"Im 3. Auftritt verliebt sich der Protagonist"

  • Ich weiß inzwischen nicht mehr, ob ich hier zu pedantisch bin und einen Fehler sehe, wo keiner ist, deshalb bitte ich um Einschätzung der Deutschkollegen.
    Wenn ein Schüler schreibt "Im 3. Auftritt verliebt sich der Protagonist" oder "Im zu analysierenden Ausschnitt versucht der Protagonist dieses und jenes", dann werden hier doch gewissermaßen zwei Ebenen miteinander vermischt, weil es an der angeführten Stelle doch nur steht, dort ja aber nicht geschieht - oder??

  • Irgendwie kann ich das Problem nicht nachvollziehen, wo soll der Fehler sein? Erwartest du so etwas wie "im 3. Akt wird dargestellt, wie sich der Protagonist verliebt"? Da würde man ja beim Schreiben Knoten in die Finger bekommen...


    Nele

  • Ja, das stimmt. Eine andere Frage ist, ob man das sanktionieren will und wenn ja, wie sehr. Es ist m. E. zwar analytisch eigentlich unsauber, aber doch eine tolerierbare umgangssprachliche Verkürzung - vergleichbar zu: "Im Roman X verliebt sich a in b..." Anstatt: "In der Handlung des Romans X...".

  • unter uns
    Ich finde das analytisch überhaupt nicht unsauber. Eine kategoriale Vermischung von Sinnebenen findet doch gar nicht statt, da Protagonisten nirgendwo sonst als im Text existieren. Da zu differenzieren ist für mich Kunstproblem - es gibt überhaupt keine Möglichkeit zum Missverständnis.


    Nele

  • Ich markiere es bisher zumindest.
    In einer Dialoganalyse ist es mir wichtig, dass die Schüler den GESPRÄCHSverlauf sehen, kommunikative Handlungen, die nacheinander verlaufen, und nicht Abschnitte.


    Dann habe ich das Problem missverstanden - könntest du das einfach mal genau erklären? Von was für Abschnitten schreibt der Schüler, wie hat das mit einer Gesprächssituation zu tun?


    Nele

  • Es geht hier um die Analyse eines Dramenausschnitts, bei dem die Schüler u.a. den Gesprächsverlauf und die Aussageinhalte analysieren sollen. Wenn da jemand schreibt, dass der Protagonist bereits im Abschnitt zuvor etwas genannt hat, dann ist das m.E. nicht korrekt, denn er hat es nicht in einem Abschnitt genannt (dort steht es nur), sondern in einer vorausgehenden Aussage.

  • Hm. Aber steht die Aussage nicht im Abschnitt, der sie enthält? Analog dazu wäre deiner Meinung nach ein Satz wie "Im der gestrigen Bundestagsdebatte erklärte Kanzlerin Merkel die Eurorettung für gelungen" nicht korrekt. Dem kann ich nicht wirklich folgen.


    Eine andere Frage ist natürlich, ob die Schüler angemessen präzise nachweisen, wenn es notwendig ist, bzw. generalisierend verweisen, wenn es hinreichend ist. Aber das kann man ja üben.


    Nele

  • Es geht hier um die Analyse eines Dramenausschnitts, bei dem die Schüler u.a. den Gesprächsverlauf und die Aussageinhalte analysieren sollen. Wenn da jemand schreibt, dass der Protagonist bereits im Abschnitt zuvor etwas genannt hat, dann ist das m.E. nicht korrekt, denn er hat es nicht in einem Abschnitt genannt (dort steht es nur), sondern in einer vorausgehenden Aussage.

    Demnach stören die auch Aussagen wie "Aber auf Seite 45 sagt Faust doch..." oder "In der nächsten Szene (Filmanalyse) geht er..."?!


    Ich würde das nicht so eng sehen. Schon allein, weil es ja beim Anzitieren dann doch wieder in diesem Zusammenhang steht [ "(S. 45 "Das also ist...")"].


    Ich denke Kursschülern kann man den Unterschied klarmachen, bei allen andern würd ich drüber wegsehen.

  • Zitat

    unter uns
    Ich finde das analytisch überhaupt nicht unsauber. Eine kategoriale Vermischung von Sinnebenen findet doch gar nicht statt, da Protagonisten nirgendwo sonst als im Text existieren.

    Jein. Protagonisten existieren in einer Geschichte, die der Text erzählt (bzw. im Drama darstellt) und die doch mehr und anderes ist, als der Text erzählt. Entsprechend auch die beliebte unterrichtliche Methode der Textergänzung ("Leerstellen ausfüllen").


    Abgesehen davon stellt sich natürlich die Frage, inwiefern bestimmte Markierungen im Text (Auftritte, Seitenzahlen etc.) wirklich zum Text "gehören".


    Aber ich meine auch: Missverständnisse gibt es hier eigentlich nicht, ich würde es nicht anstreichen. Ich halte es für ein eher narratologisch-philosophisches Problem, das für Schüler (auch der Kursstufe) nicht relevant ist.

  • Ich sehe es wie unter uns - Protagonisten existieren in einer Geschichte und diese ist in Ausschnitte/Kapitel/Aufzüge/Szenen eingeteilt.


    Mit Seitenzahlen fände und finde ich es falsch ("Auf Seite 73 verliebt sich der Protagonist"), da es verschiedene Ausgaben gibt - er verliebt sich also nicht immer auf Seite 73, aber immer im 3. Auftritt.

  • Ich weiß inzwischen nicht mehr, ob ich hier zu pedantisch bin und einen Fehler sehe, wo keiner ist, deshalb bitte ich um Einschätzung der Deutschkollegen.
    Wenn ein Schüler schreibt "Im 3. Auftritt verliebt sich der Protagonist" oder "Im zu analysierenden Ausschnitt versucht der Protagonist dieses und jenes", dann werden hier doch gewissermaßen zwei Ebenen miteinander vermischt, weil es an der angeführten Stelle doch nur steht, dort ja aber nicht geschieht - oder??



    Was ist das Ziel deines Literraturunterrichts? Wenn du deine Schüler grundsätzlich davon abhalten willst, dass sie sich mit Literatur beschäftigen, dann kreide ihnen dort einen Fehler an. Ansonsten sehe drüber hinweg und lass die Schüler Literatur als etwas Interessantes, Kreatives und Kulturbereicherndes erfahren. :)

    • Offizieller Beitrag

    Ich stolpere genauso wie du über diese Formulierung, Streiche es aber als einfachen Ausdrucksfehler an. Mein Gedanke ist auch der, dass dabei Aufbau/Struktur mit der inhaltlichen ebene vermischt wird. Aber so führe ich es nicht aus, sondern sag nur, dass sich das nicht so gut anhört, weil "er das ja nicht im Buch, sondern in der Geschichte tut..." bzw. Müsste nach meinem Sprachempfinden formuliert werden: "der Autor lässt an dieser stelle den Protagonisten.."


    Ob mit solchen Überlegungen der Spaß an Literatur verloren geht, halte ich für einen verfehlten Gedanken. Es geht ja hier um eine Interpretation oder Analyse in schriftlicher Form. ob da jetzt beim Formulieren der Ergebnisse Kreativität und Kulturbereicherung stattfinden soll, kann ich nicht nachvollziehen, vor allem, wenn es um das Abitur geht.


    Ps: UPS, hab den link im letzten Post erst jetzt gelesen...da steht's ja drin.

  • bzw. Müsste nach meinem Sprachempfinden formuliert werden: "der Autor lässt an dieser stelle den Protagonisten.."

    Womit du aber (bzw deine Schülern) aber wahrscheinlich direkt ins Problem der Autorenintention rutschen...


    meine Frage bleibt: wie lasst ihr zitieren? Mit Seitenangabe? ;)

  • Ja, ich lasse mit Versangabe zitieren. Das ist aber eine Frage der Nachvollziehbarkeit.
    Auch in dem folgenden Zitat


    <.... Nach Yang Suns Abgang fragt Shui Ta die Shin, ob er etwa „leichtfertig“
    sei und es „an der nötigen Brutalität fehlen“ lasse. > aus http://www.fsg.un.in.hagen.de/…beit12/handreichung/6.pdf wird auf der Kommunikations- bzw. Handlungsebene zitiert (sonst hieße es ja "Nach Z. 2 fragt ...")


    Eine Differenzierung scheint mir schon sinnvoll, die Frage ist eben nur, wie man damit in einem Schülertext der Oberstufe umgeht.

  • Zitat

    Protagonisten existieren in einer Geschichte, die der Text erzählt (bzw. im Drama darstellt) und die doch mehr und anderes ist, als der Text erzählt.


    Sorry, die Frage ist evtl. etwas off-Toppic, aber woher hat der Leser genau die Information über "mehr und anderes ist, als der Text erzählt"?
    Ich als Leser habe den Text, als Informationquelle, sonst nichts. Liest sich für mich wie "in der Glaskugel lesen" und möglichst genau das, was der Lehrer erwartet.


    Grüße
    Steffen

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :_o_P


    8_o_) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • Zitat

    woher hat der Leser genau die Information über "mehr und anderes ist, als der Text erzählt"?
    Ich als Leser habe den Text, als Informationquelle, sonst nichts.

    Stell Dir vor, Du kommst an eine Kreuzung. Dort stehen zwei zerbeulte Autos einander gegenüber. Die Front-Stoßstangen berühren sich, zwei Personen sitzen leichenblass auf den Vordersitzen. Was denkst Du?


    a) Bei einem Unfall an einer Kreuzung sind zwei Fahrzeuge frontal kollidiert und zwei Fahrer haben dabei einen Schock oder Verletzungen erlitten.
    b) Zwei Autos wurden von einem Schrottplatz geholt und auf der Kreuzung Stoßstange and Stoßstange geparkt. Zwei Junkies sind zufällig vorbeigekommen und haben gedacht, sie könnten sich auf den Vordersitzen ausruhen.
    c) Es gibt keine Autos. Es handelt sich um eine Illusion, die von zwei Aliens erzeugt wurde, die sich selbst die Gestalt von Menschen gegeben haben und darauf warten, dass Du näher kommst, um Dich zu fressen.


    Ich nehme an, a). Aber woher weißt Du das? Du hast doch "nur" das Geschehen vor Deinen Augen als Informationsquelle, und sein Bild ist womöglich noch unzuverlässig. Ich vermute, Du würdest Dein Weltwissen und Deine Erfahrung für die Deutung der Situation hinzunehmen und keine didaktischen Bedenken haben.


    Mit Texten ist es auch nicht viel anders. Sie entwerfen eine Welt, die sich nicht in dem erschöpft, was der Text sagt, sondern die aus dem Gesagten als Horizont im Leser entsteht, der für diese Horizontbildung wiederum Weltwissen verwendet. Wenn ich einen Text lese, der im 18. Jahrhundert spielt (was ich z. B. an Kleidung, Wohnungen, moralischen Vorstellungen und Redeweisen der Figuren erkenne), gehe ich davon aus, dass hier keine Helikopter existieren (außer, es ist ein fantastischer Text, was ich daran sehen könnte, dass in ihm etwa auch Digitaluhren vorkommen). Völlig zurecht akzeptiere ich es als Lehrer daher nicht, wenn ein Schüler z. B. schreibt: "Der Versuch der Gräfin, schwimmend aus dem Schloss zu entkommen, ist nicht besonders klug, denn sie hätte besser eine Flucht mit dem Helikopter vom Dach unternommen."


    Dabei gibt es gewisse Standardannahmen. Wenn in einem Liebesgedicht z. B. jemand seine Geliebte anredet, geht man grundsätzlich davon aus, dass diese Geliebte existiert - und nicht, dass der Redende Drogen genommen hat und unter Halluzinationen leidet. Das gilt auch dann, wenn im Text nicht (!) steht: "Ich hatte keine Drogen genommen."


    Problematisch ist all dies zugegebenermaßen insofern, als Schüler oft ein noch recht unentwickeltes Weltwissen haben. Aber das ändert nichts am grundlegenden Prinzip.


    Unterschieden wird vor diesem Hintergrund auch zwischen Erzählung und Geschichte im Sinne eines Geschehens. Geschichte ist, was passiert(e). Erzählung ist, wie das Passierte dargestellt wird. Unterschiedliche Erzählungen können derselben Geschichte entsprechen. Erzählungen vermitteln zudem wichtige Aspekte der Geschichte meist implizit. Wenn Dir ein Freund erzählt, er hätte am Sonntag Fußball gespielt und sechs Tore geschossen, wirst Du vermutlich annehmen, dass er auf einem ebenen Boden gespielt hat und Teil einer Manschaft war, auch wenn er dies nicht erwähnt.


    Geschichte (hier notwendig sprachlich formuliert): Harry und Will gehen in den Zoo. Harry springt in den Löwenkäfig. Der Löwe Kunibert frisst ihn. Willi trauert und macht sich Vorwürfe.


    Erzählung I: Noch lange nach dem Unglück saß Willi trauernd auf der Veranda. Nicht nur fehlte ihm Harry seit dem verhängnisvollen Tag im Zoo. Er machte sich auch Vorwürfe, den Sprung in den Löwenkäfig nicht verhindert zu haben. Noch immer hörte er das Knacken, das die Kiefer des Löwen Kunibert beim Kauen gemacht hatten.


    Erzählung II: Von dem Moment an, als Harry und Willi den Zoo betraten, ging alles schief. Plötzlich stand Harry auf der Brüstung des Löwenkäfigs - schon war er hineingesprungen. Willi konnte nichts unternehmen. Er sah den Löwen Kunibert, der Harry packte und verspeiste. Noch Wochen später war er von Trauer geschüttelt und von Selbstvorwürfen gebeutelt.

    • Offizieller Beitrag

    Womit du aber (bzw deine Schülern) aber wahrscheinlich direkt ins Problem der Autorenintention rutschen...


    meine Frage bleibt: wie lasst ihr zitieren? Mit Seitenangabe? ;)


    An der Realschule wird selten bis gar nicht mit Ganzschriften interpretiert und analysiert, jedenfalls nicht so, dass man zitieren muss. Bei Kurzgeschichten wird aber die Zeile zitiert, in herkömmlicher Art und Weise. Letztlich aber ist eine solche Aussage wie oben nicht zitierfähig oder -würdig, also keine Seitenangabe, wohl aber Akt oder Kapitelangabe.


    PS: @unteruns meinst du das, was man allgmein als die Fabel eines literarischen Werkes bezeichnet?

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