Eigenständigkeit und individuelle Förderung

  • Im Thread über die Matheklausur in Köln wird ja viel über Eigenverantwortung der Studierenden gesprochen.


    Provokant gefragt: Könnte es sein, dass individuelle Förderung der Entwicklung einer Selbstverantwortung für das eigene Tun widerspricht?


    Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich meine damit nicht mal im Ansatz, dass Schule hauptsächlich als Selektionsinstrument verstanden werden sollte. Und ich weiß auch, dass individuelle Förderung nicht bedeuten soll(te), es allen so bequem wie möglich einzurichten. Wenn die Schüler aber, wie es so schön griffig heißt, da abgeholt werden, wo sie stehen, liegt es dann nicht nahe, dass sie selber, um das mal metaphorisch auszudrücken, nicht mehr gehen, sondern getragen werden wollen?


    Ich bin persönlich FÜR die Förderung, sehe aber die Gefahr, dass daraus eine Anspruchshaltung erwächst, die Förderung so missversteht, dass die Schule/Uni die Institution ist, die letztlich alleine für den Erfolg der Lerneneden verantwortlich ist. Wenn bei einem Recht auf individuelle Förderung gleichzeitig einheitliche Anforderungen am Ende z.B. der SII gestellt werden, muss Förderung ja bedeuten, dass jedem der Weg aufgezeigt wird, wie er zu diesem Ziel kommen kann. Logisch, ist keine neue Erkenntnis Aber er muss eben selber gehen.


    Zugespitzt: Tut man den älteren Schülern im Hinblick auf Studierfähigkeit wirklich einen Gefallen, wenn man sich zu viel um sie kümmert?


    Den Einwand, dass die wenigsten Leute auf die Idee kommen, die Fächer zu studieren, in der sie in der Schule am meisten Förderbedarf haben, nehme ich mal vorweg...


    • Offizieller Beitrag

    Zugespitzt: Tut man den älteren Schülern im Hinblick auf Studierfähigkeit wirklich einen Gefallen, wenn man sich zu viel um sie kümmert?



    Ich habe mal eine Fortbildung besucht mit dem Titel:
    "Was ein Schüler lernt, ist seine Sache".
    Tenor des Ganzen in Kürze:(auf die SekI bezogen)
    wir als Lehrer haben die Aufgabe, den Unterricht so zu gestalten, dass verschiedene Lerntypen der Schüler berücksichtigt werden. Methodenwechsel, Arbeitswechsel, Vielfalt im didaktischen Zugriff, genügend Übungsphasen.
    Was ein Schüler dann daraus macht, liegt nicht mehr in unserer, sondern in seiner Verantwortung.


    War hochinteressant!
    Und sorgte für viel Verwirrung bei den Kollegen: wir sind alle so sehr von der Machbarkeit für alle überzeugt:
    jeder wird alles können, wenn er/sie den Stoff nur individuell genug präsentiert und im Notfall entsprechende Förderung bekommt.
    Dass aber der Lernerfolg auch recht stark von dem abhängt, was ein Schüler daheim und in der Klasse an Einsatz zu bringen bereit und in der Lage ist, wird oft übersehen. Genau DA liegt seine Eigenverantwortung. Auch darin, mal nachzufragen. Sich Informationen zu holen, z.B, nach Krankheit. Versäumtes aufzuarbeiten, wozu ich ihm als Lehrer konkrete Tipps geben kann. Erledigen kann ich es nicht für ihn/sie.

  • Individuelle Förderung schließt ja nicht aus, dass der Schüler eigenverantwortlich lernen muss. Das Lernen kann ich dem Schüler nicht abnehmen. Was ich ihm aber zeigen muss, sind Strategien. Viele Schüler wissen gar nicht mehr, wie man richtig lernt. Dann muss ich das mit den Schülern besprechen. Je nach Alter und Vorwissen kann ich dann einige oder auch nur einen Lernweg eröffnen. Und wenn ich das getan habe, kann ich auch einfordern, dass der Schüler zumindest versucht damit umzugehen.

    • Offizieller Beitrag

    richtig, Cambria.
    Es ist auch ganz bestimmt nicht so, dass die Schüler nicht lernen zu lernen.
    Lern- und Methodentechniken wurden an den weiterführenden Schulen, in die ich ein bisschen Einblick bekommen konnte, immer wieder gelehrt. Jahrgangsweise abgestuft.

  • Eine interessante und wichtige Fragestellung!


    Ich möchte Brick in the wall und Friesin zustimmen. Auch Cambria hat recht mit der Feststellung, dass sich individuelle Förderung und Eigenverantwortlichkeit nicht ausschließen müssen.
    Dennoch stelle auch ich immer wieder fest, dass es zumindest einen Trend in Richtung geringere Selbstverantwortung vs. ind. Fördrung zu geben scheint.
    Das äußert sich bei uns so, dass insbesondere Klassen, welche besonders ind. gefördert werden, durch eine vergleichsweise große Unselbstständigkeit auffallen. Da ich allerdings immer auch sehr großen Wert auf Eigenständigkeit lege, stört mich dieses um so mehr. Ganz böse wird es, wenn ich diesen Klassen/Kursen dann noch eigenständige Leistungen (außerhalb von Leistungsüberprüfungen) abverlange. Man merkt: Das sind sie schlichtweg nicht gewöhnt.
    Nochmal: Ind. Förderung und Eigenverantwortung schließen sich nicht aus. Dennoch habe ich den Eindruck, dass sich manche KuKs zu Gunsten der ind. Förderung da - durchaus wohlwollend und wohlmeinend - verhauen.

    Die Wahrheit liegt im Blickwinkel des Betrachters.

  • Ich kann da Cambria nur zustimmen. Man kann den Schüler Möglichkeiten eröffnen, wie sie ein Problem angehen sollen. Wie sie dieses aber in Angriff nehmen und ob sie dafür überhaupt die Motivation aufbringen liegt letztlich doch allein bei ihnen.

  • Diese Aussage eines Studierenden stimmt mich nachdenklich:


    "Es ist nicht so, dass wir da abgeholt wurden, wo wir standen, sondern irgendwo in der höheren Mathematik angesetzt wurde, wo einfach die Basis bei uns fehlte, überhaupt etwas zu verstehen."
    Quelle: Deutschlandfunk: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/campus/1709002/


    Und mag wohl zeigen, dass an der Basisfragestellung dieses Threads durchaus etwas dran ist.
    Ich meine, wenn das ständige "Abgeholtwerden, wo man steht" so in Fleisch und Blut übergeht, dass dieses von erwachsenen Studierenden als "echtes" Argument deklariert wird, ist das sicherlich problematisch und ein deutliches Indiz dafür, dass im Bereich Selbstständigkeit und Eigenverantwortung noch hoher Entwicklungsbedarf besteht.

    Die Wahrheit liegt im Blickwinkel des Betrachters.

  • Ich meine, wenn das ständige "Abgeholtwerden, wo man steht" so in Fleisch und Blut übergeht, dass dieses von erwachsenen Studierenden als "echtes" Argument deklariert wird, ist das sicherlich problematisch und ein deutliches Indiz dafür, dass im Bereich Selbstständigkeit und Eigenverantwortung noch hoher Entwicklungsbedarf besteht.


    Ist es nicht eher ein Paradigmenwechsel? Das Vorerfahrungen fehlen und man dadurch den Stoff in der Uni nicht versteht, das gab es schon immer, "früher" haben diese Studenten das Studium einfach abgebrochen oder gewechselt.
    Ich erinnere mich an sehr hohe Abbruchzahlen im Mathematikstudium meines Jahrgangs. Wird hier nicht nur einfach etwas gefordert, was für eine Gesellschaft selbstverständlich sein sollte? Wenn wir halt durch die Länderhoheit im Bildungswesen unterschiedliche Lernvoraussetzungen haben, müssen die Studenten auch durch entsprechende Vorkurse auf einen Nenner gebracht werden, also da abholt werden, wo sie stehen. Wenn man nicht weiss, was einem fehlt und einem das keiner sagt, ist der Verweis auf Eigenverantwortung und Selbstständigkeit nur hohles Gerede und eine Ausrede für Bequemes und faules nichts tun von seiten des Pädagogischen Auftrags den Uni und Schule haben.
    Abgeholtwerden bedeutet übrgends nicht, das man sich nicht selbst bewegen muss, aber den Startpunkt und das Ziell sollte man wohl doch mitgeteilt bekommen. Und schulische und hochschulische Pädagogik hat meiner Meinung nach genau diese Aufgabe: Wie sind die Startvoraussetzungen, wo ist das Ziel, wie kommt der Schüler selbstständig da hin. Gehen oder Laufen muss der Student oder Schüler dann natürlich selber.

  • Wenn man nicht weiss, was einem fehlt und einem das keiner sagt, ist der Verweis auf Eigenverantwortung und Selbstständigkeit nur hohles Gerede und eine Ausrede für Bequemes und faules nichts tun von seiten des Pädagogischen Auftrags den Uni und Schule haben.


    raindrop: Du kennst die Stellungnahmeder Uni?

    Die Wahrheit liegt im Blickwinkel des Betrachters.

  • raindrop: Du kennst die Stellungnahmeder Uni?


    Ja, die habe ich gelesen, kann ihr aber auch nicht hundertprozentig glauben. Es wird wie immer im Leben, an beiden Seiten gelegen haben, dass es nicht
    funktioniert hat. Was mich aber stutzig werden lassen hat, war der Bericht einiger anderer in diesem Forum, die in Köln studiert haben und ähnliches
    berichtet haben. Das klingt mir nicht nach einer engagierten Lehramtsfakultät. Und warum sucht man erst jetzt nach einem erfahrenen Didaktiker, wie es
    in der Stellungnahme steht?

  • Was mich aber stutzig werden lassen hat, war der Bericht einiger anderer in diesem Forum, die in Köln studiert haben und ähnliches


    berichtet haben.

    Du meinst die Beiträge in denen geschrieben wurde, dass Leute, die es in Köln nicht geschafft haben woanders erfolgreich waren?


    Das klingt mir nicht nach einer engagierten Lehramtsfakultät.

    Oder es klingt nach einer Uni, an der man sich (noch) gegen eine Absenkung des Niveaus wehrt.


    Ist doch mit den Schulen genauso. Bei uns haben Mathenullen weggewechselt um an einer Gesamtschule auf einmal eine zwei zu bekommen. Unterschiedlich engagierte Schulen oder unterschiedliches Niveau?

  • Ist doch mit den Schulen genauso. Bei uns haben Mathenullen weggewechselt um an einer Gesamtschule auf einmal eine zwei zu bekommen. Unterschiedlich engagierte Schulen oder unterschiedliches Niveau?

    Das kann an vielem liegen. Aber das wussten Sie schon.


    L. A

  • Oder es klingt nach einer Uni, an der man sich (noch) gegen eine Absenkung des Niveaus wehrt.


    Möglich, in diesem Fall aber sehr unwahrscheinlich. Ich kenne die Lehrrealität von einigen Universitäten durch Kontakte zu den Professoren aus meiner eigenen Forschungszeit an der Uni.
    Absenkung des Niveaus ist dort weniger das Problem, eher die falsche Themenschwerpunktsetzung der Dozenten.


    Ist doch mit den Schulen genauso. Bei uns haben Mathenullen weggewechselt um an einer Gesamtschule auf einmal eine zwei zu bekommen. Unterschiedlich engagierte Schulen oder unterschiedliches Niveau?


    Und du behauptest ernsthaft, dass die Studenten, weil sie aus Köln weggegangen sind, schlechte Lehrer geworden sind? Weil Köln nach deinen Erfahrungen die Super Grundschulmathematiker ausbildet? Nach meinem Wissen, sind in Köln nicht gerade die renommiertesten Mathe-Grundschul-Didaktiker. Die sitzen oder saßen in Dortmund oder Bielefeld. Da hört man aber nichts von solch hohen Durchfallquoten. Ein Wechsel kann auch bedeuten, dass man von schlechten Hochschuldozenten zu guten Dozenten wechselt (Womit ich aber um Himmelswillen nicht sagen will, dass auf der Gesamtschule die besseren Lehrer sind - Der Vergleich stinkt halt in diesem Fall).

  • Möglich, in diesem Fall aber sehr unwahrscheinlich.

    Wenn man die Stellungnahme liest, dann fällt im Gegenteil ein extrem hohes Engagement auf.

    Das klingt mir nicht nach einer engagierten Lehramtsfakultät.

    Die Dozentin hat sogar Freizeit geopfert, unzählige E-Mails beantwortet und und und.


    Und du behauptest ernsthaft, dass die Studenten, weil sie aus Köln weggegangen sind, schlechte Lehrer geworden sind?

    Äh nein, wo habe ich das geschrieben? Ob man guter oder schlechter Lehrer wird hat wenig damit zutun ob man an einer Uni mit hohem Niveau in den mathematischen Veranstaltungen landet oder nicht.
    Es ging nicht um die Fähigkeit als Lehrer sondern um den mathematischen Anspruch der Veranstaltung.

  • Wenn man die Stellungnahme liest, dann fällt im Gegenteil ein extrem hohes Engagement auf.

    Nunja. Wie ich bereits an anderer Stelle schrieb, halte ich die Stellungnahme insgesamt für schlüssig. Ich erwarte aber auch nicht ernsthaft, dass eine Uni/ein Fachbereich/eine Fakultät gegebenenfalls veröffentlichen würde, dass sie eine Bande von A***hkrampen ist, die sich einen Sch**ß um die Studierenden kümmern und es also normal sei, dass man da verk***t.


    L. A

  • Aus der Stellungnahme der Uni:


    "Es wenden sich auch vermehrt Eltern mit Sorgen und Fragen bezüglich des Studiums ihrer volljährigen Kinder an uns. Ein Elternpaar schrieb sogar einen langen Beschwerdebrief ans Wissenschaftsministerium."


    Ohje... Ich befürchte, dass es nun auch bald an den Unis zu emotionalen Elternabenden kommen wird......


    Zitat von Silicium:


    "Oder es klingt nach einer Uni, an der man sich (noch) gegen eine Absenkung des Niveaus wehrt."


    Und. Was ist schlimm daran? Nachdem an unseren Gymnasien das Niveau schon in den Keller ist, scheint es dort wenigstens noch eine Bastion zu geben.


    Nach weiterer Lektüre des Statements der Uni muss ich sagen, es ist traurig, wie weit es inzwischen gekommen ist. Eine Universität muss sich m.E. nicht in solch einer Form rechtfertigen. Was blüht uns als Lehrer dann demnächst? Mehrseitige, öffentlich in den lokalen Medien oder dem Marktplatz vorgetragene Rechtfertigungen, wenn der Vokabelest nicht gut ausfällt? Kinderkacke!


    Grüße
    Raket-O-Katz

  • Und. Was ist schlimm daran? Nachdem an unseren Gymnasien das Niveau schon in den Keller ist, scheint es dort wenigstens noch eine Bastion zu geben.

    Ich finde es gut, wenn eine Uni das Niveau hoch hält, auch, wenn dann 94% durchfallen. Das ist doch ein Hinweis für die Gymnasien, dass dort wieder mehr Leisung verlangt werden muss! Irgendwo stand auch, ich glaube es war in dem link zu dem Blog der die Eltern der Studenten kritisierte, dass früher ein Teil des Inhalts der Klausur an der Uni bereits in der SChule vermittelt wurde, aber heute eben nicht mehr.
    Bin völlig auf Seiten der Uni, die Klausur ist easy (mal ehrlich!) und wenn nur die Hälfte des Engagements der Dozentin aus der Stellungnahme stimmt, dann hat diese sich doch wirklich eingesetzt!

  • :)


    Da verstehen wir uns.


    An meiner Uni fielen regelmäßig 70% durch die Klausur zur Einführung in die Sprachwissenschaft. Ja und? Da gab es kein Aufhebens drum. Gleichermaßen fielen und fallen sehr viele Studenten durch die Latein-Prüfungen an den Unis.


    Ich habe den Eindruck, dass langfristig das Niveau generell sinken wird und befürchte schon in nicht allzu ferner Zukunft Multiple-Choice Aufgaben im Abitur. Wäre dann wengistens mit einer Schablone schnell zu korrigieren. *g* Hauptsache, die SuS können sich in Expertengruppen mit bunten Pappen bespaßen. Ist doch auch was wert, oder?


    Grüße
    Raket-O-Katz

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