Gamification im Unterricht

  • Auf Anregung hin kann die Diskussion über Sinn und Unsinn, Vorzüge und Nachteile von Gamification im Unterricht diskutiert werden.


    Meine Haltung dazu habe ich nachstehend noch einmal kopiert:


    Was ich viel schlimmer finde, ist das Ignorieren der negativen Auswirkungen, die die Einrichtung eines solchen Spiels bzw. des Einsatzes von Gamification im Unterricht mit sich bringt.


    Zum einen wären da die Kosten, denn die Basisversion hat erstaunlich wenig Funktionen.
    Zum anderen - und das ist für mich der zentrale Aspekt - enthält dieses Spiel ein Element vieler kommerzieller Handyspiele, nämlich ein süchtigmachendes Belohnungssystem.


    Ich habe erhebliche Zweifel daran, dass Schüler durch "Gamification" eine höhere Lernmotivation in Bezug auf den Lerngegenstand und den Kompetenzzuwachs entwickeln. Letztlich ist es die Sucht nach dem Spiel, die wie auch zu Hause dann dazu führt, dass man seine Aufgaben bearbeitet, um anschließend zu spielen. Damit droht die häusliche Lebenswirklichkeit der Schüler nun auch zur schulischen Lebenswirklichkeit zu werden. Schule und das Leben an sich sind kein beständiges Spiel, bei dem Spaß und Belohnung an oberster Stelle stehen. Die Einführung von Gamification in den Unterricht suggeriert aber genau das.


    Die eigenmächtige Einführung eines solchen Konzepts dürfte nicht nur den meisten pädagogischen Konzepten von Schulen diametral zuwiderlaufen, das sollte in meinen Augen entsprechend vorbereitet und abgestimmt sein.

    Gruß
    #TheRealBolzbold

    Ceterum censeo factionem AfD non esse eligendam.

  • Was man hier vielleicht noch berücksichtigen sollte, ist, dass didaktische Autonomie nicht mit Anarchie oder Beliebigkeit gleichzusetzen ist. Ein solches Konzept, das grundlegende Aspekte des Unterrichts und des gesamtpädagogischen Kozepts einer Schule betrifft, sollte immer mit der Schulleitung abgesprochen sein.
    ...
    Schule und das Leben an sich sind kein beständiges Spiel, bei dem Spaß und Belohnung an oberster Stelle stehen. Die Einführung von Gamification in den Unterricht suggeriert aber genau das.


    Hallo Bolzbold,


    es handelt sich doch um ein - wenngleich virtuelles/digitales - ganz übliches Belohnungssystem, da ist halt mal ausnahmsweise eine Lehrkraft im digitalen Zeitalter angekommen und handelt danach. Ich bin auch bemüht, die z.B. Smartphones aktiv in den Unterricht einzubinden. Ok, wenn es jetzt eine Waldorfschule wäre... ;)


    Der Vergleich mit dem Leben, das kein Belohnungssystem bzw. Spiel sei, stimmt so aus meiner Wahrnehmung heraus nicht. Natürlich gieren wir alle zeitlebens nach Belohnung und sind gleich viel motivierter, wenn diese (durch Lob oder durch Geld, gute Zensuren oder anderweitig) erfolgt. Hinzu kommt der nicht zu unterschätzende kooperative Effekt bei der genannten digitalen Belohnungs-Methode: positive Abhängigkeit (sozial), wechselseitige Kontrolle und nicht zuletzt schulischer Einfluss auf die Peer-Kultur (wenn auch in einem eng umgrenzten Rahmen).


    Deine Skepsis zeigt aber doch ganz gut, weshalb der Threadersteller an seiner Schule ggf. auf mehrere Kritiker (darunter leider der Schulleiter) gestoßen ist. Unsere Schule steht der Digitalisierung sehr aufgeschlossen gegenüber (viele junge Kollegen am Start), ich könnte mir aber vorstellen, dass ältere Kollegen oder solche, die moderne Technik aus prinzipiellen/ideologischen Gründen ablehnen, da eine ganz andere Haltung an den Tag legen.


    Jedenfalls sollte man das berücksichtigen, wenn man sich der Digitalität zuwendet und ggf. im Vorfeld diverse Vorbehalte entkräften und transparent machen, was man da eigentlich in seinem Unterricht treibt.


    der Buntflieger


    EDIT Bolzbold: Beitrag zu spät gesehen. Mein Posting darf gerne in den neuen Thread verschoben werden.

  • Wenn man die Einführung des Spiels in einer einzigen Klasse als Testlauf deklariert und entsprechend auswertet, sollte doch den ablehnenden Kollegen genüge getan sein. Muss man aber eben so auch kommunizieren.
    Im übrigen: Viele Kollegen reagieren sehr dünnhäutig, wenn sie sich übergangen fühlen - selbst wenn sie dem Vorschlag zugestimmt hätten. Sie wollen halt gefragt werden. Wenn man das macht, kann man Konflikte verhindern.


    Ich lese immer wieder, dass Kollegen Minecraft bearbeiten und damit Physik- oder Chemieunterricht bereichern. Macht das hier jemand?

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • https://axelkrommer.com/2018/0…e-bankrotterklaerung-ist/


    Die Seite enthält meiner Ansicht nach eine Reihe von guten Aspekten, die gegen Classcraft sprechen:


    "Hier legt sich ohne jegliche inhaltliche Anbindung ein bunter digitaler Fantasy-Mantel über den traditionellen Unterricht, ohne dass sich an den herkömmlich-hierarchischen Strukturen etwas verändert.


    Im Gegenteil: Der Klassenraum verwandelt sich in ein algorithmischgestütztes Belohnungs- und Bestrafungs-Panoptikum, in dem ein allmächtiger Lehrer die Schüler(innen) am Nasenring eines Punktesystems
    durch die curriculare Manege zieht. Classcraft macht auch aus dem letzten Schüler, der sich tatsächlich für ein Fach oder ein Thema interessiert, einen fremdgesteuerten und extrinsischmotivierten Punkte-Zombie, der sein Handeln vor allem an den Elementendes Spiels ausrichtet und dem es gleichgültig ist, ob er binomische Formeln lösen, präpositionale Attribute erkennen oder sich regelkonform verhalten muss, um die nächste Belohnung zu erhalten.
    Kurz: Classcraft ist eine didaktische Bankrotterklärung."


    Für eine genauere Auseinandersetzung empfiehlt der Autor: Boelmann, Jan M. (2016): World of Classcraft als Modell der Zukunft auch für die Primarstufe? In: Abraham, Ulf/Knopf, Julia (Hrsg.): Deutsch digital. Praxis. Baltmannsweiler: Schneider. S. 128-131.


    Evtl. hat jemand hier ja das Buch/Heft ...


    Davon abgesehen liegt es rein in der subjektiven Entscheidungsgewalt (Willkür?) des Lehrers, ob, wann und wie viele Punkt er abzieht oder vergibt. Gerade bei so etwas kann schnell bei Schülern Neid aufkommen bzw. das Gefühl, der Lehrer wäre ungerecht.


    Bzgl. der Preise hat Bolzbold ja schon etwas geschrieben.


    https://tridigiwet.com/2018/07…scraft-ein-offener-brief/


    Das liest sich auch interessant ... lehnt Classcraft nicht ab, schreibt aber:


    "Eines der größten Hindernisse auf dem Weg war die Erkenntnis, dass es auch bei Classcraft einen ordentlichen Batzen an Einarbeitung und Feintuning braucht, um das Spiel für sich selbst zum Gewinn zu machen. Ein einfaches Übernehmen der Standardeinstellungen macht aber für mich überhaupt keinen Sinn, weil es dann genau das ist, was immer kritisiert wird: Ein Punkte-Badge-Belohnungs-/ Bestrafungssystem.Es ist ein Classroom-Management-Tool und ich kann es meinen Vorlieben, Bedürfnissen und Klassen anpassen (was man aber auch wirklich tun sollte und da ist ein Großteil der Arbeit verborgen)."



    und



    "Gleichzeitig fahre ich aber auch diese ganzen Geschichten wie „hat seine Hausaufgaben gemacht und bekommt deshalb XP“ oder „hat seine Arbeit einen Tag später abgegeben und stirbt deshalb“ bis auf ein Minimum runter, weil ich mit den Schülern in einer konzentrierten und angenehmen Atmosphäre arbeiten und nicht die ganze Zeit am Knöpfchendrücken sein will. Eine Funktion des Spiels, die ich gerne nutze, sind die Quests, also Aufgaben, die die Schüler über die Plattform abgeben und die in eine bestimmte Rahmenhandlung („Volk der Zeitgemäßen“, „Edle letzte Menschen“, etc.) eingebettet sind.


    Classcraft ist kein Allheilmittel und funktioniert in manchen Klassen auch gar nicht. Es kommt nach meiner Erfahrung darauf an, ob es eine Passung zwischen Interesse der Lehrkraft und der Schüler gibt.
    Die Motivation kann damit kurzfristig gesteigert werden, langfristig ist es ein Unterrichtsbegleiter.
    Es ist ein Unterrichtsbegleiter, den ich sehr gerne nutze. Meinen kompletten Unterricht darauf auszurichten oder gar „ohne das Spiel nicht mehr unterrichten zu können“ halte ich für falsch und widerstrebt auch meinen unterrichtlichen Prinzipien.
    Es kommt ganz stark auf das Setting und den jeweiligen Kontext an. Manchen Schülern gibt das Spiel Struktur und Motivation, andere fühlen sich durch die Fantasy-Charaktere unwohl.
    Classcraft bringt dann etwas, wenn man hinter die ganze Belohnungs-/ Bestrafungs- Nummer blickt und es als Chance auf ein verändertes Klassenklima begreift."


    Aber ganz ehrlich: "Chance auf ein verändertes Klassenklima" ... da weiß ich nicht, ob das das Mittel meiner Wahl wäre.

  • Aber ganz ehrlich: "Chance auf ein verändertes Klassenklima" ... da weiß ich nicht, ob das das Mittel meiner Wahl wäre.

    Hallo DeadPoet,


    muss ja auch nicht; das ist doch so schön an dem Job, dass man in aller Regel weitestgehend selbst darüber entscheiden kann, was zu einem und zur eigenen (jeweiligen) Lerngruppe/Klasse passt.


    Alle Methoden sind von Übel, wenn man sie verabsolutiert oder/und als Allheilmittel preist. Weder wird die "Digitalisierung" das Unterrichten und Lernen revolutionieren (können), noch brauchen wir uns vor den - sehr langwierigen und letztlich inhaltlich überschaubaren - Veränderungen zu fürchten.


    Die Furcht der meisten Skeptiker vor digitalem Lehren- u. Lernen kommt meiner Vermutung nach vor allem vom eigenen Gefühl des Kontrollverlusts. Man kennt sich nicht mehr aus. Wenn ich sehe, wie hilflos meine Eltern auch nach vielen Jahren Computernutzung noch mit der Technik umgehen und wie wenig es braucht, dass sie ratlos vor dem Rechner sitzen, kann ich das sogar sehr gut nachvollziehen.


    der Buntflieger

  • Zum anderen - und das ist für mich der zentrale Aspekt - enthält dieses Spiel ein Element vieler kommerzieller Handyspiele, nämlich ein süchtigmachendes Belohnungssystem.

    Dafür habe ich gleich mal ein "gefällt mir" vergeben! :P

  • Die Furcht der meisten Skeptiker vor digitalem Lehren- u. Lernen kommt meiner Vermutung nach vor allem vom eigenen Gefühl des Kontrollverlusts.

    Sorry, aber dieser Vergleich hinkt so wie "Ich halte Fast-Food für gefährlich" -> "Du bist also dagegen, was zu Essen?"

  • Noch ein paar Gedanken ... muss jeder wohl selbst bewerten:


    - Es ist nicht alles im Leben ein Spiel und der Versuch, aus allem eins zu machen, widerstrebt mir etwas.
    - Viele Schüler (manche Schülerinnen) sind bereits so in die Welt von Onlinespielen getaucht (oder Handy-Apps), dass "Online-/Spiele-Sucht" tatsächlich schon zu einer Sucht/Krankheit geworden ist, die man ernst nehmen sollte. Will ich wirklich, dass SuS noch mehr Zeit in solchen Welten verbringen?
    - Das "Spiel" erinnert vom Namen, dem Fantasy-Setting mit Kriegern, Priestern, Magiern etc und auch dem Grafik-Stil stark an "World of Warcraft", ein Online-Spiel, das eine ganze Reihe meiner Schüler spielt. So wie ich die aber einschätze, würden sie sich über diese Form der "Anbiederung" durch ein "Schulprogramm" im besten Fall lustig machen, im schlimmsten Fall würden sie es völlig ablehnen.


    Und bevor jetzt jemand was schreibt von wegen "aufgeschlossen sein gegenüber dem Digitalen" ... der Computer begleitet mich seit meinem Studium, da ich keine Hausarbeiten mehr auf der Schreibmaschine tippen wollte. Das sind nun doch schon ca. 30 Jahre, in denen ich ihn für Arbeit und Freizeit intensive genutzt habe (ja, ich habe auch eine ganz beträchtliche Sammlung an Computer-Spielen). Ich habe gelernt, Grafik-Karten und Festplatten zu wechseln, Arbeitsspeicher zu tauschen, Lüfter einzubauen und war im Seminar als Ref derjenige, der Fortbildungen zum Thema "Computer im Geschichtsunterricht" gehalten hat.
    Und dennoch muss nicht alles, was digital / Computer ist sofort für "super" befunden werden, gerade wir sind hier in der Pflicht, auch den SuS eine gesunde Dosis Skepsis vorzuleben. Es ist nicht alles gut weil "neu" und/oder "digital" (wenn das nun noch das Ministerium auch einsehen würde ...).

  • Sorry, aber dieser Vergleich hinkt so wie "Ich halte Fast-Food für gefährlich" -> "Du bist also dagegen, was zu Essen?"


    Hallo goeba,


    inhaltlich korrekt in einen logischen Schluss (einen Vergleich sehe ich hier nicht) übersetzt, müsste meine obige Vermutung wohl am ehesten folgendermaßen lauten:


    "Ich halte Fast-Food für gefährlich" -> "Du fürchtest dich also (vermutlich) vor unbekannten Inhaltsstoffen?"


    der Buntflieger

  • Und dennoch muss nicht alles, was digital / Computer ist sofort für "super" befunden werden, gerade wir sind hier in der Pflicht, auch den SuS eine gesunde Dosis Skepsis vorzuleben. Es ist nicht alles gut weil "neu" und/oder "digital" (wenn das nun noch das Ministerium auch einsehen würde ...).

    Hallo DeadPoet,


    es stimmt zwar, dass knapp 3% der Jugendlichen in Deutschland onlinesüchtig sind, aber daraus nun den Schluss zu ziehen, dass die Schule sich bitteschön demnach vornehmlich analogen Medien bedienen muss, wäre meines Erachtens ein pädagogischer Fehler.


    Indem die Schule sich den Jugendrealitäten verweigert, negiert bzw. ignoriert sie auch ihre eigenen Einflussmöglichkeiten auf jene. Diese sind ohnehin schon sehr begrenzt und sollten dringend erweitert werden, denn nur auf diese Weise lässt sich die Nutzung digitaler Medien im schulischen (kontrollierten) Rahmen lernen. Ein verantwortungsvoller Umgang also und keine naive Haltung.


    Um auf den pädagogischen Fehler zurückzukommen: "den SuS eine gesunde Dosis Skepsis vorzuleben", indem man sich als Schule auf Grund prinzipieller Vorbehalte bzw. möglicher Gefahren, die von einer einseitigen Nutzung ausgehen können, dem Einsatz moderner Medien gegenüber teilweise oder komplett verweigert, ist gerade kein gelungenes Beispiel für einen reflektierten und verantwortungsbewussten Umgang mit Phänomenen des Alltags.


    der Buntflieger

    Einmal editiert, zuletzt von Buntflieger ()

  • Hallo DeadPoet,
    es stimmt zwar, dass knapp 3% der Jugendlichen in Deutschland onlinesüchtig sind, aber daraus nun den Schluss zu ziehen, dass die Schule sich bitteschön demnach vornehmlich analogen Medien bedienen muss, wäre meines Erachtens ein pädagogischer Fehler.

    Das kann man mMn in keiner Weise aus meinem Satz heraus lesen. "Gesunde Skepsis" bedeutet nicht, dass man auf Digitales völlig verzichtet. Hör bitte auf, anderen etwas in "den Mund" zu legen und Dich dann zu etwas zu äußern, das gar nicht gesagt wurde.

  • Das kann man mMn in keiner Weise aus meinem Satz heraus lesen. "Gesunde Skepsis" bedeutet nicht, dass man auf Digitales völlig verzichtet. Hör bitte auf, anderen etwas in "den Mund" zu legen und Dich dann zu etwas zu äußern, das gar nicht gesagt wurde.


    Hallo DeadPoet,


    mir fehlte bei deiner Darstellung einfach das differenzierende Moment; ich sehe nicht, dass du dich mit dem Bereich der hier kritisierten Unterrichtsspiele eingehender auseinandergesetzt hast. Ob SuS privat (oft unkontrolliert) irgend ein MMORPG zocken oder angeleitet vom (Klassen)Lehrer ein pädagogisches Spiel mit direktem Unterrichtsbezug spielen, ist ein gravierender Unterschied.


    Ich würde natürlich auch sorgfältige Überlegungen anstellen, bevor ich irgend ein digitales Element in meinen Unterricht einbinde. Das gilt aber für alle Elemente, egal ob digital oder analog. Wenn du das mit "gesunder Skepsis" meinst, sind wir einer Meinung. Ich bezweifle aber, dass du das in einem derart trivialen Sinne gemeint hast.


    der Buntflieger

  • In Anbetracht der Tatsache, dass ich den Computer - wie ich übrigens schrieb - seit über 30 Jahren privat und beruflich nutze, Fortbildungen zum Computereinsatz im Unterricht halte (wie ich schrieb), selbst recht ausführliche Erfahrungen mit Computerspielen habe (wie ich schrieb) und hier mehrere Artikel verlinkt habe, die sich mit Classcraft (übrigens in keinster Weise ein Spiel mit inhärentem direktem Unterrichtsbezug) und Gamification beschäftigen, erübrigt sich jede weitere Diskussion mit jemanden, der wohl ein Leseproblem hat.

  • es stimmt zwar, dass knapp 3% der Jugendlichen in Deutschland onlinesüchtig sind, aber daraus nun den Schluss zu ziehen, dass die Schule sich bitteschön demnach vornehmlich analogen Medien bedienen muss, wäre meines Erachtens ein pädagogischer Fehler.
    Indem die Schule sich den Jugendrealitäten verweigert, negiert bzw. ignoriert sie auch ihre eigenen Einflussmöglichkeiten auf jene. Diese sind ohnehin schon sehr begrenzt und sollten dringend erweitert werden, denn nur auf diese Weise lässt sich die Nutzung digitaler Medien im schulischen (kontrollierten) Rahmen lernen. Ein verantwortungsvoller Umgang also und keine naive Haltung.


    Um auf den pädagogischen Fehler zurückzukommen: "den SuS eine gesunde Dosis Skepsis vorzuleben", indem man sich als Schule auf Grund prinzipieller Vorbehalte bzw. möglicher Gefahren, die von einer einseitigen Nutzung ausgehen können, dem Einsatz moderner Medien gegenüber teilweise oder komplett verweigert, ist gerade kein gelungenes Beispiel für einen reflektierten und verantwortungsbewussten Umgang mit Phänomenen des Alltags.

    Ich habe fast 3 Jahre lang für einen großen Spielkonzern in der Online-Kundenbetreuung gearbeitet, bin also mit Sicherheit recht aufgeschlossen, was Gaming anbelangt (das Spiel zu spielen, das man betreut, war eine Grundvoraussetzung für den Job, damit man die Probleme wirklich versteht und Lösungsansätze game-kompatibel beschreiben kann), bearbeite das Thema auch gerne mit meinen SuS in GK im Bereich der Medienbildung. Das bedeutet aber nicht einfach unkritisch jeden Ansatz zu übernehmen, denn ich habe auch gesehen, wie Kinder von Spielefirmen ausgebeutet werden, die ihr gesamtes Taschengeld in Ingame-Währungen verlieren, von erwachsenen Mitspielern erpresst, genötigt und- wenn sie in ihrem kindlichen Vertrauen real name und Adressen preisgegeben haben- sogar physisch bedroht wurden. Gamification klingt für mich als spieleaffiner Mensch erst einmal spannend, bestärkt aber meines Erachtens bei Kandidaten, die bereits einen zu unkritischen, zu intensiven Medienkonsum haben und Browsergames à la Fortnite und Co. mit ihrem Taschengeld und ihrer Lebenszeit füttern in diesem ungesunden Verhalten. Kritischen Medienkonsum fördert man auf diesem Weg nicht, egal, wie man das Spiel einstellen mag, dafür gibt es geeignetere Wege, genauso wie die Arbeit am Klassenklima meines Erachtens von direktem zwischenmenschlichem Austausch lebt, nicht von noch mehr Medialität. Möglicherweise lassen sich mit Classcraft oder dem Gamification-Ansatz anderer wichtige Bildungsziele mitverwirklichen, das will ich keineswegs ausschließen. Für diese beiden Teilziele halte ich den Ansatz aber für weniger gut geeignet, als andere Ansätze. Persönlich bin ich auch kein Fan von Belohnungssystemen, insofern überzeugt mich das Argument, es handele sich lediglich um ein digitales Belohnungssystem nicht. Ich finde es schwierig, wenn man Kindern vermittelt, dass Bildung sich nur lohnt, um einer Belohnung willen, die man von außen erhält als Anreiz. Natürlich funktioniert das bei einigen Kindern recht gut, die dies genauso auch von zuhause kennen als Erziehungsmittel. Ich finde aber, als Schule dürfen wir solche Erziehungsmodelle durchaus auch bewusst kontrastieren.


    Es gibt am Ende dann halt doch einen Unterschied zwischen "sich dem Einsatz moderner Medien gegenüber teilweise oder komplett zu verweigern" und einem möglicherweise allzu unkritischen Umgang mit einem letztlich auch gewinnorientierten Konzept (zumindest Classcraft ist ja in weiten Teilen nicht kostenfrei) bzw. Gamification als Ansatz. (BTW finde ich es etwas kurios, dass du noch kürzlich deine handschriftlichen Arbeitsblätter verteidigt hast, nur um nun in dieser Weise Kritik an Gamification/Classcraft direkt zur Fundamentalkritik an digitalen Medien erklären zu wollen.)

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • In Anbetracht der Tatsache, dass ich den Computer - wie ich übrigens schrieb - seit über 30 Jahren privat und beruflich nutze, Fortbildungen zum Computereinsatz im Unterricht halte (wie ich schrieb), selbst recht ausführliche Erfahrungen mit Computerspielen habe (wie ich schrieb) und hier mehrere Artikel verlinkt habe, die sich mit Classcraft (übrigens in keinster Weise ein Spiel mit inhärentem direktem Unterrichtsbezug) und Gamification beschäftigen, erübrigt sich jede weitere Diskussion mit jemanden, der wohl ein Leseproblem hat.


    Hallo DeadPoet,


    vorab: Ich würde gerne auf der Sachebene bleiben.


    Die verlinkten Artikel klären nicht darüber auf, ob du das besagte "Classcraft" selbst ausprobiert hast und das Produkt vom praktischen Funktionsumfang her beurteilen kannst. Das ging auch - mit Verlaub - nicht aus deinen bisherigen Äußerungen hervor, sonst hätte ich nicht in diese Kerbe geschlagen. Auch die Artikel - soweit ich sie (an)gelesen habe - sind eher kurz, schwammig und bleiben unkonkret.


    Den "inhärenten, direkten Unterrichtsbezug" sehe ich als gegeben an. Natürlich nicht bezogen auf den Fachinhalt selbst (indirekt ist auch das denkbar), aber hinsichtlich Unterrichtsverhalten und sozialen Kompetenzen. Es ist ja kein eigenständiges Spiel, sondern ergibt nur im möglichst konkret festgesteckten Unterrichtsbezug Sinn.


    Sehr aufschlussreich fand ich dieses Erklärvideo: https://www.youtube.com/watch?v=STj7n3fkyGw


    der Buntflieger

  • Möglicherweise lassen sich mit Classcraft oder dem Gamification-Ansatz anderer wichtige Bildungsziele mitverwirklichen, das will ich keineswegs ausschließen. Für diese beiden Teilziele halte ich den Ansatz aber für weniger gut geeignet, als andere Ansätze. Persönlich bin ich auch kein Fan von Belohnungssystemen, insofern überzeugt mich das Argument, es handele sich lediglich um ein digitales Belohnungssystem nicht. Ich finde es schwierig, wenn man Kindern vermittelt, dass Bildung sich nur lohnt, um einer Belohnung willen, die man von außen erhält als Anreiz. ...
    (BTW finde ich es etwas kurios, dass du noch kürzlich deine handschriftlichen Arbeitsblätter verteidigt hast, nur um nun in dieser Weise Kritik an Gamification/Classcraft direkt zur Fundamentalkritik an digitalen Medien erklären zu wollen.)


    Hallo CDL,


    ich schrieb ja schon, dass jeder Lehrer selbst entscheiden (können) sollte, ob er solche digitalen Mittel in den Unterricht einbindet oder nicht. Das passt natürlich nicht für jeden und hat auch klar zu benennende Nachteile. Man muss das halt abwägen.


    Interessant finde ich an jenem "Classcraft", dass man als Lehrer gemeinsam mit den SuS klare Verhaltensregeln ausarbeiten und gewichten kann, die mit klaren Konsequenzen verbunden sind. Dabei entlastet einen das Programm von der ansonsten sehr zeitraubenden Dokumentation. Sehr interessant ist auch das kooperative Element, dass also in gewisser Weise die Peer-Kultur an den Unterricht angebunden wird.


    Das Argument, dass SuS den tieferen Sinn von Bildung dadurch nicht erkennen, stimmt sicherlich, aber diese reflexive Leistung werden die meisten SuS ob mit oder ohne Belohnungssystem vermutlich nicht erbringen können. Für solche Klassen, die von der Reife her dazu fähig sind, ist solch ein Spiel natürlich obsolet.


    Dir ist sicherlich nicht entgangen, dass ich in dem von dir erwähnten Thread eingeräumt habe, dass das (teilweise) analoge/händische Erstellen von Arbeitsblättern nicht der Weisheit letzter Sch(l)uss sein kann. ;)


    der Buntflieger

  • Ich bin auf der Sachebene, denn das Leseproblem lässt sich ja belegen. Zunächst behauptest Du, dass meine Äußerungen bedeuten würden "dass die Schule sich bitteschön demnach vornehmlich analogen Medien bedienen muss". Völlig falsch - nie geschrieben. Dann kommt von Dir - der wohl gemerkt bisher hier noch rein gar nichts konkretes zu Classcraft oder Gamification beigetragen hat - die Aussage, "ich sehe nicht, dass du dich mit dem Bereich der hier kritisierten Unterrichtsspiele eingehender auseinandergesetzt hast". Obwohl ich vorher ja genau deswegen z.T. meinen Background ausgeführt habe. Ein steiler Vorwurf von jemanden, der so tut, als wäre er Fachmann, aber selbst noch keine Fach- oder Expertenaussagen oder Erfahrungsberichte aus der Schulwelt wenigstens als Link beigetragen hat.
    Plötzlich geht es jetzt darum, ob ich Classcraft selbst ausprobiert habe und vom praktischen Funktionsumfang her beurteilen könnte (was man durchaus auch kann, ohne es selbst ausprobiert zu haben, z.B. auf Grundlage der Webseite des Produkts, diverser Artikel, die ich nicht wirklich unkonkret oder schwamming finde, sondern als Erfahrungsberichte von Lehrkräften durchaus hoch einschätze - von denen ja einer das Programm ja sogar einsetzt).
    Wie sind denn Deine persönlichen Erfahrungen mit Classcraft? Denn Du musst es ja dann auch persönlich ausprobiert haben, um es kompetent verteidigen zu können. Wie intensiv hast Du Dich denn schon mit der Thematik auseinandergesetzt? Oder basieren Deine Einsichten auf dem verlinkten Erklärvideo, das sofort am Anfang davon spricht, Classcraft sei ein "Belohnungs- und Bestrafungssystem"? Einmal davon abgesehen, dass ich so ein System zusätzlich zu den schon vorhandenen Belohnungs- und Bestrafungssystemen an der Schule ablehne, greift das wohl viel zu kurz (um noch einmal aus einem der verlinkten Artikel zu zitieren - steht allerdings auch schon oben: "Eines der größten Hindernisse auf dem Weg war die Erkenntnis, dass es auch bei Classcraft einen ordentlichen Batzen an Einarbeitung und Feintuning braucht, um das Spiel für sich selbst zum Gewinn zu machen. Ein einfaches Übernehmen der Standardeinstellungen macht aber für mich überhaupt keinen Sinn, weil es dann genau das ist, was immer kritisiert wird: Ein Punkte-Badge-Belohnungs-/ Bestrafungssystem. Es ist ein Classroom-Management-Tool und ich kann es meinen Vorlieben, Bedürfnissen und Klassen anpassen (was man aber auch wirklich tun sollte und da ist ein Großteil der Arbeit verborgen)."


    Ich bin dann raus aus der Diskussion, denn für sowas ist mir mein Freitag Abend doch etwas zu schade.

  • Ich bin auf der Sachebene, denn das Leseproblem lässt sich ja belegen. Zunächst behauptest Du, dass meine Äußerungen bedeuten würden "dass die Schule sich bitteschön demnach vornehmlich analogen Medien bedienen muss". Völlig falsch - nie geschrieben. Dann kommt von Dir - der wohl gemerkt bisher hier noch rein gar nichts konkretes zu Classcraft oder Gamification beigetragen hat - die Aussage, "ich sehe nicht, dass du dich mit dem Bereich der hier kritisierten Unterrichtsspiele eingehender auseinandergesetzt hast". Obwohl ich vorher ja genau deswegen z.T. meinen Background ausgeführt habe. Ein steiler Vorwurf von jemanden, der so tut, als wäre er Fachmann, aber selbst noch keine Fach- oder Expertenaussagen oder Erfahrungsberichte aus der Schulwelt wenigstens als Link beigetragen hat.


    Hallo DeadPoet,


    ich habe nochmal den Thread gesichtet und nach dem Ursprung unseres Disputs Ausschau gehalten. Folgende Äußerung von dir hat mich wohl getriggert:


    Und dennoch muss nicht alles, was digital / Computer ist sofort für "super" befunden werden, gerade wir sind hier in der Pflicht, auch den SuS eine gesunde Dosis Skepsis vorzuleben. Es ist nicht alles gut weil "neu" und/oder "digital" (wenn das nun noch das Ministerium auch einsehen würde ...).


    Ich habe das so aufgefasst, dass du Leute, die "Classcraft" oder "Gamifications" etc. positiv gegenüber stehen, als ziemlich naiv darstellst.


    Natürlich bin ich kein Fachmann in Sachen Gamifications (noch nie probiert) und auch Belohnungssysteme habe ich nur im ganz kleinen Rahmen mal probiert. Mir war das bisher immer zu aufwändig. Falls ich hier einen falschen Eindruck vermittelt habe, sei dies nochmal ganz klar zugegeben.


    Die vielen Zitate aus den Artikeln habe ich gelesen, aber das wirkte auf mich - eben unter dem Eindruck deiner von mir zitierten Aussage - mehr als Vorwand, um jenes "Classcraft" in einem möglichst schlechten Licht erscheinen zu lassen. Das ist allerdings nicht korrekt, wie mir beim nochmaligen gründlicheren Lesen klar geworden ist.


    Ich räume also ein, dass ich zu schnell zu scharf geschossen habe und von daher selbst in der Tat nicht 100% sachlich unterwegs war.


    Trotzdem schönen Abend dir!


    der Buntflieger

  • Ich glaube, man sollte sich als Pädagoge grundsätzlich davor hüten, neue Methoden per se als Heilsbringer oder als Verdammnis zu betrachten - das dürfte auf alle Methoden seit Anbeginn der Menschheit zutreffen.

    Gruß
    #TheRealBolzbold

    Ceterum censeo factionem AfD non esse eligendam.

  • Ich sehe die Sache folgendermaßen: Damals, als ich in die Grundschule ging, war der PC in Kinderzimmern noch nicht so verbreitet und es war einerseits ungewöhnlich, andererseits eine nette Abwechslung, wenn man in der Schule als Belohnung am PC ein Lernspiel spielen durfte oder eben eine Kleinigkeit recherchieren musste. Inzwischen, zu einer Zeit, in der selbst Vorschulkinder teilweise mehrere Stunden (!) mit digitalen Geräten verbringen, finde ich, dass die Schule da auch die Fürsorgepflicht hat, dass Kinder wenigstens während dieser Zeit vor dem Einfluss digitaler Medien verschont werden. Wenn Eltern häufig ihren Kindern keinen verantwortungsvollen Umgang mit besagten Medien beibringen können oder wollen ("Mein Kind wird sonst zum Außenseiter."), darf wenigstens die Schule aufzeigen, dass es auch analoge Alternativen gibt und dass diese gegenüber digitalen Konsumgütern durchaus auch den einen oder anderen Vorteil bieten.

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