Laufbahnwechsel abbrechen

  • Liebe KollegInnen,


    Ich arbeite in NRW an einer Realschule im sozialen Brennpunkt. Wir haben einen Migrantenanteil von etwa 90% würde ich schätzen. Das Sozialverhalten an der Schule ist kaum erträglich. Auch wenn ich es in einem anderen Post schon mal geschrieben habe, möchte ich es noch einmal zusammenfassen:


    Es passiert schon vor eigentlich jeder meiner Stunden irgendwas. Ich bin eigentlich pünktlich da, aber bereits eine Minute reicht für weinende Schüler, zerstörte Gegenstände oder Verletzungen. Meistens fehlt zu Stundenbeginn die halbe Klasse. Es gibt Sanktionen, die sich härter sind, aber es ändert sich nichts. Ich wurde schon oftmals persönlich hart angefahren, beleidigt und ständig respektlos behandelt. Wenn wir experimentieren, machen die SuS fast immer etwas gezielt kaputt- in fast allen Klassen. Jede Klasse hat mindestens 10 starke Problemfälle.

    Material behalten kennen die Schüler nicht. Grundlegende Regeln akzeptiert fast niemand. Zu Stundenbeginn liegen Füße auf dem Tisch, es wird auf der Fensterbank gechillt, Mütze auf, Handy in der Hand, Kopfhörer im Ohr.

    Von Niveau her gibt es pro Klasse vielleicht 2-3 die überhaupt mitmachen. 90% der Klasse müssen eigentlich ständig ermahnt werden. Der Stoff auf Realschulniveau ist viel zu schwer für die Schüler- ich nehme sehr oft Inklusionsmaterial für die Regelschüler und auch das kriegen sie nicht hin.

    Die meisten sind keine eigentlichen Realschüler, sondern deutlich drunter.


    Ich selbst habe das Ref für Gym/Ges gemacht und eine Fortbildung mit mindestens 4 Jahresbindung allerdings ohne Rückkehrklausel.


    Von der Realschule habe ich mir eigentlich zumindest halbwegs akzeptables Unterrichten auf mittlerem Niveau erhofft.


    Was soll ich sagen- ich packe das nicht mehr. Ich liebe meine Fächer und Menschen etwas beizubringen. Aber ich kann an dieser Schule nur komplett gegen die Schüler arbeiten.


    Ich muss da dringend weg. Keine der Schulen, wo ich bisher war, war auch nur annähernd vergleichbar. Das werde ich langfristig psychisch nicht durchhalten. Mindestens dreimal die Woche komme ich völlig fertig nach Hause. Motivation ist gleich Null, da jede Vorbereitung von Unterricht eigentlich zwecklos ist.


    Die Frage ist nur wie? Derzeit bin ich noch angestellt aber die Verbeamtung auf A12 steht kurz bevor, brauche nur ein kleines Kolloquium bestehen.


    Wie komme ich da weg, ohne nirgendwo mehr eine Anstellung zu bekommen? Hätte damals niemals diese Stelle annehmen sollen, hab es aber wegen der potentiellen Sicherheit gemacht, weil die Perspektiven sonst eher schlecht waren…


    Vielen Dank für Ideen.

  • Kündigen, neu bewerben. Für solche Zustände wäre ich mir zu schade und würde schnellstmöglich den konsequenten Schlussstrich ziehen. Irgendwo wird sich schon wieder eine passende Stelle in deiner ursprünglichen Laufbahn auftun.

  • Ich kann dein Leid verstehen, bin an einer HS im sozialen Brennpunkt und es ist nicht immer leicht. Besonders wenn man kein Klassenlehrer ist oder gar Nebenfächer unterrichtet, haben die Kids absolut keinen Respekt. Bei uns stehen inzwischen fast täglich irgendwelche Teilkonferenzen an.


    Wenn du ein Ref für Gym/Ges hast und derzeit nur angestellt bist, kannst du dich doch bei Leo auf andere Stellen bewerben oder nicht? Im Zweifel vielleicht auch erstmal eine Vertretungsstelle?

    Wenn der Laufbahnwechsel durch ist, wird es deutlichen schwieriger, da wegzukommen.

    Ich denke nicht, dass es eine Lösung geben wird, die gänzlich ohne finanzielle Risiken ist, wenn du da dringend weg willst.

  • Die persönlichen Konsequenzen sind natürlich das eine.


    Wie sieht es das Kollegium, bzw. die Schulgemeinde die Situation? Teilen auch andere deine Wahrnehmung der Schule und des Unterrichts?

  • Die persönlichen Konsequenzen sind natürlich das eine.


    Wie sieht es das Kollegium, bzw. die Schulgemeinde die Situation? Teilen auch andere deine Wahrnehmung der Schule und des Unterrichts?

    Die sehen das ähnlich. Gibt mehrere, die da dringend weg wollen. Nicht wegen dem Kollegium, sondern wegen den Schülern. Wir haben Sozialindex 5 bzw. die Schule aus der unsere erwachsen ist hatte Sozialindex 6. Der Zahl nach nicht so absolute spitze aber dennoch problematisch.


    Im Leo schaue ich regelmäßig, finde aber nicht angemessenes - wegen Kind und Frau kann ich auch nicht weg und die derzeit 50 Km (ein Weg) Pendelstrecke sind auch das Limit, was ich machen würde.

  • Das ist in der Situation natürlich schwierig. Vielleicht sind das Phasen, in denen man über Grundsatzentscheidungen nachdenken muss. Vielleicht kann ja die Frau wieder arbeiten und du während der Stellensuche mit dem Kind zu Hause bleiben.. vielleicht lohnt es sich, Schulen in der Umgebung abzuklappern und die Chancen auf Vertretungsstellen auszuloten... vielleicht findet sich übergangsweise ein Job komplett außerhalb des Systems Schule... vielleicht kann man sich als Familie doch zu größerer regionaler Flexibilität durchringen etc. Kommt man bei allen Optionen zu dem Ergebnis, dass es nicht geht oder man nicht dazu bereit ist, bleibt nur durchziehen. Auch das dann wiederum mit allen Konsequenzen. Meine Sorge wäre bei den skizzierten Bedingungen, dass man dort auf absehbare Zeit nicht wegkommt und viele unschöne Jahre vor sich hat.

  • Die sehen das ähnlich. Gibt mehrere, die da dringend weg wollen. Nicht wegen dem Kollegium, sondern wegen den Schülern. Wir haben Sozialindex 5 bzw. die Schule aus der unsere erwachsen ist hatte Sozialindex 6. Der Zahl nach nicht so absolute spitze aber dennoch problematisch.


    Im Leo schaue ich regelmäßig, finde aber nicht angemessenes - wegen Kind und Frau kann ich auch nicht weg und die derzeit 50 Km (ein Weg) Pendelstrecke sind auch das Limit, was ich machen würde.

    Wenn es viele so sehen, dann ist das schon einmal hilfreich. Zur Flucht gäbe es noch die Alternative, die Schule noch einmal ganz anders zu denken und das ganze konzeptionell auf den Kopf zu stellen.


    Gemeinsam an anderen Schulen hospitieren, sich Ideen holen und an die Arbeit gehen (Allemannenschule, IGS Kassel Waldau, IGS Erich Kästner in Darmstadt - es gibt noch viele weitere Beispiele).


    Dort sieht man, dass auch mit Standardressourcen einiges möglich ist.


    Ist viel Arbeit, aber meist sinnstiftend und langfristig lohnenswert - aber nur als Gesamtkollegium, bzw. Schulgemeinde.


    VG


    Hiz

  • Ich arbeite unter ähnlichen Umständen. Rückblickend war es für mich hilfreich, die innere Haltung zu verändern:

    Ich habe mich von dem Gedanken verabschiedet, für Wissensvermittlung bezahlt zu werden. Habe meine Prioritäten ganz klar aufs Erziehen gelegt. Keine bzw. kaum Zeit auf Unterrichtsvorbereitung verwenden (das ist bei uns in aller Regel ohnehin "vergebene Liebesmühe"), stattdessen konsequent Fehlverhalten ahnden (z.B. Tadel schreiben, Eltern in die Schule "nerven") und die wenigen Lernbereiten behüten.

    Insgesamt hängt mein Engagement im Blick auf die Unterrichtsqualität also vom Arbeits- und Sozialverhalten des Kurses ab. In allen Bereichen 100 Prozent zu geben, schafft an einer solchen Schule kein Mensch.

    Vielleicht konkret zu deiner Situation: Ich bin kein NaWi-Mensch, aber KuK mit NaWi-Fächern sagen mir, dass sie nur experimentieren, wenn das mit dem Kurs auch klappt. Ansonsten wird es eben trockener, man zieht aus dem Fachraum in den Klassenraum um und lässt abschreiben bis sich die SuS benehmen können. Hört sich hart an und mag für einige KuK schwer nachvollziehbar sein, aber das ist meine schulische Realität.

    Da die Vorbereitung und Durchführung guten Unterrichts eine meiner Hauptmotivationen war, Lehrer zu werden, fehlt mir das schon. Deshalb gibt es dann, wenn die Ressourcen es mal zulassen, "Sternstunden" in Kursen, in denen das funktioniert. Ansonsten: Im System Schule gibt es aus meiner Sicht neben dem normalen Lehrersein so viele interessante Sonder- und Nebenwege (z.B. Fachleitung), sodass ich mir denke, dass ich das nicht bis zur Pensionierung machen muss.

  • Nicht vorzubereiten ist keine Lösung und macht das Ganze noch schlimmer.

    Tausch dich am besten mit deinen Kollegen aus und stell deinen Unterricht auf die Methoden und Sozialformen um, die funktionieren. Man kann an nahezu keiner Realschule, Sekundarschule oder Hauptschule einen Standard-Gym-Unterricht durchziehen. Das Problem haben unsere Schulform-Quereinsteiger auch, obwohl unsere Schüler gut laufen.


    Bezüglich der Inhalte: Knallhart didaktisch reduzieren (ohne dass es falsch wird). Das wird immer belächelt, aber ist ziemlich anspruchsvoll, wenn man es richtig machen will. Erfolgserlebnisse für die Schüler schaffen um deren Motivation (wieder) aufzubauen.


    Egal ob es einen Ausstiegsweg gibt, der wird ja nicht von heute auf morgen klappen. Damit nicht der Rest der Zeit die persönliche Hölle bleibt, musst du dir Hilfe holen und deinen Unterricht umstellen. Das ist ein schwieriger Weg, so etwas wieder zu drehen, aber letztlich ein alternativloser.

  • Die meisten Ausschreibungen für Februar sind gerade wieder raus, weil die Bewerbungsfrist um war, aber am BK hättest du je nach Fach auch gute Chancen.

    Only Robinson Crusoe had everything done by Friday.

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