Unterschied zwischen den heutigen Grundschülern und den Grundschülern von vor zehn, fünfzehn Jahren

  • Ich plane, demnächst vertretungsweise (da nur Erstes Staatsexamen) mit 50+ wieder in die Grundschule zu gehen. Zuletzt habe ich vor neun Jahren unterrichtet (damals 3. Schuljahr). Aus den bisherigen Antworten auf meine Fragen hier im Forum war zu schließen, dass die Schülerinnen und Schüler von vor zehn Jahren nur noch sehr bedingt mit den heutigen zu vergleichen sind. Daher meine Frage:


    Worin bestehen die wesentlichsten Unterschiede und inwiefern berücksichtigt Ihr das bei der Unterrichtsvorbereitung und im Unterricht selbst?

  • Also unsere SuS haben sich nicht verändert in den letzten 10 Jahren. Nur jeder für sich :S

    Sie heißen wahrscheinlich spätestens nach 4 Jahren anders.

  • Worin bestehen die wesentlichsten Unterschiede und inwiefern berücksichtigt Ihr das bei der Unterrichtsvorbereitung und im Unterricht selbst?

    Meine Gedanken/Erfahrung:

    Im Prinzip kann man es so sagen: Man muss sich auf mehr Heterogenität bei Schülern und Eltern, Stundenkürzungen und größere Klassen wegen Lehrermangel einstellen.

    Die Konsequenz daraus ist, dass man sich mehr mit Spezialfällen auseinandersetzen muss und am besten entsprechend professionelles Wissen aneignen muss, wie man am besten damit umgeht. Es werden einem diverse Lösungsmöglichkeiten angeboten, man muss das heraussuchen, was einem am besten liegt.

    Ich habe es immer so gemacht, ich habe mich dann damit beschäftigt, wenn es aktuell war. Profilaktisch sich vorbereiten ist schwierig, es sei denn, man hat die Möglichkeit am Unterricht im Vorfeld zu hospitieren. Das würde ich dir vorschlagen. An meiner Schule sind Hospitierende und Praktikanten gern gesehen, weil man sie zur Unterstützung heranziehen kann.

  • Bisher weißt du doch noch nicht, an welcher Schule du landest, oder?

    Da ist die Vorbereitung vorab schwierig, je nach Einzugsgebiet ist es anders.


    Ich finde, die besonderen Bedürfnisse und speziellen Beeinträchtigungen haben in ihrer Häufigkeit und auch Ausprägung zugenommen.

    Aber das ist auch wieder in jeder Klasse verschieden und schon morgen kann ein anderes Kind auf der Matte stehen.


    Sinnvoll ist vielleicht, sich schon mal die gängigen Grundschulblogs anzusehen, damit man einen Überblick hat, wo man gutes Material findet und schnell Differenzierung aus dem Hut zaubern kann.

    Altes Material ist ein guter Grundstock, manches ist inzwischen einfach hübscher gestaltet, aber es hilft, wenn man darauf zurückgreifen kann.


    Wenn es dann so weit ist, kannst du hier konkret fragen und bekommst sicher Antworten.

  • Ohne Differenzierung (mindestens zwei, besser drei Niveaustufe) kannst du Grundschulunterricht heute vergessen. Die Spannbreite ist viel größer geworden. Das bedeutet also, dass man jeden Unterricht zwei- oder dreifach planen muss. Gute Erfahrung mache ich mit Wochenplänen, so bleibt viel Raum für individuelles Lernen und als Lehrer kann man sich gezielt um einzelne Schüler kümmern. Ich bin sicher, dass Grundschulklassen vor 10 oder 20 Jahren homogener waren. Durch z. B. Migration oder dem Einfluss von Medienkonsum verfügt doch eine hohe Zahl von Schülern über geringere Lernkompetenzen als früher.


    Auch die Elternschaft hat sich verändert. Elterliches Engagement (bei Ausflügen oder Bastelaktionen oder bei Gremienarbeit) ist massiv zurückgegangen. Das ist zum einen der zunehmenden Berufstätigkeit beider Elternteile geschuldet, zum anderen aber auch einer spürbaren Bequemlichkeit und einem Desinteresse der Eltern, die eigentlich Zeit hätten. Gefordert und kritisiert wird aber viel.


    Die Schüler haben sich nicht großartig verändert. Vielleicht ist die Zahl lern- und verhaltensauffälliger Schülerinnen und Schüler in einer Klasse leicht gestiegen, aber ansonsten sind Grundschulkinder nach wie vor liebenswert, zugänglich, beziehungsinteressiert und lernbereit.

  • Vielen Dank, insbesondere an Caro07 und Palim.

    Genau, ich weiß noch nicht, an welche Schule ich komme, aber die Idee, nach Möglichkeit vorher mal zu hospitieren (oder vielleicht auch nach den Besonderheiten der Klasse zu fragen), finde ich gut, genauso wie die Idee mit den Grundschulblogs.

  • Ich überlege, ob man vorab, also quasi theoretisch, Differenzierung durchdenken kann. Vielleicht zumindest derart, dass man sich exemplarisch für ein oder zwei Themen die Möglichkeiten anschaut?

    Es ist vieles möglich, am Ende manches von der Ausrichtung der Schule abhängig, immer natürlich von den Schüler:innen,

    aber grundsätzlich muss man sich selbst Gedanken machen, welche Wege man wählen will, offeneres Arbeiten, zusätzliche Aufgaben, …

    Das ist allerdings auch von den Vorgaben des Landes abhängig: ich kann mehrere SuS aus den Lehrgängen nehmen, um sie mit Hilfe anderer Materialien gezielt fördern zu können (auf jeden Fall DaZ, zum Teil Mathe, inzwischen auch bei Kindern mit Einschränkungen, selbst wenn offiziell noch kein Status besteht, weil das Land die Zeitpunkte der Überprüfung beschränkt hat.)

  • Vielleicht ist die Zahl lern- und verhaltensauffälliger Schülerinnen und Schüler in einer Klasse leicht gestiegen, aber ansonsten sind Grundschulkinder nach wie vor liebenswert, zugänglich, beziehungsinteressiert und lernbereit.

    Finde ich auch! Trotzdem gibt es viel mehr unkonzentrierte und unselbständige Kinder in den Schulen. Schlimmer ist noch, dass viele Eltern die Grundschule als Verwahrort für die lieben Kleinen sehen und sich kaum noch um schulische Dinge kümmern. Alles ist Aufgabe der Schule, Material besorgen, Schultasche in Ordnung halten, Obst zum Frühstück z.B., auch das Beibringen vieler lebenspraktischer Dinge, die fast alle Kinder "früher" vor der Einschulung schon konnten.

  • Auch die Elternschaft hat sich verändert. Elterliches Engagement (bei Ausflügen oder Bastelaktionen oder bei Gremienarbeit) ist massiv zurückgegangen.

    Wobei mir bislang auch nicht eingeleuchtet hat, warum Eltern Schulklassen begleiten sollen. Allein die Vorstellung, dass schon irgendwer vormittags Zeit haben wird, finde ich vermessen.

  • Wobei mir bislang auch nicht eingeleuchtet hat, warum Eltern Schulklassen begleiten sollen. Allein die Vorstellung, dass schon irgendwer vormittags Zeit haben wird, finde ich vermessen.

    Ja, ich glaube auch, dass das aus der Zeit gefallen ist. Aber Gremienarbeit findet am späten Nachmittag oder abends statt, ebenso das Engagement in einem Förderverein. Und auch hier engagiert sich bei uns von 250 Familien gerade mal eine Handvoll.

  • Ja, ich glaube auch, dass das aus der Zeit gefallen ist. Aber Gremienarbeit findet am späten Nachmittag oder abends statt, ebenso das Engagement in einem Förderverein. Und auch hier engagiert sich bei uns von 250 Familien gerade mal eine Handvoll.

    Naja, wenn man beruftätig ist, hat man eben weniger Zeit und auch Energiereserven dafür. Früher, als viele Frauen noch daheim waren, war für sowas mehr Ressource. Vielen ist sicher auch mal die Decke auf den Kopf gefallen, da hat man sich über die Abwechslung vielleicht gefreut. Es muss also nicht immer nur Desinteresse sein.

    Wer Fehler findet darf sie behalten und sich freuen! :victory:

  • Vielen Dank für Eure Darstellungen und die Ehrlichkeit. Wuenschelroute scheint mir die Probleme gut zusammengefasst zu haben. Ich werde dann mal sehen, wie lange ich unter Differenzierungs- und anderen aspekten an der Unterrichtsvorbereitung sitze. Ich hoffe aber, es ist nicht wieder so wie vor 10 Jahren einmal, dass der Stundensatz nachher bei 2,50 Euro lag... dennoch würde ich eher noch einen extrem niedrigen Stundenlohn akzeptieren als unvorbereitet oder "undifferenziert" in den Unterricht zu gehen.


    Mehrfach wird die Unselbständigkeit der Schülerinnen und Schüler bemängelt: Worauf genau muss ich mich einstellen?

  • Weniger als wenig.

    Zunehmend mehr Schüler:innen haben den Anspruch, dass du als Privatlehrperson auf alle ihre Wünsche eingehst, sie 1:1 coachst und ihnen alles Schwierige abnimmst.


    Meine Erfahrung ist, dass man ihnen erklären und zeigen muss, dass es in der Schule anders ist und was man von ihnen erwartet. Man muss sich dann Zeit nehmen, die Missverständnisse auszuräumen und die Arbeitsweisen zu trainieren (Hefte und Schultasche organisieren, Anstrengungsbereitschaft erhöhen).

    Stell dich darauf ein, dass von den Familien kaum oder keine Unterstützung kommt und freu dich, wenn es bei wenigen oder mehreren anders ist.

  • Ich denke, dass man sich auch nicht bei der Differenzierung jeden Schuh anziehen muss. Wir haben einen Förderschulmann, der meint, dass man den Unterricht im Endeffekt für jedes Kind individuell gestallten kann. Frei nach dem Motto dann bekommt A,B,C hat jeweils ein auf sich angepasstes Arbeitsblatt zum gleichen Thema.


    In der Theorie ist das alles schön. In Praxis muss man sehen, was möglich ist. Es gibt viele Möglichkeiten sich Arbeit zu sparen oder Dinge so zu gestalten, dass man Arbeit spart. Letztlich hat man nur eine begrenzte Arbeitszeit pro Tag zur Verfügung und muss diese möglichst sinnvoll einsetzen. Das geht damit los, dass Kinder einen Wochenplan bekommen und zu mindestens stundenweise etwas anderes arbeiten als der Rest der Klasse. Man kann mit natürlicher Differenzierung bei der Wahl der Aufgabenstellung viel erreichen. Wenn möglich ist das immer mein Favorit. Man kann sich Helfersysteme aufbauen. Einzelne Kinder nutzen ggf. von vornherein ein anderes Lehrwerk, Arbeitsheft etc., so dass man nicht jedes AB überarbeiten muss. Gerade bei der Differenzierung und bei Förderschulkinder kann man ganz viel machen. Da hat man dann immer das Gefühl, dass man zu wenig macht. Aber man muss auch sehen, dass man nur für eine normale Arbeitszeit bezahlt wird und man nicht durch Mehrarbeit alle Defizite der Politik bzw. des Landes kompensieren kann und muss. Dann werden halt Kindern nicht optimal gefördert. Wenn der Dienstherr das anders möchte, muss er mehr Stunden dafür einplanen.

  • sinaneele , du möchtest dich offenbar gerne auf alle Eventualitäten vorbereiten. Das ist natürlich dein Recht. Mein Eindruck ist aber, dass dir das nicht sehr gut tut. Du wirkst durch deine Sorgen, alles 100% zu machen, bevor du überhaupt vor der Klasse stehst, auf mich aufgeregter, als gut ist. Ich würde erst mal eine Runde Galgenraten oder Tafelfußball spielen und mir von den Kindern zeigen lassen, was sie schon alles gelernt haben. Dabei würde ich ganz besonders aufs Classroommanagement achten: nur einer spricht, jeder sitzt auf seinem Platz, das Material fürs Fach ist ausgepackt und liegt ordentlich an der Tischkante.


    Alles andere, auch konkrete Fragen, ergeben sich dann, wenn es soweit ist. Viel Spaß :)

  • Vielen Dank den weiteren Ratgeberinnen und Ratgebern.

    Palim, mit einer Antwort dieser Art hatte ich schon gerechnet, jetzt habe ich es blau auf grau :)

    Früher konnte die Kindertagesstätte noch einiges auffangen, aber wahrscheinlich sind auch dort die Gruppen mittlerweile zu groß und es gibt zu viele Kinder mit Defiziten als dass sich noch viele Defizite ausgleichen ließen.


    @ Quittengelee: Richtig, ganz genau so ist es :)

    Danke aber für Deine Ratschläge für den allerersten Anfang :)

  • Stimmt, an Corona habe ich gar nicht mehr gedacht; aber Corona vor zwei, drei Jahren in Verbindung mit Personalmangel heute...

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