Unterrichten an Gehhilfen

  • @Antimon

    Ja ich konfrontieren Euch mit einem unangenehmen Thema, unangenehm weil es vielleicht Bauch erforderlich macht den eigenen Standpunkt nochmal zu überdenken. Ich habe jetzt aber wirklich versucht nicht anzuklagen, sondern in Anbetracht der vorausgehenden Diskussion erstmal nachzufassen. Denn auch hier stand ganz zu Anfang die These, dass Personen mit Bewegungseinschränkungen im Chemieraum nicht eingesetzt würden. Und als Schwerbehindertenvertreter läuten da bei mir alle Alarmglocken. Daher meine Nachfrage, ob nur temporäre Störungen gemeint sind. Und ja, ich kenne Menschen die trotz Einschränkungen im Bewegungsbereich in Fachräumen unterrichten.

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

  • Die rechtliche Wertung ist aus meiner Sicht relativ einfach. Es ist die Aufgabe des Fachlehrers für die einzelnen Versuche eine Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen. Ggf. komme ich dabei zu dem Ergebnis, dass bei Berücksichtigung der eigenen Einschränkungen bestimmte Versuche wegfallen. Ein Verbot in Fachräumen als Lehrkraft mit Gehbehinderung nicht eingesetzt zu werden, kann ich in der Risu nicht erkennen.

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

  • Und ja, ich kenne Menschen die trotz Einschränkungen im Bewegungsbereich in Fachräumen unterrichten

    Ja meine Güte, dann beantworte halt einfach die Frage, die ich gestellt habe. Ist es rechtlich möglich, wie wird es gelöst. Deine Alarmglocken kannst du wieder abstellen. Ich bin als Chemielehrperson nun mal in der Verantwortung bei der praktischen Arbeit und es gelten auch in jedem Chemielabor an der Uni und in der Industrie Sicherheitsregeln, von denen ich nicht weiss und mir auch schwer vorstellen kann, wie sie rollstuhlkompatibel sein sollen. Vielleicht hast du in deiner Empörung überlesen, dass wir an der Schule zwei Schülerinnen im Rollstuhl haben, für die wir die praktische Arbeit in den Naturwissenschaften so gut es geht möglich machen. Das ist aber was anderes als wenn ich als Lehrperson die Sicherheit im Labor nicht gewähren kann, weil mir ein schnelles Einschreiten in einer Gefahrensituation nicht möglich ist.

  • Ich möchte hier mal einwerfen (weil öfter der Rollstuhl erwähntwird), dass Gehbehindert nicht automatisch Rollstuhl bedeutet und auch nicht unbedingt Krücken.

    Freundlichkeit ist kostenlos, aber niemals umsonst.

  • Ggf. komme ich dabei zu dem Ergebnis, dass bei Berücksichtigung der eigenen Einschränkungen bestimmte Versuche wegfallen

    So einfach ist das auch an der Schule nicht, weil es einen Lehrplan gibt, den es zu erfüllen gilt. Der sieht bei uns im Kanton mindestens 1 Semester Laborarbeit für alle SuS vor und das muss ich als Lehrperson eben beaufsichtigen.


    Ja ich konfrontieren Euch mit einem unangenehmen Thema, unangenehm weil es vielleicht Bauch erforderlich macht den eigenen Standpunkt nochmal zu überdenken

    Lass diese implizite Unterstellung doch jetzt bitte mal bleiben.

  • OK jetzt kommt noch der Unterschied Schweiz und Deutschland zum Tragen, das macht die Sache nicht einfacher. Mich stört jedoch die Selbstverständlichkeit mit der bestimmte Aussagen zur Kenntnis genommen werden. Man muss sich bitte einmal vorstellen, was es in der Praxis bedeuten würde, wenn Kolleg:innen mit Rollstuhl in Fachräumen nicht unterrichten dürften. Dies käme einem Berufsverbot für schwerbehinderte Menschen gleich. Dies kann und darf nicht sein und wäre in Deutschland auch nicht mit den rechtlichen Rahmenbedingungen vereinbar. Es ist dann Aufgabe der Schulleitungen, den Rechtsanspruch auf Beschäftigung einerseits und Einhaltung von Sicherheitsvorschriften andererseits zu gewährleisten. Wo ein Wille ist ist auch ein Weg. Zum einen lassen sich in vielen Fällen Alternativen finden um experimentelle Gefahren zu minimieren, zum Anderen ist es auch eine Möglichkeit bei nicht vermeidbaren Gefährdungen (Lehrplan) zusätzliche Unterrichtsassistenz zu gewährleisten.

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

  • Die rechtliche Wertung ist aus meiner Sicht relativ einfach. Es ist die Aufgabe des Fachlehrers für die einzelnen Versuche eine Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen. Ggf. komme ich dabei zu dem Ergebnis, dass bei Berücksichtigung der eigenen Einschränkungen bestimmte Versuche wegfallen.

    Wobei die Risikobeurteilung natürlich recht subjektiv ist und wahrscheinlich sehr viele hier Angst haben, daß man ihnen nach einem Unfall einen Strick daraus drehen könnte von wegen: "Ihre Risikobewertung war nicht korrekt. Wie konnten sie nur!?!"


    Ich kenne das Problem nicht von Gehhilfen sondern von der Schmerzmitteleinnahme. Konkret mußte ich nach einem Unfall mal Morphium Tabletten einnehmen über mehrere Tage bzw. Wochen. Unter Morphium war mein Kopf total klar und ich hätte mir durchaus zugetraut einen PKW zu fahren. Allerdings ist dies in Deutschland verboten, solange es nicht explizit vom Arzt erlaubt wird, was eigentlich nur bei dauerhafter Morphiumgabe überhaupt untersucht wird. Zum Ausschleichen der Schmerzmittel kam nachher Tramadol zum Einsatz. Damit darf man in Deutschland ein Auto fahren. Allerdings habe ich mich unter Tramadol nicht in der Lage gesehen einen PKW zu bewegen. Das fühlte sich im Kopf an wie eine Flasche Rotwein.


    Da stand dann also meine persönliche Risikobewertung im kompletten Gegensatz zum Gesetz und auch mein behandelnder Arzt guckte mich nur noch mit großen Augen an, als ich ihm das schilderte. Das 10mal stärke Schmerzmittel (=Morphium) hatte wesentlich weniger Nebenwirkungen bei mir als das schwächere (=Tramadol).


    --> https://de.wikipedia.org/wiki/Opioide

  • Man muss sich bitte einmal vorstellen, was es in der Praxis bedeuten würde, wenn Kolleg:innen mit Rollstuhl in Fachräumen nicht unterrichten dürften.

    Häh? Das stellst gerade nur du dir vor.


    Da es dir darüber hinaus aber an Vorstellungskraft zu mangeln scheint:


    • Eine Schülerin nimmt bei der Synthese von Indigo anstelle des Rührwerks die Heizplatte in Betrieb, es kommt zum Siedeverzug, die Schülerin sowie der gesamte Arbeitsplatz sind voll mit dem Reaktionsgemisch.
    • Eine Schülerin soll mit Ethylacetat im Scheidetrichter ausschütteln, hält aber trotz vorgängiger Einweisung beim drehen des Scheidetrichters den Stopfen nicht fest. Sie leert sich den kompletten Inhalt des Scheidetrichters über.
    • Eine Schülerin hat ein Gefäss mit Benzin zur Extraktion von Fett im heissen Wasserbad. Trotzdem in der Anleitung explizit und fett gedruckt steht, das Gefäss wird *locker* mit einem Stopfen verschlossen, sitzt dieser so fest, dass der Benzindampf das Gefäss sprengt.


    Hör jetzt einfach auf mir unterschieben zu wollen, ich würde beeinträchtigte Personen diskriminieren und erkläre mir, wie die Lehrperson im Rollstuhl respektive an Gehhilfen in solchen Situationen erste Hilfe leistet. Du behauptest ja gehbehinderte Chemie-Lehrpersonen zu kennen. Wie ist das Problem in der Praxis gelöst? Gibt es eine Assistenz oder arbeiten die Jugendlichen einfach nur mit wässrigen Salzlösungen? Selbst bei der Arbeit mit dem Brenner kann es passieren, dass versehentlich etwas in Flammen aufgeht, die Jugendlichen erschrecken sich und keiner ausser der Lehrperson ist noch fähig zu reagieren. Da du selbst Chemie unterrichtest, hast du das Fach studiert und dir sind solche Szenarien sowohl aus der Uni als auch aus der Schule bekannt.


    OK jetzt kommt noch der Unterschied Schweiz und Deutschland zum Tragen

    Weil in Deutschland die Lehrperson in den genannten Fällen keine erste Hilfe leisten muss?



    zum Anderen ist es auch eine Möglichkeit bei nicht vermeidbaren Gefährdungen (Lehrplan) zusätzliche Unterrichtsassistenz zu gewährleisten

    Ist es eine Möglichkeit oder kennst du ganz konkret einen Fall bei dem dies exakt so umgesetzt wird? Welche fachliche Ausbildung hat diese Assistenz? Ist sie befugt mit Chemikalien zu arbeiten?

  • Könnte meine Frage gewesen sein.


    Ich bin zweimal nach einer VKB-Plastik nach 3 Wochen an Gehhilfen wieder eingestiegen und hatte es auch vorher abgeklärt.

    2013 hatte ich dann meinen Chemiestoff auf Powerpoint umgestellt (also den Rest der es noch nicht war) - heute wäre es mit Tablet wesentlich einfacher. Die Schüler mussten dann mehr an die Tafel, das war gar kein Problem. In diesen drei Wochen gab es keine praktischen Übungen, sondern stattdessen in Kleingruppenarbeit und mit diversen Hilfsmitteln - Neutralisationswürfel, Bandolos und anderem Material - Wiederholung wie Reaktionsgleichungen erstellen.


    Informatik war ebenfalls kein Problem.


    Sport hatte ich 2020 dann so vorbereitet, dass es keine Hilfestellung geben musste (Tanz und Fitnessgymnastik - Übungen, die schon vorher bekannt waren) und auch das funktionierte ohne Probleme. Erste Hilfe hätte ich geben können, da ich das Bein hätte belasten dürfen, es aber noch schonen sollte.

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