Siliciums Meinung zu den Geisteswissenschaften (offtopic aus "Wozu Bachelor im Lehramt?")

  • Es gibt auch viele andere Berufe, in denen ein Bachelor eigentlich keinen Sinn macht. Ein Bachelor in Chemie? Was will man damit machen? Da würde man in etwa mit den CTAs konkurrieren und deren Aufgaben machen, doch in diesen sind die CTAs viel schneller und besser. Ich denke auch in Medizin oder Jura wäre ein Bachelor reichlich unsinnig, weil es keine Nischen gibt, wo man damit einsteigen könnte.

    Bei den Geisteswissenschaftlern kommt natürlich noch ein weiteres Problem hinzu:
    Der Lehrerberuf ist mehr oder minder der einzige Beruf, in dem man als Geisteswissenschaftler mit einem sicheren, mittleren Gehalt unterkommen kann. Der größte Teil der Jobs, die in der Wirtschaft für Geisteswissenschaftler zur Verfügung stehen, ist deutlich schlechter bezahlt und liegt oft unter durchschnittlichen Ausbildungsberufen.


    Man könnte fast annehmen, dass das Studium der meisten Geisteswissenschaften nur dazu dient Lehrer für Geisteswissenschaften auszubilden, die wiederrum späteren Studenten ermöglichen sollen Geisteswissenschaften zu studieren.


    Es ist schade, aber so sieht die Wirklichkeit aus. Meiner Meinung nach ist das Problem der zu hohen Studentenzahlen in Studiengängen wie Theaterwissenschaft und was es da alles gibt hausgemacht.
    Das Problem sehe ich unter anderem darin, dass an der Schule Fächer wie Mathematik und Wirtschaft gleichbedeutend neben Fächern wie Deutsch oder Geschichte stehen. Damit meine ich jetzt nicht nur, dass alle Lehrer von in der Wirtschaft fundamental unterschiedlich bezahlten Fächern, auf einmal gleich bezahlt werden.


    Es geht vielmehr darum, dass den Schülern suggeriert wird, dass jedes Fach eine gleiche Berechtigung hat. In meiner Schulzeit wurde den Schülern nicht erklärt, was man mit welchem Studiengang überhaupt verdienen kann und wie die Arbeitsmarktlage aussieht. Dass es manche Fächer ausserhalb des schulischen Kontextes gar nicht gibt, wurde wissentlich verschwiegen oder, die Lehrer, die ja von der Schule mit ihrem Deutsch / Franz LK direkt an die Uni und von dort direkt zurück in die Schule gingen, wussten selber gar nicht, dass es ihre Fächer gar nicht auf dem Arbeitsmarkt gibt.


    So wurden bei uns wirklich intelligente Leute, vor allem bei Mädchen, die technisch begabt waren und allein schon wegen ihres Geschlechts
    super Chancen auf Karriere und Förderung in Naturwissenschaften hätten, fiel mir auf, dass sie von Deutsch oder Französisch Lehrern ermutigt wurden, doch ihre (ebenfalls vorhandenen!) Talente für Sprachen oder Theaterwissenschaft auszubauen mit einem Studium in der Richtung.
    Eine gute Schulkollegin von mir zu der ich immer noch Kontakt habe ist so ein Fall. Sie hat, weil sie in der Schule als behabt in dem Bereich galt, Literaturwissenschaft studiert, war in der Theater AG der Schule und wurde von Deutschlehrern umgarnt. Dass sie gleichzeitig sehr intelligent und mathematisch begabt war, wurde da völlig ausgeblendet. Heute ärgert sie sich nun, dass sie sich nicht für Wirtschaftsinformatik hat durchringen können. Informatik hat ihr auch immer sehr gelegen und Spaß gemacht. Was macht sie jetzt? Sie studiert (an einer anderen Uni als ich) Informatik und noch etwas glaube ich auf Lehramt hinterher, weil sie sonst keine Perspektive hat auch nur halbwegs etwas zu verdienen.


    Was lernt man daraus? Naturwissenschaftliche Lehrer sollten (gerade Mädchen), die eine Begabung für die Fächer haben, intensiver die Vorteile der Studiengänge aufzählen, damit Schüler besser informiert sind, wie die Welt ausserhalb der Schule aussieht. Und ein Franzsösischlehrer sollte so fair sein und erwähnen, dass ein Studium des Fachs höchstens auf Lehramt oder in Kombination mit Fächern wie BWL Sinn macht!


    Und wenn ein Schüler kommt und sagt:


    "Herr Silicium, Sie unterrichten Chemie und Physik, ich interessiere mich für ein Biologie oder Chemiestudium. Was können Sie zu Chemie sagen? Ich habe Frau XY in Biologie und die hat gesagt, dass das Biologiestudium ganz spannend ist und meine Noten in Bio sind gut. Später könnte ich in der Walforschung arbeiten oder neue Medikamente erfinden. In Chemie bin ich mir unsicher, das Fach finde ich schwerer, weil da so viel Mathe und Physik vorkommt in der Kursstufe. Ich wollte Sie aber trotzdem mal fragen wie das Chemiestudium so ist?"


    Dann sollte man ihn tunlichst darauf hinweisen, was in der Regel an Schulen verschwiegen wird:
    "Mit einem Biologiestudium wird man wenig Geld verdienen, der Studiengang ist gnadenlos überlaufen und bei der Bewerbung auf die einzigen gut bezahlten Stellen in der Industrie, konkurriert man wegen fachlichen Überschneidungen mit reinen Biochemiker, Chemikern und Pharmezeuten und hat deshalb schon mal schlechte Chancen, weil diese einfach bessere Arbeitstechniken und wissenschaftlichen Hintergrund mitbringen als jemand, der auch noch im Studium lernt Tiere zu bestimmen oder Dünschnitte von Pflanzenstengeln zu machen. Von Botanik als reinem Hauptfach mal ganz abgesehen."


    Da lobe ich mir meinen Englischlehrer. Ich hatte mal aus Spaß gesagt, dass ich ja Anglistik studieren könnte (ich war in Englisch immer sehr gut, ganz im Gegensatz zu Französisch). Daraufhin sagte er mir, der wohl nicht verstand, dass es ein Spaß war, in etwa:"Du bist doch so gut in Mathe und Physik. Mit Anglistik ists nicht einfach einen Job zu bekommen und Dein Englisch hilft Dir im Studium auch so weiter, das musst Du nicht extra studieren. Du wirst Fachliteratur auf Englisch haben"




    Edit: Falls das zu doll in eine Grundlagendiskussion führt kann ich das auch in einem neuen Thema eröffnen. Ich denke aber, dass das mal ein paar ganz wichtige Punkte sind, die sehr gerne an Schulen verschwiegen werden!

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  • Ach so, und weil es für Geisteswissenschaftler keine Jobs gibt, werben Firmen wie Audi, VW und BMW an meiner Uni bewusst um Absolventen der Geisteswissenschaften? Sind das seit Neuestem Wohltätigkeitsvereine? Ich dachte eigentlich, das wären gut laufende Autohersteller....
    Als Geisteswissenschaftler muss man eben um die Ecke denken bei der Jobsuche. Ehemalige STudienkolleginnen von mir mit einem Magister in Anglistik haben jetzt auf jeden Fall alle Jobs, die deutlich besser bezahlt sind als mancher Ausbildungsberuf.

  • Ach so, und weil es für Geisteswissenschaftler keine Jobs gibt, werben Firmen wie Audi, VW und BMW an meiner Uni bewusst um Absolventen der Geisteswissenschaften? Sind das seit Neuestem Wohltätigkeitsvereine? Ich dachte eigentlich, das wären gut laufende Autohersteller....

    Das finde ich in der Tat mehr als überraschend.
    Das musst Du ein wenig näher ausführen, ich bin da irgendwie ein wenig skeptisch.
    elche Geisteswissenschaftler werden genau gesucht und wofür? Woher weißt Du, dass das so ist?
    Es ist schwer vorstellbar, dass ein Unternehmen extra an Unis Geisteswisschaftler abwirbt. Die gibt es auf dem Arbeitsmarkt wie Sand am Meer und Stellen für Geisteswissenschaftler bei so großen Unternehmen wären dann auch bekannter, man hätte davon gehört. So Headhunter für Unternehmen kenne ich eher aus ganz anderen Bereichen.
    Welche Tätigkeit verrichten die Geisteswissenschaftler denn dann im Betrieb, dass ein Unternehmen aus der Automobilbranche bereit ist dafür eine gute Menge an Stellen zu schaffen und diese jeden Monat gut zu vergüten?

  • Audi sucht vor allem für die Marketingabteilung, und hier vor allem Sprachwissenschaftler, die studierte Sprache (ob Deutsch, Englisch oder eine der romanischen Sprachen) ist ihnen dabei egal. Allerdings hab ich auch schon Plakate gesehen, auf denen sie Literaturwissenschaftler oder Soziologen gesucht haben, und auf einigen heißt es auch einfach nur banal "Studierende der Geisteswissenschaften". Das sind dann meistens Praktika (häufig auch sehr gut bezahlte, was ja für Geisteswissenschaftler wie ein Sechser im Lotto ist). Außerdem haben Studenten der Anglistik oder Romanistik bei Audi sehr gute Chancen, weil das Unternehmen sich eine eigene Fortbildungsakademie leistet und dort ständig Sprachkurse für Manager, aber auch für Sekretärinnen, anbietet, die ständigen Kontakt mit dem Ausland haben. Da zu Audi ja z.B. auch noch Seat und Lambourghini gehören, ist das nicht weiter verwunderlich... Außerdem haben Studenten der Anglistik/Romanistik etc. auch immer Einblick in die jeweilige Kultur, so dass sie auch Kurse in interkultureller Kommunikation geben können, was immer wichtiger wird (mein Vater ist Ingenieur und darf ständig solche Kurse bei Geisteswissenschaftlern besuchen).
    In der NEON hab ich auch mal ein Interview mit dem Personalchef von Audi gelesen, in dem er gesagt hat, dass es sich für viele Posten als sehr lohnend erwiesen hat, Geisteswissenschaftler jeglicher Art einzustellen, weil diese 1) bereit und fähig sind, sich schnell in ihnen noch unbekannte Gebiete einzuarbeiten (weil Geisteswissenschaften eben unerschöpflich sind) und 2) nicht nach geradlinigen Denkmustern denken, sondern durchaus gerne und erfolgreich völlig andere Wege nutzen, die sich einem Wirtschaftler nicht anbieten, der immer nach dem gleichen Rezept denkt, wie er es im Studium gelernt hat.

  • Ein sehr schöner Beitrag oben von Silicium, danke.


    Das spiegelt wohl die Realität wider.



    Das Geisteswissenschaftler in größerem Umfang in der Industrie gesucht werden, wäre mir auch neu. Klar, ich kenne Firmen, in denen in bestimmten Abteilungen - sogar ausschließlich - Geisteswissenschaftler eingestellt werden. Und was machen die dort? Lektorieren. Naja, das klingt ja erst mal nicht schlecht, denkt man sich. Aber was lektorieren sie dort? Kleinanzeigen. Das, und nichts anderes. Und zwar im Akkord. Tagein, tagaus. Für einen Hungerlohn. Da sieht die Sache schon anders aus!


    Jobangebote in gut laufenden Technik-entwickelnden Firmen kenne ich eher so: Wir sind die Abteilung für Technische Dokumentation. Am liebsten stellen wir dafür Ingenieure ein. Aber ja, wir haben dafür auch schon (mal) technikinteressierte Geisteswissenschaftler eingestellt, weil die besser schreiben können. Das letzte Mal? Hm, vor 5 Jahren ungefähr. Und wann werden Sie wieder Geisteswissenschaftler für solche Stellen suchen? Ähem, in absehbarer Zeit gar nicht. Denn die Stellen, die wir mit Geisteswissenschaftlern besetzen möchten, sind halt besetzt und die Fluktuation dort geht gegen Null. Die Geisteswissenschaftler bleiben auf diesen Stellen über Jahre und Jahrzehnte tunlichst sitzen, weil sie woanders nichts gescheites Neues bekommen würden...


    Seitenstiege

  • Noch ein Wort zu Audi.


    Dass die bei sich für gescheite Aufgaben auch Geisteswissenschaftler einstellen, ist sehr lobenswert (wenn es denn so ist). Aber das ist 1 Unternehmen. Die Anzahl der Geisteswissenschaftler, die dort eingestellt werden, steht in keinem Verhältnis zu der Menge der Ingenieure, BWLer, Informatiker, E-Techniker etc., die sie dort einstellen. Und schon in gar keinem Verhältnis zu der riesig großen Anzahl der Geistewissenschaftler, die einen gescheiten oder überhaupt einen Job suchen...


    Es ist blauäugig, seine generellen zukünftigen Jobchancen allein an EINEM (wenn auch großen) Unternehmen zu orientieren.


    Und noch etwas: Wenn Firmen Geisteswissenschaftler bzw. Personen aus ähnlichen Bereichen suchen, suchen sie IMMER Leute mit jahrelanger Berufserfahrung. Absolventen sind da völlig uninteressant.


    Und hatte ich schon erwähnt, was ist, wenn man (als Frau) Kinder hat? Dann ist es ganz vorbei. Da nützen keine brillianten Abschlüsse, auch nicht mehrere, und auch keine Berufserfahrung. Da kann frau sich dann im Hausfrauen- und Mutterdasein ergötzen. Schon mal darüber nachgedacht, warum es von denen so viele gibt? All die netten Einfamilienhäuser, die vom Einkommen des Mannes bezahlt werden (der seine Frau einst an der Uni kennenlernte), mit den zwei bis drei Kindern darin und den Frauen mit Uni-Abschluss, die ihren Männern immer den Rücken frei halten?


    (Das sind die, die mit über 40 merken, dass sie sich selbst verwirklichen müssen.)


    ...


    Seitenstiege

  • Danke für diese Beiträge.


    Ich finde, man kann daraus auch irgendwie eine (moralische) Pflicht ableiten die Schüler entsprechend aufzuklären mit welchen Fächern und Studiengängen sie später welche Chancen haben. Diese Information ist als frischgebackener Abiturient schwer zu bekommen. Wer spricht in Deutschland denn z.B. schon offen übers Gehalt? Wo kann man verlässlich Gehälter nachlesen, Einstellungschancen usw.?


    Eine möglichst faire Aufklärung ist sowohl im persönlichen Interesse der Schüler, als auch irgendwie eine Verpflichtung gegenüber der Volkswirtschaft. Schließlich ist niemandem mit arbeitslosen Akademikern geholfen, für die der Staat dann evtl. noch aufkommen muss.
    Schlimm empfinde ich, wenn dann an Schulen Augenwischerei betrieben wird.


    Nimms mir nicht übel IxcaCienfuegos, aber ich finde es z.B. recht bedenklich, was Du schreibst. Wir können natürlich noch viel diskutieren, ob Du nicht doch vllt recht hast, aber ich glaube die meisten, die Ahnung von der Wirtschaft haben (das bin nicht unbedingt ich, aber mit Sicherheit mein Vater und einige andere Bänker und BWLer, die ich kenne) werden den Ausführungen von Seitenstiege zustimmen, und nicht Deinen Vorstellungen von den Arbeitsmarktchancen und (auch irgendwie mit implizierten Gehältern) von Geisteswissenschaftlern. Du sprichst von extremen Ausnahmen.


    Man stelle sich vor Du berätst Deine Schüler Jahrgang für Jahrgang und sagst Generationen von Schülern:"Mit Spanisch hast Du gute Chancen bei einem Unternehmen wie Audi unterzukommen. Die suchen immer Leute, die Fremdsprachenkenntnisse haben. Und so große Firmen zahlen entsprechend gut". Das klingt natürlich toll in den Ohren eines Schülers, der mit einem Spanisch-Studium liebäugelt und schon wird die Sprache studiert, weil sei einem ja gut liegt und einem der Lehrer gesagt hat, dass viele gute Möglichkeiten bestehen.


    Solche Fälle kenne ich zuhauf! Mach mal eine Umfrage unter Verhaltensbiologen, Philosophen, Theaterwissenschaftler, Ethnologen usw. und vergleiche deren Angaben zu Gehalt, zur Dauer bis zum ersten Arbeitsvertrag usw. mit denen von Ingenieuren, Chemikern, Betriebswirten, Mathematikern usw.
    Man muss dazu nicht die Stellenanzeigen im Handelsblatt aufschlagen.


    Ausnahmen gibt es immer, aber nur, weil es ein paar gibt, die es vllt auch als Geisteswissenschaftler gut getroffen haben, kann man imho nicht verantworten Schüler dahingehend zu beraten ohne das Heer an arbeitslosen oder geringverdienenden Geisteswissenschaftlern zu nennen.



    Es geht gar nicht darum, dass meine Fäche Chemie und Physik sind und gute Arbeitsmarktchancen bieten. Ich hätte aus Neigung durchaus auch Mathe und Sport studieren können und ich hätte den Schülern schon klar dagestellt, dass ein Studium der Sportwissenschaften nicht die lukrativste und beste Lösung ist, wenn man später mal etwas verdienen möchte.


    Es ist natürlich die Frage inwiefern eine Schule Berufsberatung leisen soll oder darf. Aber wenn mich ein Schüler nach der Meinung fragt, sowohl ob das Fach etwas für ihn von seiner Eignung her ist, als auch, ob man damit gute Chancen hat eine Familie zu ernähren und Eigentum zu erwerben, werde ich versuchen in seinem besten Interesse zu beraten.


    Oft kommt dann das Argument: Aber was ist, wenn ich nicht glücklich werde? Studier ich doch lieber das, was mir Spaß macht, und schaue dann, ob ich nicht doch unterkomme. Ich werde einfach versuchten total gut zu sein, denn für gute Leute gibt es immer einen Job!
    Mit diesem Argument trösten sich Generationen von Orchideenfachstudenten. Ein Großteil bereut es trotzdem hinterher. Glücklich zu sein, wenn man mit seinem Fach arbeitslos ist oder glücklich zu sein, wenn man nach langem Studium und Schuldenberg für einen Appel und ein Ei arbeitet ist trotz schönerer Tätigkeit schwierig. Und wer sagt, dass man zumindest Spaß an der Arbeit dann hat, weil sie (im Idealfall) zumindest etwas mit dem so geliebten Studienfach zutun hat?

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  • @Seiteneinstiege: Ich studiere an einer Uni, die mehrheitlich geisteswissenschaftliche Fächer anbietet, und alle Freundinnen von mir mit Magisterabschluss haben jetzt einen gut bezahlten Job. Keine von ihnen sitzt zu Hause und hütet Kinder. Natürlich sind sie nicht alle in der Industrie untergekommen, aber einige arbeiten bei Firmen mit großen Namen. Außerdem sucht nicht nur Audi Geisteswissenschaftler bei uns an der Uni, sondern eben auch VW und BMW und einige andere Firmen, aber ich schau mir ja nicht jede Stellenanzeige an, ich hab Lehramt studiert...


    @Silicium: ich würde nie im Leben einem/r Schüler/in sagen: wenn du Spanisch studierst, hast du gute Chancen, in der Wirtschaft unterzukommen. Ich würde eher sagen: wenn du zu Audi willst, studier Wirtschaftswissenschaften/BWL/wasweißich und wenn du Spanisch nicht ganz aufhören willst, dann studier Spanisch im Nebenfach/als Wirtschaftssprache, das hättest du dann als Bonus. Bei einigen Firmen ist Wirtschaftsspanisch sowieso Pflicht (mein Bruder bewirbt sich grade um ein duales Studium und weiß bei einigen Firmen nicht, ob es sich lohnt, sich da überhaupt zu bewerben, eben wegen dieser Tatsache und weil er jetzt außer hola und adios kein Wort Spanisch spricht). Wenn ein Schüler allerdings sagen würde: ich will unbedingt Spanisch studieren, was für einen Beruf hab ich denn danach? dann würde ich sagen: du musst während des Studiums viele Praktika machen und flexibel sein, weil das Studium dich für keinen festen Beruf ausbildet. Niemand wird dich einstellen, wenn du während des Studiums nichts dafür tust. Natürlich würde dir auch eine Unikarriere offenstehen, aber dazu braucht man sehr gute Noten, also solltest du dich darauf nicht von Anfang an versteifen.
    Andererseits ist eben auch realistisch, dass kein Studium ein totaler Jobgarant ist, zumindest nicht für den Job, den man gern hätte (Audi stellt z.B. fast die Hälfte ihrer "Automotive Engineering"-Studenten nach dem Abschluss für ein Jahr ans Band - und nein, DAFÜR haben die eigentlcih nicht studiert....). Als mein Vater Textiltechnik studiert hat, war das noch ein Beruf mit Zukunft, jetzt kann man mit Absolventen die Straße pflastern. Das ach so tolle "Wirtschaftsingenieurwesen" wird irgendwann auch keine Goldgrube mehr sein. Wichtig ist, dass man etwas studiert, was einen interessiert, und wenn das eben die Geisteswissenschaften sind, muss man diesen Weg eben gehen, man muss sich nur von Anfang an im Klaren sein, dass er nicht geradewegs auf ein Ziel zuführt, und dass man eben eventuell bereit sein muss, einen Job zu machen, der überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was man mal studiert hat. Natürlich brauchen wir mehr MINT-Studenten, aber dann sollten sich die Leute, die den Lehrplan machen, mal überlegen, warum es denn so ist, dass sich dafür niemand interessiert. Sicher kann man mit Mathe tolle Sachen machen, aber niemand macht es den Kindern schmackhaft. Man rechnet jahrelang sinnlos durch die Gegend, oft ohne eine Ahnung, was man da überhaupt tut (die Hälfte meines Oberstufenjahrgangs hätte dir nicht erklären können, was ein Integral eigentlich überhaupt ist), da ist ja klar, dass man sich dafür nicht begeistert. Man muss die jungen Leute dafür interessieren! An der Schule meines Bruders gibt es ein Chemie-Praxisseminar, das zu fast 100% aus Mädchen besteht. Dabei wird diese Schule nur zu 40% von Mädchen besucht, und in dem Jahrgang herrscht ein besonders großer Jungenüberschuss. Es ist trotzdem kein Wunder. Der Titel des Seminars lautet nämlich: "Entwicklung einer eigenen Kosmetiklinie". Vorher waren sich die meisten Mädchen überhaupt nicht bewusst, dass man dazu Chemie braucht. Und plötzlich haben sie Spaß an Chemie. Weil ihnen mal jemand klar macht: Chemie berührt dein tägliches Leben, du benutzt sowas jeden Tag. Es gibt einen riesen Markt für Experimentierkästen und lauter solche Sachen, aber die Schule schafft es nicht, Kindern und Jugendlichen klar zu machen: was du daheim mit deinem Experimentierkasten machst, das ist Chemie/Physik. Was du an deinem Computer machst, das braucht Informatik. Und für Informatik brauchst du Mathe.

  • Zitat

    Welche Tätigkeit verrichten die Geisteswissenschaftler denn dann im Betrieb...


    All das, wobei viel geredet, super präsentiert, Teams gebildet, quer gedacht und wenig bewirkt usw. wird. :P

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • @Silicium: ich würde nie im Leben einem/r Schüler/in sagen: wenn du Spanisch studierst, hast du gute Chancen, in der Wirtschaft unterzukommen. Ich würde eher sagen: wenn du zu Audi willst, studier Wirtschaftswissenschaften/BWL/wasweißich und wenn du Spanisch nicht ganz aufhören willst, dann studier Spanisch im Nebenfach/als Wirtschaftssprache, das hättest du dann als Bonus.

    Das wäre wirklich eine gute Empfehlung. In der Form, als Zusatzsqualifikation zu einem Wirtschatswissenschaftlichen Fach ist eine Sprache eine gute Sache.
    Dann hatte ich den falschen Eindruck bekommen von Deiner Einschätzung, sorry ;)
    Aber es gibt tatsächlich Lehrer die solche Empfehlungen geben.


    Natürlich brauchen wir mehr MINT-Studenten, aber dann sollten sich die Leute, die den Lehrplan machen, mal überlegen, warum es denn so ist, dass sich dafür niemand interessiert. Sicher kann man mit Mathe tolle Sachen machen, aber niemand macht es den Kindern schmackhaft.

    Da hast Du schon recht. Es liegt teilweise an den Lehrplänen wie gesagt, aber auch da sind Sachen dabei die eigentlich spannend sind und der Bezug zum Alltag ist heute in den Lehrplänen eigentlich auch immer drin. War es aber früher auch schon, da ging es auch um Umweltprobleme, um Nahrungsmittel und so weiter. Interessiert sind nachweislich auch die meisten Schüler, wenn Fächer wie Chemie neu starten. Das Interesse, auch bei Jungs, flaut aber immer mehr ab, je komplizierter die Inhalte in höheren Klassenstufen werden. (Dazu gabs mal Studien)


    Ich sehe ein Problem einfach unter anderem darin, dass Mathematik, Physik und Chemie einfach intellektuell schwieriger zu begreifen sind als andere Fächer. (Wird jetzt die Hälfte wieder nicht wahr haben wollen, okay).


    Und weil man als Mensch erstens gute Noten haben möchte und es zweitens ein doofes Gefühl ist etwas nicht zu kapieren, interessiert man sich dann mehr für die Dinge, wo man nicht so Verständnisprobleme hat. Wo man leichten Zugang hat, z.B. einen Text liest, und dann darüber diskutieren kann.


    Es ist aber normal, dass man in Naturwissenschaften auch mal Knobeln muss oder Sachen einfach nicht versteht. Das erstmal auszuhalten ist schwierig für Schüler. Da müsste man viel mehr Gespräche führen, dass Naturwissenschaften so sind. Und, dass man als Gegensleistung für mehr Schwierigkeit im Endeffekt (z.B. auf dem Arbeitsmarkt) mehr dafür rausbekommt!
    Ganz krass ist es übrigens im Mathestudium, wo man nach einer Vorlesung oftmals erstmal gar nichts versteht und mit dieser Hilflosigkeit erstmal klar kommen muss.
    Wie kann man sowas lösen?


    Falsch wäre es meiner Meinung nach Physik noch weiter runterzuschrauben im Niveau, dass es seinen Schrecken als "schwierigen Fachs" verliert, weil es einfach zu verstehen ist.
    Ich denke man müsste den Schülern klar machen, dass es normal ist, dass ein Physik LK eben schwieriger zu bestehen ist als ein Erdkunde LK. (Owei ich fürchte jetzt kommen wieder Widerworte)


    Um das irgendwie auszugleichen müsste der Gewinn größer sein, wenn man sich durch etwas Schwieriges durchkämpft. Wenn man den Schülern beispielsweise erklärt, dass 8 Punkte im Physik LK und 10 Punkte in Chemie die absolut bessere Voraussetzung für das geplante Medizinstudium sind als 13 Punkte in Bio, dann ist es fruchtlos, wenn die Medizinstudiumsplätze nur nach NC vergeben werden.


    Da müsste zum Beispiel viel mehr darauf geachtet werden, woher die Durchschnittsabiturnote kommt. Wenn jeder Punkt in Chemie, Physik oder Mathe doppelt gerechnet wird beim NC für Medizin und jeder Punkt in Deutsch und Französisch halb, dann wäre es vielleicht eher zu akzeptieren, dass man mit der Wahl schwierigerer Fächer einen nominell schwächeren Schnitt erzielt.


    Im Endeffekt wählen viele Schüler ihre Fächer nämlich nach Personen (Lehrkräften) und nach ihren Erwartungen an erreichbare Punkte und nicht danach, welches Fach geeignet wäre für den weiteren Weg.
    Das setzt natürlich voraus, dass ein Schüler schon weiß, was er mal will.


    Es ist zugegebenermassen schwierig! Aber doch interessant darüber mal nachzudenken?

  • Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Naturwissenschaften intellektuell schwieriger zu begreifen sind als z.B. Sprachen (zumindest auf Schulniveau). Es ist nur viel stärker vom Lehrer abhängig, ob man es kapiert. Ich hatte z.B. in der 11. Klasse (erstes Lernjahr, wegen des sprachlichen Zweigs) eine 1 in Chemie. Wir mussten in einem Jahr machen, was die Naturwissenschaftler in 3 Jahren gemacht haben (wir haben einfach die "Halbwahrheiten" übersprungen und es gleich "richtig" gelernt). Ich konnte damals meiner Schwester, die auf dem naturwissenschaftlichen Zweig war, den Stoff erklären, allerdings erst im 2. Halbjahr, als wir ne gute Lehrerin hatten. Die im ersten Halbjahr war einfach nur unfähig. Ich bin aber voll durchgestiegen, hatte keinerlei Probleme. In der K12 hatte ich dann im GK eine Lehrerin, die einfach nicht erklären konnte. Mein Grundwissen aus der 11. hatte ich ja noch, und ich hab auch die Grundzüge kapiert - aber ohne Hilfe hats im 1. Halbjahr dann eben nur für 4 Punkte gereicht. Im 2. Halbjahr hab ich aus dem Buch vorgelernt (das Buch war ziemlich gut, auch zum Selbststudium geeignet) und mir die Mitschriften von Kollegen aus dem Parallelkurs kopiert und kam auf die doppelte Punktzahl. Bei einer Sprache ist es anders: wenn du die Grundzüge ein Mal kapiert hast (was übrigens sehr vielen begabten Mathematikern mit dem französischen Subjonctif keinesfalls gelingt ;-)), dann ist es ein Kinderspiel. Es geht ins Gefühl über und du sprichst/schreibst einfach, ohne dass du groß nachdenken musst. Wenn dein Lehrer eine Pfeife im Erklären ist, dann liest du einfach Bücher, da kommt die Konstruktion oft genug vor und irgendwann raffst dus.
    Und dass Chemie für ein Medizinstudium mehr Vorteile bringt als Bio hält meine Schwester für ein Gerücht - und die hatte Bio-LK und studiert im 6. Semester mit großem Erfolg Medizin.

  • Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Naturwissenschaften intellektuell schwieriger zu begreifen sind als z.B. Sprachen (zumindest auf Schulniveau).

    Gut, da sind wir uns eben uneinig. Immerhin schränkst Du das aufs Schulniveau ein. Physik oder Mathematik des Hauptstudiums oder gar aktuelle Forschung in den universitären Arbeitsgruppen zu verstehen ist um Potenzen schwieriger zu begreifen, als entsprechende Sprachforschung.
    Eine Sprache ist ja auch per se in relativ einfacher Grammatik gehalten, dass jeder Mensch (des entsprechenden Heimatlandes) diese Sprache ohne große Schwierigkeiten nur durch Zuhören im Kindesalter lernt.
    Bilinguale Kinder aus entsprechenden Elternhäusern lernen recht einfach (ohne Schule) in zwei Sprachen ein Sprachniveau. Und das einfach so, ohne, dass sie sich das Hirn zermatern müssen um die Sachen erstmal zu durchdenken.
    (Bevor jetzt die Sonderpädagogen und Primarstufenlehrer auf den Plan treten und erklären, dass ein Kind nicht nur durch zuhören von seinen Eltern die Sprache lernt.. okay!)
    Mir ist klar, dass man in höherem Alter eine Sprache nicht mehr so natürlich "aufsaugt" und, dass eine Sprache sprechen und eine Sprache intellektuell verstehen (sich der Grammatik bewusst sein usw.) zwei paar Schuhe sind.
    Aber wieviele Zeitformen + Indikativ / Konjunktiv muss man denn intellektuell durchsteigen? Das hat doch irgendwann mal ein Ende. Klar geht es auf hohem Niveau dann um einen sehr guten Wortschatz und gutes sprachliches Gefühl und Erfahrung, die man nicht mal so eben hat, sondern nur durch jahrelanges Lesen muttersprachlicher Literatur bekommt. Aber ist das intellektuell so extrem herausfordernd nach dem Motto: Das ist aber enorm kompliziert, ich verstehe das einfach nicht, wie es funktioniert?


    Gut, dieses Thema hatten wir ja auch zur Genüge und da werden wir uns nie einig.


    . Bei einer Sprache ist es anders: wenn du die Grundzüge ein Mal kapiert hast (was übrigens sehr vielen begabten Mathematikern mit dem französischen Subjonctif keinesfalls gelingt ;-)), dann ist es ein Kinderspiel.

    Ich dachte immer mathematisch begabte Leute haben in Sprachen gerade zur Grammatik einen guten Zugang, weil die in der Regel durchaus mit Mathematik vergleichbar ist. Das erfassen eines Systems und die Anwendung dessen ist doch gerade zu logisch analytisches Denken. Ich z.B. war in Grammatik immer spitze, solange ein System erkannbar war. Dass ich nicht besonders fleissig beim Lernen von unregelmässigen Verben und Ausnahmen war und, dass meine Aussprache in Französisch nicht sonderlich elegant war, ist dann etwas anderes. Intellektuell begriffen habe ich die Sprachen eigentlich schon, auch den Subjonctif, nur zu faul war ich oft!
    Latein ist so ein Beispiel, eigentlich eine ganz toll logisch zu lernende Sprache, deren Grammatik mir sehr Spaß gemacht hat. Konnte eigentlich gut übersetzen und beherrschte die Grammatik. Nur habe ich eben kaum Vokabeln gelernt usw. und einfach kein Interesse gehabt. Es war aber nicht intellektuell überfordernd.
    Intellektuell gefordert war ich vor allem in Mathe und Physik, da musste ich auch mal ne lange Zeit grübeln, bis mir klar wurde, wie ich mir das mit den Winkeln räumlich vorzustellen habe und wie das dann mathematisch zu beschreiben wäre. Und ich halte mich mathematisch für 100x begabter als ich es sprachbegabt bin!


    Was auch recht komisch ist:


    Ich hatte im Abitur 15 Punkte in Mathe und 13 Punkte in Deutsch und 14 Punkte in Englisch. Ihr kennt alle meine Interpunktion und mein Sprachtalent. Wie kann jemand wie ich, der wirklich begabt in Mathematik ist, aber im Vergleich zu dieser Begabung eine mieserable Sprachbegabung hat, so einen geringen Punkteunterschied in den Fächern machen?



    Und dass Chemie für ein Medizinstudium mehr Vorteile bringt als Bio hält meine Schwester für ein Gerücht - und die hatte Bio-LK und studiert im 6. Semester mit großem Erfolg Medizin.

    Sagen wir mal so, die Chemie und Physik des Medizinstudiums sind generell auf einem sehr sehr niedrigen Niveau. Glaub mir, die Hälfte meiner Familie sind Mediziner und deren Kinder (meine Cousins und Cousinen) studieren zum Teil wieder Medizin. Das Medizinstudium ist gar kein wirklich naturwissenschaftliches Studium, das den Kriterien der Wissenschaft standhalten würde. Es ist einfach unheimlich viel zum Lernen!
    Auch die Medizinischen Doktorarbeiten würden in naturwissenschaftlichen Fachbereichen in der Regel gerade so als Bachelor Arbeit durchgehen. Das ist nicht, weil die Medizinstudenten dumm sind. Sondern, weil es ein angewandtes Studium ist in dem es nicht um Forschung oder Wissenschaftlichkeit geht, sondern darum, möglichst viel über die Behandlung und Diagnostik zu lernen und ein umfangreiches praktisches Wissen zu erwerben.
    Dabei werden Geräte verwendet, die kein Mediziner auch nur annähernd versteht (MRT usw.), Chemikalien gespritzt, von denen der Mediziner gar nicht wirklich weiß, wie die im Körper reagieren. Sie lernen nur was wann zu geben ist unter welchen Bedingungen und was Kontraindikationen sind usw. Dabei wird natürlich grob skizziert, was passiert.
    Wenn aber jemand, der sich genau mit Reaktionsmechanismen beschäftigt, die Erklärungen liest, warum was wie passiert, dann kann man nur lächeln. Das ist eben auch ganz baselem Niveau. Muss ja auch gar nicht tiefer gehen, dazu hat ein Medizinstudent gar keine Zeit, er muss eine riesige Menge an oberflächlichem Wissen zu einer riesigen Anzahl von Themenbereichen anhäufen.


    Wer sich mit dem Veständnis und der Forschung dieser einzelnen Dinge beschäftigt sind keine Mediziner, sondern Pharmazeuten und Biochemiker, organische Chemiker bei Medikamenten und Physiker bei der Entwicklung von Geräten zur Diagnostik.


    Dass Deine Schwester Bio LK hatte und erfolgreich Medizin studiert mag gut sein. Es ist aber so, dass Mediziner ein Bio Praktikum, ein Chemie Praktikum, ein Physik Praktikum im Grundstudium machen müssen. Die große Schwierigkeit für Medizinstudenten ist dabei nicht das Biopraktikum, sondern Chemie und Physik. Ich selber habe Mediziner im Physikpraktikum bei Ultraschallversuchen betreut und mit denen geredet. Einhellige Meinung: Physik schwierig, Chemie ist machbar, Bio ist einfach (zumindest diese Praktika des Grundstudiums).


    Und ja, vielleicht ist in gewisser Hinsicht Biologie doch besser geeignet fürs Medizinstudium, wenn ich so darüber nachdenke: Wenn man es unter dem Aspekt betrachtet, dass Biologie ein Fach schon in der Schule ist, wo viel durch Auswendiglernen kompensiert werden kann und / oder einfach erforderlich ist. Dies trifft wie gesagt wieder aufs Medizinstudium zu und wer an diese Arbeitsweise gewöhnt ist, der kommt damit vielleicht besser klar.

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  • Gut, da sind wir uns eben uneinig. Immerhin schränkst Du das aufs Schulniveau ein. Physik oder Mathematik des Hauptstudiums oder gar aktuelle Forschung in den universitären Arbeitsgruppen zu verstehen ist um Potenzen schwieriger zu begreifen, als entsprechende Sprachforschung.
    Eine Sprache ist ja auch per se in relativ einfacher Grammatik gehalten, dass jeder Mensch (des entsprechenden Heimatlandes) diese Sprache ohne große Schwierigkeiten nur durch Zuhören im Kindesalter lernt.
    Bilinguale Kinder aus entsprechenden Elternhäusern lernen recht einfach (ohne Schule) in zwei Sprachen ein Sprachniveau. Und das einfach so, ohne, dass sie sich das Hirn zermatern müssen um die Sachen erstmal zu durchdenken.
    (Bevor jetzt die Sonderpädagogen und Primarstufenlehrer auf den Plan treten und erklären, dass ein Kind nicht nur durch zuhören von seinen Eltern die Sprache lernt.. okay!)


    Da merkt man, dass du nur europäische, und da wahrscheinlich nur germanische und romanische, Sprachen gelernt hast. Du möchtest mir doch nicht im Ernst erzählen, dass es "möglichst einfach" ist, dass das Finnische 15 und das Ungarische 25 verschiedene Kasus hat, und dass in Tonsprachen ein und die selbe Silbe, wenn sie auf unterschiedliche Weise ausgesprochen wird, eine Unzahl an unterschiedlichen Bedeutungen haben kann? Es stimmt, auch Kinder mit einem sehr niedrigen IQ erlernen eine oder sogar mehrere Muttersprachen fließend. Das liegt aber nicht daran, dass sie intellektuell einfacher zu begreifen wären, sondern daran, dass der Erwerb einer Muttersprache eben genetisch angelegt ist (Stichwort Noam Chomsky). Es gibt übrigens auch Kinder ohne Muttersprache. Und die können später überhaupt keine Fremdsprache erlernen.


    Aber wieviele Zeitformen + Indikativ / Konjunktiv muss man denn intellektuell durchsteigen? Das hat doch irgendwann mal ein Ende. Klar geht es auf hohem Niveau dann um einen sehr guten Wortschatz und gutes sprachliches Gefühl und Erfahrung, die man nicht mal so eben hat, sondern nur durch jahrelanges Lesen muttersprachlicher Literatur bekommt. Aber ist das intellektuell so extrem herausfordernd nach dem Motto: Das ist aber enorm kompliziert, ich verstehe das einfach nicht, wie es funktioniert?


    Ja, das gibt es durchaus - das kannst du jetzt glauben oder nicht.



    . Bei einer Sprache ist es anders: wenn du die Grundzüge ein Mal kapiert hast (was übrigens sehr vielen begabten Mathematikern mit dem französischen Subjonctif keinesfalls gelingt ;-)), dann ist es ein Kinderspiel.

    Ich dachte immer mathematisch begabte Leute haben in Sprachen gerade zur Grammatik einen guten Zugang, weil die in der Regel durchaus mit Mathematik vergleichbar ist. Das erfassen eines Systems und die Anwendung desser ist gerade zu logisch analytisches Denken. Ich z.B. war in Grammatik immer spitze, solange ein System erkannbar war. Dass ich nicht besonders fleissig beim Lernen von unregelmässigen Verben und Ausnahmen war ist dann etwas anderes. [/quote]
    Aber Grammatik ist eben mehr als ein logisches System. Außerdem unterscheidet sich der Subjunktiv ("Konjunktiv" ist dafür nicht ganz der richtige Ausdruck) in den romanischen Sprachen deutlich von der deutschen grammatischen Logik - und gerade Naturwissenschaftler würfelt es da häufig.



    Die große Schwierigkeit für Medizinstudenten ist dabei nicht das Biopraktikum, sondern Chemie und Physik.


    Das fürs Chemie-Praktikum nötige Grundwissen hatte meine Schwester aus dem Bio-LK, sagt sie, und sie meint, dass das Physikpraktikum natürlich ziemlich schwierig ist, wenn man nicht mal ohne Taschenrechner die erste Ableitung einer Funktion bilden kann. In manchen Bundesländern wird das wohl nie gelernt. Sie hatte im Physikpraktikum keine Probleme, obwohl sie Physik in der Oberstufe abgelegt hatte. Da war aber wohl der Mathe-LK, den sie auch noch hatte, sehr hilfreich.

  • Da merkt man, dass du nur europäische, und da wahrscheinlich nur germanische und romanische, Sprachen gelernt hast. Du möchtest mir doch nicht im Ernst erzählen, dass es "möglichst einfach" ist, dass das Finnische 15 und das Ungarische 25 verschiedene Kasus hat, und dass in Tonsprachen ein und die selbe Silbe, wenn sie auf unterschiedliche Weise ausgesprochen wird, eine Unzahl an unterschiedlichen Bedeutungen haben kann?

    Es gibt natürlich einfachere und schwierigere Sprachen, klar. Wusste gar nicht, dass Du auch Finnisch und Ungarisch gelernt hast. Ich dachte du hättest einfachere Sprachen studiert?!


    Mal abgesehen davon, dass es intellektuell doch nicht kompliziert nachzuvollziehen oder sich vorzustellen ist, dass unterschiedliche Aussprachen verschiedene Bedeutungen haben können. Da liegt die Schwierigkeit doch vielmehr darin
    1) das immer richtig zu hören (erfordert vermutlich sehr viel Erfahrung und jahrelange Beschäftigung mit der Sprache, Gehörentwicklung dafür eben)
    2) alle Bedeutungen auswendig zu kennen
    und nicht im intellektuellen Nachvollziehen.


    Nur mal ein anderes Beispiel, nicht Sprache: Ein Instrument zu spielen ist auch nicht "einfach", aber intellektuell doch überschaubar. Man muss eben üben, üben, üben und das Gehör entwickeln. Aber ich bin überzeugt auch ein sehr unterdurchschnittlich intelligenter Mensch könnte ein richtig richtig guter Geiger werden, wenn er eben genug übt. Ich bezweifle, dass man als unterdurchschnittlich intelligenter Mensch dieselbe Höhe an Leistung wie mit der Geige auch in Mathematik erreichen könnte. Klar, Intelligenz ist überall hilfreich, bei manchen Disziplinen ist sie aber mehr oder minder das Wichtigste, bei manchen sind andere Dinge viel entscheidender. Sport zum Beispiel, Musik sicher auch.


    Aber Grammatik ist eben mehr als ein logisches System. Außerdem unterscheidet sich der Subjunktiv ("Konjunktiv" ist dafür nicht ganz der richtige Ausdruck) in den romanischen Sprachen deutlich von der deutschen grammatischen Logik - und gerade Naturwissenschaftler würfelt es da häufig.

    Ich sag ja nicht, dass jedem guten Mathematiker das sofort alles logisch ist. Aber nach eingehender Beschäftigung, sagen wir mal extrem gesagt, nach mehreren Jahren intensivem Studium würde man diese Grammtik doch wohl irgendwann mehr oder minder komplett verstehen?
    Was ist aber mit der Mathematik? Ist diese erschöpflich?
    Rechnen wir mal folgendes: Wir schreiben das Jahr 2200 nach Christus, die Mathematik oder Physikforschung und die Romanistik haben seit 2012 noch einmal ordentlich weitergeforscht. Sind dann die Inhalte der Romanstik immer noch gleich kompliziert wie die Physik des Jahres 2200?
    Die Sprachen existieren doch schon seit so vielen Jahren relativ unverändert, während die Naturwissenschaften immer komplizierter werden. Mit jeder Publikation in Mathematik oder Physik wird es immer schwieriger, das überhaupt noch nachzuvollziehen.
    Ich behaupte in 200 Jahren muss man, um die aktuelle Forschung in einem Fachbereich zu verstehen, erstmal 20 Jahre Mathematik studieren um überhaupt das mathematische Handwerkszeug zu haben um nachzuvollziehen, was da eigentlich in der Physik beschrieben wird.


    Mein Englisch ist relativ gut auch ohne Englischstudium und ich verstehe Publikationen in Anglistik, zumindest in Grundzügen. Habe beispielsweise mal was nachgeschaut für eine Diskussion über Shakesperarean English, weil mich dieses "alte Englisch" sehr reizt. ("Hast thou seen thy teacher?" usw.)
    Es war natürlich nicht immer 100 % verständlich, aber ich denke ich habe den Großteil der Publikation verstanden. Versuch auch mal nur eine einzige Publikation in Mathematik zu begreifen? Du würdest das auch mit 5 Monaten Einarbeitungszeit nicht schaffen ohne Studium!


    Sagen wirs doch mal so:


    Ohne Englisch Studium werde ich (es sei denn ich bin biligual, dann muss ich nicht studieren) nicht so fließend Englisch sprechen, mich so gut ausdrücken können und den Wortschatz haben von jemandem, der Englisch studiert hat. Intellektuell nachzuvollziehen ist das in der Regel aber schon, was diese studierte Person da macht. Die Grammatik usw. kann ich auch nicht in allen Details, traue mir das aber durchaus zu relativ schnell intellektuell zu durchsteigen. Auch den subjonctif.


    Ohne Musikstudium werde ich nicht so gut Geige spielen, wie der studierte Musiker mit Geige als Instrument in der Abschlussprüfung. Dennoch ist es intellektuell überschaubar, ist ja auch klar, Geige spielen ist vor allem motorisch schwierig und vom Gehör. Anders ist es mit Musiktheorie, da behaupte ich, dass diese so kompliziert ist, dass ich es intellektuell nicht mal eben überschauen kann ohne langes Studium.


    Das fürs Chemie-Praktikum nötige Grundwissen hatte meine Schwester aus dem Bio-LK, sagt sie, und sie meint, dass das Physikpraktikum natürlich ziemlich schwierig ist, wenn man nicht mal ohne Taschenrechner die erste Ableitung einer Funktion bilden kann. In manchen Bundesländern wird das wohl nie gelernt. Sie hatte im Physikpraktikum keine Probleme, obwohl sie Physik in der Oberstufe abgelegt hatte. Da war aber wohl der Mathe-LK, den sie auch noch hatte, sehr hilfreich.

    Ja, Mathe LK ist sicher sehr sinnvoll! Mathematik ist die "Sprache" mit der ein Physiker die Welt beschreibt. Deine Schwester ist vermutlich einfach recht intelligent, dass sie weder mit Physik, noch Chemie, noch Bio im Medizinstudium Probleme hat.
    WENN jemand Probleme mit den Praktika hat, dann ist es statistisch gesehen Physik oder Chemie. Eben genau wie Du sagst, weil einfach das Wissen um Ableitungen nicht verstanden wird. Und das kann man sich anscheinend nicht mal so eben wieder aneignen, wie man im Biopraktikum noch einmal nachliest, welche Organellen eigentlich so alles in der Zelle zu finden sein müssen, die ich im Praktikum als Präparat zeichnen soll. Ableitungen muss ich erstmal verstehen, die Organellen kann ich mehr oder minder aus dem Buch raussuchen. Anscheinend ist in den Praktika intellektuell unterschiedlich Schwieriges gefordert.

    2 Mal editiert, zuletzt von Silicium ()

  • Es gibt natürlich einfachere und schwierigere Sprachen, klar. Wusste gar nicht, dass Du auch Finnisch und Ungarisch gelernt hast. Ich dachte du hättest einfachere Sprachen studiert?!


    Man kann Sprachen auch lernen, ohne sie zu studieren. Das mal vorne weg. ich spreche allerdings weder Ungarisch noch Finnisch, aber um die Struktur einer Sprache zu beschreiben, muss man sie überhaupt nicht sprechen, nicht mal verstehen.




    Ich sag ja nicht, dass jedem guten Mathematiker das sofort alles logisch ist. Aber nach eingehender Beschäftigung, sagen wir mal extrem gesagt, nach mehreren Jahren intensivem Studium würde man diese Grammtik doch wohl irgendwann mehr oder minder komplett verstehen?
    Was ist aber mit der Mathematik? Ist diese erschöpflich?


    Du scheinst wirklich überhaupt nicht zu wissen, was man in einem Sprachstudium eigentlich macht. Grammatik, wie sie in der Schule gemacht wird, also deren Beherrschung, hat in der Zeit meines Studiums in Spanisch z.B. 5 SWS ausgemacht (wenn man vom Erlernen des Spanischen am Anfang des Studiums absieht), in Englisch 4 SWS. Und das waren auch so ziemlich die leichtesten Kurse. Aber wenn du dich auf das Englische so gut verstehst, kannst du mir ja sicher gleich mal erklären, auf wie viele Arten man im Englischen das Futur ausdrücken kann?


    Rechnen wir mal folgendes: Wir schreiben das Jahr 2200 nach Christus, die Mathematik oder Physikforschung und die Romanistik haben seit 2012 noch einmal ordentlich weitergeforscht. Sind dann die Inhalte der Romanstik immer noch gleich kompliziert wie die Physik des Jahres 2200?
    Die Sprachen existieren doch schon seit so vielen Jahren relativ unverändert, während die Naturwissenschaften immer komplizierter werden. Mit jeder Publikation in Mathematik oder Physik wird es immer schwieriger, das überhaupt noch nachzuvollziehen.


    Du möchtest mir also weismachen, dass sich eine Sprache in 200 Jahren kaum verändert? Sprechen wir von der Sprache als Untersuchungsgegenstand, dann ist das schon einmal grundsätzlich völlig falsch. Im Jahre 1100 hatte das Englische noch 5 Kasus, im Jahr 1300 waren davon noch zwei übrig geblieben. Außerdem war der Wortschatz 1100 konsoziiert, 1300 dissoziiert. Der Wortschatz 1100 zum großen Teil germanisch, 1300 zum großen Teil romanisch. usw.usf. Außerdem entwickelt sich die Erforschung des Untersuchungsgegenstandes Sprache rasant weiter. Anfang des 20. Jahrhunderts kam der Durchbruch der modernen Sprachwissenschaft - und schon jetzt ist wieder alles anders.



    Mein Englisch ist relativ gut auch ohne Englischstudium und ich verstehe Publikationen in Anglistik, zumindest in Grundzügen. Habe beispielsweise mal was nachgeschaut für eine Diskussion über Shakesperarean English, weil mich dieses "alte Englisch" sehr reizt. ("Hast thou seen thy teacher?" usw.)
    Es war natürlich nicht immer 100 % verständlich, aber ich denke ich habe den Großteil der Publikation verstanden. Versuch auch mal nur eine einzige Publikation in Mathematik zu begreifen? Du würdest das auch mit 5 Monaten Einarbeitungszeit nicht schaffen ohne Studium!


    Das heißt nicht Shakespearean English, um damit schon mal anzufangen. Wenn du etwas über "Shakespearean English" nachgeschaut hast, dann war es jedenfalls keine sprachwissenschaftliche Publikation, weil sich im Leben kein Sprachwissenschaftler trauen würde, diesen falschen Begriff für das Frühneuenglische zu verwenden. Genauso wie es kein "Oxford English" gibt.


    Sagen wirs doch mal so:


    Ohne Englisch Studium werde ich (es sei denn ich bin biligual, dann muss ich nicht studieren) nicht so fließend Englisch sprechen, mich so gut ausdrücken können und den Wortschatz haben von jemandem, der Englisch studiert hat. Intellektuell nachzuvollziehen ist das in der Regel aber schon, was diese studierte Person da macht. Die Grammatik usw. kann ich auch nicht in allen Details, traue mir das aber durchaus zu relativ schnell intellektuell zu durchsteigen. Auch den subjonctif.


    Komisch, den gibts auf Englisch nämlich gar nicht.
    Um das Sprechen der Sprache geht es im Studium doch kaum, das soll zwar noch verfeinert werden, nimmt aber eine relativ marginale Stellung ein. Fürs Lehramt Gymnasium hier in Bayern entfallen auf die Sprachpraxis (also inkl. Schreiben und Übersetzen) im Laufe des Studiums gerade mal 16-18 SWS, so in etwa. Und in etwa 70-80 sind pro Fach empfohlen fürs Staatsexamen insgesamt.

  • Ich finde es zwar bewundernswert, mit welcher Geduld und wie ausführlich Du versuchst, Siliciums Mental Map um neue Wissensgebiete zu erweitern, zweifle aber, dass es Dir gelingt, ihn von der ihm eingetrichterten Weltordnung (Gott – Physiker (inkl. Physik-Studenten) – ... dann kommt lange nichts ... – Rest der Menschheit) abzubringen – da ist er, soweit ich bisherige Beiträge überblicke, eher Fundamentaltheologe: Naturwissenschaften als die wahre, einzige Lehre, die nur die Hohepriester verstehen, Geisteswissenschaften als Beschäftigung fürs gewöhnliche Volk.


    Insofern scheitert der Austausch vermutlich an einem Grundproblem: "Wer nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel." (Paul Watzlawick) Ich prophezeie, dass im nächsten Beitrag wieder der Physikstudenten-Hammer so lange auf den Gegenstand eindrischt, bis er ins bekannte Weltbild passt. Trotzdem danke für die Bemühung und die sehr lesenswerte Darstellung!


    Vielleicht lassen sich die Inhalte eines Sprachstudiums mit einer Metapher illustrieren, um das Verständnis zu erleichtern:


    eine Sprache sprechen = Autofahren (Niemand wird nun von jemandem, der ein Auto fährt, sagen, dass er "etwas von Autos" versteht. Auch der Muttersprachler versteht nicht zwangsläufig etwas von der Sprache, die er auf natürlichem Wege gelernt hat.)


    Wer nun eine Sprache studiert, lernt nicht einfach das Autofahren – das muss er in der Regel schon können –, sondern beschäftigt sich mit der Geschichte des Autofahrens (In welcher Kultur und unter welchen historischen Bedingungen hat sich die Sprache herausgebildet?), mit Autotechnik (Wie funktioniert Sprache als System? – allgemein auf Sprache überhaupt bezogen, speziell auf die studierte Sprache bezogen), mit den Techniken des Autofahrens (Pragmalinguistik), mit der Bedeutung des Autos für die Gesellschaft (Soziolinguistik), mit den Rahmenbedingungen des Autofahrens (Landeskunde), mit Autorennsport (Literatur eines Sprachraums – gut, hier ist die Metapher etwas gedehnt) usw. Das Autofahren wird i.d.R. vorausgesetzt und nimmt einen vergleichsweise geringen Teil des Studiums ein. – Und da habe ich noch gar nichts über die philosophischen oder erkenntnistheoretischen Implikationen von Sprache und Denken gesagt.


    Wofür man das braucht? – Um sich selbst besser zu verstehen (die Art und Weise, wie man die Welt sieht). Um eine Kultur, einen Sprachraum zu verstehen. Um mit diesem Kultur- respektive Sprachraum in Austausch zu kommen – aus politischen, ökonomischen und vielen anderen Gründen. Die Beherrschung von Grammatik und Wortschatz ist da noch das kleinste Problem.


    Ein konkretes Beispiel: Die häufig in mehr oder minder rassistischen Witzen zitierte "Kanak Sprak" (auch: "Türkendeutsch", beide Ausdrücke entnehme ich der Wikipedia) wird ja gerne als Beleg für die mangelnde Bildung ihrer Nutzer herangezogen (siehe Sarrazin-Diskussion). Tatsächlich handelt es sich aber um die Anwendung der türkischen Syntaxregeln mit deutschem Wortschatz: Die falsche Formulierung "ich gehe Aldi" kommt dadurch zustande, dass es im Türkischen keine Präpositionen gibt, Ortsangaben werden durch einen eigenen Kasus (Lokativ) ausgedrückt, der dadurch zustandekommt, dass ein Suffix angehängt wird. In Ermangelung eines passenden Suffix wird also das unveränderte Substantiv verwendet. Dabei handelt es sich um einen typischen Interferenzfehler, wie ihn etwa Deutsche im Französischen oft begehen. Komischerweise wird letzteres nicht als Indiz für mangelnde Bildung aufgefasst, sondern als lässlicher Fehler.


    Ohne sprachwissenschaftliche Kenntnisse kann man das Phänomen nicht adäquat erfassen und wird womöglich Opfer seiner Vorurteile. (Übrigens verstehe ich kein Türkisch, habe aber etwas über Sprachwissenschaften gelernt, im Studium – no less.)

    8 Mal editiert, zuletzt von philosophus ()

    • Offizieller Beitrag

    *grummel* ;)


    Ich habe die Offtopic-Beiträge aus dem Thread "Wozu Bachelor im Lehramt?" entfernt. Nachdem das das 2. Mal innerhalb von ein paar Tagen war, dass es nicht anders möglich war, weil der Thread zu sehr abdriftete, frage ich mich, ob ich evtl. einen Teilzeitantrag stellen sollte, damit ich mehr Zeit habe, hier die Threads hin- und herzuschieben. ;)


    Versucht doch bitte einfach etwas mehr beim Thema zu bleiben oder ggf. einen neuen Thread aufzumachen.


    kl. gr. Frosch, Moderator

  • philosophus


    Du hast natürlich vollkommen recht, dass eine Sprache sprechen zu lernen nur ein kleiner Teil des Studiums einer Sprache ist. Es kommt natürlich noch mehr hinzu:

    (In welcher Kultur und unter welchen historischen Bedingungen hat sich die Sprache herausgebildet?

    An dieser Frage können sicher Generationen von Sprachwissenschaftlern forschen und tausende Seiten dazu füllen. Es bleibt für mich fraglich, inwiefern die Beantwortung der Frage in erster Linie ein Problem des intellektuellen Begreifens, denn des Recherchierens und Zusammentragens von Informationen ist?


    Ich meine die theoretischen Physiker zermatern sich in der Forschung ihr Hirn um zum Beispiel eine einheitliche Feldtheorie zu finden. Da ist das Problem, dass einfach noch niemand so intelligent war dieses Problem zu lösen. Es ist eine intellektuelle Hürde. Ist es bei der Forschung unter welchen historischen Bedingungen eine Sprache entstand auch so, dass es ein intellektuelles Problem gibt und, dass die Fachwelt auf DAS Superhirn wartet, das dieses intellektuelle Problem überwindet und es dann den anderen Fachleuten erklären kann, die dann sagen "Ach so FUNKTIONIERT das, das ist ja eine brillante Lösung, darauf sind wir nicht gekommen, so haben wir das nicht verstanden!"


    Es ist mir klar, dass ein Sprachstudium sehr vielseitig ist, man viele Dinge lernen muss. Ich zweifele aber daran, dass die einzelnen Aspekte höchst kompliziert sind. Von Dir zum Beispiel angesprochen:


    Landeskunde

    Sicher gehört zum Beispiel auch Landeskunde in ein Sprachstudium. Aber ist Landeskunde jetzt so etwas Kompliziertes, wo man oft dem Problem "Ich verstehe das nicht, ich muss das alles nochmal ein paar mal durchdenken, bis ich verstehe" begegnet?! Wozu es Übungsgruppen gibt in denen man erstmal versucht das System zu verstehen?


    Tatsächlich handelt es sich aber um die Anwendung der türkischen Syntaxregeln mit deutschem Wortschatz: Die falsche Formulierung "ich gehe Aldi" kommt dadurch zustande, dass es im Türkischen keine Präpositionen gibt, Ortsangaben werden durch einen eigenen Kasus (Lokativ) ausgedrückt, der dadurch zustandekommt, dass ein Suffix angehängt wird. In Ermangelung eines passenden Suffix wird also das unveränderte Substantiv verwendet. Dabei handelt es sich um einen typischen Interferenzfehler, wie ihn etwa Deutsche im Französischen oft begehen. Komischerweise wird letzteres nicht als Indiz für mangelnde Bildung aufgefasst, sondern als lässlicher Fehler.

    Das ist natürlich schon interessant, keine Frage. Ich wäre da selber nicht darauf gekommen, das gebe ich frei zu, dazu fehlt mir der Einblick in die Sprachen. Es ist jetzt aber auch nicht so, dass dies jetzt irgendwie so kompliziert nachzuvollziehen ist wie die Wechselwirkung von elektromagnetischer Strahlung mit Materie.



    von der ihm eingetrichterten Weltordnung (Gott – Physiker (inkl. Physik-Studenten) – ... dann kommt lange nichts ... – Rest der Menschheit)

    Ich denke allein die Reihe (Mathematik > Physik > Chemie > Biologie) unter den Naturwissenschaften was den intellektuellen Anspruch des Studiums angeht ist einfach vetretbar.
    Es geht gar nicht darum, dass ich Physiker bin. Ich bin auch Chemiker und das Chemie-Studium besteht zu großem Teil aus Laborarbeiten, die rein vom intellektuellen Anspruch nicht sehr hoch sind. Der Teil, der mit Modellen und mathematischer Beschreibung von Natur zutun hat innerhalb der Chemie, ist sehr ähnlich der Physik, aber ein bisschen einfacher und unmathematischer gehalten, empirischer eben auch in den Erklärungen.
    Der Physiker bedient sich schon sehr vieler komplexerer Modelle und versucht die Natur schon ziemlich exakt zu beschreiben. Aber auch er vereinfacht gegenüben der reinen Mathematik noch ein bisschen. Wo unser Physikprof eine Tafelseite mit Formeln vollschreibt und jeden 2. Satz Annäherungen und Vereinfachungen verwendet, würde der Mathematiker GANZ exakt sein wollen und benötigte dafür bestimmt 10 Tafeln.


    Man muss ja auch gar nicht sagen, dass nur das Fach, das intellektuell am anspruchvollsten das einzig wichtige ist und, dass Dinge, die intellektuell nicht zu der Top-Group des Anspruchs gehören, deshalb gleich einfach sind. Wie gesagt, ein brillanter Violinist zu sein ist etwas, was viel Bewunderung verdient und das Produkt großer Leistung und von viel Arbeit ist. Aber es ist eben keine intellektuelle Höchstleistung, sondern eine Höchstleistung in einem anderen Bereich (Motorik, auditive Bereiche des Gehirns).


    Mit Sprachwissenschaft, mit Geschichte, mit Literaturwissenschaft verhält es sich doch auch so. Es sind große Leistungen erforderlich, aber es ist doch kein IQ von Einstein erforderlich! Es geht doch bei diesen Fächern um ganz andere Dinge, als die Intelligenz eines Stephen Hawking zu haben. Es werden doch genug Geisteswissenschaftler für ihre Lebenswerke geehrt.
    Nur geht ein Literaturwissenschaftler eben nicht als Genie in die Geschichte ein, weil es darum doch gar nicht geht bei diesen Fächern.



    @Kleiner_Gruener_Frosch: Danke fürs Auftrennen! Ich werde mich bemühen in Zukunft threads dazu zu eröffnen. Dann aber bitte nicht beschweren, wenn es recht viele neue Themen gibt :)

    Einmal editiert, zuletzt von Silicium ()

  • Ich will eigentlich gar nicht an der Diskussion teilnehmen, aber muss doch einen Satz dazu loswerden:


    Das Problem der Geisteswissenschaften ist, dass jeder meint, etwas zu ihnen sagen zu können. Wenn man denn 2 Lager aufmachen will, kommt es nur sehr selten vor, dass das eine Lager ernstzunehmend über das andere spricht - und umgekehrt.
    Und bevor ich mich hier jetzt ein Student, der für seine Fachrichtung (die eine oder andere) brennt, für diese Aussage kritisieren will: Ich kann es beurteilen, ich habe eine Sprache studiert, eine Gesellschaftswissenschaft und Mathematik. Dass in den MINT-Fächern nur Fachidioten rumlaufen, wie oft habe ich das in der Uni gehört? Ist natürlich Quatsch. Umgekehrt haben es sich einige Dozenten aus dem Bereich MINT herausgenommen, Studenten anderer Fachrichtungen zu bescheinigen, dass sie ja gar keine "richtigen" Fächer studieren. Auch Quatsch.
    Sowas kommt dabei raus, wenn Leute über Dinge reden, von denen sie keine Ahnung haben.
    Ich persönlich möchet mir eine Welt ohne funktionierende Naturwissenschaft nicht vorstellen, aber auch keine, in denen es nur die NWs gibt.

  • Recherchiere Noam Chomsky, Sprache und Denken, allgemein Sprachphilosophie, Spracherwerb (und zwar jenseits von wie funktioniert der - wobei das auch schon komplex genug ist), das sollte intellektuell anspruchsvoll genug sein (und da gab es dann durchaus sehr viele "Ach, SO funktioniert das" Momente nur eben nicht beruhend auff Empirie, wie auch) - aber das ist dir dann bestimmt wieder nicht empirisch genug, weil du anscheinend nur rein aus der Naturwissenschaftlichen Linie denken kannst.


    Es geht mir auch nicht darum, dass ich jetzt irgendwie beleidigt bin, dass du Sprachen als intellektuell weniger anspruchsvoll betrachtest. Mein Problem ist viel eher, dass du von etwas redest, wovon du keine Ahnung hast.
    Ich maße mir auch kein Urteil über das Mathestudium an, ich hab da keine Ahnung von - genauso wenig wie von dutzenden Ausbildungsberufen, Aquaristik oder sonstwas. Und auch nicht wirklich von Fußball, aber der Vergleich hinkt meiner Meinung nach eh (bezugnehmend auf den Grundschulthread). Nur, weil man meint, Ahnung zu haben, heißt das noch lange nicht, dass man etwas wirklich beurteilen kann.
    Wie jeder, der ein wissenschaftliches Studium durchläuft, meiner Meinung nach eigentlich wissen sollte - es gibt immer mehr Seiten einer Sache als ich auf Anhieb sehen kann...

    "Et steht übrijens alles im Buch, wat ich saje. ... Nur nit so schön." - Feuerzangenbowle

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