Provokante Thesen eines Berliner Schulleiters

  • Jens Großpietsch, Schulleiter an der Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule in einem der Problembezirke Berlins, wird von der Berliner Zeitung interviewt. Hierbei musste ich an die Diskussion an anderer Stelle denken:


    Frage: Zur Zeit kommen sehr viele junge Lehrer an die Schule, die nicht mehr wie Sie verbeamtet werden, sondern als Angestellte arbeiten. Wie nehmen Sie diese neue Generation wahr?


    Großpietsch: Mitunter habe ich den Eindruck, dass es heute in erster Linie gute und schlechte Lehrer gibt, aber kein solides Mittelfeld mehr. Ich bin immer fassungslos, wenn ich die Bewerber bei den zentralen Lehrercastings erlebe.


    oder


    Frage: Können Sie aber erstmal drei Beispiele aus den tausend Verordnungen nennen?


    Großpietsch: Alle naselang wird der Rahmenplan geändert, in dem steht, was den Schülern beigebracht werden soll. Zum Beispiel in Mathe. Aber es gibt nicht einmal einen Mindeststandard. Also was jeder, der die Schule verlässt, können soll. Von Umgangsformen und Pünktlichkeit mal abgesehen wären das Grundwortschatz, Grundrechenarten und Basiswissen in Geschichte. Das gibt es in Berlin überhaupt nicht.


    Das vollständige Interview gibt es hier:
    http://www.berliner-zeitung.de…rs,20812554,24399540.html

  • Schon wieder jemand, der findet, dass die Lehrer an allem Schuld sind. Mal was ganz Neues...

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Schon wieder jemand, der findet, dass die Lehrer an allem Schuld sind. Mal was ganz Neues...


    vs.

    Zitat

    Großpietsch: Alle naselang wird der Rahmenplan geändert, in dem steht, was den Schülern beigebracht werden soll. Zum Beispiel in Mathe. Aber es gibt nicht einmal einen Mindeststandard. Also was jeder, der die Schule verlässt, können soll. Von Umgangsformen und Pünktlichkeit mal abgesehen wären das Grundwortschatz, Grundrechenarten und Basiswissen in Geschichte. Das gibt es in Berlin überhaupt nicht.


    kl. gr. frosch

    • Offizieller Beitrag

    Ich habe das Interview noch nicht gelesen (mache ich später vielleicht noch), aber alleine die im Ausgangsbeitrag zitierte Antwort bedeutet, dass die Lehrer in Großpietsch Augen NICHT an allem Schuld sind. Insofern passt Sofies Aussage also nicht, egal was er sonst noch so sagt.


    kl. gr. frosch


    Nachtrag: schönes Interview.

  • Zitat

    Ich habe das Interview noch nicht gelesen


    Das meinte ich nicht. Ich meinte: Lesen ist eben doof. Da wird aus einem Text, in dem es (auch) um problematisches Personal geht, eben rasch die generelle Schuld der Lehrer an allem.

  • Naja, wer behauptet, dass mindestens 50 % aller Lehrer falsch im Job sind, gibt den Lehrern schon recht viel Schuld.
    Auch ansonsten kann ich an dem Interview nichts finden, was nicht schon 1000 Mal vorher gesagt wurde (das ist jetzt eine rhetorische Übertreibung).

  • Von den jungen Lehrern gäbe es nur noch gute und schlechte Lehrer, sagt er, und kaum noch ein Mittelmaß. Dann sagt er:

    Zitat

    Der gute Kandidat sagt, ich habe in meinem Studium mit den und den Kindern gearbeitet, ich möchte pädagogisch das und das, ich würde gerne an eine Schule, die so und so aussieht und folgende Schulen habe ich mir angeguckt. Von achtzig sind das aber einer oder zwei.


    In anderen Worten, 98,4% der neuen Lehrer, die sich bei ihm bewerben, sind für den guten Mann schlechte Lehrer...
    Naja, als 68er wusste er, wie die Welt gerettet werden kann, jetzt anscheinend wieder.
    Nele

  • ehrlich, beim durchlesen der Selbstdarstellung der Schule habe ich nicht den Eindruck von Kuschelpädagogik:


    http://www.hvstephan-gemsch.de/medien/links/sz12-2004/


    "[...] keine Handys, keine Kaugummis, keine Mützen im Unterricht. Immer zwei
    Lehrer in der Klasse. Immer schön „bitte“ und „danke“ sagen. Jede
    Woche ein Gedicht auswendig lernen. Jede Woche ein Elternblatt mit
    Beurteilungen nach Hause bringen und unterschreiben lassen. Immerzu
    Tests und Kontrollen, Leistungskontrollen, Materialkontrollen,
    Taschenkontrollen."


    der reformpädagogische Ansatz scheint sich auf die Unterrichtsgestaltung und Feedbackkultur zu beziehen. Auf die Einhaltung von Regeln wird dagegen sehr geachtet. Eine Besetzung mit 2 Lehrern ist aber erstaunlich - geht das ohne zusätzliche Mittel? Oder sind gibt es verdoppelte Klassenfrequenzen?



    Ansonsten: ja; am liebsten möchte jeder "Chef" hören, dass man nur zu seiner Firma möchte und sich diese speziell aussucht. In der Realität bewerben sich alle Leute (Lehrer/Ingeneure etc.) breit und nicht nur auf ein Hand voll Stellen - was ja auch völlig Sinn macht. Solange es nicht um Waldorfschulen geht sind die Qualifizierungsanforderungen bei dem selben Schultyp ja auch innerhalb einer Varianz mehr oder minder gleich - und das Qualifikationsangebot durch die einheitliche Lehrerausbildung auch im großen und ganzen gleich(? - bitte hier korrigieren; bin angehender Quereinsteiger an einer Berufsschule).

  • "Der gute Kandidat sagt, ich habe in meinem Studium mit den und den Kindern gearbeitet, ich möchte pädagogisch das und das, ich würde gerne an eine Schule, die so und so aussieht und folgende Schulen habe ich mir angeguckt. Von achtzig sind das aber einer oder zwei."


    Das könnte aber auch als träumerisch und unrealistisch eingestuft werden. Man muss die Schulen und die Kinder so nehmen wie sie sind und nicht wie man sie sich wünschen würde.


    Als er schrieb, dass er manche Lehrer gerne loswerden würde.. was ist mit der Entwicklung der Lehrerpersönlichkeit? Lehrerfahrung etc. Jeder Mensch braucht die Möglichkeit sich zu bessern und aus Fehlern zu lernen, gibt er diese Möglichkeit? und wie bestimmt er, ob ein Lehrer guten Unterricht macht? Da setzt er seinen subjektiven Maßstab an.

  • Als er schrieb, dass er manche Lehrer gerne loswerden würde.. was ist mit der Entwicklung der Lehrerpersönlichkeit? Lehrerfahrung etc. Jeder Mensch braucht die Möglichkeit sich zu bessern und aus Fehlern zu lernen, gibt er diese Möglichkeit? und wie bestimmt er, ob ein Lehrer guten Unterricht macht? Da setzt er seinen subjektiven Maßstab an.


    Wieso müssen wir so tun, als seien alle Lehrer gute Lehrer? Oder würden sich zu solchen entwickeln? Bei manchen Lehrern ist das einfach aussichtslos und die wird man nicht los. Der Begriff "Wanderpokal" kommt ja nicht von ungefähr.


    Und warum sollten alle Bewerber geeignete Bewerber sein? Das ist nirgendwo so, warum sollte das bei den Lehrern anders sein?


    Es ist schon wahr: Wer Musik studieren will oder Kunst oder Pilot werden will, der muss vorher viele Tests machen. Lehrer können einfach losstudieren und manche jammern noch, dass sie danach nicht automatisch in den Schuldienst übernommen werden.


    Ich fand das Interview ganz interessant.

  • Zitat Asfaloth :

    Zitat

    Als er schrieb, dass er manche Lehrer gerne loswerden würde.. was ist mit der Entwicklung der Lehrerpersönlichkeit? Lehrerfahrung etc. Jeder Mensch braucht die Möglichkeit sich zu bessern und aus Fehlern zu lernen, gibt er diese Möglichkeit? und wie bestimmt er, ob ein Lehrer guten Unterricht macht? Da setzt er seinen subjektiven Maßstab an.

    Und setzt dazu noch seine ideologische Alt-68er-Brille auf !


    Mich stört es in seinen Äußerungen, dass, wenn der Unterricht bei manchen Klassen nicht gelingt, seine Schuldzuweisung ziemlich schnell in Richtung Lehrer erfolgt (Ja, es ist so, geehrter kleiner gruener frosch !). Kritische Betrachtung der elterlichen (Nicht-) Erfüllung der Erziehungspflichten ? Der Gedanke, dass sich daraus problematische Zusammensetzungen der Klassen aus besonders schwierigen und völlig bildungs- und leistungsverweigernden Schülern resultieren könnte, das kein Lehrer zu verantworten hat, geschweige denn dort Boden unter den Füßen gewinnen kann ? Fehlanzeige ! Aber das ist ja die typische 68er-Denke, dass, wenn es beim Individuum schief läuft, immer die etablierte gutbürgerliche Gesellschaft und ihre Institutionen, hier Lehrer, daran Schuld sein müssen.


    Besonders putzig finde ich den Schlenker, dass auch bei arabischen Eltern, so habe ich jedenfalls seine Anmerkung verstanden, das Interesse an reformpädagogischen Angeboten zugenommen habe.


    Eine Frage an Euch : Nehmt Ihr das auch so wahr ?


    An meiner Realschule sind weder die gutbürgerlichen deutschen, russlanddeutschen, noch die (bei uns wenigen) türkischen Eltern an besonderen pädagogischen Ansätzen/Angeboten interessiert. Ich behaupte mal, noch nicht einmal an Unterrichtsinhalten, sondern lediglich an den Zensuren, die auf den Zeugnissen stehen.


    Alles in allem halte ich die Thesen des o.g. Schulleiters für nicht diskutabel. 8_o_)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

  • Locker bleiben. Man muss die Logik dieses Schulleiters nur konsequent zu Ende denken:


    Klappt´s mit den Schülern nicht, ist der Lehrer Schuld.


    Klappt´s mit den Lehrern nicht, ist der Schulleiter Schuld.


    Der Schulleiter kann seine "Underperfomer" nicht rauswerfen? Na und? Das kann der Lehrer bei seinen Schülern auch nicht. Also was jammert dieser SL eigentlich herum?


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Ich erlaube mir mal, die provokante These in den Ring zu werfen, dass der durchschnittliche Lehrer ebenso wie der durchschnittliche Schüler durchschnittlich gut ist. Und ja, beide kann man nicht loswerden. Also Schluss mit dem Gejammer und anfangen zu arbeiten!


    Nele

  • Piksieben: es hängt nicht ALLES am Lehrer. Man muss die SuS genauso in Betracht ziehen und es scheint nicht so als würde er das tun, sondern gleich dem Lehrer die Schuld zuweisen. Inzwischen gibt es Tests für angehende LA-Studenten in einigen Bundesländern. Und man selbst entwickelt sich und ist mit 19 nicht auf der gleichen Entwicklungsstufe wie mit 30 Jahren. Ein Pilot operiert immer mit Maschinen, die das tun was er ihnen an Kommandos aufgibt. Als Lehrer müssen wir uns mit Menschen auseinandersetzen, das is ja eine völlig andere Ausgangslage!


    EDIT: Rechtschreibung

  • Zitat Mikael :

    Zitat

    Locker bleiben.

    Fällt mir immer schwerer, je öfter ich über diesen Zeitungsartikel nachdenke, geehrter Mikael !


    Wie sieht es eigentlich mit der Fürsorgepflicht und Kollegialität des o.g. Schulleiters gegenüber seinen Lehrern aus ? Fakt ist zumindest, dass er die Hälfte seines Kollegiums in der Presse und damit in der Öffentlichkeit ganz schön angeschwärzt und sie im Ansehen geschädigt hat. Welch ein innerer Reichsparteitag für das gemeine Volk und für die Politiker, die es schon immer gewusst haben, dass die Lehrer, zumindest die Hälfte, wie man jetzt erfahren hat, unfähige, "faule Säcke" sind und es in ihrem Beruf sowieso nicht bringen und denen man ganz schön auf die Finger hauen muss.


    Ungeachtet, ob der o.g. Schulleiter, von der Sache her ein wenig Recht haben könnte (Natürlich gibt es auch in der Lehrerschaft Vollpfosten!), frage ich mich, in welchen anderen Berufsgruppen, die Mitarbeiter in der Presse von ihren Vorgesetzten derart vorgeführt werden.


    Hat z.B. schon mal ein Polizeipräsident in der Öffentlichkeit seine Polizisten derart vorgeführt ? Würde ein Chefarzt in der Öffentlichkeit seine Chirurgen, die bei Operationen schon mal gepatzt haben, anprangern ? Würde der VW-Vorstand in der Presse seine Entwicklungsingenieure diskreditieren, wenn sie z.B. beim neuen Golf irgendwo einen Konstruktionsfehler verursacht haben ? Bezeichnet die Deutsche Bahn AG in der Zeitung ihre Lokführer als unfähig, wenn die Fahrpläne nicht eingehalten wurden ? Würde die Heimleitung eines Seniorenheimes ihre Altenpfleger, auch wenn es einige unfähige und nachlässige Kandidaten unter ihnen gibt, in der Zeitung bloßstellen ?


    Ich denke, dass man berechtigte Defizite in den o.g. Bereichen intern aufarbeitet, und nur dort. Nur die Lehrer sind mal wieder Freiwild und dürfen (?) in der Presse von ihren Vorgesetzten, zuständige Politiker haben das schon oft gemacht, so richtig abgewatscht werden.


    Mal ne dumme Frage : Dürfte ein Kollegium so über seinen Schulleiter in der Zeitung schreiben, wie der o.g. der Schulleiter über sein Kollegium es getan hat ? 8_o_)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

    Einmal editiert, zuletzt von Elternschreck ()

  • man sollte das ganze differenzierter sehen:


    Man muss dem Mann zu gute halten, dass er seine Augen nicht vor den realen Problemen verschließt; als er an diese Schule kam, war dort offenbar Chaos und das Kollegium hat es im Laufe der Zeit geschafft die Schule (ohne das diese einen besonderen Projektcharakter hatte) zu einer Vorzeigeschule zu machen. Im Vergleich zu Schulen mit einer vergleichbaren Schülerschaft - ehemalige Haupt-/Realschule im Berliner Brennpunktviertel - gibt es ein offenbar außerordentliches gutes Sozialverhalten und Lernmotivation. Das wurde auch nicht durch Händchenhalten und Kopfstreicheln erreicht, sondern die Etablierung klarer Regeln auch in Bezug auf die Eltern - ein Vorgehen das ja so gar nicht in das reformpädagogische Klischee passt. Es geht ihm um "Achtung" und nicht "Liebe/Nähe" zum Schüler. Auf der Internetseite der Schule liest man auch über die Feedbackkultur, d.h. es gibt regelmäßige schulintern standardisierte Tests und man misst den Lernfortschritt der Schüler - die Noten sind dabei egal; es zählt der Fortschritt. Lehrkonzepte und Stunden werden gemeinsam erarbeitet - es kommt also v.a. auf Kooperationsbereitschaft an. Das ist kein Allheilmittel für absolut Lernresistente Schüler und es gibt sicher auch mal "gute" und "schlechte" Jahrgänge - der Ansatz die Lehre zu evaluieren und anzupassen erscheint aber zunächst nicht falsch.



    Die Konsequenzen die er daraus zieht sind aber klar realitätsfern. Eine evaluationsbasierte Kultur des Hire-and-Fire wie bei Top-Managementberatungen a'la McKinsey oder im Investmentbanking anzuregen ist Blödsinn. In normalen Betrieben (Siemens, Daimler, BASF etc.) gibt es das auch nicht, dort spielt die Evaluation v.a. eine Rolle für Beförderungen und mitunter für Boni für "Außendienstler" - einfach Entlassen von "Minderleistern" lässt das Arbeitsrecht nicht zu, höchsten bei absoluter Arbeitsverweigerung, Korruption etc. (in Berlin werden die Junglehrer übrigens nicht mehr verbeamtet, das mag bei seinen Gedanken eine Rolle spielen). Zumal ganz praktisch - aus Sicht der Schulen - in einer Reihe von Fächern (MINT, einige Sprachen, Musik/Kunst/Reli) einfach kein entsprechender Pool von unterbeschäftigten Lehrern oder auch nur Quereinsteigern existiert die man einfach als Ersatz einstellen könnte.


    So läuft seine Arbeitsethik mehr darauf hinaus, dass sich die Arbeitsbedingungen für Lehrer deutlich verschlechtern sollen (keine Verbeamtung, hire-and-fire etc.) ohne dass diese im Gegenzug an anderer Stelle besser gestellt werden. Und bei Eltern die Lehrer in einer solchen Kultur als private Dienstleister erleben, dürfte der Respekt vor diesen auch nicht ansteign.

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