Nachteilsausgleich - Ein Widerspruch zum Schulsystem?

  • Hallo zusammen,


    gleich vorne weg: es geht mir in diesem Thema nicht darum, ob man persönlich Nachteilsausgleich für eine gute oder schlechte Sache hält.
    Es soll darum gehen zu beurteilen, ob oder inwiefern Nachteilsausgleich widersprüchlich zum Schulsystem ist.


    Was mich irritiert:
    Es gibt verschiedene Schularten mit verschiedenen Abschlüssen. Abgesehen von unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten, wie altsprachliches Gymnasium oder berufsbezogenheit, ist es vor allem das "Niveau"/"Schwierigkeit", wie auch immer man das nennen will, das sie unterscheidet. Man spricht von "höheren" oder "niedrigeren" Bildungsabschlüssen. Salopp gesagt: Wer heutzutage kann, der macht Abi, alle anderen eben den ihnen möglichen höchsten Abschluss. Bei manchen "reicht" es dann "nur" zur Hauptschule oder Sonderschule. Soweit zur Bestandsaufnahme.
    Grundsätzlich gibt es an allen Schulen für Lehrer die Möglichkeit, einzelne Schüler individuell zu fördern. Bei manchen Schulen mehr, auch mit Sozialarbeitern, Nachhilfe usw., bei manchen weniger.
    Nun gibt es den sog. "Nachteilsausgleich": die Leistungsmessung für einzelnen Schülern wird abgeändert, nicht nur bei Klassenarbeiten, sondern auch bei Prüfungen (mehr Zeit, andere/mehr Hilfsmittel, textoptimierte Aufgaben usw.).


    Etw. pointiert ausgedrückt: "Für manche ist die Prüfung aus bestimmten Gründen zu schwer, daher machen wir es ihnen ein bisschen leichter!" Ist das die Maxime des Nachteilsausgleichs?



    Aus der B.-W. Verwaltungsvorschrift zum Thema:

    "Die Chancengleichheit ist eine Ausformung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ("Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich"). Dieser Satz verlangt nicht, bei allen Menschen die gleichen Handlungsmuster anzulegen. Der Gleichheitssatz bedeutet vielmehr, dass die Menschen vor dem Gesetz nach den gleichen Maximen zu behandeln sind, dass also Lebenssachverhalte, die von ihrem Wesen her gleich sind, auch rechtlich gleichgestellt werden müssen; der Gleichheitssatz bedeutet aber auch umgekehrt, dass bei Lebenssachverhalten, die von ihrem Wesen her ungleich sind, von Rechts wegen zu differenzieren ist. Insofern kann es auch rechtlich geboten sein, Nachteile von Schülern mit besonderem Förderbedarf oder mit Behinderungen auszugleichen.



    Dieser auf dem Gleichheitssatz beruhende Anspruch zur Differenzierung muss aber - wiederum aus Gründen der Gleichbehandlung aller Schüler - eine Grenze finden: Die Anforderungen in der Sache selbst dürfen nicht eigens für einzelne Schüler herabgesetzt werden. Die Hilfestellungen für den Schüler ebnen ihm also Wege zu dem schulartgemäßen Niveau; dieses Niveau dann zu erreichen, kann aber auch Schülern mit besonderem Förderbedarf oder Behinderungen nicht erlassen werden.
    Der Nachteilsausgleich für Schüler mit besonderem Förderbedarf oder für behinderte Schüler lässt daher das Anforderungsprofil unberührt und bezieht sich auf Hilfen, mit denen die Schüler in die Lage versetzt werden, diesem zu entsprechen. Die Art und Weise solcher Hilfen hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Zum einen können die allgemeinen Rahmenbedingungen auf die besonderen Probleme einzelner Schüler Rücksicht nehmen. Daneben sind auch besondere, nur auf einzelne Schüler bezogene Maßnahmen des Nachteilsausgleichs möglich, insbesondere durch eine Anpassung der Arbeitszeit oder durch die Nutzung von besonderen technischen oder didaktisch- methodischen Hilfen. Auch ist es möglich, die Gewichtung der schriftlichen, mündlichen und praktischen Leistungen im Einzelfall anzupassen; allerdings muss jede dieser Leistungsarten eine hinreichende Gewichtung behalten. Im Rahmen des Nachteilsausgleiches ist es insoweit auch möglich von den äußeren Rahmenbedingungen einer Prüfung abzuweichen." (http://www.landesrecht-bw.de/j…bsbawueprod.psml&max=true)



    Da dreht's mir beim Lesen mind. drei Mal den Kopf um. Mir erscheint das als einziger Widerspruch in sich. Wie seht Ihr das?
    (Es sei nochmal daran erinnert, dass es nicht um die persönliche Meinung geht, sondern um die Beurteilung des Nachteilsausgleich in Bezug auf das Schulsystem)


    Liebe Grüße

  • Etw. pointiert ausgedrückt: "Für manche ist die Prüfung aus bestimmten Gründen zu schwer, daher machen wir es ihnen ein bisschen leichter!" Ist das die Maxime des Nachteilsausgleichs?

    Ansage zu Beginn der schriftlichen Prüfung:
    "Alle setzen jetzt bitte ihre Brillen ab. Diese Art des Nachteilsausgleiches ist ab sofort nicht mehr zulässig."


    Um deine Frage zu beantworten: Nein, es geht nicht darum, die Anforderungen abzusenken / es Schülern inhaltlich leichter zu machen. Es geht darum, Nachteile auszugleichen, damit alle Schüler ähnliche Bedingungen haben, ihr "inhaltliches" Potential zu demonstrieren.


    Ein solcher Nachteil kann z.B. eine körperliche Behinderung sein (Nachteilsausgleich dann eben durch entsprechendes Gerät wie Brille, Hörgerät, Rollstuhl oder auch durch Anpassung der Anforderungen, denn auch im Rollstuhl kann ich sportlich sehr fit sein, nur der Trampolinsprung dürfte schwierig werden; auch als einarmiger Schüler kann ich geometrisch denken, aber das Basteln geometrischer Körper im Matheunterricht ist nicht so einfach... Da gibt es dann eben Aufgaben, die vom Anspruch her vergleichbar, aber mit den körperlichen Einschränkungen machbar sind).


    Ein Nachteil kann z.B. auch eine Wahrnehmungsstörung, Legasthenie o.ä. sein. Kann jemand schlechter physikalische Zusammenhänge durchdringen, nur weil er für das Lesen der Aufgabenstellung mehr Zeit benötigt? Der Nachteilsausgleich kann hier mehr Zeit sein, kann aber auch eine andere Gestaltung ("übersichtlicher") des Arbeitsblattes sein. Ist wieder kein Absenken der Anforderungen, denn das physikalische Wissen steht ja unverändert im Vordergrund...


  • Danke für Deine Antwort, sie regt mich zum Nach- bzw. Überdenken an!


    Diese Beschränkung auf das vermeintlich "inhaltliche" finde ich problematisch bzw. da sehe ich einen Widerspruch zum Schulsystem. Beispiel:
    Ein Schüler spricht einigermaßen gut Englisch, aber kann nicht schreiben - gar nicht. Den könnte ich einfach mündlich prüfen und sagen "er kann die Sprache an sich ja, nur das Schreiben halt nicht, aus den und den Gründen". Oder ich kann sagen "die mündliche Note ist dann gut, aber schriftlich ist's ein Sechser - gleiche Regeln für alle und zum Abschluss gehört eben, dass man nicht nur Reden, sondern auch Schreiben kann".


    Einerseits sollen an der Schule alle nach dem gleichen Maßstab unter gleichen Bedingungen beurteilt werden (Ideal der Gleichheit), andererseits individuelle benotet und geprüft werden (Ideal der ausgeglichenen Ungleichheit)-


    Siehst Du/seht Ihr da gar keinen Widerspruch?

  • Ich hatte während der Abiprüfungen einen Nachteilsausgleich wegen einer Sehnenscheidenentzündung, die mich durch meine Schulzeit begleitet hat. Normalerweise ging's auch ohne (Probleme gab's echt nur in Deutschklausuren), aber während des Abis gab's dann durchgängig die Möglichkeit die Schreibzeit zu verlängern wegen der Mehrbelastung. Wäre doch irgendwie schade, wenn ich das Abitur nicht hätte schreiben dürfen, weil mir mein Arm wehtut, obwohl ich eine gute Schülerin war. Von daher: Sofern es möglich ist, Schülern Chancengleichheit zu gewähren, warum sollte man es nicht tun? Verschwendetes Potential.

  • Chancengleichheit


    Das ist der springende Punkt. Mal wird sie so verstanden, mal so, wie in diesem Cartoon:


    [Blockierte Grafik: http://i2.wp.com/interactioninstitute.org/wp-content/uploads/2016/01/IISC_EqualityEquity.png?zoom=2&resize=730%2C547]



    In diesem Fall scheint mir das Schulsystem im Cartoon links, der Nachteilsausgleich rechts.


    Beispiele wie die Sehnenscheidenentzündung sind natürlich gut nachvollziehbar. Aber wo verläuft die Grenze?
    Wäre es im Sinne des Nachteilsausgleichs, wenn ein Schüler, der ohne Formelsammlung nicht bestehen würde, diese benutzen darf? Warum oder warum nicht?
    Welche Nachteile sollen ausgeglichen werden, und welche nicht? Ist die Faulheit eines Schülers womöglich nur Folge seiner Depression und sollte ausgeglichen werden?


    Was ist die Maxime des Nachteilsausgleichs?

  • Etw. pointiert ausgedrückt: "Für manche ist die Prüfung aus bestimmten Gründen zu schwer, daher machen wir es ihnen ein bisschen leichter!" Ist das die Maxime des Nachteilsausgleichs?

    Immer noch nicht gemerkt? Es geht hier um BildungsPOLITIK.


    Deine "Chancengleichheit" ist immer im Kontext der herrschenden politischen Meinung zu interpretieren. Und aktuell heißt "Chancengleichheit" eben, dass man es einigen etwas leichter macht, weil sie sonst zu wenig "Chancen" hätten...


    Und als Beamter setzt du bitte einfach um, was man dir von oben vorgibt, solange es irgendeine gesetzliche Grundlage hat. Das ist dein Job!


    Gruß !

  • Immer noch nicht gemerkt? Es geht hier um BildungsPOLITIK.
    Deine "Chancengleichheit" ist immer im Kontext der herrschenden politischen Meinung zu interpretieren. Und aktuell heißt "Chancengleichheit" eben, dass man es einigen etwas leichter macht, weil sie sonst zu wenig "Chancen" hätten...


    Und als Beamter setzt du bitte einfach um, was man dir von oben vorgibt, solange es irgendeine gesetzliche Grundlage hat. Das ist dein Job!


    Gruß !


    Siehst Du nun darin einen Widerspruch oder nicht? Du hast ja nun erklärt, woher dieser Widerspruch oder Nicht-Widerspruch herkommt. Aber nicht, ob es für Dich einer ist oder nicht. Dass sich die Vorgaben je nach politischer Wetterlage ändern, ist klar. Genau so, dass ich da als Beamter gehorchen muss. Damit habe ich auch gar kein Problem. Mein Problem ist, dass ich kein richtiges Konzept erkenne (das Thema wird ja auch sehr unterschiedlich gehandhabt von einzelnen Schulen, scheint es mir) und vor allem, dass mir das ganze widersprüchlich erscheint.

  • Mein Problem ist, dass ich kein richtiges Konzept erkenne (das Thema wird ja auch sehr unterschiedlich gehandhabt von einzelnen Schulen, scheint es mir) und vor allem, dass mir das ganze widersprüchlich erscheint.

    Ich bin mittlerweile so lange im Schuldienst, dass ich mir über diese ganze "Konzeptlosigkeit" und diese ganzen systemimmanenten "Widersprüche" keine großen Gedanken mehr mache. Da kannst du sowieso nichts dran ändern, da die Meinung der Lehrkräfte "an der Front" die politische Verantworlichen prinzipiell nicht interessiert. Also bevor ich mich darüber aufrege, verwende ich meine Energien lieber für produktivere Sachen. Ist auch besser für die Gesundheit...


    Gruß !

  • Natürlich muss jeder so gut wie möglich unterstützt werden, seine bestmögliche Leistung usw. blablabla. Ist doch klar. Keine Frage. Und wer klein ist, bekommt zwei Kisten und die Kurzsichtigen ne Brille.


    Ich sehe nur ein einziges Problem: Bei uns (in NRW) darf auf dem Abschlusszeugnis nichts vom Nachteilsausgleich erwähnt werden. Das führt dazu, dass zukünftige Firmen/Arbeitgeber sich auf ein Dokument verlassen, das eine Leistung garantiert, die so nie erbracht wurde. Das Zentralabitur ist dann doch nicht mehr so einheitlich und jeder hat unter etwas (oder völlig) anderen Voraussetzungen seine Prüfung abgelegt. Ich habe hier auch keine Lösung, aber es fehlt doch hier an Transparenz für die Leute, die sich hinterher auf die Angaben im Zeugnis verlassen wollen.


    Das Beispiel von Bear ist leicht dahingesagt und hört sich gut an. Eine Brille ist also ein Nachteilsausgleich und niemand würde auf die Idee kommen, diese Hilfen zu verbieten. Ist ja auch klar.
    Was aber, wenn sich ein stark fehlsichtiger Mensch als Pilot bei der Lufthansa bewirbt und verheimlicht, dass er auf eine Brille angewiesen ist? Was würde der neue Arbeitgeber dazu sagen, wo er doch ein Zeugnis in den Händen hält, das dem Menschen ein super Sehvermögen bescheinigt? Was würden die Passagiere sagen?
    Und wo ist nun (aus Sicht eines Arbeitgebers) der Unterschied zur Versicherung, die jemanden mit guten Mathenoten einstellt und hinterher merkt, dass dieser jemand nur eine Aufgabe pro Textseite erfassen kann, da er sonst Panikattacken bekommt? Ist das für den Arbeitgeber nicht sehr unfair? Er hat sich doch aufs Zeugnis verlassen. Und hilft das dem Bewerber langfristig überhaupt, wenn er von seinem enttäuschten Chef noch in der Probezeit entlassen wird?

  • Ähnliche Gedanken wie Trapito hatte ich auch schon oft. Bei mir hat es sich zwar noch nicht ergeben, dass ich viel mit Schülern zu tun hatte, die einen Nachteilsausgleich benötigten, ich bin auch nicht gegen den Ausgleich.
    Ich habe mich allerdings schon oft gefragt, wie der Übergang in das Berufsleben funktionieren wird. Das Pilotenbeispiel dürfte zwar ziemlich hinken, andere Beispiele ließen sich aber zuhauf finden. Dass "die" Wirtschaft auf dem regulären Arbeitsmarkt keinen Nachteilsausgleich einräimt, kann zwar kein Argument für Schule sein, es ihr gleichzutun, aber das Problem bleibt.


    Mir fällt hier z.B. eine Schüerlin mit selektivem Mutismus ein. Durchweg gute Klausuren, div. Möglichkeiten der sonstigen Mitarbeit genutzt, die abseits vom klassischen Unterrichtsgespräch liegen. Ordentliches Abi gemacht. Wie da irgendwann ein Vorstellungsgespräch oder der Umgang mit Kollegen laufen soll, ist mir unklar.


    Zur eigentlichen Frage: Der Widerspruch zwischen mehr und mehr individueller Förderung/Betreuung etc auf der einen und mehr zentralen Abschlussprüfungen auf der anderen Seite besteht auch dann, wenn man keinen Nachteilsausgleich bekommt. Eine überzeugende Antwort habe ich noch von niemanden gehört. Es gibt sie wohl auch nichr, wenn man beides will.

  • Du kannst an schulische Notengebung nicht die Maßstäbe klassischer Gütekriterien anlegen. Noten sind nicht objektiv. Klassenarbeiten nicht zuverlässig valide.


    Bei einem IQ-Test weiß ich, dass der Proband soundsoviele Knobelaufgaben in der vorgegebenen Zeit geschafft hat und damit unter, mittendrin oder über dem Durchschnitt der Bevölkerung liegt. Ansonsten wirds mit der Prognose aber auch schon schwierig: Präsentationsqualitäten? Panikattacken? Sehfähigkeit? die Ergebnisse liefert mir der IQ-Test auch bloß nicht.


    Tja, aber was weiß ich von einem, der im Deutschabi eine 2 und in Mathe eine 3 hat? oder umgekehrt?


    Zurück zu demjenigen, der mehr Zeit braucht, um einen Test zu schreiben. Ist das ungerecht ggü. demjenigen, dessen Eltern nicht für diesen Nachteilsausgleich gekämpft haben? ja, das ist es wohl. Aber mal ehrlich: warum soll einer nicht 10 min. länger an seinem Test sitzen dürfen? Und würde ein Lehrer einem anderen Kind, ohne offiziellen NTA, die 10 min. nicht ebenfalls gewähren?
    Und- ganz entscheidend- wenn das Kind die Leistung mit 10 min. mehr bringt, hat es dann nicht das "sehr gut" verdient, wenn alles richtig war? Wer gibt vor, dass man genau 45 min. für die Aufgaben brauchen darf, die man als Lehrer pädagogisch letztlich völlig frei, selbst ausgewählt hat?


    Schulische Benotung ist seeeeeeehr flexibel. Das weiß jeder, der je eine Note erteilen musste. Natürlich wird man damit auch nie irgendwem gerecht, das weiß auch jeder, der selbst als Teenie um Noten zu feilschen versucht hat :D


    Im Großen und Ganzen soll Schule Kindern Grundkenntnisse in Allgemeinbildung und paar mathematische Grundlagen beibringen. Noten dienen dazu, dem Lernenden Rückmeldung zu geben, ob er den Unterrichtsstoff "sehr gut", "gut" oder nur "ausreichend" verstanden und v.a. reproduziert hat. Ob er das Ganze auf einer Tastatur getippt oder Handgeschrieben hat ist am Ende irrelevant. Der potentielle Lufthansapilot beweist seine Sehfähigkeit beim Sehtest und nicht in der Mathe-Klausur.


    Gerechtigkeit wird man eh nie herstellen können und ein chronisch krankes Kind wird immer benachteiligt sein, sein ganzes Leben lang. Da ist eine Zeitzugabe oder Großdruck o.ä. ein Tropfen auf den heißen Stein und wer wäre päpstlicher als der Papst ihm diesen zu verwehren? Wenn das Kind nicht in der Lage ist, die Inhalte des Unterrichts zu verstehen, kannst du noch so groß schreiben oder ihm ein Lexikon dazulegen, es wird trotzdem keine 1 bekommen.

  • Off-topic (ging ja darum, ob es ein Widerspruch zum Schulsystem ist):


    Dass Noten oder Abi-Schnitte nicht diese gute Vergleichbarkeit liefern, deren Anschein sie bergen sollen, ist klar. Ich denke wäre ist man sich auch hier im Forum ausnahmsweise mal einig.


    Aber:
    Wenn Noten quasi eh nicht aussagekräftig sind und der Nachteilsausgleich nicht relevant ist oder nur ein "Tropfen auf den heißen Stein", dann könnte man sich den Aufwand mit dem Nachteilsausgleich doch auch gleich sparen, oder nicht?
    Ich hatte das Gefühl, dass Dein Argument darauf rauslaufen soll, das man sagt "Macht doch eh nix groß hin und her - also einfach mal den NTA gewären!" Aber das ganze kann man doch auch einfach umdrehen, mit dem selben Argument. Oder nicht?

  • Tja, aber was weiß ich von einem, der im Deutschabi eine 2 und in Mathe eine 3 hat? oder umgekehrt?

    Nicht viel, aber viel mehr hat man nicht, also gibt man ihm den Job und dem, der in Deutsch eine 3 und in Mathe eine 4 hat, eben nicht.



    Zitat von Schantalle

    Zurück zu demjenigen, der mehr Zeit braucht, um einen Test zu schreiben. Ist das ungerecht ggü. demjenigen, dessen Eltern nicht für diesen Nachteilsausgleich gekämpft haben? ja, das ist es wohl. Aber mal ehrlich: warum soll einer nicht 10 min. länger an seinem Test sitzen dürfen?

    Weil die anderen das auch nicht dürfen, sich bei der Schulleitung beschweren und dann jeder solange schreiben dürfen muss, wie er möchte und das geht offenbar nicht.



    Zitat von Schantalle

    Und würde ein Lehrer einem anderen Kind, ohne offiziellen NTA, die 10 min. nicht ebenfalls gewähren?

    Mag sein, aber eben nicht nur einem Kind, sondern gleich allen. Ansonsten wäre das ja ne ziemliche Sauerei, wenn ich Chantalle zum Klingeln das Heft wegnehme, Benjamin aber noch 10 Minuten schreiben darf, richtig?



    Zitat von Schantalle

    Und- ganz entscheidend- wenn das Kind die Leistung mit 10 min. mehr bringt, hat es dann nicht das "sehr gut" verdient, wenn alles richtig war? Wer gibt vor, dass man genau 45 min. für die Aufgaben brauchen darf, die man als Lehrer pädagogisch letztlich völlig frei, selbst ausgewählt hat?

    Ich, ist ja meine Arbeit. Und für eine 1 muss man die von mir gestellten Aufgaben in einer bestimmten Zeit schaffen. Ansonsten ist die Leistung nicht gleichwertig. Du hast selbst vom IQ-Test gesprochen. Die Aufgaben dort sind beispielsweise so gestellt, dass sie prinzipiell "Jeder lösen kann, wenn er genügend Zeit bekommt". Tatsächlich wird die Zeit aber sekundengenau gestoppt, sonst wäre das Ergebnis nicht brauchbar.



    Zitat von Schantalle

    Schulische Benotung ist seeeeeeehr flexibel. Das weiß jeder, der je eine Note erteilen musste. Natürlich wird man damit auch nie irgendwem gerecht, das weiß auch jeder, der selbst als Teenie um Noten zu feilschen versucht hat
    Im Großen und Ganzen soll Schule Kindern Grundkenntnisse in Allgemeinbildung und paar mathematische Grundlagen beibringen. Noten dienen dazu, dem Lernenden Rückmeldung zu geben, ob er den Unterrichtsstoff "sehr gut", "gut" oder nur "ausreichend" verstanden und v.a. reproduziert hat.

    Noten informieren nicht nur den Schüler über deren Leistungsstand, sondern auch Lehrer und Mitschüler, denn Noten werden auch im Vergleich zur Lerngruppe gegeben (unsinnig, wenn einige Nachteilsausgleiche haben und einige nicht). Noten sollen "auch Grundlage für die weitere Förderung der Schülerin oder des Schülers sein" (SchulG NRW § 48), ebenfalls irgendwie unsinnig, wenn man die besonders schwer wiegenden Förderbedarfe von vornherein durch Nachteilsausgleiche zu überdecken versucht.



    Zitat von Schantalle

    Ob er das Ganze auf einer Tastatur getippt oder Handgeschrieben hat ist am Ende irrelevant. Der potentielle Lufthansapilot beweist seine Sehfähigkeit beim Sehtest und nicht in der Mathe-Klausur.

    Richtig und wenn auf seinem Sehtest-Zertifikat ein "sehr gut" steht, der Proband aber beim Test eine Brille tragen durfte, was der Arbeitgeber aber nie erfährt, ist das nicht richtig. Die Person kann im Beruf die Leistung, die ihm bescheinigt worden ist, nicht erbringen.
    Wenn der Versicherungskaufmann ein "sehr gut" auf dem Abiturzeugnis herzeigen kann, unter normalen Bedingungen aber eher so befriedigend wäre, dann ist das für den Arbeitgeber ebenfalls nicht richtig. Auch hier kann die Person im Beruf die Leistung, die ihm bescheinigt wurde, nicht erbringen.



    Zitat von Schantalle

    Gerechtigkeit wird man eh nie herstellen können und ein chronisch krankes Kind wird immer benachteiligt sein, sein ganzes Leben lang. Da ist eine Zeitzugabe oder Großdruck o.ä. ein Tropfen auf den heißen Stein und wer wäre päpstlicher als der Papst ihm diesen zu verwehren?

    Das ist das Problem. Du hast natürlich Recht damit. Aber dafür kann die Firma, die einen fähigen Mitarbeiter sucht, ja nichts. Sie hat lediglich die Zeugnisnoten, um sich jemanden zu suchen, der ihrer Meinung nach die Anforderung an den Beruf erfüllen kann. Wenn diese nun aber nicht mehr das bescheinigen, was sie vorgeben zu bescheinigen, dann kann das auch nicht richtig sein.


  • Etw. pointiert ausgedrückt: "Für manche ist die Prüfung aus bestimmten Gründen zu schwer, daher machen wir es ihnen ein bisschen leichter!" Ist das die Maxime des Nachteilsausgleichs?

    Und hier ist der Denkfehler.
    Der Nachteilsausgleich soll ein Handicap kompensieren, mit dem der Schüler ohne NTA keine realistische Chance hätte, die Prüfung ebenso gut zu bestehen wie jemand ohne Handicap.
    Bekannte NTAs sind beispielsweise:


    wie schon erwähnt die Sehnenscheidenentzündung => Verlängerung der Schreibzeit bzw. Schreiben am Laptop
    Gebrochene Schreibhand oder ähnliche Verletzung => Schreiben am Laptop
    Rheuma oder ähnliche schmerzhafte Entzündungen der Gelenke => Verlängerung der Schreibzeit.


    Es geht also nicht darum, einen Hauptschüler zum Abitur zu bringen sondern Schüler, die akut durch was auch immer gehandicapt sind, faire Prüfungsbedingungen zu ermöglichen. Nichts weiter.


    Die Prüfung wäre tatsächlich ohne NTA zu schwer, aber nicht aufgrund fachlicher oder kognitiver Defizite der Schüler - und DAS ist der springende Punkt!

    Gruß
    #TheRealBolzbold

    Ceterum censeo factionem AfD non esse eligendam.

  • Bei NTA geht es doch nicht ausschließlich um akute Verletzungen, oder nicht?
    NTA gibt es u.a. doch auch für psychische Erkrankungen die zu einer Minderung der Leistungsfähigkeit führen, z.B. Depression oder Angstzustände.



    Zum fett hervorgehobenen Teil:
    Du schreibst, dass hier der Denkfehler liege und dann wiederholst Du meines Erachtens das, was ich zuvor als vermeintliche Maxime ausgegeben habe. Ich verstehe nicht, wo da der Fehler liegt. Was Du geschrieben hast, ist genau das was ich mit meinen Worten meinte.


    Das man die Auswirkungen von "Nachteilen", welcher Art auch immer, einfach aus einer Person bzw. ihrer Leistungsfähigkeit ausklammert, kann ich im Rahmen des Schulsystems (!) nicht nachvollziehen. Für mich ist das ein Widerspruch. Und darüber was hier "fachlich" ist und was nicht, kann man streiten, würde ich sagen.

  • Da hier immer wieder die Frage auftaucht, wie denn ein Nachteilsausgleich nach der Schule / im "echten Leben"TM umgesetzt würde:
    Im Berufsleben kann ich mir meinen Arbeitsplatz entsprechend meiner Bedürfnisse individuell anpassen (z.B. durch die Vergrößerung der Darstellung am Bildschirm).


    Während der Klassenarbeit bekommen traditionell alle Schüler ein und das selbe A4-Blatt. Was spricht dagegen, dass der einseitig erblindete Schüler mit eingeschränkter Sehkraft im verbliebenen Auge seine Kopie auf 141% vergrößert bekommt? Würde er im Berufsleben am Bildschirm ja auch machen. Dadurch sind die fachlichen Anforderungen doch nicht verändert.

  • @Bear:
    Ich glaube es geht den Meisten hier um das Thema "verlängerte Schreibzeit" wegen motorischer Probleme oder so. Die Zeit hat der beachteiligte Schüler dann ja auch, um sich ganz andere Lösungswege ausdenken zu können.


    Ich für meinen Teil muß zugeben, daß ich mit zusätzlicher Schreibzeit kein Problem habe, weil bei meinen Klausuren die Zeit meist eh kein limitierender Faktor für die Schüler ist sondern ihr Wissen einfach nicht mehr hergibt.
    Es gibt aber andere Kollegen, die ihre Klausuren gemäß der Gleichung Leistung=Arbeit/Zeit definieren und die Zeit so kurz ansetzen, daß man eigentlich nicht alle Aufgaben bzw. sie gerade so eben schaffen kann. Für diese Art der Aufgaben ist das dann schon ein Problem, wenn benachteiligte Schüler auf einmal 50% Zeitzugabe bekommen, obwohl das Schreiben (also der motorische Teil) in der Aufgabenstellung nicht das Problem ist sondern die Bedenkzeit den kritischen Faktor darstellt, z.B. weil es sich um Multiple-Choice Aufgaben handelt.

  • Während der Klassenarbeit bekommen traditionell alle Schüler ein und das selbe A4-Blatt. Was spricht dagegen, dass der einseitig erblindete Schüler mit eingeschränkter Sehkraft im verbliebenen Auge seine Kopie auf 141% vergrößert bekommt? Würde er im Berufsleben am Bildschirm ja auch machen. Dadurch sind die fachlichen Anforderungen doch nicht verändert.

    Beim Größerdrucken sehe ich keine Einwände, da es 1. dem Lehrer keinen deutlichen Mehraufwand beschert, 2. dem Betroffenen durchaus nutzt und 3. den anderen Schülern nicht viel ausmacht. Anders sieht es bei einem Zugeständnis von mehr Zeit, dem Ansetzen eines anderen Erwartungshorizontes oder eben Absenken der fachlichen Anforderungen aus, da sich "normale" Schüler darüber beschweren könnten, dass diese Annehmlichkeiten nicht auch für sie gelten. In Aufsatzklausuren im Fach Deutsch hätte ich, da Vielschreiber, auch von zusätzlicher Zeit profitiert; gab es aber natürlich nicht. Da musste ich mich eben den Rahmenbedingungen anpassen: schneller schreiben, mehr auf den Punkt kommen, systematischer arbeiten.
    Ein interessanter Punkt in dem Zusammenhang ist ja die Berücksichtigung von LRS: Anscheinend wird sie in Deutschklausuren manchmal berücksichtigt, manchmal nicht, und auch nur in manchen Jahrgangsstufen. Ob das wirklich Chancengleichheit ist (vor allem da orthographisch korrektes Schreiben ein zentraler Bereich des Deutschunterrichts ist), ist die Frage...


    Ich würde mal als Laie sagen, dass Nachteilsausgleiche so lange angemessen sind, wie sie nur dem betroffenen Schüler nützen (siehe das Kopierbeispiel), das Nichtvorhandensein für die anderen Schüler keine potentielle Benachteiligung darstellt und die fachlichen Anforderungen die selben bleiben.

  • Während der Klassenarbeit bekommen traditionell alle Schüler ein und das selbe A4-Blatt. Was spricht dagegen, dass der einseitig erblindete Schüler mit eingeschränkter Sehkraft im verbliebenen Auge seine Kopie auf 141% vergrößert bekommt? Würde er im Berufsleben am Bildschirm ja auch machen. Dadurch sind die fachlichen Anforderungen doch nicht verändert.

    Da spricht meiner Meinung nach nichts dagegen. Solange dieses Vorgehen und die Notwendigkeit dafür transparent sind (z.B. für zukünftige Arbeitgeber).

  • Lehramtsstudent, würdest du dir die Vorgaben (siehe auch oben) durchlesen, würdest du sehen, dass die fachlichen Anforderungen bei zielgleichem Unterricht unberührt bleiben.

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