Schulnoten (Niedersachen) oder Entwicklungsberichte (Bremen) in der Grundschule

  • Hallo alle zusammen,

    ich habe eine Frage an alle Grundschullehrer_innen :)

    Wenn ihr euch aussuchen könntet, ob ihr in der Grundschule in Klasse 3 und 4 Entwicklungsberichte ankreuzen oder schreiben könnt oder ob ihr Schulnoten geben könnt, wofür würdet ihr euch entscheiden? Und warum?

    Ich frage, weil ich mich auf Festanstellungen bewerben möchte. Entweder in Bremen (dort gibt es Entwicklungsberichte) oder in Niedersachsen (dort gibt es Noten).

    Ich kann mir vorstellen, das Schulnoten großen Leistungsdruck erzeugen können, sowohl bei den Kindern, den Eltern und dadurch auch bei den Lehrern.

    Gleichzeitig bieten Noten eine klare Orientierung und für mich als Lehrkraft auch Grenzen bei der Differenzierung (und damit Klarheit bei der Unterrichtsplanung). Aber es gibt eben wieder auch den Druck zu überlegen, ob ein Kind die Klasse wiederholen muss. Und ich müsste dann bereits zum Halbjahr entsprechend auch Elterngespräche führen. Und ich muss den Unterricht durchziehen, egal ob Kinder mitkommen oder nicht. Und durch die Grenzen bei der Differenzierung kann ich manche Kinder vielleicht nicht individuell fördern und das ist auch wieder Stress für alle.

    Beispiel: Thema Zehnerübergang im Zahlenraum bis 100 - Klasse 2

    In meiner Klasse ist zum Beispiel ein Kind, dass das noch nicht im Zahlenraum bis 20 den Zehnerübergang rechnen kann und eigentlich müsste es in diesem Zahlenraum auch erstmal noch einmal Ergänzen bis zum nächsten Zehner üben. In Bremen würde ich einfach entsprechende Angebote für das Kind machen. In Niedersachsen müsste ich zu diesem Zeitpunkt mit den Eltern Gespräche führen, dass das Kind evtl. die Klasse 2 wiederholen solte, weil es den zahlenraum bis 100 noch nicht vollständig erschlossen hat und auch im Zahlenraum bis 20 noch nicht sicher rechnen kann ... (im ersten Schuljahr wollten die Eltern nicht, dass das Kind freiwillig wiederholt).

    Wenn ich nun für das Kind differenziere, dann kann ich in Niedersachsen Stress bekommen, weil das Kind dann ja nicht den Zehnerübergang im Zahlenraum bis 100 übt, den es am Ende des Schuljahres können muss. Ich könnte Stress bekommen, wenn das Kind ein differenziertes Lernangebot bekommt, dadurch gefördert wird, aber trotzdem die erforderten Kompetenzen am Ende des Schuljahres nicht erreicht (und ich sie diesem Kind durch die Differenzierung nichtmal angeboten habe).

    Ohne Differenzierung quält sich aber das Kind, es stört den Unterricht und sein Selbstwertgefühl sinkt auch und es bekommt durch Misserfolge Leistungsangst. Bis es dann irgendwann die Klasse wiederholt, ist das auch Stress für alle.

    In Bremen kann ich mir vorstellen, das weniger Leistungsdruck da ist, weil die Kompetenzen in Kompolei angekreuzt werden und die Kinder sich nach ihrem eigenen Tempo entwickeln können und dann immer je nach Entwicklung eine Stufe weiterkommen. Im Unterricht muss ich dann als Lehrkraft natürlich mehr differenzieren. Aber das gehört dazu und ich darf das auch machen ohne Problem. Ich kann beobachten, was das Kind kann (anstatt was das Kind nicht kann). Und ich kann ohne Probleme differenzieren. Kinder in Bremen bleiben auch eher selten sitzen (nur auf Elternwunsch).

    Es wird dann nur schwierig, wenn die Leistungsspanne unter den Kindern immer größer wird und ein Kind in der dritten Klasse dann in manchen Bereichen erst das Niveu eines Erstklässlers erreicht oder auf dem Weg ist, das Niveu eines Zweitklässlers zu erreichen. Und wenn ich keine Ressourcen habe, einen differenzierten Unterricht zu planen.

    Ich bin unsicher. Mein Referendariat habe ich in Bremen gemacht und als Vertretung habe ich in Niedersachsen gearbeitet. Allgemein habe ich das Gefühl, das in Niedersachsen mehr Leistungsdruck herrscht, sowohl für Kinder als auch für Lehrkräfte. Gleichzeitig müssen die Kinder aber auch etwas lernen und es müssen gewisse Standards erfüllt werden. Es bringt ja nichts, wenn ein Kind immer wieder versetzt wird (in Bremen) und dann letztendlich gar nicht mehr auf seinem Niveau gefördert werden kann, weil die Ressourcen nicht da sind.

    Könnt ihr mal von euren Erfahrungen berichten? Also wie fühlt ihr euch als Lehrkraft in Niedersachsen bzw. in Bremen? Seid ihr zufrieden damit, Schulnoten zu geben bzw. Kompolei anzukreuzen?

    Und für die Lehrkräfte in Niedersachsen: Unterrichtet ihr lieber in Klasse 1 und 2, wo man noch Entwicklungsberichte schreibt oder in Klasse 3 und 4, wo man Noten geben muss?

    Und wie geht das eigentlich, mündliche Noten zu geben? Fühlt ihr euch davon gestresst bzw. unter Druck gesetzt?

    Und findet ihr es gut, in Kunst Musik und Sport in der Grundschule Noten geben zu müssen? Wie bewertet man diese Fächer?

  • ich hasse noten!! das mag ich am lehrersein echt am wenigsten.

    da werden hilfsbereite kinder und entspannte eltern auf einmal zu geiern und unsympathen. ich würde sofort die berichte wählen.

    wenn es bei uns in klasse 3 noten gibt, versuche ich, das so beiläufig wie möglich zu machen. ich sage den kindern auch, dass mir diese zahlen nicht gefallen und dass es ein märchen ist, dass man damit angeblich magisch messen kann, wie "gut" jemand ist. ich sage ihnen, das ist einfach dasselbe wie fehler oder richtige aufgaben zu zählen und fehler sind völlig in ordnung und von mir aus müsste man da nie was zählen, solange man die sachen erklärt, drüber spricht und bei bedarf nochmal übt.

    manche eltern fühlen sich schon von einer 2 persönlich beleidigt und zeigen das den kindern. ich mochte auch noch nie streber, die nicht aus interesse, sondern für noten, wettbewerb und leistung lernen.

  • Allgemein habe ich das Gefühl, das in Niedersachsen mehr Leistungsdruck herrscht,

    Das, was du aus Bremen schreibst, kann man in NDS auch realisieren, es gibt seit wenigen Jahren die Möglichkeit zu Ankreuzzeugnissen, das kommt sicher in den nächsten Jahren noch mehr in den Fokus, die Möglichkeit zu Berichten auch in Klasse 3/4 gibt es schon länger.

    Auch die Differenzierung ist in NDS gegeben, das Kind bekommt einen Nachteilsausgleich, man kann auch die Note aussetzen, differenzieren muss man ohnehin.

    Bremen ist oft Vorreiter in sozialen Dingen, Bremen startet mit der Arbeitszeiterhebung, Bremen ist Neuerungen eher aufgeschlossen, du hast die Uni in der Nähe.

    Der Magistrat kann dich nach Bremerhaven versetzen oder in eine Stadtteil, der die nicht so gut gefällt … aber auch das kann in NDS ebenso passieren.

  • Ich hasse Berichtszeugnisse. Erstens ist eine riesige Arbeit. Die schreibt man nicht eben so. Da kann man sich viele Abende dran aufhängen. Und dann hat mit viel Mühe eine fantastische Formulierung des Leistungsstandes der Kinder gefunden und dann kommen die Eltern und diskutieren jede kleine Formulierung.

    Die Eltern, die Stress machen, machen es genauso bei Berichtszeugnissen wie auch bei Noten. Das Problem sind die Eltern. Aber bei Berichtszeugnissen steckst Du unwahrscheinlich viel Arbeit rein mit wenig Output. Die einen Eltern interessiert es eh nicht und die Eltern, die das wirklich Ernst nehmen, machen nur Stress.

    Das einzige positive ist die Perspektive der Kinder. Da ist eine Formulierung halt schöner als eine 5. Aber andererseits haben wir in Klasse 1/2 sowieso Berichtszeugnisse und in Klasse 3/4 wissen die Kinder sowieso was Sache ist. Unsere IGS hat auch keine Noten. Die Kinder kommen immer mit ich habe XY Prozent, das ist eine 3. Aber das dürfen die Lehrer nicht runterschreiben.

    Wie Palim es schon gesagt hat, kann man Niedersachsen auch Berichtszeugnisse machen. Es wird aber schon einen Grund haben, warum die meisten bei Notenzeugnisse bleiben.

    Bei Erfahrung mit Kollegen aus Bremen ist sehr zwiegespalten. Es gibt ein paar fantastische Grundschulen, an denen ich gerne arbeiten würde. Es gibt aber auch und ich denke, dass das die Mehrheit ist, viele Schulen mit problematischen Klientel. Und einige aus richtigen Brennpunkten. Dazu ist Bremen sowohl als Schulträger als auch Land chronisch Pleite. Nach meiner Erfahrung ist das ein gewaltiger Unterschied. Ich habe beides kennen gelernt.

    Reiche Kommunen machen das Leben als Lehrer so viel einfacher. Die Gebäude sind in Ordnung. Städtisches Personal wie Sekretärin und Hausmeister sind genug da. Wenn etwas kaputt ist, wird es repariert. Wenn etwas gebraucht wird, wird es gekauft. Es ist Geld für Sonderleistungen da. Teilweise wird zusätzliches Geld für Ganztag und Betreuung zur Verfügung gestellt.

    Wenn Du erstmal an einer Schule bist und die einzige Tafel im Klassenraum kaputt ist, du aber mindestens 1 Jahr warten musst bist eine Reparatur erfolgt, wirst du merken was ist. Oder wenn es in deinem Raum chronisch zieht, Schimmel an den Wänden ist oder keine Heizung.

    Und Niedersachsen an sich ist auch nicht reich hat aber deutlich mehr finanziellen Spielraum als Bremen.

    Wenn ich nicht wüsste das ich in Bremen an Schule xy lande und da auch bleibe würde ich Bremen meiden. Allerdings wäre Delmenhorst noch schlechter. Oldenburg ist ein Traum. Das Umland teilweise auch.

  • bei uns gibt es in klasse 1/2 leider keine berichtszeugnisse, sondern indikatorzeugnisse. für eine ganze klasse muss ich bei allen indikatoren, die ich ankreuzen muss, 1600x grübeln, habe ich mir mal ausgerechnet. ich finde es besser als zensuren, muss aber tatsächlich jede kompetenz erfassen und fürs zeugnis dann teilweise nochmal in tests nachschauen. nur 1x in corona durften wir ein berichtszeugnis schreiben. ich fand das wunderbar. mir macht schreiben überhaupt nichts aus und ich konnte bei jedem kind genau schreiben, was die besonderen stärken sind und wo noch entwicklung nötig ist. so konnte ich endlich mal gesunden menschenverstand anwenden, statt scheinobjektive zahlen und kreuze zusammenzupfuschen! es ging sogar schneller, da ich als klassenleitung die kinder sehr gut kenne.

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