Versagensängste

  • Liebe Community,

    ich befinde mich in einer für mich etwas komplizierten Lage. Ich bin kurz davor den Masterstudiengang Lehramt Sek1 ( Fächer Technik und Geschichte) in BaWü zu beginnen. Das Studium fällt mir relativ leicht und macht mir auch sehr viel Spaß. Genauso liefen die Praktika sehr gut, in denen ich auch sehr gutes Feedback bekam, und die Vorbereitung der Stunden bereiteten mir sehr viel Freude. Nach dem Bachelor habe ich zwischenzeitlich als Schulbegleiter gearbeitet, und dort auch sehr viel Wertschätzung erfahren, konnte dort auch immer auch zu Kindern mit herausfordernden Verhaltensweisen einen guten Zugang finden und eine Beziehung aufbauen. Alles in allem liest sich das aus der Distanz vielleicht wie gute Voraussetzungen für den Lehrberuf. Tatsächlich belasten mich im Moment aber sehr große Versagensängste in Bezug auf den Vorbereitungsdienst. Das liegt hauptsächlich daran, dass die Praktika nicht gerade repräsentativ und authentisch für den tatsächlichen Alltag einer Lehrkraft sind, und mir deshalb die Vorhersehbarkeit fehlt um mich selbst realistisch einschätzen zu können. In den Praktika musste ich so drei bis fünf Stunden pro Woche (wenn überhaupt) vorbereiten, denen ich mich ganz entspannt widmen und ohne Zeitdruck kreativ sein konnte. Ich habe die Befürchtung, dass ich bei 12 Stunden pro Woche mit Zeitdruck eher in Zustände komme, an denen überhaupt nichts mehr funktioniert.

    Damit ich nicht falsch verstanden werde, es ist nicht der potenzielle tatsächliche Workload pro Woche, der mich abschreckt, eher im Gegenteil. Ich bin bei sinnstiftenden Tätigkeiten sogar motiviert und fähig, mich dem weit mehr als 40 Stunden pro Woche zu widmen. Es ist eher die Stundentaktung und das vorgegebene Tempo in 45 bzw. 90 Minuten alles durchbekommen zu müssen, und das zwölf Mal pro Woche, was beim Gedanken daran große Hemmungen in mir auslöst. Ich weiß, dass es Schulen und Settings gibt, in denen klassische Stundenstrukturen und Frontalunterricht aufgelöst oder auf andere Art gestaltet sind (z.B mit individuellen Lernplänen usw). Das habe ich auch in der Schulbegleitung an SBBZ für emotional-soziale Entwicklung erlebt, und ich bin mir sehr sicher, dass ich in solchen Umgebungen mit kleineren Klassen und mehr individualisiertem Lernen total aufgehen würde.

    Diese Versagensängste haben bei mir jetzt tatsächlich dazu geführt, dass ich darüber nachdenke, statt Lehramt einen Masterstudiengang in Pädagogik zu belegen, und mich von dem Plan Lehrkraft zu werden komplett zu verabschieden, auch wenn es mir irgendwie sehr schwer fällt mich davon zu lösen. Ich weiß, dass man nach dem Vorbereitungsdienst auch mit dem 2.Staatsexamen in Sekundarstufe 1 die Möglichkeit hat, an einem solchen SBBZ zu arbeiten, jedoch ist mir das Risiko zu hoch auf dem Weg dorthin im Vorbereitungsdienst doch zu scheitern, und man nur mit dem Master of Education nicht wirklich einen direkten Plan B hat.

    Ich weiß nicht einmal genau, was ich mit diesem Post bezwecken will, bzw. welche konkrete Art von Rat ich erwarte, aber irgendwie war es ein Bedürfnis das bei euch Personen vom Fach irgendwie mal loszuwerden und vielleicht doch die ein oder andere Rückmeldung zu bekommen.

    Liebe Grüße und schöne Sommerferien

  • Das klingt wie klassische Angst vor der Angst. Da kann es passieren, dass man sich in Gedankenspiralen hineinbegibt, bis einem selbst irgendwann selbst relativ abwegige Entscheidungen ("läuft bisher alles super, aber zur Sicherheit wechsle ich nun doch lieber mein Studienfach") völlig logisch erscheinen. Wie du schreibst, gibt es den Weg ans SBBZ auch, wenn du erstmal den Weg weitergehst, den du geplant hattest. Daher spricht von außen erstmal sehr viel dafür, nicht anders abzubiegen.

    Mein Tipps wären: Ganz viel Durchatmen (auch zwischendurch immer wieder). Dann mit Leuten darüber sprechen, die dich und idealerweise auch deine bisherigen Studien- und Praktikumsleistungen kennen. Erstmal nicht wechseln. Wenn du in ein paar Wochen immer noch die gleichen Gedanken hast, dann würde ich versuchen, wenn es sich irgendwie einrichten lässt, an einer Schule ein etwas längeres Praktikum zu machen, bei dem du dich am Ende mal an den ca. 12 Stunden versuchen kannst, um einen Abgleich Angst vs. Realität zu machen.

    Ich wünsche dir viel Erfolg!

  • Das klingt wie klassische Angst vor der Angst. Da kann es passieren, dass man sich in Gedankenspiralen hineinbegibt, bis einem selbst irgendwann selbst relativ abwegige Entscheidungen ("läuft bisher alles super, aber zur Sicherheit wechsle ich nun doch lieber mein Studienfach") völlig logisch erscheinen. Wie du schreibst, gibt es den Weg ans SBBZ auch, wenn du erstmal den Weg weitergehst, den du geplant hattest. Daher spricht von außen erstmal sehr viel dafür, nicht anders abzubiegen.

    Mein Tipps wären: Ganz viel Durchatmen (auch zwischendurch immer wieder). Dann mit Leuten darüber sprechen, die dich und idealerweise auch deine bisherigen Studien- und Praktikumsleistungen kennen. Erstmal nicht wechseln. Wenn du in ein paar Wochen immer noch die gleichen Gedanken hast, dann würde ich versuchen, wenn es sich irgendwie einrichten lässt, an einer Schule ein etwas längeres Praktikum zu machen, bei dem du dich am Ende mal an den ca. 12 Stunden versuchen kannst, um einen Abgleich Angst vs. Realität zu machen.

    Ich wünsche dir viel Erfolg!

    Danke für deine Antwort. Das klingt nach einer guten Idee. Ich habe auch schon einen Termin bei der professionellen Beratung an der PH gebucht.

  • Noch ergänzend: Beim ersten Mal sind 12 Stunden natürlich sehr schwierig und es ist unwahrscheinlich, dass sie perfekt sind. Aber der Übungseffekt ist enorm, und ein paar Monate später blickt man oft zurück und denkt - "wow, ich bin wirklich viel schneller geworden bei der Vorbereitung".

  • Ich würde mich meiner Vorrednerin gerne anschließen. Ich bin ein insgesamt sehr nervöser Mensch mit hohen Versagensängsten, auch wenn ich weiß, dass ich mit hohem Workload gut klarkomme. Im Vorbereitungsdienst fühlte man sich dann etwas in der Luft. Ich würde das auch nicht unbedingt ein zweites Mal machen wollen, aber ich bin wirklich gerne Lehrerin. Die Sachen, die du beschreibst (wenig Zeit,…) nehme ich auch immer noch wahr. Da muss man für sich selbst so ein bisschen den richtigen Weg finden und Schwerpunkte setzen und sich an einigen Stellen auch sagen, dass man nicht mehr leisten kann als das System zulässt.

    Ich denke, da du ja wirklich Lehrerin werden willst, solltest du das auf jeden Fall ausprobieren. Sollte es dann nicht funktionieren, hast du ja selbst geschrieben, dass es immer noch Wechselmöglichkeiten gibt. Erstmal Kopf hoch und durchatmen, auch wenn das leichter gesagt als getan ist. :)

  • Ich würde mich meiner Vorrednerin gerne anschließen. Ich bin ein insgesamt sehr nervöser Mensch mit hohen Versagensängsten, auch wenn ich weiß, dass ich mit hohem Workload gut klarkomme. Im Vorbereitungsdienst fühlte man sich dann etwas in der Luft. Ich würde das auch nicht unbedingt ein zweites Mal machen wollen, aber ich bin wirklich gerne Lehrerin. Die Sachen, die du beschreibst (wenig Zeit,…) nehme ich auch immer noch wahr. Da muss man für sich selbst so ein bisschen den richtigen Weg finden und Schwerpunkte setzen und sich an einigen Stellen auch sagen, dass man nicht mehr leisten kann als das System zulässt.

    Ich denke, da du ja wirklich Lehrerin werden willst, solltest du das auf jeden Fall ausprobieren. Sollte es dann nicht funktionieren, hast du ja selbst geschrieben, dass es immer noch Wechselmöglichkeiten gibt. Erstmal Kopf hoch und durchatmen, auch wenn das leichter gesagt als getan ist. :)

    Danke dir.

  • Bei den Beiträgen erkenne ich mich selbst wieder, auch wenn ich in der Erwachsenenbildung und nicht im Schuldienst tätig bin und das seit mittlerweile fast zwanzig Jahren. Was mir geholfen hat, war, die Angst nicht mehr negativ zu sehen, sondern als Antreiber und Instanz, die dafür sorgt, dass ich meine Arbeit gut mache und nicht irgendwas von schlechter Qualität abliefere. Ich hab sie mir quasi zum Freund gemacht.

    Vielleicht hilft das ja?

    Dafür musste ich mich allerdings auch ganz schön mit mir selbst auseinandersetzen und mich besser kennenlernen. Jetzt weiß ich, dass in mir unter anderem eine Perfektionstante wohnt, die ein echter Zeitfresser ist. :D

    [Absatz von der Moderation entfernt]

    Liebe Grüße und schönen Sonntag!

    Michaela

  • Vielleicht noch eine Frage, die mir nachträglich noch einfiel: Habt ihr vielleicht Tipps für Schulen, die zwar keine SBBZ sind, aber dennoch eher offene Unterrichts- und Lernstrukturen haben, und an denen man ggf. den Vorbereitungsdienst absolvieren könnte?

  • Warum sollte es ausgerechnet dir nicht gelingen? Tausende Lehrkräfte arbeiten so. Man lernt doch während des Refs, die Ziele übers Jahr zu verteilen, dass man sie in 45 min packen kann.

    Ob man das grundsätzlich möchte ist natürlich die Frage, aber gelingen würde es dir wie jedem anderen zuvor. Ich tippe auch auf "Angst vor der Angst".

    ...Es ist eher die Stundentaktung und das vorgegebene Tempo in 45 bzw. 90 Minuten alles durchbekommen zu müssen, und das zwölf Mal pro Woche, was beim Gedanken daran große Hemmungen in mir auslöst...

  • Vielleicht noch eine Frage, die mir nachträglich noch einfiel: Habt ihr vielleicht Tipps für Schulen, die zwar keine SBBZ sind, aber dennoch eher offene Unterrichts- und Lernstrukturen haben, und an denen man ggf. den Vorbereitungsdienst absolvieren könnte?

    Da fallen mir als erstes Montessori-Schulen ein - ich glaube, da ist oft auch ein reguläres Referendariat möglich, bin aber nicht sicher, ob das auch in BaWü/ Sek I geht.

  • Erst einmal vielen Dank für eure wohlwollenden und konstruktiven Antworten. Es ist tatsächlich auch sehr viel Perfektionismus dabei, den ich wohl bis dahin ablegen sollte, falls ich diesen Weg ergreife.

    Edit: Und nach längerem Nachdenken merke ich auch, dass es zum Teil am Fach Geschichte liegt. Ist eigentlich mein stärkeres der beiden Fächer, aber so unkonkret und diskursiv, dass eine Stunde quasi für mich nie "zu Ende" vorbereitet sein kann. Und man dazu im Studium auch nicht wirklich einen deep dive in alle Epochen der Sek1 macht. Man muss quasi noch oft viel Zeit in das Einlesen investieren.

  • Da fallen mir als erstes Montessori-Schulen ein - ich glaube, da ist oft auch ein reguläres Referendariat möglich, bin aber nicht sicher, ob das auch in BaWü/ Sek I geht.

    Ja, das geht. Hatte Mitrefis, die hier in BW das Ref an einer Montessori-Schule gemacht haben.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Edit: Und nach längerem Nachdenken merke ich auch, dass es zum Teil am Fach Geschichte liegt. Ist eigentlich mein stärkeres der beiden Fächer, aber so unkonkret und diskursiv, dass eine Stunde quasi für mich nie "zu Ende" vorbereitet sein kann. Und man dazu im Studium auch nicht wirklich einen deep dive in alle Epochen der Sek1 macht. Man muss quasi noch oft viel Zeit in das Einlesen investieren.

    Gleichzeitig macht das auch den Reiz des Fachs aus. Es ist bei mir das Fach, in dem ich am ausdauerndsten meine Materialien aktualisiere, fast jede Zeitungslektüre führt zu irgendeiner zumindest kleinen Anpassung. So kommt keine Langeweile auf, selbst wenn ich ein Thema zum x-ten Mal unterrichte.

  • Gleichzeitig macht das auch den Reiz des Fachs aus. Es ist bei mir das Fach, in dem ich am ausdauerndsten meine Materialien aktualisiere, fast jede Zeitungslektüre führt zu irgendeiner zumindest kleinen Anpassung. So kommt keine Langeweile auf, selbst wenn ich ein Thema zum x-ten Mal unterrichte.

    Ich finde es auch deshalb sehr kompliziert vorzubereiten, weil auch die passenden historischen Quellen für die jeweilige Altersstufe gefunden werden müssen. Habe heute mal in den Bildungsplan 2016 reingeschaut, in der 5. bzw. 6. soll Orientierung in Raum und Zeit anhand der Kaiserkrönung Karl des Großen thematisiert werden. Ich musste mich erstens nochmal eine ganze Weile einlesen (wurde im Studium mit einer einzigen Sitzung in der Vorlesung behandelt...), und dann passende Quellen zu finden hat auch nochmal ein ganze Weile gedauert. An der PH wurde gelehrt, dass die SuS auch die Heuristik übernehmen sollen, aber wie soll das umsetzbar sein in maximal 90 Minuten?

  • Gibt es denn nicht 1-2 Lehrwerke, aus denen du die Materialien entnehmen kannst? (FALLS deine Schule kein Lehrwerk hat).
    Geschichte Sek1 ist echt kein Nischenfach, wo Verlage keinen Mehrwert sehen. Eine Quelle zur Kaiserkrönung Karl des Großen habe ich sogar zufälligerweise letzte Woche in der Hand gehabt (ich bin keine Historikerin, hatte aber "bilinguale" Geschichtsbücher irgendwann vor Urzeiten angeschafft und letzte Woche sehr stark entrümpelt. Das Buch ging an momox für 15ct.)

  • Gibt es denn nicht 1-2 Lehrwerke, aus denen du die Materialien entnehmen kannst? (FALLS deine Schule kein Lehrwerk hat).
    Geschichte Sek1 ist echt kein Nischenfach, wo Verlage keinen Mehrwert sehen. Eine Quelle zur Kaiserkrönung Karl des Großen habe ich sogar zufälligerweise letzte Woche in der Hand gehabt (ich bin keine Historikerin, hatte aber "bilinguale" Geschichtsbücher irgendwann vor Urzeiten angeschafft und letzte Woche sehr stark entrümpelt. Das Buch ging an momox für 15ct.)

    Ich bin jetzt einfach mal davon ausgegangen, dass "Schulbuchunterricht" im Referendariat no-go ist?


    Noch ein spontaner Gedanke: Glaubt ihr es macht Sinn schon vorzuarbeiten? Quasi zu jedem Thema in meinen Fächern schon Grundgerüste zu erstellen?

  • Zur ersten Frage:

    Jein.

    1. der Schulträger oder die Eltern bezahlen das Lehrwerk, nicht damit es hübsch zuhause bleibt.

    2. nur weil du eine Quelle (!) aus dem Buch nutzst (oder mehr), ist es kein Lehrbuchunterricht. Willst du etwa ständig ins Archiv? Für das Zusammenstellen von Grundlagenmazerialien (und Didaktisierung) wurden Menschen beauftragt und (schlecht) bezahlt,

  • Vorarbeiten macht meist keinen Sinn. Du weißt nicht, in welchen Klassen du eingesetzt wirst oder welche Themen genau im schulinternen Lehrplan vorgesehen sind, welche schulinternen Absprachen/Materialen vielleicht verwendet werden müssen,... Außerdem muss alles an die Klasse angepasst werden.


    Schulbuchunterricht an sich ist kein Problem (je nach Fachleiter; meiner in Mathe wollte immer Buch und Tafel 😂), wenn man ihn richtig aufbereitet. Das Material wurde ja extra entwickelt, also warum alles neu erfinden? Wichtig ist, dass man das Material mit passenden Methoden einsetzt, ggf. ergänzt etc.
    Es darf halt nicht „Buch S.13 Nr.4-7 in Stillarbeit - bitte sehr“ sein, wenn du weißt, was ich meine. 😉

  • Zur zweiten Frage: du weißt weder, in welcher Stufe noch zu welchem Thema du sein wirst, und kennst die Lerngruppe nicht also eigentlich nicht.

    Aaaaaber: nimm doch eins deiner Lieblingsthemen, oder eins, wo du eine Hsusarbeit geschrieben hast, guck mal, wann es im Curriculum ist, welche Materialien es dafür gibt, überleg mal, was du für wichtig hälst und was du als roten Faden hättest…

    Aber das sind Sachen, die du sicher im Masterstudium machen wirst.

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