Hohe (unentschuldigte) Fehlzeiten aufgrund von schwerer Diabetes - Umgang als Lehrkraft

  • Guten Morgen,
    bin nicht sicher, ob ich in diesem Unterforum richtig bin.
    Ich habe einen Schüler geerbt, der schon mehrfach kurz vor der Entlassung aufgrund unentschuldigter Fehlzeiten gestanden hat.
    Der Schüler ist volljährig und Diabetiker (Typ 1 mit Insulinpumpe). Er hat eine Attestpflicht, kommt aber trotzdem oft ohne Attest nicht oder zu spät zur Schule.
    Er begründet das damit, dass über die Nacht der Blutzuckerspiegel oft zu weit fällt und er morgens zur Anhebung erst etwas essen muss. Oft ist dann der Zuckerspiegel instabil mit entsprechender Benommenheit und Angst, auf dem Schulweg umzukippen.
    Er könnte angeblich jederzeit ein Attest bekommen, müsste dafür aber 5 km mit dem Fahrrad zum Arzt fahren, was noch schwieriger ist, als zur Schule zu kommen.


    Ich frage mich, wie ich als Klassenlehrer damit umgehen soll, wenn er trotz Attestpflicht seitens der Schulleitung wieder fehlt (mittlerweile informiert er mich sofort per WhatsApp)? Ist es wirklich so schlimm, an Diabetes erkrankt zu sein? Was ist, wenn der Schüler eine Ausbildung anfängt und er regelmäßig zu Hause bleibt? Nach meinen Erfahrungen wird er nach 4 Wochen entlassen bzw. nach der Ausbildung nicht übernommen.
    Habe auch schon überlegt, ob er einen Nachteilsausgleich beantragen kann, sehe aber nicht, worin dieser bestehen könnte.

  • Ist es wirklich so schlimm, an Diabetes erkrankt zu sein?

    Fragst du das ernsthaft? Ja, als betroffene Mutter kann ich sagen: Es ist schlimm. Punkt. Das ständige überwachen des Blutzuckers, korrigieren, wenn zu hoch/niedrig beherrscht das Leben eines Diabetikers. Und darin ist natürlich auch der Nachteilsausgleich begründet.


    ich würde mich da gar nicht mehr so reinhängen und alles Weitere der Schulleitung überlassen.

  • Er begründet das damit, dass über die Nacht der Blutzuckerspiegel oft zu weit fällt und er morgens zur Anhebung erst etwas essen muss. Oft ist dann der Zuckerspiegel instabil mit entsprechender Benommenheit und Angst, auf dem Schulweg umzukippen.
    Er könnte angeblich jederzeit ein Attest bekommen, müsste dafür aber 5 km mit dem Fahrrad zum Arzt fahren, was noch schwieriger ist, als zur Schule zu kommen.

    Der Schüler lebt allein? Fände ich unangemessen. Die Pumpe scheint nicht optimal eingestellt zu sein. Da stellt Unbeobachtetheit eine erhebliches Risiko dar. Obiges impliziert, dass er nicht regelmäßig frühstückt, sondern nur wenn's eng wird. Finde ich auch nicht gut.


    Die Fürsorgepflicht gebietet, dass du darauf drängst, dass der Schüler zusammen mit einem Facharzt eine bessere Lösung findet. Die Fehlzeiten regeln sich dann von allein.


    Wenn ihr ihn 'rausschmeißt, hat er mehr Zeit sich um sich zu kümmern. Aber dann fehlt ihm ein weiteres Stück Regelmäßigkeit.

    „Fakten haben keine Lobby.“


    (Sarah Bosetti)

  • Diabetes kann ein Grund für eine anerkannte Behinderung sein. Mit dem dazugehörigen GbB würde eine Lehrkraft für eine volle Stelle weniger arbeiten müssen und weitere Erleichterungen im Schulalltag erhalten. Analog könnte man das ja mal mit Blick auf Schüler betrachten.


    Wenn der Schüler denn tatsächlich wieder halbwegs auf dem Damm ist, aber einfach nicht den Schulweg zurücklegen kann, wäre es vielleicht eine Maßnahme, dass er via WhatsApp (oder E-Mail) die aktuellen Arbeitsblätter / Aufgaben aus dem laufenden Unterricht erhält und während des laufenden Unterrichts seine Bearbeitungen an die Lehrkraft schickt. (Also Foto der Tafel, an der "Buch, S. 192, Aufgabe a-f" steht, der Schüler bearbeitet und schickt ein Foto mit seinen Lösungen.) Das hilft vielleicht, den Verdacht des "der schläft nur lang aus" auszuräumen & den Kontakt zum Unterrichtsstoff zu halten.


    (VIelleicht ließe sich über eine anerkannte Behinderung auch eine Schulwegbegleitung oder eine Assistenz während des Schultages beantragen... habe ich auch schon beobachtet bei SuS, die das Gymnasium in Richtung BBS verlassen haben.)

  • Wie lange ist denn der Schüler schon erkrankt? Die Erfahrung der Diabetiker in meinem Bekanntenkreis ist, dass es relativ lange dauert, bis man sich an das Leben mit der Krankheit gewöhnt hat. Eben weil es den Alltag so massiv beherrscht.
    Besonders schwierig ist das wohl oft, wenn die Krankheit im Teenageralter auftritt.


    Vielleicht wäre also dem Schüler mit einer entsprechenden fachlichen Beratung geholfen?

  • Diabetes ist schlimm. Mein Kleiner hat auch Diabetes Typ 1 und hat ebenfalls hohe Fehltage. Da kann die Pumpe noch so gut eingestellt sein, bei hormonellen Schwankungen, Erkältungen (auch sehr leichte, die man kaum merkt),.... spielt der Blutzuckerwert verrückt. Damit einhergehend natürlich alle Symptome bei Unterzucker und Überzucker. Insulin wird vom Körper auch nocht immer gleich aufgenommen. Das variiert je nach Spritzstelle, sportlicher Betätigung, Nahrung, ... Es kann bei manchen Diabetikern sogar teilweise vorkommen, dass das künstliche Insulin gar nicht aufgenommen werden kann und im Krankenhaus intensivmedizinisch behandelt werden muss. Und völlig unberechenbar, der Wert kann innerhalb von Sekunden stark fallen. Jede Verharmlosung dieser Krankheit und dazu gehören auch Aussagen wie "lass dich mal richtig einstellen" usw. sind ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen und ihrer Familien.


    Eine Attestpflicht bei spontanen Blutzuckerschwankungen ist menschenverachtend und gegebenenfalls wirklich nicht für den Schüler leistbar. Als Mutter würde ich gegen diese Diskriminierung Behinderter klagen. Der Schüler sollte natürlich ein einmaliges Attest der Schule zukommen lassen, das die Diabeteserkrankung bestätigt.


    Die Idee über WhatsApp zu kommunizieren finde ich allerdings super.

  • Die Anfrage war doch "ist Diabetes wirklich so schlimm?", "gibt es Nachteilsausgleich" und: "was passiert in der Lehre, normalerweise verliert man seinen Ausbildungsplatz bei unentschuldigtem Fehlen sehr schnell"?


    Dass Diabetes so schlimm ist, haben wir verstanden, welche rechtlichen Möglichkeiten für Schulbesuchspflicht und Ausbildung bestehen wäre tatsächlich interessant. Wie ist das denn bei chronischen Krankheiten?


    Ein GdB ist nicht so leicht zu bekommen und hilft im Alltag nach dem was ich las auch wenig weiter.


  • kommt aber trotzdem oft ohne Attest nicht oder zu spät zur Schule.
    Er begründet das damit, dass über die Nacht der Blutzuckerspiegel oft zu weit fällt und er morgens zur Anhebung erst etwas essen muss. Oft ist dann der Zuckerspiegel instabil mit entsprechender Benommenheit und Angst, auf dem Schulweg umzukippen.


    Ich kenne mich mit Diabetes nicht aus:


    Ist es nicht möglich, dass abends Maßnahmen ergriffen werden um dieses zu weite Fallen des Blutzuckerspiegels zu verhindern?


  • Habe auch schon überlegt, ob er einen Nachteilsausgleich beantragen kann, sehe aber nicht, worin dieser bestehen könnte.

    Da ihm aufgrund seiner Krankheit der Schulbesuch oft verwehrt bleibt, könnte man ihm bei Leistungsmessungen und Prüfungen Schulbücher und Unterrichtsmaterial als Hilfsmittel zulassen.

  • Der Nachteilsausgleich kann darin bestehen, dass der Schüler in Prüfungen mehr Zeit bekommt, wenn er zum Beispiel Blutzucker kontrollieren und gegensteuern muss. Oder Prüfungsunterbrechungen bei etwas länger andauernden Korrekturen des BZ-Wertes bzw. neue Festlegung des Termins (je nach Befinden, BZ-Wert über 250 (= prüfungsuntauglich), Bildung von Ketonen (ggf. Arztbesuch erforderlich)),...

  • In welchen Bundesland bist du?
    Ich weiß , dass es in einigen Bundesländern extra Beratung und Unterstützung für chronisch kranke / schwer kranke Schüler gibt. Das wird über das Schulamt koordiniert und es gibt z.B. die “Schule für Kranke”, die Unterricht zuhause oder im Krankenhaus leistet , aber auch Beratung , wie man dem Schüler helfen kann - eine Attestpflicht hilft nämlich gar nicht , die ist nur eine zusätzliche Belastung, wie die anderen ja auch schon geschrieben haben.

  • Um sich verwaltungstechnisch abzusichern, was die Attestierung von Fehlzeiten angeht, würde ich dem Schüler dazu raten, sich von seinem Hausarzt ein Schreiben aufsetzen zu lassen, dass es aufgrund seiner Erkrankung zu spontanen Schüben kommen kann, die es ihm unmöglich machen, einen Arzt aufzusuchen und für jeden Fehltag ein eigenes Attest beizubringen. Das würde ich dann zur Schülerakte geben.

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