Schulreform in Frankreich - was Brennpunktschulen wirklich hilft

  • Eigentlich passt das ja gar nicht in diese Rubrik, denn es geht mir hier nicht um Frust, Ärger und Kritik, sondern einfach um "Medienneuigkeiten", in diesem Falle vielleicht ein leuchtendes Vorbild? Womöglich weiß das aber auch wer zu kritisieren? Dann passt's ja wieder...


    In Frankreich gab es eine Schulreform. Dort ist möglich, woran hier keiner mehr glauben mag und hier ja immer argumentiert wurde. Die Zahlen der Schüler an Klassen in sozialen Brennpunkten wurde dort halbiert (im Grundschulbereich), kann man in dem Beitrag vom "heutejournal" erfahren. Die gezeigte Klasse hat dadurch 12 Kinder. Ich meine immer noch, das ist etwas, was Brennpunktschulen und ihren Lehrern wirklich hilft (und nicht 'ne Gehaltszulage, durch die alleine nichts besser wird).


    https://www.zdf.de/nachrichten…19-dezember-2019-100.html


    12 Schüler pro Klasse - ein Traum. Das wäre mal was! Das würde mal helfen! Warum geht in Frankreich, was in Deutschland keiner für möglich hält? Liegt das daran, wie es so schön heißt, dass alle sagten, das geht nicht und dann kam einer, der wusste das nicht und hat's einfach gemacht? ;)


    Klar, auch das kostet letztendlich Millionen. Ob dafür dann auch noch genug Geld da wäre?

    Es gibt für alles ein Publikum und für jede Meinung das passende Argument.

    Einmal editiert, zuletzt von Das Pangolin ()

    • Offizieller Beitrag

    Haha... ich schreibe morgen, wenn ich mehr Zeit habe. Aber die aktuelle Situation des französischen Bildungssystems ist nicht mal aus der Entfernung ein Vorbild.


    nur soviel: die 12 SuS pro Klasse (natürlich nur in ausgewiesenen Brennpunktschulen!), (nur!) in der ersten Klasse (vll auch 2., muss ich nachprüfen), sind _kostenneutral_ eingeführt worden!!! Sprich: die Klassenftequenz der anderen Niveaus der Grundschule ist dadurch höher geworden.

  • Haha... ich schreibe morgen, wenn ich mehr Zeit habe. Aber die aktuelle Situation des französischen Bildungssystems ist nicht mal aus der Entfernung ein Vorbild.


    nur soviel: die 12 SuS pro Klasse (natürlich nur in ausgewiesenen Brennpunktschulen!), (nur!) in der ersten Klasse (vll auch 2., muss ich nachprüfen), sind _kostenneutral_ eingeführt worden!!! Sprich: die Klassenftequenz der anderen Niveaus der Grundschule ist dadurch höher geworden.


    Hm, mag sein. Das französische Bildungssystem kenne ich praktisch nicht. Ich bin von dem ausgegangen, was im "heute journal" berichtet wurde. Weitere Infos dazu fand ich nicht.


    Unabhängig davon also wäre es doch unbestrittenermaßen eine wirkungsvollere Entlastung und Hilfe für Brennpunktschullehrer, die Klassengrößen zu halbieren - natürlich nicht nur in Klasse 1. Das ist klar. Aber mit solchen Maßnahmen muss man ja immer erst einmal "langsam anfangen". Wie alles andere auch ist das sicherlich eine Kostenfrage. Wir wollen ja alle auch möglichst wenig Steuern zahlen ... wie soll das also alles finanziert werden?

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  • Schön wäre, wenn dass dann mal wissenschaftlich begleitet wird und man mal guckt, was das tatsächlich für einen Effekt hat. Damit nich immer wieder behauptet wird, die Klassengröße habe keinen Einfluss (kriege ich regelmäßig die Krise, wenn ich das lese/höre...).

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • ...Damit nich immer wieder behauptet wird, die Klassengröße habe keinen Einfluss (kriege ich regelmäßig die Krise, wenn ich das lese/höre...).

    Ist halt immer die Frage: Einfluss auf was? Wenn ich recht erinnere, wird das Lernergebnis der Kinder erst ab einer sehr kleinen Klassengröße besser, ob es 22 oder 32 sind macht jedoch keinen Unterschied. Wie es mit der Zufriedenheit oder Gesundheit der Lehrkräfte aussieht (und ob die Anzahl der verhaltensgestörten einbezogen wurde) ist fraglich.

    • Offizieller Beitrag

    So, ich hatte gesagt, ich schreibe hier noch mal, weiß aber nicht, ob ich noch was ergänzen kann, außer das, was ich gestern schon schrieb.
    Die damit einhergehenden Schließungen von anderen Klassen bzw. erhöhten Klassenfrequenzen sind ein Witz.
    Wenn man bedenkt, dass zum Primarbereich in Frankreich auch die Vorschule gehört, diese aber nicht von einer solchen Reform betroffen ist und man dort eine Klassenfrequenz von 29-32 SuS hat, sieht man, dass es keine besonders gut durchdachte "Reform" ist und eher unter "Populismus" abgehandelt werden kann.

  • Wenn ich recht erinnere, wird das Lernergebnis der Kinder erst ab einer sehr kleinen Klassengröße besser, ob es 22 oder 32 sind macht jedoch keinen Unterschied.

    Und genau das halte ich für absoluten Quatsch (egal, wer da was "geforscht" hat). Gerade bei "schwieriger" Klientel macht jedes einzelne Kind einen Unterschied für die gesamte Lerngruppe. Weniger Menschen im Raum bedeutet schlicht: mehr Ruhe, weniger Ablenkung, mehr Aufmerksamkeit für das einzelne Kind, damit mehr Raum für Beziehungsarbeit, passgenauere Lernangebote etc. ... sorry, aber ich begreife nicht, wie man daran zweifeln kann, das hätte alles keinen Einfluss auf die Lernchancen.


    Mag sein, dass es tatsächlich keinen Unterschied macht, ob man mit 22 oder 32 gut angepassten, pflegeleichten, lern- und arbeitswilligen Schülern reinen Frontalunterricht macht, aber das kann ja wohl nicht die Grundlage der Überlegungen sein.

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • Ich fände es ja durchaus sinnvoll an der Durchmischung der Schülerschaft etwas zu ändern, anstelle der Klassengröße. Ich hab eine verhältnismäßig sehr kleine Klasse mit 20 Schülern. Das hilft aber nicht wirklich bei einem Inklusionsanteil von 40 Prozent plus Brennpunkt Klientel. Lieber wäre mir eine andere Zusammensetzung, damit Orientierung an Schülern, die Lernbereitschaft zeigen und Regeln einhalten können, überhaupt möglich ist. Von denen gibt es aber nur 2-3, die fallen den anderen eher nicht so auf.

  • @EducatedGuess: Klar, die Durchmischung ist wohl der Hauptfaktor für Lernerfolg einerseits und Lehrergesundheit andererseits. Aktuell ist es ja noch so, dass das Einzugsgebiet von Schulen geographisch determiniert ist und da hast du das volle Spektrum zwischen Villenviertel und Brennpunkt. Das aufzubrechen dürfte schwierig sein, da sich die Politik eingestehen müsste, dass sich problematische Klientele doch an gewissen Standorten innerhalb Deutschlands konzentrieren. Im Gegenzug würde das auch bedeuten, dass gute Schulen Kinder aus schwierigen Elternhäusern zugewiesen bekämen - und dagegen würden sich die Eltern der Kinder aus gutem Hause vermutlich wehren. Inklusion klingt auf dem Papier immer schön, aber dann kommt man an den Punkt, wo man erkennt, dass das nicht von allen Bevölkerungsgruppen gewollt ist, da manche auch gerne unter sich bleiben (und das geht in beide Richtungen!).

  • Absolut richtiger Ansatz!
    Ich komme ja auch bis heute nicht wirklich über den Unterschied hinweg, den diese unterschiedliche Zusammensetzung ausmacht. Fakt ist: eine Stunde mit halber Lerngruppe an meiner vorherigen (Brennpunk-)schule war um Längen anstrengender als eine Stunde alleine mit meiner jetzigen Klasse. Und weniger gelernt wurd dabei defintiv auch, schon allein weil man oft kaum zum Unterrichten gekommen ist. Ich kam mir da immer nur vor wie die Feuerwehr, die verzweifelt von einem Brandherd zum anderen springt und letztlich niemandem gerecht wird.
    Trotzdem muss ich auch bei meinen jetzigen Schülerschaft feststellen: immer weniger Kinder können sich gut konzentrieren, die Ablenkbarkeit ist bei vielen sehr hoch, zuhören ist ganz schwer. D.h. auch hier ist die Gruppengröße nicht beliebig nach oben erweiterbar.

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • Fakt ist: eine Stunde mit halber Lerngruppe an meiner vorherigen (Brennpunk-)schule war um Längen anstrengender als eine Stunde alleine mit meiner jetzigen Klasse.

    sag ich ja, wie es den Lehrern geht und wie viele Verhaltenskreative den letzten Nerv rauben interessiert bei Leistungsstudien vermutlich weniger.

  • empirisch gesehen hat die klassengröße de facto keinen einfluss auf den outcome, also die testleistungen der sus. das ist wirklich oft untersucht worden. ist scheinbar leider so.


    trotzdem sind kleinere klassen gefühlt (!) für kuk und sus gold wert, gar keine frage.


    edit: sorry, sehe, steht oben schon bei samu.

  • wie es den Lehrern geht und wie viele Verhaltenskreative den letzten Nerv rauben interessiert bei Leistungsstudien vermutlich weniger.

    Ich behaupte aber immer noch: das wirkt sich selbstverständlich auch auf den Lernerfolg aus! Denn auch das kann ich sagen: mögen meine damaligen Schüler in den Teilungsstunden auch weniger gelernt haben, als meine jetzigen Schüler im Klassenverband, es war allemal mehr als sie in den übrigen Stunden gelernt haben.
    Und ganz nebenbei: auch wenn Lehrerbefindlichkeiten offenbar niemanden interessieren: Lehrer am Rande des Nervenzusammenbruchs machen mit Sicherheit auch nicht den besten aller Unterrichte... (und schlimmstenfalls machen sie irgendwann gar keinen mehr, weil sie einfach nicht mehr können).

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • wie gesagt, die empirie is halt, wie sie ist. ich konnte das (und kann es) auch immer nicht so recht glauben, aber menschliche intuition und privattheorien sind das eine, wirklichkeit ist fast immer was anderes (sehr viel kompexer). es gibt bestimmt settings, in denen eine kleinere klasse bessere outcomes hat als eine größere, aber das liegt eben i.a. nicht an der klassengröße.

  • empirisch gesehen hat die klassengröße de facto keinen einfluss auf den outcome

    Weiß ich, glaube ich aber trotzdem nicht... müsste mich mal einlesen, wie genau das getestet wurde... habe aber erhebliche Zweifel daran, dass das sinnvoll gewesen sein kann...

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • wirklichkeit ist fast immer was anderes (sehr viel kompexer)

    Eben drum! Und wenn die Empirie diese Komplexität nicht berücksichtigt (und meist ist genau das das Problem) ist mir das Ergbnis für die Wirklichkeit tatsächlich humpe.
    Und es regt mich nunmal auf, wenn die Ergebisse dann vor allem dazu dienen, Sparmaßnahmen an dieser Stelle zu rechtfertigen.

    "Die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser!" Freitag O'Leary

  • Fakt ist: eine Stunde mit halber Lerngruppe an meiner vorherigen (Brennpunk-)schule war um Längen anstrengender als eine Stunde alleine mit meiner jetzigen Klasse.

    Naja, eben. Da widersprichst Du Dir ja selbst bzw. gibst Dir selbst die Antwort auf die Frage, welcher Faktor mehr wiegt.


    Meine bisherige Erfahrung entspricht genau den Ergebnissen der Empirie: Es ist völlig wurscht, ob ich vor 24 SuS oder vor 8 SuS stehe (das sind meine aktuellen Extrembeispiele), die Kursgrösse spielt für den Output absolut keine Rolle.



    passgenauere Lernangebote

    Wird meiner Erfahrung nach vollkommen überbewertet und auch da deckt sich meine Erfahrung mit der Empirie. Der Output hängt in erster Linie von der kognitiven Leistungsfähigkeit eines Lernenden ab und an der ändert sich nichts durch die Auswahl der Lernangebote. "Lerntypen" gibt's halt einfach nicht.


    Was sehr wohl einen Einfluss auf den Output hat - empirisch bestätigt! - ist die Qualität der Lehrer-Schüler-Beziehung und die kann unter Umständen und vor allem bei schwieriger Klientel in kleineren Kursen besser gepflegt werden.


    Ich hab auch nicht grundsätzlich mehr Stress mit grösseren Kursen. In meinem 24er Kurs hocken ein paar recht unruhige Männer drin, aber die wären bei halber Kursgrösse gleichermassen unruhig. Ich bin da disziplinarisch eigentlich immer mit den gleichen 2 - 3 Hanseln beschäftigt währen der Rest der Mannschaft friedlich seine Arbeit erledigt. Der einzige Punkt, an dem ich wirklich froh um die kleinen Kurse bin, ist der Korrekturaufwand. Ach, ist das schön, wenn mein 8er Kurs eine Prüfung schreibt, die habe ich in weniger als einer Stunde korrigiert. Wenn ich 24 x den gleichen Mist lesen muss bekomme ich zwischendurch schon mal Depressionen.


    Ganz schlimm wird es, wenn die Beziehungen der Jugendlichen untereinander schlecht sind, wenn sich allgemeine Jammer-Stimmung oder Null-Bock-Haltung breitmacht da kommt man als Fachlehrperson kaum gegen an. Hab ich in grossen wie in kleinen Kursen schon gleichermassen erlebt. Meistens geht sowas ja von einzelnen Personen aus, ergo ist es wiederum wurscht wie gross der ganze Kurs ist.

  • Anfang der 50er saßen rund 50 Kinder in Volksschulklassen. Dass das nur mit viel Drill und Auswendiglernen ging ist klar und gelernt wurde auch irgendwie. Aber wie es Kindern und Lehrer*innen psychisch ergeht hat damals noch viel weniger interessiert. Ich hoffe, dass man bald dahinterkommt, was wichtiger ist: ein Flughafen oder sanierte Schulen mit ordentlicher Ausstattung und ausreichend Lehrenden.

  • empirisch gesehen hat die klassengröße de facto keinen einfluss auf den outcome, also die testleistungen der sus. das ist wirklich oft untersucht worden. ist scheinbar leider so.


    trotzdem sind kleinere klassen gefühlt (!) für kuk und sus gold wert, gar keine frage.


    edit: sorry, sehe, steht oben schon bei samu.

    Warum haben dann Förderschulen (Förderzentren o.ä.) dann nur 6-16 Kinder in den Klassen? Das liegt doch daran, dass man individuelle Lernzugänge schaffen muss und die Kinder durch zu viele Personen im Raum abgelenkt werden/sich noch schlechter konzentrieren können.
    Mir sind die Ergebnisse der Studie auch schon oft zu Ohren gekommen, aber ich muss sie mal langsam im Ganzen lesen. Das Ergebnis ist im Kontext von Förderschulen und Brennpunkt unlogisch.

  • müsste man nachlesen gehen. ich weiß nur noch, dass das eine der wichtigsten empirie-thesen in meinem ews-studium war, immer und immer wieder wiederholt. die lehrenden waren alle unisono der ansicht, das sei in etwa so sauber durchgetestet wie die schwerkraft und entsprechend nicht sinnvoll anzweifelbar. es ging dabei nicht um sehr kleine klassengrößen sondern um debatten z.b. über klassenteiler an regelschulen. forderungen nach kleineren klassen sind letztlich populismus, falls es bei schule primär um akademischen lernerfolg gehen soll.


    man kann freilich auch sagen, schule sei auch ein lebensraum für die dort lernenden und lehrenden (umso mehr, wenn es um ganztagsbetrieb geht), es gehe auch um soziales lernen und subjektives wohlbefinden, vermeidung von unnötigem stress bei allen beteiligtem usw.. dann ist es gleich viel weniger wichtig, dass die klassengröße keinen einfluss auf den lernerfolg im akadmeischen hat. schule ist einfach viel mehr. und unser problem sind nicht "die großen klassen". das ist nur ein symptom. unser problem ist imo eher eine ökonmisierung der bildung, die vorstellung, es ginge v.a. darum, wirtschaftlich verwertbare humane ressourcen für möglichst wenig geld möglichst schnell und effizient zu produzieren. es geht aber imo am ehesten um menschen und ihre entwicklung.

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