Probleme mit "Nicht-Inklusionskindern"

  • Wie bereits in einem anderen Thema erwähnt, sind wir nicht gerade glücklich mit unseren neuen Oberschulklassen.
    Was dabei immer wieder auffällt ist, dass wir eine ganze Reihe verhaltenskreativer oder auch lernschwacher Kinder haben, bei denen nichts diagnostiziert ist. Anders gesagt, die klassen werden immer schwieriger, obwohl es gar keine I-Klassen sind, weil kein einziges Kind als I-Kind geführt wird, obwohl es einige denke ich nötig hätten.Das führt dazu, dass es keine Unterstützung von Förderlehrern gibt und eine Flut an Extraarbeit auf einen zukommt. Und nicht zuletzt ist es auch problematisch für das eine oder andere Kind, dass ohne einen I-Status ja nicht zieldifferent unterrichtet werden darf und wir Lehrer versuchen, mit verschiedenen Nachteilsausgleichen das Schlimmste zu verhindern.


    EIn kurzes Beispiel: In einer der 6. Klassen ist ein Schüler, der so langsam ist, dass er ca. 4 Wörter pro Stunde schreibt. Nicht weil er keine Lust hat, er ist bei allem so langsam. Er bewegt sich in Zeitlupe, spricht in Zeitlupe und wird eben nie mit etwas fertig, obwohl er die ganze Zeit etwas tut. (das mit den 4 Wörtern ist nicht überzeichnet!). Wir haben einen Nachteilsausgleich beschlossen, er bekommt für die Klassenarbeiten mehr Zeit, aber auch das nutzt ihm kaum (man kann ja nicht die 3fache Zeit geben). WIr haben ständig das Gefühl, dem Kind nicht gerecht werden zu können unter den Umständen.


    Ich habe das Gefühl, zum Einen verschließen häufig die ELtern die Augen vor der Situation und möchten kein Überprüfungsverfahren haben (aus Angst vor dem Ergebnis?), zum Anderen werden uns auch bürokratische Hürden in den Weg gelegt bei dem Prozedere eine Überprüfung einzuleiten. Bevor auf Föderbedarf geprüft werden kann müssen so viele Dinge gelaufen sein - alles natürlich dokumentiert mit Datum und Unterschrift aller Beteiligten - dass es ganz oft schon daran scheitert, dass man die Eltern bestimmter Kinder gar nicht in die Schule kriegt!


    Noch einmal ganz kätzerisch auf die Gesamtsituation bezogen: Ich habe das Gefühl, zu den Inklusionskindern kommt noch eine viel größere Anzahl Kinder dazu, die die gleichen Bedürfnisse hätten aber keine I-Kinder sind und wohl auch keine sein sollen, denn dann würden die Mittel gar nicht mehr reichen. Und wir zerbrechen uns an der Front den Kopf, wie wir ihnen gerecht werden sollen :-(.


    Macht ihr an euren Schulen solche Erfahrungen auch?

  • wie bereits geschrieben, bei uns gibt es hohe Hürden, was die Einleitung einer Überprüfung betrifft. Es müssen schon diverse Maßnahmen vorher gelaufen sein (dokumentiert und mit Unterschrift aller Beteiligten) und dieses "Vorgeplänkel" ist teilweise ohne Kooperation der Eltern nicht möglich. Also können Eltern doch wieder indirekt (durch Nicht-Zusammenarbeit) eine Überprüfung verhindern.
    Ich weiß nicht, ob der Ablauf dieser Verfahren je nach Bundesland, Schulbezirk oder Landkreis unterschiedlich sind. Bei uns wurde es jedenfalls in der DB so vorgestellt und ganz klar gemacht, dass man es anders gar nicht probieren braucht.


    Vielleicht kommt es ja noch ;-), bisher jedoch Fehlanzeige! :(

  • Ja, kann ich bestätigen. Und die Hürden auch. Es kommen noch die "normalen Auffälligen" dazu.
    Teilweise sind es auch Grenzfälle, so dass keiner Förderung etc. stattgegeben wird.
    Wo das noch hinführen soll, frage wir uns im Kollegium auch.

    Ich bin Grundschullehrer, ich muss nicht die Welt retten!!!

  • kann ich auch so bestätigen.
    Div. Maßnahmen, die dokumentiert werden müssen, fressen auch wahnsinnig viel Zeit.
    Da muss bei uns z.B. die Schulpsychologin einen Unterrichtsbesuch machen.
    Diese ist jedoch für den ganzen Kreis zuständig und kommt deshalb nur zwei Mal pro Schuljahr bei uns vorbei.
    Dann kommen noch die externen Termine (SPZ) dazu, bei denen es lange Wartelisten gibt.
    Wenn dann die Vorarbeit gemacht und die Dokumentation vollständig ist, wird ein Förderausschuss einberufen.
    Meist dauert es dann bis Mitte Klasse 4, bis der Status festgestellt wird.
    Da kommt für uns als Grundschule nicht mehr viel rum.
    Zudem sagt unsere zuständige Dezernentin immer wieder, das Förderausschüsse keine Stunden generieren.
    D.h. wir haben ein festgelegtes Stundenkontingent, das sich dann ohnehin nicht erhöht.
    Das bremst dann den Elan erheblich aus, sich diesen Bürokratismus und Dokumentarismus aufzuhalsen.


    Da beschleicht einen schon das Gefühl, dass das System hat.

  • ZU dem "verhaltenskreativen" und dem sehr langsamen Kind mal eine Frage: Was genau würde es euch bringen, das Kind auf Förderbedarf überprüfen zu lassen? Wenn ich es richtig verstehe, bleiben die Kinder ja dank Inklusion trotzdem in der Klasse. Einen Nachteilsausgleich bzw. Sonderregelungen gibt es schon. An sich scheinen sie ja auch richtig in dem Bildungsgang zu sein, nur eben zu langsam bzw. mit eher ungewöhnlichem Verhalten. Das soll keine Kritik sein, sondern eine Anregung zum Weiterdenken. Welches Ziel verfolgt man mit der Feststellung des Förderbedarfs? Das Kind ist und bleibt schließlich das gleiche.

  • @ ellah: Ich kann deinen Gedankengang schon verstehen. Vielleicht ist es noch eine naive Hoffnung von mir, dass dem Kind, wenn es "I" wäre, anders geholfen werden könnte. Erstens hätte ich die Hoffnung, dass es Förderlehrerstunden bekommt (auch wenn das nur 2,5 sind ;) ) und wir anderen Lehrer auch von der Förderlehrkraft beraten werden könnten. AUßerdem könnte das Kind nach einem anderen Lehrplan (nämlich nach dem Förderschulcurriculum) unterrichtet werden und hätte, davon gehe ich aus, damit erheblich bessere Noten. So wird er, bei allem Verständnis, bei mir eine 5 bekommen, denn in der halben Stunde, die er mehr schreiben darf, schafft er ja nur höchstens 2 weitere Sätze!


    Mir tut das Kind leid, ich muss aber trotzdem zugeben, dass dieses keines ist, dass meinen Seelenfrieden stört, denn es ist ruhig und freundlich und verhindert nicht den Unterricht für die anderen. Solche Kinder haben wir ja auch und auch bei denen stellt sich die Frage, warum das Überprüfen so schwierig ist (und warum es nicht schon passiert ist). Bei den "Störer-Kindern" bei denen dann ja eventuell ein Förderbedarf im bereich sozial-emotionale Entwicklung festgestellt werden würde, stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Überprüfung noch viel mehr, weil diese ja nicht mal Anspruch auf Förder-Stunden haben!!!

  • Ach, ich kann das schon verstehen, dass man Hilfe sucht und alles an Unterstützung mitnehmen will, was irgendwie geht... ich bin halt die von der anderen Seite, die mal einige Stunden da ist, das Gutachten schreibt und dann die armen Kollegen allein mit dem "Problem" lässt, denn das, was dann an UNterstützungsmaßnahmen laufen kann ist ja oftmals viel zu gering und selten eine wirkliche Hilfe. Vielleicht schwingt gerade auch eine gewisse Resignation meinerseits mit, zu sehen, was das aktuelle Schulsystem an Grenzen steckt. Ich sehe viel zu oft Kinder/Lehrer mit ähnlichen Schwierigkeiten, wo aber auch ein Integrationsstatus nur bedingt weiterhilft.
    Noch mal zum "langsamen" Kind: In welchem Bereich soll es denn überprüft werden? Der andere Lehrplan tritt doch nur beim Förderbedarf Lernen zutage - wenn es aber NUR langsam schreibt und kognitiv ansonsten mitkommt, wäre das hinsichtlich Beruf und Zukunft des Kindes ein absolutes Eigentor. Ganz zu schweigen davon, dass die Eltern dem zustimmen müssten. Finden denn irgendwelche Maßnahmen statt, dass sich die Schreibgeschwindigkeit erhöht? Ergotherapie? Kann man nicht schriftl. Arbeiten mit mündlichen ersetzen (zum Teil natürlich nur)? PC einsetzen? Stichpunkte statt Sätzen zulassen, Aufgaben zum Ankreuzen, Markieren lassen o.ä. ?


    Das andere Kind könnte durchaus emot.-sozialen Förderbedarf zuerkannt bekommen, vielleicht ist das bei euch die Grundlage für eine Schulbegleitung? Bei uns sind die allerdings sehr schwer zu bekommen... aber es wäre eine Variante, dass derjenige nicht die alleinige Aufmerksamkeit der Lehrkraft bindet und die andern x Schüler unter den Tisch fallen.

  • Noch mal zum "langsamen" Kind: In welchem Bereich soll es denn überprüft werden? Der andere Lehrplan tritt doch nur beim Förderbedarf Lernen zutage - wenn es aber NUR langsam schreibt und kognitiv ansonsten mitkommt, wäre das hinsichtlich Beruf und Zukunft des Kindes ein absolutes Eigentor.

    So, wie die TE das Kind beschreibt, ist es aber nicht in der Lage, einen Hauptschulabschluss zu machen.


    Ich vermute auch, die Frage bezieht sich nicht auf ein spezielles Kind, sondern darauf, dass man zu offiziellen I-Kindern noch 5 weitere Auffällige da sitzen hat. Und da gehts ums Prinzip: man soll alle möglichen Kinder, die in Förderschulen sitzen müssten, integrieren und dadurch werden die Kinder, die eigentlich I-Kinder sein müssten, zu den "Normalen" gerechnet.


    An meiner Schule sitzen z.B. extrem viele Verhaltensauffällige, weil die Schulleitung (aus Mitleid?) jeden Verhaltenskreativen mit Kusshand nimmt, während die anderen Schulleiter einfach sagen: "wenn wir den Familiennamen hören, machen wir dicht". Kann eigentlich nicht sein, ist aber jedes Jahr von neuem der Fall. Daraus schließe ich, dass es Schulleiter gibt, die wissen, wie man die rechtlichen Möglichkeiten zu seinen Gunsten ausschöpft. Bei euch: eben für alle Kinder die Verfahren durchlaufen, die notwendig sind, auch wenn man sich mit den Eltern anlegen muss.

  • Warum gibt es eigentlich Nachteilsausgleich für Nicht-i-Kinder? Bei uns gibt es nur für "amtlich-attestierte" Kinder, also mit einem Schein durch den Schulpsychologen, offiziell Nachteilsausgleich. Sonst gibt es keinen. Das gilt für das Gymnasium, die Sekundarschule und für die Hauptschule. Nachteilsausgleich zu gewähren, ohne das ein "Attest" vorliegt, ist doch nur "Augen-Zudrückerei".

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