Politikunterricht als Geschichtslehrer ablehnen?

  • Hallo liebe Kolleginnen und Kollegen,


    ich weiß, dass die Erteilung von Religionsunterricht aus Gewissensgründen vom Lehrer abgelehnt werden kann. Eine Frage in eine etwas andere Richtung:


    Wie verhält es sich mit Politikunterricht, wenn man selbst für dieses Fach nicht explizit ausgebildet wurde? Ich bin Geschichtslehrer und werde derzeit freiwillig wegen Mangel an Kolleginnen und Kollegen für Politikunterricht eingesetzt. Grundsätzlich mache ich diesen Unterricht sehr gerne, da sich einige Parallelen zum Geschichtsunterricht ergeben.


    Durch einen Rechtsstreit zwischen mir und der Stadt, in der ich wohne (es geht um eine Bußgeldsache), habe ich jeglichen Glauben an Gerechtigkeit in diesem Land verloren. Ich bin durch den Ausgang des Verfahrens so enttäuscht worden, dass ich selbst nicht mehr an das "System" von Justiz und Exekutive glaube und im Moment davon auch nichts mehr wissen will. Ich habe im Moment das Gefühl, dass ich meinen Schülern nicht mehr von fairer "Gewaltenteilung" und "Gerechtigkeit" zwischen Judikative, Exekutive und Legislative erzählen möchte. Daher die Frage: Besteht (theoretisch) die Möglichkeit, dass ein Lehrer die Zuweisung von Politikunterricht ablehnen kann, sofern er nicht in diesem Fach ausgebildet wurde?

  • Der Glaube an Gerechtigkeit bezieht sich auf das jüngste Gericht, nicht auf einen Rechtsstreit, der vor einem weltlichen Gericht ausgetragen wird. Dieser endet durch Urteil, Vergleich, Rücknahme der Klage oder Einstellung des Verfahrens.


    Im beruflichen Schulwesen geht man davon aus, dass jeder Lehrer im höheren Dienst auch ohne spezielle Ausbildung in Deutsch und Gemeinschaftskunde eingesetzt werden kann. Auch wer aufgrund von Erfahrungen (z. B. Pfusch am Bau, Ärztepfusch/‘Kunstfehler‘) das Vertrauen in die Baukunst bzw. Medizin verloren hat, muss trotzdem in den entsprechenden Berufsschulklassen unterrichten. Andernfalls könnte der Unterricht wohl flächendeckend zusammenbrechen.


    Ich denke, du bist geradezu prädestiniert, bei den Schülern den Blick auf den Unterschied zwischen Anspruch und Realität zu schärfen.


    Die christliche Religion predigt schon seit 2.000 Jahren den Frieden auf Erden. Da müssten doch inzwischen jedem Religionslehrer erhebliche Zweifel gekommen sein. Trotzdem unterrichten sie weiter ...

  • Sind wir nicht als Staatsdiener eh verpflichtet, diese Werte der Demokratie zu vertreten und zu verteidigen?
    Glaube nicht, dass diese Argumentation haltbar ist.

    "Et steht übrijens alles im Buch, wat ich saje. ... Nur nit so schön." - Feuerzangenbowle

  • hallo,


    also in Schleswig-Holstein können Lehrer von Religion mal ab auch in Fächern eingesetzt werden, die sie nicht studiert haben, jedoch nicht über einen längeren Zeitraum... habe ich vor ein paar Monaten für die Schulrechts-Prüfung gelernt ;)


    grüße
    sinistra

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original von Matono
    Durch einen Rechtsstreit zwischen mir und der Stadt, in der ich wohne (es geht um eine Bußgeldsache), habe ich jeglichen Glauben an Gerechtigkeit in diesem Land verloren. Ich bin durch den Ausgang des Verfahrens so enttäuscht worden, dass ich selbst nicht mehr an das "System" von Justiz und Exekutive glaube und im Moment davon auch nichts mehr wissen will. Ich habe im Moment das Gefühl, dass ich meinen Schülern nicht mehr von fairer "Gewaltenteilung" und "Gerechtigkeit" zwischen Judikative, Exekutive und Legislative erzählen möchte. Daher die Frage: Besteht (theoretisch) die Möglichkeit, dass ein Lehrer die Zuweisung von Politikunterricht ablehnen kann, sofern er nicht in diesem Fach ausgebildet wurde?


    Sorry, aber diese Argumentation ist in meinen Augen doch mehr als unprofessionell.


    Es geht nicht um Deine persönliche Erfahrung, es geht auch nicht um Fälle, in denen aus welchen Gründen anders entschieden wurde. Und Gerechtigkeit ist kein objektivierbarer Begriff, sondern unterliegt in meinen Augen letztlich zu oft der Devise "gerecht ist, was mir nutzt".


    Viele Lehrer müssen Dinge unterrichten in ihren angestammten Fächern, deren moralische Inhalte oder deren Prinzipien sie nicht teilen. Das ist aber in meinen Augen auch weder Voraussetzung noch im gegenteiligen Fall ein Grund, das Unterrichten des Faches abzulehnen.


    Ferner wundere ich mich, wieso ein simples Bußgeldverfahren jemanden in seinem Glauben an die Gewaltenteilung etc. so erschüttern kann?
    Gewalten können übrigens auch dann immer noch geteilt sein, wenn sie jeweils dieselbe für Dich ungünstige Entscheidung fällen.


    Gruß
    Bolzbold

    Gruß
    #TheRealBolzbold

    Ceterum censeo factionem AfD non esse eligendam.

  • Sorry, dass ich deutlich werde, aber wenn ich das als Schulleiter lesen würde, müsstest du mich gar nicht mehr fragen, und ich würde dich sofort rausnehmen (aus Geschichte übrigens auch).

  • Schließe mich in dieser Frage meinen Vorrednern an. Das Ziel des PU ist es auch nicht, den "Glauben an die Gerechtigkeit" oder "das System" zu fördern, sondern kritische Teilhabe an der Demokratie. Dass Entscheidungen von Behörden manchmal objektiv oder subjektiv falsch sein können, stellt doch dieses Lernziel nicht in Frage.

  • Stellt sich ja auch die Frage, ob Du dann als Geschichtslehrer überhaupt noch die Zeit nach 1919 behandeln solltest, schließlich beginnt mit der WR ja die demokratische Grundsteinlegung in Deutschland.


    Verstehe ich auch nicht, warum ein Bußgeld zum "Bruch mit dem System" führen soll.


    Schau nochmal in Deinen Diensteid ;)


    Gruß
    smenge

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