Grundschule ohne Noten?

    • Offizieller Beitrag

    Hallo,


    nachdem ich heute Zeugnisse verteilen durfte, kam mein schon länger latent vorhandenes Unbehagen in Bezug auf die Notengebung in der Grundschule wieder hoch.
    Mir macht das gar keinen Spaß - im Gegenteil: es verleidet mir die Freude am Beruf!


    Die Kinder sind einfach noch nicht in der Lage zwischen der Bewertung ihrer Person und der Bewertung ihrer Leistung zu unterscheiden.
    Zudem kann man die meisten Leistungen in der Grundschule eh nur schwer in Ziffern ausdrücken. Zumindest müsste es durchgehend Verbalzeugnisse geben, finde ich.


    Dazu kommt, dass ich es bei vielen Kindern viel zu früh finde, sie in der Mitte der 4. Klasse einer bestimmten Schulform zuweisen zu müssen (auch hier spielen sich zudem Dramen ab: wer ans Gymi geht ist gut, Hauptschule ist das Allerletzte).


    Wie geht ihr damit um? Und haltet ihr eine Regelgrundschule ohne Noten für denk- und machbar?


    An verschiedenen Alternativschulen wird das ja so gehandhabt - es scheint also zu gehen.


    LG,
    Melosine


    LG,
    Melosine

  • Also, wenn ich ganz ehrlich - aber unpädagogisch- bin muss ich sagen, ich hätte gern durchgehend Ziffernnoten. Mit Horror denke ich daran, dass ich am Ende dieses Schuljahres 29 Verbalzeugnisse schreiben muss. Einen Vorgeschmack habe ich ja jetzt schon aufgrund der Beratungsgespräche, die ich zur Zeit führen muss. Da ist ja auch alles schriftlich fixiert, denn wer kann den Lern- und Leistungsstand schon aus dem Ärmel schütteln. Außerdem wollen die Kinder lieber Ziffernnoten, weil sie nur damit etwas anfangen können. Es stellt sich auch die Frage, inwieweit man den Kindern mit den Verbalzeugnissen gerecht wird. Das schlechte steht ja doch drin, nur dass man es nicht mehr richtig versteht. Das sind eben verklausulierte Ziffern. Ich freue mich jedenfalls, wenn überhaupt, schon auf das dritte Schuljahr.

    Wer nie verliert, hat den Sieg nicht verdient.

  • N' Abend!

    Zitat

    Melosine schrieb am 27.01.2006 18:47:
    ...Wie geht ihr damit um? Und haltet ihr eine Regelgrundschule ohne Noten für denk- und machbar?...

    1.) Klar, ich gebe Noten, muss ja...
    2.) Ich plädiere für die (mindestens) 6jährige gemeinsame Grundschule, bundesweit - und für die Abschaffung von Ziffernnoten. Dass das machbar ist, wird an den verschiedensten Ecken des Landes (der Welt) gezeigt.


    So weit erstmal.
    Gruß,
    Peter

  • ...... man stelle sich nur einmal vor, ein Arbeitgeber würde einem Angestellten ein "Ziffernzeugnis" schreiben....... - diesen Satz sage ich immer den Eltern, die mit Noten am liebsten schon im 1. Sj. anfangen würden.....


    Ich könnte auf Noten sehr gut verzichten und schreibe meine Zeugnisse so korrekt (hoffe ich jedenfalls), dass man daraus sehr gut erlesen kann, was das Kind kann und wo es noch Lernbedarf hat. Mit den einzelnen Kindenr lese ich die Zeugnisse durch und erkläre hier und da etwas - ich traue ihnen zu, dass sie das Zeugnis dann gut verstehen. Auch die weiterführenden Schulen könnten solch ein Zeugnis gut verstehen und sich schon differenzierter auf die Kinder einstellen.
    Und wenn schon Noten, dann bitte richtig: habe mich wieder einmal geärgert, dass "Deutsch" haarklein aufgeschlüsselt ist, Mathematik aber nur eine einzige Note verlangt!


    Gruß Metti

  • Schule ohne Zensuren?


    Ich wundere mich darüber, wie viele Menschen Zensuren befürworten, obwohl die meisten mit Sicherheit oft negative Erfahrungen diesbezüglich gemacht haben. Vermutlich liegt es daran, dass im Grundschulalter erlernte Denkmuster bis ins Erwachsenenalter hinein prägend bleiben und deswegen Frontalunterricht und Zensuren in unserer Gesellschaft immer noch bevorzugt werden.


    In der Eingangsklasse gibt es Entwicklungsunterschiede von bis zu vier Jahren. Hier sitzen Kinder, die bereits lesen und schreiben können, neben Kindern, die noch nie einen Stift in der Hand hatten. Diese Bandbreite ändert sich im Laufe der Grundschulzeit nur unerheblich. Das Kind, das vor der Schule schon lesen konnte, lernt das richtige Schreiben eher als ein Kind, das noch keinen Buchstaben bei der Einschulung kennt. Es kann dann schon Rechtschreibregeln anwenden, wenn das andere noch lautgetreu schreibt. Beide entwickeln sich aber stetig weiter, jedes auf seinem individuellen Lernweg.


    Kann und darf ich solche Kinder miteinander vergleichen? Soll ich ein Kind dafür bestrafen, dass es nicht bei 20, sondern bei 0 begonnen hat? Vergleichende Zensuren sind völlig unsinnig, sie verletzen nur. Kinder wollen Zensuren, weil Erwachsene ihnen zu verstehen geben, dass Zensuren wichtig sind. Kinder wollen aber vor allem gute Noten. Es gibt viele Kinder, die weinen, weil sie keine Eins bekommen haben. Sie haben doch ihr Bestes gegeben. Die meisten Kinder wissen sehr genau, welche ihrer Mitschüler schönere Geschichten schreiben oder besser rechnen können als sie selbst. Sie wollen aber ebenso ihre eigene Leistung anerkannt wissen. Sie brauchen Lob und Anerkennung für ein erfolgreiches Weiterlernen. Welchen Sinn haben Zensuren dabei? Wenn man erkannt hat, dass Kinder, die so unterschiedlich sind, nicht gleichschrittig unterrichtet werden können, muss man auch so konsequent sein, auf vergleichende Noten zu verzichten.


    Zensuren dienen ausschließlich der Selektion. Sie haben überhaupt keine Aussagekraft, zeigen höchstens eine Tendenz auf. Da es keine einheitlichen Bewertungsstandards gibt, „kocht jeder Lehrer sein eigenes Süppchen“, allenfalls verständigen sich die Lehrer einer Jahrgangsstufe. Es kommt also auf die jeweilige Zusammensetzung der Klasse an, welche Bewertungsmaßstäbe angelegt werden. Eine Drei an einer Schule im sozialen Brennpunkt bedeutet etwas völlig anderes als eine Drei an einer Schule, die vorwiegend Kinder aus sozial besser gestellten Familien besuchen.


    Kinder im 1. und 2. Schuljahr lernen, weil sie neugierig sind und wissbegierig. Sie schreiben mit Begeisterung Geschichten, je nach Vermögen sehr umfangreich oder nur aus zwei bis drei Sätzen bestehen. Diese sind alle sehr individuell, anrührend, manchmal „zum Brüllen“ komisch. Diese Begeisterung lässt schnell nach, wenn es in Klasse 3 Zensuren gibt. Das gilt auch für alle anderen Bereiche. Die Kinder lernen nicht mehr aus Interesse, sondern nur noch für Noten. Falls es dann schlechte Noten gibt (wobei alle Zensuren außer Eins und Zwei schlecht sind), versiegt das Engagement.


    Eltern geben oft an, mit Zensuren die Leistung ihres Kindes besser einschätzen zu können als mit einer schriftlichen Beurteilung. Ist eine Drei aussagekräftiger als Folgendes: „X erzählt gern anschaulich und lebendig eigene Erlebnisse und stellt Sachverhalte zusammenhängend dar. Den anderen Kindern hört er meistens zu, wird aber manchmal ungeduldig und muss an die Gesprächsregeln erinnert werden. Er vermag seine Gedanken in Geschichten aufzuschreiben und hat einen angemessenen Wortschatz. Seine Geschichten sind aber häufig zu kurz, außerdem setzt er Schreibhilfen oft nicht um.“?


    Schaut man auf die PISA-Ergebnisse und ins benachbarte Ausland, zeigt sich eindeutig, dass Selektion und vergleichende Zensuren der falsche Weg sind. Bei uns sind ansatzweise richtige Tendenzen zu erkennen. In Klasse 1 und 2 sieht man die positiven Ergebnisse des Verzichts auf Zensuren, sowie die Vorteile eines individualisierten Unterrichts. Allerdings wird dieser positive Ansatz ab Klasse 3 wieder zunichte gemacht, wenn spätestens bei der ersten Klassenarbeit wieder Kinder miteinander verglichen werden, die man bis dahin auf ihren individuellen Lernwegen begleitet hat. Für mich steht fest, dass Zensuren -zumindest in den Grundschuljahren- überflüssig, ja kontraproduktiv für die Lernentwicklung sind.

    • Offizieller Beitrag

    Sally, du sprichst mir aus der Seele! :(


    Die 6jährige Grundschule ohne Ziffernnoten wäre auch in meinen Augen ein guter Ansatz.
    Leider geht man bspw. in Hessen sogar zurück: hier gibt es Ziffernnoten wieder ab Klasse 2. 8o


    Ok, die Arbeit beim Zeugnisschreiben wird vielleicht dadurch erleichtert, aber ehrlich gesagt, würde ich diese Mehrarbeit gerne auf mich nehmen, wenn ich dafür den Kindern nicht diese Bewertungen überziehen müsste.


    Wie Sally schon schreibt, habe ich hierbei kaum die Chance, Entwicklungen bei einzelnen Kindern entsprechend zu würdigen.


    Eine andere Seite ist nämlich auch, dass ich, wenn ich den Kindern zur Motivation nur gute Noten gebe, die Eltern auf der Matte stehen und ihre Kinder aufs Gymnasium schicken wollen (berechtigt, wenn das Kind lauter Zweien hat, aber für lernschwache Kinder eher ungeeignet).


    Ich habe leider erfahren, dass viel Notendruck auch von den Eltern ausgeht.


    Den Kindern tut das eher nicht gut. Alle stehen unter Druck, auch die "Guten", die Angst haben, nicht wieder nur Einsen zu bekommen - die "Schlechten" sowieso.


    Auf Dauer mag ich so nicht arbeiten.


    LG,
    Melosine

    • Offizieller Beitrag

    In manchen Schulen scheint der Druck so hoch (und die Lehrerinnen so an Noten gewöhnt), dass es sogar diese Stempel unter bestimmte Übungen gibt (Sonne, Sonne mit etwas Wolken, Sonne mit mehr Wolken... insgesamt 6 Stück). In meiner letzten Schule schon im 1. HJ Klasse 1.
    Bei uns hat eine Kollegin auch Smiley-Stempel verteilt (aber nur 3, weil es ja früher auch nur die Zensuren 1 bis 3 in der 1. Klasse gab). Meine andere Kollegin und ich hatten abgesprochen, einen Zwischenbericht (es gibt ja keine Zeugnisse in Kl. 1 zum HJ bei uns, aber die Kinder möchten trotzdem gerne etwas bekommen, grad die, die ältere Geschwister haben) zu verfassen mit Foto, in den nur hineinkommt, was das Kind schon gut kann. Selbst das war schwer, ich habe dann zusätzlich die Formulierung "Fortschritte" einbezogen. Letztlich hat meine Kollegin dann aber doch gestempelt.
    Ich hätte bei nur 3 Leistungsstufen ein schlechtes Gewissen gehabt, weil es einfach nicht stimmt. Und die Kinder vergleichen sehr schnell, wenn da Smileys sind: "Ih, der hat nur nen geraden Mund!"


    Conni,
    die jetzt noch die 18seitigen Lernentwicklungsberichte ankreuzen darf. ?(

  • Hallo Sally,
    herzlichen Glückwunsch zu einem tollen Beitrag. Ich bin bestimmt kein Freund von Ziffernzeugnissen, und was die Dramen angeht, die sich mit Beginn der Notengebung abspielen, gebe ich dir völlig recht.
    Ich weiß aber auch aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis, dass die meisten Eltern zum Teil erhebliche Schwierigkeiten haben, ein Berichtszeugnis zu lesen, denn leider sehen ja längst nicht alle Berichtszeugnisse so aus, wie du es am Beispiel einer drei im Fach Deutsch (ich hoffe, ich erinnere mich richtig) beschrieben hast. Die Berichtszeugnisse an unserer Schule waren z. B. insgesamt
    nicht viel länger als ca. 12 Zeilen. An der Nachbarschule sind es eineinhalb Seiten. Leider sind meine Kinder nicht dort...
    Grundsätzlich meine ich aber auch, dass gute Berichtszeugnisse eine feine Sache für Schüler und Eltern sind.
    Schönen Abend
    Mareike

  • Hallo,


    ich schleiche schon seit einigen Tagen um dieses Thema :)
    Meine 3 Achtjährigen haben nun auch ihr erstes Ziffernzeugnis bekommen und ich war überracht, welche Auswirkungen es bei den Kindern hatte.
    Unser Junge, bei dem ich im ersten Schuljahr graue Haare bekommen habe : nur 1 +2 , eine 3 in Sport....Er war superunzufrieden mit sich und nahm diese Note zum Anlaß heute trotzig mit dem Beutel loszumaschieren , mit dem verbissenen Gesichtsausdruck: das mache ich jetzt besser !!!
    Ehrgeiz geweckt!( Wobei ich es allerdings der Meinung bin, Sport in der Grundschule solle insgesamt Freude an Bewegung bringen, Ballfertigkeiten liegen einfach nicht jedem Kind, aber egal....)
    Mädel Nr. 1 : alles 2, trotzdem unglücklich, weil die Oma für jede 1 Geld ausgelobt hatte 8o
    Mädel Nr. 2 , (von der ich hier im Forum auch schon mal geschrieben habe) Mathe 4 , Deutsch 3, allerdings in der Bemerkung zur Note in beidem Tendenz zur besseren Note:
    Ihre Reaktion hat mich am meisten erstaunt, da in der schriftlichen Beurteilung ganz klar zum Ausdruck kam, sie könne mehr leisten, wenn sie sich nur traue und mehr im Unterricht mitarbeite. Sie hatte das Gefühl, von ihrer Lehrerin trotz der mäßigen Note bestärkt zu werden und will sich jetzt wirklich mehr zutrauen.
    So sehe ich die Kombination Ziffer/und schriftliche Beurteilung eigentlich ganz gelungen.
    Schwieriger ist es mit dem familiären Umfeld, weil es da leider immer noch den "Notenbelohnungsdruck" gibt(siehe Oma´s")Da ist sicherlich teilweise familiärer Klärungsbedarf :rolleyes: , hat aber nichts mit der Schule zu tun.
    Eben rief mich allerdings eine Mutter aus Sohnemanns Klasse an und wollte mit mir über die "zu leicht erworbenen 1er Noten" fachsimpeln, es könne doch nicht sein, daß ihre Tochter, die nie male, in Kunst eine 1 habe....Nun mich hatte diese Note bei unserem Sohn auch gewundert, aber ich denke, seine Lehrerin wird sich schon was dabei gedacht haben, den Motivation, Arbeitstempo , Verhalten und Interesse sind ja sicherlich auch Noten bestimmende Kriterien.
    Und ich sehe nach wie vor unterschiedliche Ansprüche an die Kinder, besonders in den Mathetesten der 3 Parallelklassen,
    darüber hatte ich ja auch schon mal hier im Forum angefragt.
    Also, insgesamt ist mein Fazit eher positiv, allerdings ist eine ausführliche, individuelle schriftliche Bewertung der Kinder sehr hilfreich, für Eltern, Kinder (und auch Oma´s :D )


    Soweit meine persönlichen Eindrücke zu diesem Thema,
    vielleicht ist meine Einschätzung hilfreich.
    Schönen Tag wünscht Drillingsmum :)

  • Welcher Lehrer hat denn die Zeit (über), den Eltern die Bedeutung seiner Formulierungen im Bezug zur Klassenstufe und später Schulformen zu vermitteln?


    Also bei uns wird das Zeugnis den Eltern übergeben, in Ruhe durchlesen, ein kurzes Gespräch, fertig. (Bei uns in NRW läuft parallel natürlich Vertretungsunterricht.)


    Ich denke, das sind die Minimalanforderungen dafür, dass man die Noten weglassen kann.



    - Martin


    P.S.: Letztes Jahr stand bei Sport: "Sie zeigte Mut, Einsatz und Ausdauer". Also beim Militärsport könnte das bedeuten, dass sonst niemand so doof war, von da oben runterzuspringen. ;) War gut gemeint, passte aber nicht recht zu unserem Barbie-Ballerina.

    Acht Semester mitlesen ersetzt das Lehramtsstudium. ;)

    Einmal editiert, zuletzt von oh-ein-papa ()

  • Ich schwanke etwas zwischen Noten oder eben keine Noten.


    Würde das heissen, dass man gar keine Tests schreibt, oder würde man Tests schreiben, die Punkte zählen bzw. Fehler anschreiben und dann einen Text dazuschreiben? Ob das wirklich allen klar wäre, was die Lehrerin eigentlich damit sagen möchte?


    Was mir im Moment (in BW) an der Notengebung in der Grundschule gar nicht behagt, ist die Sache mit dem Fach Menuk. Das heisst Mensch Natur Kultur und beinhaltet die Fächer HUS, BK und Musik. Am Ende gibt es aus all diesen verschiedenen Fächern eine Note im Zeugnis. Da noch irgendeinen Bezug herzustellen zu den einzelnen Fächern ist nicht möglich. Motivierend kann das nicht sein. Vermutlich müssen die betreffenden Lehrerinnen die Kinder bzw. die Eltern dann doch noch einzeln über ihre Fächer informieren.



    füchsle

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