurschteln". Weitere externe Angebote zur Beratung von Menschen in Beratungsfunktion scheint es für Lehrer wohl nicht zu geben.


    Bevor also irgendwer noch weiter zweifelt, ob ich ein "Fake" bin - und da es in diesem Thread keine neuen Erkenntnisse o.ä. gibt - könnte ja evtl. ein Mod sich entschließen, wie bei "unangemessenen" Postings üblich, ihn zu schließen und zu löschen.


    Danke noch mal an alle, die beigetragen haben.

  • Ich muss da aber doch noch was zu schreiben.
    Verstehe ich nicht so recht, wo das Problem liegt. Mir geht es oft ähnlich, man redet über Quartalsnoten und auf einmal kullern die Tränen und eine 18jährige schildert ihre ganze betrübliche Lebensgeschichte. Und ja, wir sind dafür nicht ausgebildet. Man fängt das Kind auf und bietet Hilfe an, nicht die eigene, sondern die von Leuten, mit denen man gute Erfahrungen gemacht hat: der bestimmte Schulpsychologe, die fähige Kinderpsychologin, den sofort erreichbaren Beratungslehrer, bei psychischen Erkrankungen den gesetzlich bestimmten Berater, die kompetente Beraterin im Jugendamt etc. Der Kontakt muss vorher da sein und man muss sich darauf verlassen können, dass die entsprechenden Personen nicht mit "Ja, in drei Monaten hätte ich Zeit" reagieren, sondern zügiger ansprechbar sind.


    Man muss sich selber ein Hilfenetz aufbauen, sodass man im konkreten Fall reagieren kann und dem Betroffenen klarmachen kann, dass man selber gerne mal zuhören, aber nicht wirklich helfen kann, aber jemanden kennt, der das kann und dann den Kontakt herstellen.
    Das ist meien Lösung, die klappt besser, als wenn ich selber rumpsychologisiere...

    There is a difference between knowing the path and walking the path. (Matrix)

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