Erfahrungen mit Kreationismus an staatlichen Schulen

    • Offizieller Beitrag

    Ich spreche durchaus an, dass es auch eine kreationistische Weltsicht gibt. Im naturwissenschaftlichen Unterricht komme ich auch durchaus bei Bedarf oder Gelegentheit daruf zurück, wo sich wissenschaftliche Erkenntnisse mit dem Kreationismus decken und wo eben ncht. Gerade bei streng muslimischen Schülern denke ich, dass man so auch nicht von vornherein eine Ablehnung aller Wissenschaft erzeugt, sondern so einen langsamen Denkprozess in Gang setzen kann. Ob das immer so gelingt, ist natürlich eine andere Sache!

  • Als Religionslehrer behandle ich das Thema recht häufig, auch begleitend zum Biologieunterricht meiner Kollegen. Ich persönlich finde es richtig, dass die Schüler die Evolutionstheorie im Biologieunterricht kennenlernen und wissen, was diese Theorie besagt und worauf sie sich stützt. Allerdings gehört meiner Meinung nach dann auch die begründete Kritik an dieser Theorie dazu. Und natürlich sollte die Evolutionstheorie keinesfalls als die ultimative, von allen Schülern zwingend anzunehmende und zu vertretende "Wahrheit" dargestellt werden. Es ist halt nur eine biologische Arbeitshypothese und keine verpflichtende Weltanschauung. Man kann und darf sehr gerne auch eine andere Weltanschauung haben, als die naturalistische.


    Ich behandle im Unterricht dann z.B. auch das Thema, inwiefern Evolutionstheorie und Bibel miteinander vereinbar sind mit Pro und Contra. Oder welche verschiedenen Menschenbilder und ethische Gebote sich aus den verschiedenen Erklärungsansätzen Evolution und biblische Schöpfung ergeben.

  • Allerdings gehört meiner Meinung nach dann auch die begründete Kritik an dieser Theorie dazu. Und natürlich sollte die Evolutionstheorie keinesfalls als die ultimative, von allen Schülern zwingend anzunehmende und zu vertretende "Wahrheit" dargestellt werden. Es ist halt nur eine biologische Arbeitshypothese und keine verpflichtende Weltanschauung.


    Du hörst dich an wie meine besagte Kollegin! Die Evolutionstheorie ist inzwischen viel mehr als eine Hypothese. (Das hat Marlboroman schon erklärt). Die Existenz der Evolution ist heute klar erwiesen. Man kann mit ihr zwar nicht alles erklären. Aber die Annahme, dass sie deshalb falsch sein könnte, ist Wunschdenken kreationistisch geprägter Leute. Mir fällt bei Menschen, die die Evolutionslehre ablehnen, halt immer wieder auf, dass sie mit zweierlei Maß messen: Die Religion ist bei nichts Beweise schuldig, die Evolutionstheorie bei allem.



    Nachtrag: refi27: Das klingt ja alles ganz gut, was du vorschlägst. Aber es kann doch nicht Aufgabe eines Biolehrers sein, sich mit Imamen und jeder Menge Religionsliteratur auseinanderzusetzen, nur um die Fundamentalisten von ihren sturen Standpunkten abzubringen! Meine Kollegin (evan.) hat mir übrigens versichert, dass sie den SuS nicht diese Ideen vermittelt hat. Nur bin ich mir auch sicher, dass sie nicht tun wird, um dagegen zu steuern.

  • Allerdings gehört meiner Meinung nach dann auch die begründete Kritik an dieser Theorie dazu.

    Aha? Welche begründete Kritik gibt es denn? Sowas wie "ein Auge ist so kompliziert, das kann nur von Gott erschaffen sein"?




    Zitat von Claudius

    Und natürlich sollte die Evolutionstheorie keinesfalls als die ultimative, von allen Schülern zwingend anzunehmende und zu vertretende "Wahrheit" dargestellt werden


    Die Evolutionstheorie hat die gleiche Wertigkeit wie z.B. das newtonsche Gravitationsgesetz oder die Hauptsätze der Thermodynamik. Nicht mehr, und nicht weniger.

  • Allerdings gehört meiner Meinung nach dann auch die begründete Kritik an dieser Theorie dazu. Und natürlich sollte die Evolutionstheorie keinesfalls als die ultimative, von allen Schülern zwingend anzunehmende und zu vertretende "Wahrheit" dargestellt werden. Es ist halt nur eine biologische Arbeitshypothese und keine verpflichtende Weltanschauung. Man kann und darf sehr gerne auch eine andere Weltanschauung haben, als die naturalistische.

    Und wenn die religiösen Gefühle von Schülern und Eltern durch die Evolutionstheorie im Biologieunterricht verletzt werden, dürfen sie demselben selbstverständlich fernbleiben... :saint:

  • Eben nicht. Sie dürfen dem Unterricht NICHT fernbleiben. Sie müssen sich auch die andere Sicht anhören - und anschließend frei entscheiden.


    Davon abgesehen hatte schon Lichtenberg einen schönen Satz im Fundus:
    "Die Diskussion von Tatsachen ist eine WUNDERvolle Sache."

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Eben nicht. Sie dürfen dem Unterricht NICHT fernbleiben. Sie müssen sich auch die andere Sicht anhören - und anschließend frei entscheiden.

    Schon klar. Das war ironisch gemeint und schonmal auf eventuelle Antworten von Claudius und Konsorten proagierend.

  • Ich gebe zu, dass ich früher toleranter war. Seit IS habe ich eine radikalere Einstellung gegenüber religiösen Eiferern.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • ach, claudius. nenne doch mal bitte die guten argumente gegen die evolutionstheorie bzw. gegen das, was du für die evolutionstheorie hältst. und freilich steht es dir frei, nicht an die schwerkraft zu glauben. das kümmert die schwerkraft gottseidank (!) recht wenig.

  • Aha? Welche begründete Kritik gibt es denn? Sowas wie "ein Auge ist so kompliziert, das kann nur von Gott erschaffen sein"?

    Naja, zumindest ist die Entstehung eines Auges durch evolutionäre Prozesse bisher nicht empirisch beobachtet worden, wie eben so viele Hypothesen der Evolutionstheorie empirisch nie beobachtet wurden und auch gar nicht empirisch untersucht werden können, sondern eher - nach meiner persönlichen Meinung - ein naturphilosophisches Gedankenspiel sind.


    Ich finde es generell wichtig, dass man den methodischen Naturalismus vom ontologischen Naturalismus in der Lehre strikt trennt und auch eine generelle Diskussion darüber führt, was eigentlich Sinn und Zweck von Naturwissenschaft ist. Dafür ist die Schule der richtige Ort und da finde ich es auch wichtig fächerübergreifend an einem Strang zu ziehen, was ich auch mit den meisten Kollegen aus der Biologie so handhabe.

  • Ich handhabe das ganz pragmatisch.
    Ich unterrichte eine Naturwissenschaft. Natürlich werden da die naturwissenschaftlichen Methoden und Inhalte benutzt und vermittelt. Wer sich dem entzieht bzw. die nicht lernt, der bekommt eine entsprechend mangelhafte Note. Zum Glück gibt es ja einen Lehrplan, der das ganze auch rechtssicher macht.


    Irgendwelche Gegenüberstellungen und Scheinlegitimationen fundamentalistischer religiöser Ansichten sind an der Stelle völlig unangebracht, da es erstens nicht zum Unterrichtsfach gehört, zweitens keine Gleichwertigkeit besteht und drittens die hinter diesen Themen stehenden Denkmodelle sich gegenseitig ausschließen. Die naturwissenschaftliche Methode ist nicht mit der Methode "Glauben" kompatibel.


    Würde ein Religionskollege aktiv durch fundamentalistische Propaganda meinen Unterricht stören, dann bekäme der eine Dienstaufsichtsbeschwerde.

  • Naja, zumindest ist die Entstehung eines Auges durch evolutionäre Prozesse bisher nicht empirisch beobachtet worden, wie eben so viele Hypothesen der Evolutionstheorie empirisch nie beobachtet wurden und auch gar nicht empirisch untersucht werden können, sondern eher - nach meiner persönlichen Meinung - ein naturphilosophisches Gedankenspiel sind.

    Mit diesem Argument wäre der Großteil der Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft bloß ein geschichtsphilosophisches Gedankenspiel.


    Ich finde es generell wichtig, dass man den methodischen Naturalismus vom ontologischen Naturalismus in der Lehre strikt trennt und auch eine generelle Diskussion darüber führt, was eigentlich Sinn und Zweck von Naturwissenschaft ist. Dafür ist die Schule der richtige Ort und da finde ich es auch wichtig fächerübergreifend an einem Strang zu ziehen, was ich auch mit den meisten Kollegen aus der Biologie so handhabe.

    Ich finde, der richtige Ort für diese Frage sind geistes-, gesellschafts- und naturwissenschaftliche Institute an Universitäten. Man kann sowas auch mal in der Schule thematisieren, aber dann im Philosophie- oder vielleicht Religionsunterricht der Oberstufe, wenn Wissenschaftstheorie, Technikphilosophie oder ähnliches auf dem Lehrplan stehen. Nicht im Zusammenhang mit Evolutionstheorie und Kreationsismus.

  • Ich behandle im Unterricht dann z.B. auch das Thema, inwiefern Evolutionstheorie und Bibel miteinander vereinbar sind mit Pro und Contra.

    Nur mal so rein interessehalber weil ich beim Lesen gerade darüber gestolpert bin: was würde in solch einer Pro-/Contabelle drinstehen?

  • Ich finde, der richtige Ort für diese Frage sind geistes-, gesellschafts- und naturwissenschaftliche Institute an Universitäten. Man kann sowas auch mal in der Schule thematisieren, aber dann im Philosophie- oder vielleicht Religionsunterricht der Oberstufe, wenn Wissenschaftstheorie, Technikphilosophie oder ähnliches auf dem Lehrplan stehen. Nicht im Zusammenhang mit Evolutionstheorie und Kreationsismus.

    Warum nicht auch in dem Zusammenhang? Ich finde es sehr wichtig, dass die Frage erörtert wird, worum es überhaupt in der Naturwissenschaft geht und welchen Anspruch Naturwissenschaft haben kann und haben sollte. Geht es in der Naturwissenschaft darum einen Absolutheitsanspruch auf "Wahrheit" über die Welt zu verkünden oder geht es nur um die Entwicklung von Arbeitshypothesen mit dem Zweck eines praktischen Nutzens für die Menschheit? Es ist ein Unterschied, ob man Naturwissenschaft als allgemeingültige Weltanschauung oder als praktische nutzbare Hypothesensammlung versteht.


    Und natürlich haben verschiedene Sichtweisen über die Entstehung des Menschen auch grossen Einfluss auf das Menschenbild an sich und auch auf die Ethik.


    Es ist eben himmelweiter ein Unterschied, ob der Mensch in einem planvollen Schöpfungsakt von einem personalen, liebenden Gott nach seinem Ebenbild erschaffen, mit einer Seele ausgestattet und zu einem bestimmten Leben berufen wurde, oder ob der Mensch eine seelenlose, durch Mutation und Selektion zufällig aus der Tierwelt hervorgegangene "Trockennasenaffenart" ist. Das Unterschiede dieser Menschenbilder gehört doch selbstverständlich auch in die Schule.


    Ich finde es deshalb sinnvoll, wenn man das Thema Evolution/Schöpfung auch parallel in verschiedenen Fächern behandelt. In Biologie sollte die Evolutionstheorie vorgestellt werden, ohne dabei weltanschaulichen Druck auszuüben. In Religion und Philosophie können parallel dazu Themen wie Schöpfung, Menschenbilder, ethische Gebote im Zusammenhand mit der Frage Evolution/Schöpfung, Erkenntnistheorien etc. behandelt werden. Und im Geschichtsunterricht könnte man zum Beispiel den Einfluss der Evolutionstheorie auf die Politik des 19. und 20. Jahrhunderts thematisieren.

  • Nur mal so rein interessehalber weil ich beim Lesen gerade darüber gestolpert bin: was würde in solch einer Pro-/Contabelle drinstehen?

    Fühle mich auch gerade in gewisse andere Threads versetzt. Claudius liebt es, theoretisch auf mögliche Pro- und Contra-Diskussionen zu verweisen, hat es aber bisher noch nie geschafft, ein Argument für eine der beiden Seiten aufzustellen.

  • Warum nicht auch in dem Zusammenhang?

    Ich denke, dass Wissenschaftstheorie ein höchst komplexes Gebiet ist und auf Seiten der Schüler eine Menge voraussetzt. Und dass deshalb a) der Behandlung eine eigene Unterrichtsreihe gewidmet sein sollte und dass das b) in der Oberstufe geschehen sollte.
    Wenn man bereits Evolution/Kreation behandelt hat (oder die Kollegen in Biologie und Religion) und dann Wissenschaftstheorie macht - klar sollte man dann Bezüge herstellen! Ich hatte deinen Beitrag so gedeutet, dass man in einer Unterrichtsreihe zu Evolution/Kreation die Geltungsansprüche der Wissenschaften im Vorbeigehen mit behandeln sollte. Vielleicht habe ich da aber auch was falsch reingelesen.


    Aber: Im Kontext dieses Threads finde ich deine Aussage zu Evolutionstheorie als naturphilosophischem Gedankenspiel viel interessanter. Meine Meinung habe ich oben angedeutet. Wenn Evolutionstheorie nicht mehr ist als eine nützliche Hypothesensammlung, weil die meisten evolutionäre Prozesse nicht vom Anfang bis zum Ende beobachtet wurden, dann ist (unter anderem) auch die Geschichtswissenschaft bloß eine Hypothesensammlung. Bleibst du dabei?


    Und hätte so eine Hypothesensammlung dann den gleichen Geltungsanspruch wie die Lehre vom Kreationismus?

  • Naja, zumindest ist die Entstehung eines Auges durch evolutionäre Prozesse bisher nicht empirisch beobachtet worden, wie eben so viele Hypothesen der Evolutionstheorie empirisch nie beobachtet wurden und auch gar nicht empirisch untersucht werden können, sondern eher - nach meiner persönlichen Meinung - ein naturphilosophisches Gedankenspiel sind.


    Es gibt eine ganze Reihe von Tieren und Protisten (Einzellern), die
    primitive Vorstufen von Augen haben und daraus einen Nutzen gegenüber
    völlig blinden ähnlichen Tieren haben: Seeohren, Euglena, Planarien ...


    Insofern ist die von Intelligent Design-Vertretern propagierte "irreducible complexity" beim Auge schon einmal hinfällig, sodass eine schrittweise Entwicklung zu immer komplexer werdenden Augen absolut nachvollziehbar erscheint. Deshalb ist der ehemalige Kreationisten-Klassiker Auge auch inzwischen etwas aus der Mode geraten.

  • Selbst Regenwürmer besitzen mit dem Lichtfleck eine Vorstufe des Auges - die im Prinzip genau so funktioniert wie unser Auge. Nur haben wir ausdifferenziertere Zellen für die Hell-Dunkel-Wahrnehmung unterschiedlicher Wellenlängen - was durchaus für eine Evolution des Menschen aus dem Regenwurm spricht ;)
    Ich bin durchaus der Meinung, dass man sowohl an einen Gott, als auch an die Evolution glauben kann.
    Das 7-Tage-Schöpfungsgedöns der Bibel stammt aus Menschenhand und stellt eine Metapher dar - die nebenbei bemerkt die tatsächliche Abfolge der Evolution recht präzise beschreibt.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

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