Metadiskussion aus "Schuldirektoren sollen Amokläufer stoppen"

    • Offizieller Beitrag

    Darum haben wir Thamiel aber schon vor vielen Beiträgen und wiederholt gebeten. Er möchte es uns aber nun mal nicht verraten, vermutlich, weil wir alle viel zu emotional sind.

  • :) Es wurde länger.... :autsch:


    Thamiel ist sich bewußt, dass er sich nur zum Bruchteil vorstellen kann, wie US-Amerikaner denken. Zum einen gibt es nicht den Amerikaner, sondern viele verschiedene Kulturen in diesem "Land der Kulturlosen" und der endlosen Weite. Man kann in den USA auf dem Highway unterwegs sein, ohne von der Zivilisation mehr zu sehen als das graue Band vor einem und der gelegentlichen Ranch weitab am Horizont.


    Amerikanische Gastfamilien schlagen dir vor, am Nachmittag in den nächsten Steinbruch zu fahren, um mit den Buddies und den Knarren rumzuballern, ein paar Bier zu lüpfen und abzuklönen. Und zwar mit einer Selbstverständlichkeit und Tabulosigkeit, dass es dem studierten Westdeutschen, dem man das Obrigkeitsdenken angewöhnt und die Waffenexistenz mit der schleichenden Erdrosselung des Wehrdienstes abgewöhnt hat, die Sprache verschlägt. Ja, es gibt sowas wie Schußwaffen und nein, sie verschwinden nicht, indem man sie tabuisiert oder sich weigert, sich mit ihnen auseinander zu setzen. In der DDR war das sichtbarer, da wusste auch der Kleinste, wo der (Klassen-)feind stand und was man für ihn bereit hält. Krieg war da kein Tabu, was nicht heißt, dass er nicht verherrlicht wurde.


    Wenn ich hier heute abend Besuch von der lokalen Wildschweinrotte bekomme, rufe ich die Polizei und wenn die nicht selbst kommt, schickt sie den lokalen Revierjäger vorbei. Wenn in den USA sich beim örtlichen Sheriffs-Department jemand beschwert, dass ihm die Koyoten ums Haus ziehen, sagt ihm der Deputy, dass er gefälligst die Schrotflinte in die eine, seinen Sohn an die andere Hand nehmen soll um ihm zu zeigen, wie man den eigenen Vorgarten aufräumt, anstelle die Polizei zu nötigen, sich für solch eine Lappalie 30min Anfahrt und 30min Rückfahrt aufzubürden.


    Das ist das Typische für den Durchschnitts-US-Amerikaner: Mach es selbst, "work the problem". Planen ist Teil der Lösungsfindung, und nicht Voraussetzung des Handelns. Im überspitzten Sinne fast wörtlich: "Schießen jetzt, Fragen später." Das ist dort legitime Aktionsgrundlage: Wenn du es selbst erledigen konntest, kann das Ergebnis so schlimm nicht sein, trotz aller Kollateralschäden. Über die macht man sich dann beim nächstenmal Gedanken.


    Das vorausgeschickt, ist mir vollkommen klar, dass ein Riss geht durch die ländlichen Gebiete und die städtischen Regionen in den USA in dieser Frage. Meine Meinung also, was die US-Situation angeht, ist die, dass es mir nicht zusteht, da Position zu beziehen. Ich weiß nicht, ob das ein Luxus ist. Ich glaube, es ist eine Wahl zwischen Sodom und Gomorrha und eine nachhaltige Lösung, und ich sage nicht, dass es eine solche geben muss, ist keinesfalls eine kurzfristige. Obwohl natürlich wiedermal nur solche Lösungsansätze von der Politik diskutiert werden.


    Ich kann ja von meinem kontinentaleuropäischen Leuchtturm darüber schauen und demonstrativ den Kopf schütteln über den Vorschlag der NRA, den Rektoren Holster zu verpassen. Das ist genauso richtig und genauso falsch wie das Unverständnis der amerikanischen Bevölkerung, wieso es Deutschland nicht schafft, einen Krieg vor der eigenen Haustür zu führen, sich von den europäischen Natostaaten im Kosovo aushalten lässt und nur mit einer Handvoll Tornados aus der Affaire zu ziehen versucht. Das waren die Fragen, derer ich mich beim Barbecue in South Dakota damals erwehren durfte. Über was sich diese Leute beim Barbecue so unterhalten können...


    Jetzt dazu, wie Thamiel die Sache hier in Deutschland sieht:
    Ganz unabhängig von der Schußwaffenfrage. Zu Kämpfen, noch dazu auf Leben und Tod, ist nicht jedermanns Sache. In einer solchen Stresssituation gibt es für den Untrainierten gerade zwei gegenläufige Instinkte: "Drauf!" oder "Flucht!" Eins von beiden wird sein Handeln bestimmen und selbst trainierte Experten wie z.B. Polizisten sind davon nicht immer frei. Das ist eine Folge unsere zivilisierten Gesellschaft. Aber da gibts immer noch einen unzivilisierteren Teil innerhalb derselben, der dummerweise auch zu unserer Klientel gehört, die an den Schulen ein und ausgeht.


    Ich hab das in einem anderen Zusammenhang schon gesagt: "Wir holen die Kinder da ab, wo sie stehen." ein GS-Mantra, vor dem wir uns alle verbeugen. Wir machen uns aber nicht immer klar, was dieser Satz tatsächlich bedeuten kann. Kinder die bei uns Gewalt anwenden, nicht weil sie wollen, sondern weil sie es nicht anders kennen. Die ihren Mitschülern nicht sagen, was sie wollen, sondern nur zeigen (mit der Faust), weil sie andere Arten der Kommunikation nicht beherrschen. Wie viele von uns lassen sich das durch den Kopf gehen, wenn das nächste Elterngespräch ansteht? Man verlässt sich zu sehr darauf, dass die Form gewahrt wird. Aber vielleicht hat man auch Angst vor den Konsequenzen, die man ehrlicherweise im Umgang mit diesen Eltern ergreifen müsste.


    Welche Konsequenzen könnten das denn sein? Wenn du ein Elternteil hast, dessen Bildung auf HS-Niveau stehen geblieben ist, jahrelang H4 bezieht, keine Scheu hat, öffentlich Zuflucht zur untersten Fäkalsprache zu nehmen und sich nicht zu Schade ist, fremde Kinder Handgreiflichkeiten anzudrohen (vor der Klasse) ist es schon ein, zwei Überlegungen wert, ob du dich dazwischenwirfst, wenn er das nächstemal nicht drohend hereinplatzt, sondern ausführend.


    Es hilft, die Schrecksekunde zu minimieren.


    Du kannst natürlich deine Klasse allein lassen und Hilfe holen (in der Nachbarklasse, im Seki). Mir persönlich wäre das Risiko zu hoch. Aber ich habe auch andere Möglichkeiten. Ich muss nicht wegrennen, wenn Gefahr im Verzug ist. U.U. könnte man mir das sogar rechtlich zum Vorwurf machen, wenn ich es täte. Was machst du? Du muss im Zweifelsfall mit den Folgen leben. Was macht die Kollegin von 1,60m Größe und 60 kg? Sie hat vielleicht Familie.


    Ich würde bleiben und würde den Versuch starten, auch handgreiflich die Sache zu beenden. Es gibt keine Garantie, dass die Sache nicht eskaliert, dass ich die Situation nicht falsch einschätze. Aber ich persönlich könnte mir am nächsten Morgen nicht mehr in den Spiegel schauen, wenn ich nicht wenigstens den Versuch unternommen hätte.


    Letzten Endes gibt es bei solchen Ausnahmesituationen keinen Generalplan. Die Politik stellt Hilfen zur Verfügung, Alarmknöpfe, Fluchtübungen aus Fenstern usw. aber jeder Lehrer muss für sich letzten Endes klar werden, was er machen will und wie weit er bereit ist zu gehen in dieser Frage. Eigentlich müsste es jeder Bürger tun. Nicht nur im Schulgebäude und nicht nur während seiner Dienstzeit.


    Was ich aber nicht verstehen kann, ist, dass man vor dieser Frage den Kopf in den Sand steckt und das Problem nicht sehen will. Auch bei uns gilt in der Nothilfe, das jedes Mittel legitim ist, das dir unter der Verhältnismäßigkeit geeignet erscheint (nicht: geeignet ist), den Angriff abzuwehren oder ganz zu vereiteln. Das heißt nicht, dass du in der Nothilfe die Konfrontation suchen musst. Du kannst auch Hilfe holen gehen. Aber dir muss klar sein, was in der Zwischenzeit passiert.

    "A lack of planing on your side does not constitute an emergency on my side."

  • Man ist sich hier allenfalls einig, Emotionen den Vortritt zu lassen. Was ich hier schon an Angst und tendenziösen Vermutungen aufgrund des Schlüsselreizwortes "Waffe" gelesen habe, ist selbst für Anhänger der Pädagogik, die eben eine weiche Wissenschaft ist und mit Mehrdeutigkeiten und Einzelfallargumentation leben muss, hanebüchen, um ein Adjektiv der letzten Tage zu bemühen.


    Hanebüchen habe ich gesagt. Aber ich habe keine Angst vor Waffen, denn ich kann mit den Dingern umgehen und bin mit ihnen als Werkzeug umgegangen. Von der 9mm Automatik bis zum Maschinengewehr. Einige Jahre lang, wobei ich auch andere Leute im Umgang damit ausgebildet habe. Schießen mit großkalibrigen Waffen macht mir Spaß und wenn ich in eine bewaffnete Auseinandersetzung geriete, würden ausbildungsbedingt alle Instinkte in mir nach einer Maschinenpistole zum Zurückschießen schreien. Aber ich bin trotzdem ein ausgesprochener Skeptiker, was Waffen in Privathänden angeht, und Waffen in Schulen halte ich für wirklich hirnverbrannten Quatsch, wenn ich noch mal intensivieren darf. Diese Meinung beruht auf Gründen, nicht auf Gefühlen.


    Nochmal gefragt - hast du denn tatsächliche, praktische Erfahrungen, die dich urteilen lassen, ob Waffenskepsis "emotionsbegründet" ist oder nicht? Oder sind das alles nur Spekulatius, die sich aus eifrigen Surfen auf den NRA-Seiten und aus dem Bruce Willis-Kanon speisen?


    Weißt du, ich kaufe dir einfach nicht ab, dass du keine Position in dieser Auseinandersetzung einnimmst. Das, was du hier so sagst und schreibst, spricht trotz deines Rumgeeieres völlig für sich - warum du dich nicht dazu erkühnst, eine offene Meinung zu vertreten, weiß ich nicht. Diese ganze epistemologische Metadiskussion über "Einzelfallargumentation" etc. ist doch eine reine Luftblase...


    Nele

  • Ah, und darf ich dich auch fragen, insbesondere da das dein Argument war, ob die Drohkullisse vom "bewaffneten Laien" ernst gemeint war oder ob das eher der Stimmungsmache diente? Ich weiß nicht, ob sich die Frage nicht selbst beantwortet, wenn man entnehmen kann, dass du vom Fach bist. Aber zu deinen Gunsten möchte ich da doch noch mal nachfragen.


    Derart sind die Halbwahrheiten, die mich in der Diskussion so fuchsig machen. Das sind so die Anzeichen, die mich fragen lassen, ob solche Sätze tatsächlich sachlichen Ansichten entspringen können. Schulen sind öffentliche Räume. Führen von Schußwaffen in öffentlichen Räumen hat bestimmte Voraussetzungen in Deutschland. Du magst ja von mir aus gerne Skeptiker sein, was Schußwaffen in privater Hand betrifft, aber wo zum Henker ist da die Verbindung zum Führen von Waffen in der Öffentlichkeit?


    Da bist du zumindest ungenau oder nimmst diese Unschärfe billigend in Kauf. Und das nervt. Die Mehrheit der hier Mitlesenden hat von der Waffenrechtssituation hier nämlich keine Ahnung und meint, das wäre auch noch richtig. Es gibt vom Gesetz aus keine mit Schußwaffen bewaffneten Laien in Deutschlands Öffentlichkeit. Jeder Ausstellung eines Waffenscheins im Saarland liegt in Saarbrücken automatisch die Einladung zur Waffeneinweisung in das Schießkino der Polizeikaserne bei.


    Genauso wie Sätze à la "Die Gesetzgebung verbietet Lehrern die Bewaffnung zum Schutze der Schüler.". Der war jetzt nicht von dir, zugegeben, aber wo ich mich dann frage, hat der jenige Ahnung vom Notwehrrecht oder will er einfach nur draufhauen und Spass haben. Darf der Waffenbesitzer seine Waffe benutzen, wenn er damit Gefahr von sich oder anderen abwenden kann. Klar. Natürlich darf er. Frage ist nur, ob sie zugriffsbereit ist. Das ist sie in der Regel nämlich nicht. Aber wenn dir daheim der Einbrecher über den Weg läuft, und du stehst gerade mit dem Schlüssel am Schrank, greif zu.


    Wenn du meinst, dass Einzelfallargumentation gerade in diesem Thema eine Luftblase ist, kann ich dir nur raten mein letztes Posting noch mal durchzulesen: Das persönliche Verhalten von Grenzsituationen, über die wir hier reden ist nie allgemeinültig zu regeln. Erst recht nicht aufgrund von vorherigen Einzelfällen. Die Entscheidungen und spätere juristische Aufarbeitung solcher Vorfälle unterliegt immer der besonderen individuellen Würdigung. Auch vor dem Notwehrrecht sind nicht alle Wehrenden gleich. Manche sind gleicher. Und es mag durchaus Leute geben, die sich zwischen Flucht und Kampf für letzteres entscheiden. Wenn sie mal aus ihrer Schockstarre fallen, weil gerade etwas abgeht, dass so gar nicht in ihr Weltbild passt.

    "A lack of planing on your side does not constitute an emergency on my side."

  • ...aber jeder Lehrer muss für sich letzten Endes klar werden, was er machen will und wie weit er bereit ist zu gehen in dieser Frage.


    Was passiert eigentlich dienstrechtlich und moralisch (bin mir grade nicht sicher, ob das der richtige Begriff ist), wenn mir in einer solchen Situation (Amoklauf) mein Leben wichtiger ist als das anderer und ich die Flucht ergreife? Ich persönlich bin mir überhaupt nicht sicher über meine Reaktion in einem solchen Fall (als, wenns ans eigene Leder geht).


    Grüße
    Steffen

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :_o_P


    8_o_) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • Was passiert eigentlich dienstrechtlich und moralisch (bin mir grade nicht sicher, ob das der richtige Begriff ist), wenn mir in einer solchen Situation (Amoklauf) mein Leben wichtiger ist als das anderer und ich die Flucht ergreife? Ich persönlich bin mir überhaupt nicht sicher über meine Reaktion in einem solchen Fall (als, wenns ans eigene Leder geht).


    Das Dienstrecht greift nicht, da es (im Gegensatz zur Polizei) nicht zum Aufgabenspektrum von Lehrern gehört, sich in bewaffnete oder unbewaffnete Auseinandersetzungen zu begeben. Ein Lehrer, der die Flucht ergreift, wird dienstrechtlich nicht belangt. Was in einer solchen Situation greift ist, wie für alle anderen Menschen auch, der §323c StGB, der die unterlassene Hilfeleistung regelt. Dieser Paragraph fordert nicht, dass man sich selbst in unzumutbare Gefahr begibt - die Pflicht zur Hilfeleistung ist erfüllt, wenn man sich in Sicherheit begibt und schnellstmöglich die Polizei verständigt, sich ihr mit hilfreichen Angaben zur Verfügung stellt etc. Im Grunde ist die Sache dasselbe, als ob man einen Banküberfall sieht, das Nachbarhaus brennt, man in eine Schlucht schaut und dort einen abgestürzten Menschen sieht, etc.


    Nele

  • Was ich aber nicht verstehen kann, ist, dass man vor dieser Frage den Kopf in den Sand steckt und das Problem nicht sehen will


    Ich denke, die meisten stecken ihren Kopf bezüglich dieser Frage nicht einfach in den Sand, zumindest in meinem Lehrerumfeld wird über dieser Frage heftig distkutiert.
    Der Lösungsansatz ist schlicht ein anderer als deiner. Waffen sollten einfach nicht in privater Hand sein. Auch Waffen der Sportschützen sollten unter strengerer Aufsicht. Und darum lohnt es sich zu kämpfen. Man muss nicht
    immer hinnehmen, was die Waffenlobby oder die Wirtschaft will. Darüberhinaus Prävention, aber das wurde schon an anderer Stelle genannt.


    Auch in Amerkika ist diese Diskussion in Gange. Dort würde man es natürlich aufgrund des Selbstverständnis nicht von heute auf morgen schaffen, Waffen aus privater Hand zu entfernen.
    Aber es wird momentan heftig darum gekämpft, dass zumindest halbautomatische und vollautomatische Waffen nicht mehr so einfach im Supermarkt zu kaufen sind. Ein erster Schritt.


    Natürlich wird es immer Idioten geben, die sich irgendwoher Waffen besorgen können und diese dann auch anwenden. Das Leben ist halt keine Pralinenschachtel.
    Aber die Mortalität aufgrund von Schusswaffen zu sterben ist doch um einiges geringer in einem Land wie Deutschland als in Amerika, wo jedes Kind eine Waffe besitzen kann.

  • §13 StGB vielleicht: Garantenstellung des Lehrers gegenüber seinen Schülern? In dem Bereich gibt es ein paar hübsche juristische Fallbeispiele x x, die die Pflicht zur Hilfeleistung des §323 im schulischen Setting anders regeln. §323 geht von Unbeteiligten aus, die nichts miteinander zu tun haben. Und nein, ich habe keine Befürchtungen, dass jemand meine Kids umbringen will. Es gibt durchaus auch nicht-lebensbedrohende Gefahren, die man zumutbar abwenden können muss. Der Teufel steckt im Detail.

    "A lack of planing on your side does not constitute an emergency on my side."

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