Muss ich ein Fachidiot werden?

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    Zitat


    Danke, mir ist schon klar, dass ich mehr wissen muss als meine Schüler, aber ich bezweifle, dass auch nur irgendwann in meiner Schulkarriere mich mal jemand genaueres zum Surrealismus fragen wird. Und wenn, dann kann ich mir sowas auch noch kurz anlesen und muss nicht ein volles Semester in einem Hauptseminar dazu sitzen.


    Kann ich sehr gut nachvollziehen! Da muß man sich auch keine Gedanken machen, man sei nicht daran interessiert, seinen Horizont zu erweitern - die Profs, die sich seit hundert Jahren in dem gleichen Fachgebiet bewegen, tun das auch selten. Da werden Bücher empfohlen, die seit Jahren nicht mehr aufgelegt werden (bei uns in Germanistik jedenfalls) und man hat den Eindruck, wenn man den ein oder anderen in der "freien Wildbahn", sprich: dem wirklichen Leben, aussetzten würde, wüssten sie nicht mehr, wie sie nach Hause kommen. Ich bin auch ein vielseitig interessierter Mensch, aber es hat mich ebenfalls geärgert in bestimmten Seminaren rumsitzen zu müssen, auch wenn sich meine späteren Grundschüler sicher für den Poststrukturalismus begeistern werden. Damit meine ich wiederum nicht, dass es sinnlos ist, sich damit zu befassen, aber man sollte in bestimmten Fachbereichen doch aufhören, sich selber zu wichtig zu nehmen, während die Praxis auf der Strecke bleibt.
    Lg, von der immer noch examensgeschädigten Melosine<br>

    • Offizieller Beitrag

    Hallo ihr,
    ich habe mir - gerade im Ref - zwar auch schon oft die Frage gestellt "Warum zum Teufel hat mir DAVON im Studium keiner 'n Ton gesagt??" und kann alle gut verstehen, die in manchen Seminaren sitzen und sich verwundert den Kopf kratzen ob des elfenbeintürmerischen Gehabes mancher Profs und Kommilitonen - werde jetzt aber trotzdem ein kleines, persönliches Plädoyer für Fachidiotie und Eierköpfigkeit hier posten (allein schon dieser Monstersatz wäre ohne Germanistikstudium kaum möglich gewesen, hehehe ... ;) )!!


    Ich habe mein Studium genossen, trotz des Stresses, mich gleichzeitig selbst ernähren zu müssen: einfach weil ich ahnte, dass sich mein Horizont nie wieder so schnell erweitern werden wird. Zusätzlich zu den Pflichtscheinen habe ich bei den Philosophen, den Soziologen, Politikwissenschaftlern und Künstlern "rumgesessen und reingehört" und wenn auch nicht alles kapiert, so doch vieles geschätzt und genossen.
    Noch heute kiege ich ein gewisses Heimweh, wenn ich im Nordend unterwegs bin und am Campus vorbeilaufe... denn jetzt fehlt mir definitiv die Zeit mal "just so" in einem Seminar zu sitzen und zuzuhören.


    In der Schule hat mir das Ganze im Ref immerhin die fachliche Sicherheit gegeben, die ich brauchte um mich wenisgtens auf dieser Ebene ab und zu auch mal siegreich mit den Damen&Herren FL streiten zu können und mich in UBs immerhin fachlich sicher zu fühlen.


    Und jetzt ist es sicher ein Teil der Begeisterung, die ich mitbringe: Ich finde alles Neue immer noch spannend und empfinde es nicht als zusätzliche Arbeit, mich in ein bisher noch nicht unterrichtetes Werk hineinzustürzen - auch wenn es dazu noch keine Klett-Stundenblätter gibt.


    In der Oberstufe gibt es auch immer mal wieder den einen oder anderen LK mit dem man durchaus auf Proseminarniveau arbeiten kann (stundenweise) - und da ist es schon wichtig, sattelfest zu sein (nicht, dass ich das immer wäre - aber dann greift der zweite wunderbare Teil des Jobs: lebenslanges Lernen. Schööööön!!)


    Und "schööön" ist überhaupt das, was ich persönlich als Grundlage meiner "Lehrberufsauffassung" sehe: Ich WILL Wissen. Und Lernen. Und ich WILL gar nicht "fertig" damit sein. Wie langweilig!
    Also: Ich brauche das Umfassende Handwerkszeug das ich aus der Uni mitbringe, um das Lernen nicht als Quälerei und Überforderung zu empfinden. Aber wenn ich aus der Uni schon alles wüsste - und müsste mich jetzt jeden Abend hier hinsetzen und es gäbe nix mehr zu entdecken, keine Zweifel, keine Spannung ("klappt das morgen? Stimmt das so? Liege ich da richtig?) - Tödlich!!
    Ich würde sofort kündigen.


    Also: Fachidiotie muss keine "Idiotie" sein, wenn sie sich einfach nur in Begeisterung am Lernen (von "egal was") äußert.


    Find ich.


    Liebe Grüße


    Heike
    <br><br><br>

    • Offizieller Beitrag

    Uups, da ist dir aber irgendwas in den falschen Hals geraten...Ich glaube nicht, dass hier jemand behauptet hat, Lernen mache ihm/ihr nie spaß und man wolle auch nichts Neues mehr wissen, usw. Ich verstehe nach wie vor einfach nicht - und darum ereifere ich mich über das Thema - warum es bei der Diskussion immer nur um Schwarz oder Weiß, sprich Praxisbezug vs. Fachidiotie geht! Und Klett-Stundenblätter finde ich scheußlich! Dennoch kann man doch wohl auch von einem Studium erwarten, dass man sich mit Inhalten beschäftigt, die z. B dazu beitragen die eigene Persönlichkeit und die eigenen pädagogischen Fähigkeiten zu erweitern, anstatt immer wieder die gleichen angestaubten Seminare bei den gleichen - ebenso angestaubten - Profs besuchen zu müssen!<br>

  • Liebe Heike,



    Du sprichst mir aus der Seele und - abakadabra - es scheint tatsächlich noch mehr Leute zu geben, die so denken wie ich. Dank Deines Germanistikstudiums (oder einfach größerer Mühe und Muße) ist es Dir gelungen, das ganze auch noch - angriffsfrei - auf den Bildschrim zu übersetzen.


    *klatsch* ;-)) :D :D :D :D


    Ich habe auch schon Angst vor dem Tag, an dem ich die UNi verlassen muss - aber auch danach kann ich weiterhin lernen, wie Du gerade gezeigt hast. Ich freu' mich richtig auf die stundenweise guten LK's - klingt sehr gut ! :D


    Liebe Grüße,


    george<br>

  • Das die Sprachpraxis so vernachlässigt wird an der Uni ist echt ein Problem. Bei uns war bis vor einigen Jahren noch nicht mal ein Auslandsaufenthalt (bei romanischen Sprachen) Pflicht. Wenn man das damals nicht freiwillig auf sich genommen hatte dann sah man nachher in der Schule wohl echt alt aus. Ich studier grad zur Überbrückung bis z. REF Spanisch und finde die Sprachpraxis-Veranstaltungen auch am sinnvollsten, meinen auch die meisten hier. Sprachwissenschaft find ich aber in Maßen auch ok. Landeskunde kann man sich selbst aneignen oder hat man eh schon wenns einen interessiert und die Literaturwissenschaft könnte kürzer treten :-), hält sich aber bei uns eigentlich in Grenzen.


    Kenne aber eine Französisch-Lehrämtlerin 5. Semester, die meinte sie müsste auch erst als Assistent Teacher in Frankreich arbeiten, sonst könnte es beim Fachpraktikum gut passieren dass Schüler aus dem Leistungskurs 13. Kl. besser sprechen als sie.

  • Zitat


    In der Schule ist (fast) alles besser als die Standardthemen, die jede schon kennt.


    Ist das aber denn wirklich so? Ich habe mir das zwar auch immer gedacht, und mein Seminarlehrer fordert auch immer neue Texte und Aufgabenformen ein, aber für die Schüler dürfte es doch eigentlich keinen Unterschied machen, ob etwas schon in tausend Klassen vor ihnen gemacht wurde. Wenn ich morgen in eine siebte Klasse gehe und "John Maynard" von Fontane mache oder "Der Panther" von Rilke ist das für die Schüler doch auch neu.


    Ich will mit diesem Beitrag aber eigentlich nicht dem Zitat widersprechen, ich bin mir nämlich selbst absolut nicht sicher, ob das wirklich so ist...

  • In Bayern ist in den Fremdsprachen ein Auslandsaufenthalt übrigens immer noch nicht verpflichtend. Und zur Sprachpraxis kann ich sagen: ich bin unheimlich froh, dass ich ein halbes Jahr Assistante in Frankreich war, ohne diese Möglichkeit hätte ich mich glaub ich kaum getraut, vor Schülern Französisch zu sprechen, weil ich so rumgestopselt hab. :D

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    • Offizieller Beitrag

    Hallo ihr Lieben,


    grade hat mich der OECD-Thread auf die Idee gebracht, etwas zum Sinn meines Studiums zu schreiben.


    Traue mich aber nicht, einen neuen Thread zu eröffnen, da dann gewisse Geisteswissenschaftler wieder den Zeigefinger erheben :D .


    Ein bisschen zu meinem Studium (Lehramt GHS mit Grundschulpädagogik [Deutsch, Mathe, Sachunterricht], Germanistik und Musik) habe ich ja schon gesagt.


    Im Großen und Ganzen muss ich sagen, dass ich mein Studium ganz ok finde, auch wenn man bestimmt vieles verbessern könnte.


    Ich fühle mich auch nicht so, als würde ich zum Fachidioten ausgebildet werden - allerhöchstens für Grundschulpädagogik, welches in RLP ein eigenständiges Fach ist und mit 58 SWS auch über einen gewissen Umfang verfügt. Seit ein paar Semestern studiert man mit GruPäd auch IFA (Integrierte Fremdsprachenarbeit) mit Englisch oder Französisch, das musste ich aber noch nicht.


    Das Germanistikstudium ist in RLP für GHS wie alle Fächer außer GruPäd allerdings etwas dürftig. Mit 38 SWS kann man sich allenfals einen Überblick verschaffen und die Angebote sind auch nicht gerade zahlreich, sodass man nicht viel mehr als verlangt machen kann, wenn man in der Regelstudienzeit von 7 Semestern bleiben will.


    DAS ist allerdings meiner Meinung nach das größte Problem hier! Fast alle Studenten für GHS sind total fixiert auf das Schaffen der Regelstudienzeit und rein scheintechnisch und anforderungsmäßig liegt das zumindest in Landau auch im Bereich des Möglichen. Es geht natürlich nur dadurch, dass man keine oder kaum scheinlose Veranstaltungen besucht (bzw. besuchen kann wegen Überfüllung) und das finde ich schade. Es ist meiner Meinung nach auch nicht Sinn des Studiums, einfach so schnell wie möglich durchzukommen.
    An meiner ersten Uni war zwar Regelstudienzeit einhalten kaum möglich, dafür MUSSTE man aber alles was die Studienordnung für den Grundschulbereich vorsah machen.


    Und im Zusammenspiel meiner Unis muss ich sagen, dass ich mich einigermaßen auf den späteren Lehrerberuf vorbereitet fühle, soweit das eben überhaupt möglich ist. Zudem fühle ich mich auch fachlich in Germanistik einigermaßen gut vorbereitet, gerade was Grammatikwissen angeht.


    Und ich finde es wichtig, NICHT NUR schulspezifisch zu lernen, sondern auch wirklich etwas vom Fach zu erfahren, wie es bei mir in Germanistik geschieht. Zu Musik in Landau muss ich da leider sagen, dass dort die Lehre aufgrund der Personalsituation mehr als dürftig ist (kaum Seminare und aufgrund der wenigen Stunden - mit derzeit ca. 30x45min Unterricht zur Prüfung des Hauptinstruments, hab ich Gott sei Dank ne bessere Ausbildung an meiner ersten Uni gehabt - nur selbständige Verbesserung in der musikalischen Praxis möglich).


    Leider gibt es natürlich auch in beiden Unis wie eben überall unfähige Dozenten oder einfach grausam langweilige Themen. Ich bin einmal gespannt, wie ich das Studium rückblickend in ein paar Jahren beurteilen werde...


    Mich würde interessieren, wie ihr fertigen Lehrer - insbesondere Grund- und Hauptschule - euer Studium im Nachhinein bewertet.


    Gruß leppy

  • Habe diese Diskussion damals schon verfolgt und fühle mich heute momentan zu 100% zu einem "Fachidioten" ausgebildet.
    Ich habe ja sogar Spaß daran z.B. in Englisch Shakespeare zu lesen etc. Dennoch ist es irgendwie zum Verzweifeln, wenn das alles sein soll, wenn man Englisch auf Grundschullehramt studiert. Ich werde nur ein (!) Seminar im ganzen Studium besucht haben, dass tatsächlich konkrete Bezüge zur Grundschule hat. Selbst die Didaktik ist eher an SekI/II ausgerichtet.
    Ich frage mich, ob das an finanziellen Problemen liegt. An unserem Englischfachbereich gibt es gerade mal eine Frau, die Grundschulstudenten betreut in Fachpraktika. Sie ist die einzige Person, die Didaktikseminare speziell für Grundschule anbietet (und zwar alle zwei Semester eins-das ist das eine, das ich besucht habe). Sie hat aber bloß eine halbe Stelle und ist noch "nebenbei" Klassenlehrerin.
    Sonst sitze ich mit Magistern, Diplomern und Gymnasiallehrern in Seminaren zum "Much ado about nothing" etc. von Shakespeare. Ein bißchen anwendungsbezogener könnte es schon sein.
    Überhaupt gehen in allen Fachbereichen gerade die Profs altersbedingt weg, die für mich als Prüfer in Frage gekommen wären. Ab diesem und nächstem Semester muss ich mich anmelden und es ist fraglich, ob für die Profs überhaupt Ersatz kommt. Dann müsste ich mich z.B. in Sachunterricht (Bereich Geschichte) von irgendjemanden prüfen lassen, der sonst nur Magister/Bachelor in Geschichte prüft. In 7 Semestern (sonst winken ja auch die Studiengebühren) kann ich neben der Pädagogik etc. eben nicht in jedem meiner Fächer ein vollständiges "Magister-Wissen" haben.
    Sind denn alle Unis so chronisch unterfinanziert? Die Profs regen sich schon auf, dass noch nicht mal Kreide in den Seminarräumen ausliegt....
    Ich musste mich mal ausheulen...
    Geht es noch jemanden so?
    Ich hab nichts gegen Begeisterung zum Fach auf einem akademisch hohen Niveau und lese privat auch gerne einen englischen Roman nach dem anderen, aber ein bißchen möchte ich schon auf "meine" Schulstufe vorbereitet sein.
    :rolleyes:

  • Nachdem Laura diesen Thread wieder aus der Mottenkiste geholt hat, dachte ich mir, ich könnte auch mal wieder meinen Senf dazu geben.
    Also: ich fühle mich an der Uni wohl und mag meine Fächer - besonders Englisch und da besonders Literaturwissenschaft - sehr gern und freu mich immer wieder, was neues zu lernen. Was mir zur Zeit im Magen liegt, ist das bevorstehende Examen, das einfach verdammt wenig mit dem Studium zu tun hat. Ich freu mich schon auf die Prüfungen in Mittelenglisch und Altfranzösisch. Nicht, dass ich das nicht interessant finde, es ist nur so, dass ich mir (immer noch und trotz eigener Neigung zur Eierköpfigkeit) denke, dass ich soooo vieles einfach gar nicht gelernt habe, was ich aber im Ref brauchen werde. Inzwischen bin ich aber so weit, dass ich mir denke, dass es allen anderen auch nicht anders geht und dass die da auch irgendwie durch müssen. *g*
    So viel zu meinem jetzigen Verhältnis zur Fachidiotie...

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