Direkteinstieg in BaWü- Erfahrungen

  • Hallo zusammen,


    seit einiger Zeit (schon mehrere Jahre) werde ich den Gedanken nicht los über den Weg des Direkteinstiegs in die Lehre zu gehen. Da man immer Horrorgeschichten über Schulen hört, habe ich immer wieder versucht diesen Gedanken zu verwerfen. Dennoch kommt dieser immer wieder. Nun rätsele ich schon länger, ob ich die Chance als Direkteinsteigerin versuchen soll.


    Nun zu meiner Person:


    Aktuell promoviere ich im Bereich der Biologie und war im Rahmen meiner Promotion als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Dort hatte ich auch eine Lehrstelle belegt und habe schon erste Erfahrungen im Bereich der Lehre sammeln können.


    Für mich kommen nur berufliche Gymnasien oder Berufsschulen in Frage, da ich gerne mit Jugendlichen und jungen Erwachsene arbeite. Weiterhin kann ich hier meine Erfahrungen, die ich die letzten Jahre gesammelt habe, in die Unterrichtsgestaltung miteinbringen.


    Nun kommen dennoch Zweifel. Im Direkteinstieg wird man von Anfang an direkt ins kalte Wasser geschmissen und nebenbei mach man eine pädagogische Weiterbildung. Dies ist sehr zeitaufwendig. Hat jemand hier Erfahrungen gemacht und kann davon berichten? Meine letzten Jahre in der Promotion war kein Zuckerschlecken. Ich bin es gewohnt mit Stress umzugehen und ständige Überstunden zu haben, die nicht ausbezahlt werden. Dennoch würde ich gerne nach den letzten drei Jahren es etwas „entspannter“ haben (Versteht mich nicht falsch. Hier ist nicht gemeint, dass ich mich zurücklehnen will. Sondern, dass ich gerne eine ausgeglichene Work- Life Balance haben will). Hat hier jemand Erfahrungen im Weg des Direkteinsteigers gesammelt und kann davon berichten?


    Weiterhin kommt der Gedanken, dass ich nach einer Promotion vermutlich einen anderen Weg einschlagen sollte. Mir kommen wahrscheinlich nur diese Gedanken, weil es die gesellschaftlichen Erwartungen sind, dass man nach einer Promotion in die Wissenschaft oder in die Wirtschaft gehen sollte. Sind bei Euch mehrere Lehrer mit einem Dr. Titel in Schulen tätig?


    Ich freue mich auf Eure Erfahrungen. Vielen Dank schon mal im Voraus!

  • Keine Angst, Leonora, eine Promotion ist kein Hinderungsgrund für eine Tätigkeit als Lehrkraft. In jeder der Schulen, in den ich gearbeitet habe, gab es Leute mit Dr.-Titel. Warum jemand die Mühe der Promotion auf sich genommen hat, ist nie ein Thema gewesen - und hat auch nie jemanden interessiert.


    Aber es stimmt schon, dass es unterschiedliche Wege und Motivationen gibt, an einer Schule arbeiten zu wollen: Die meisten wollen wohl den direkten ins Lehramt gehen, andere wollen sich alle Wege offen halten und sich in Wirtschaft und/oder Wissenschaft versuchen. Manche gehen auch dann erst den Weg in die Schule, wenn sich zeigt, dass in der Uni die Karrierenchancen verbaut sind.


    In meiner fast 40jährigen Berufstätigkeit habe ich mindestens fünf habilitierte Kollegen in verschiedenen Fächern kennengelernt (Chemie, Biologie, Physik, Theologie, Germanistik). Alle sind engagierte Lehrer gewesen, manche von ihnen sind Schulleiter geworden. Ein Kollege hat den umgekehrten Weg gewählt: Er hat seine Habilitation während der Zeit, der er an einem Gymnasium gearbeitet hat, durchgezogen, und er hat einen Lehrstuhl an einer Universität bekommen.


    Und noch drei Beispiele aus meinem Erfahrungsschatz: Ich kenne einen Kollegen, der zuerst Medizin und danach Mathematik studiert hat. Beide Fächer hat er mit dem Dr.-Grad abgeschlossen. - Eine frühere Schülerin hat ihr Medizinstudium ebenso mit dem Dr. abgeschlossen, um danach Berufsschullehrerin zu werden. Und einer meiner promovierten Freunde war Jurist und Historiker, und er wurde trotzdem Lehrer, nachdem die Tätigkeit als Mittelbauer an der Uni sich als Sackgasse herausstellte.


    Eine Frage bleibt mir noch: Warum willst du den Direkteinstieg wagen und nicht den klassischen Weg über das Referendariat?

  • Vielen Dank Magister999 für deine Antwort.


    Der Weg über den Direkteinstieg erscheint mir als sehr attraktiv. Man bekommt von Anfang ein volles Gehalt und nach drei Jahren stehen die Chancen einer Verbeamtung. Ein Nachteil ist, dass man direkt ins kalte Wasser geschmissen wird und man Selbstständig unterrichten muss- aber ich fühle mich der Aufgabe gewachsen. Vermutlich sind meine Gedankengänge zu Naiv und ich unterschätze die Lehrtätigkeiten.


    Über ein Referendariat habe ich ebenfalls nachgedacht, aber dieser Gedanke die nächsten zwei Jahre wieder unterbezahlt zu arbeiten, schreckt mich doch ein bisschen ab, da ich die letzten Jahre meiner Promotion eine 50% Stelle hatte und über 100% gearbeitet habe.


    Ich würde mich nach Euren Erfahrungen interessieren, die den Direkteinstieg gewagt haben. Ist hier eine ausgewogene Work- Life Balance gegeben? Würdet ihr dann doch ein Referendariat empfehlen, um die pädagogischen und didaktischen Tätigkeiten zu lernen?

  • Sind bei Euch mehrere Lehrer mit einem Dr. Titel in Schulen tätig?

    Bei uns (BK in NRW) fallen mir spontan 7 Kollegen mit Dr. ein, auf circa 110 Kollegen. Also ja durchaus mehrere. Alle männlich, wie mir gerade auffällt.
    Vielleicht gibt es noch mehr, wo ich es nicht weiß. Der Dr. zählt halt nichts im Schulbetrieb.

    Bis auf eine Person kommen alle Dr. bei mir aus dem naturwissenschaftlichen Bereich.

  • Ich weiß nicht, ob sich das geändert hat mittlerweile... Aber in meinen Seminaren im Ref waren die Direkteinsteiger mit dabei. Nur, dass sie halt schon im September mit Unterrichten angefangen haben und deutlich mehr verdient haben als ich. Ist das jetzt anders?

  • Sind bei Euch mehrere Lehrer mit einem Dr. Titel in Schulen tätig?

    Ja, unter anderem ich selbst. Ich arbeite auch an einer Burufsschule, bei uns sind mehrere Lehrpersonen promoviert. Vorher, direkt nach der Promotion, war ich auch ein paar Jahre in der Industrie und habe dort als Softwareentwickler gearbeitet. Ziemlich schnell habe ich aber erkannt, dass die Industrie so gar nichts für mich ist. Nachdem mir die Lehre an de Uni grossen Spass gemacht hatte, kamen mir die selben Gedanken wie dir - Direkteinstieg in BW. Ich hatte mich dann ein paar mal beworben, leider hat es nicht geklappt. Über ein paar Umwege habe ich dann meine aktuelle Stelle in der Schweiz gefunden und parallel dazu die Ausbildung zum Maturitätslehrer an def PH Thurgau gemacht. Rückblickend betrachtet, eine der besten Entscheidungen meines Lebens - ich habe den besten Job der Welt finde ich und die Arbeitsbedingungen sind super.


    Ein Wermustropfen für dich - Biologie ist nicht auf dem aktuellen Zulassungsraster für den Direkteinstieg in BW:


    https://lehrer-online-bw.de/si…ster%20Direkteinstieg.pdf


    Wenn du wirklich Lehrerin werden willst, kann ich dir die Schweiz empfehlen. Leider ist Biologie auch hier nicht gerade gesucht - von allen Naturwissenschaften ist Biologie die mit den meisten Absolventen, deshalb gibt es hier wie überall am Arbeitsmarkt ein deutliches Überangebot an Bewerbern. Ich wünsche dir trotzdem viel Glück, falls du es versuchen willst.

  • Ein Wermustropfen für dich - Biologie ist nicht auf dem aktuellen Zulassungsraster für den Direkteinstieg in BW:


    https://lehrer-online-bw.de/si…ster%20Direkteinstieg.pdf

    Also vielleicht habe ich mich zu Allgemein ausgedrückt. Ich habe Biotechnologie studiert und dies ist ein Mangelfach in BW und auch der Direkteinstieg ist hier möglich. Auch erfülle ich die Voraussetzungen, dass ich in ein Zweitfach 45 Credit- Points aufweise. In meinem Fall ist dies Chemie.


    Schön zu hören, dass es Vielen so nach der Promotion geht.


    Mir wurden nur Horror- Geschichten erzählt, dass der Direkteinstieg sehr schlimm wäre. Man sollte hier mit 60-70 h/Woche rechnen. Hat hier jemanden die Erfahrungen?

  • Der Direkteinstieg ist heftig, die Stundenzahl hoch. Du unterrichtest, bist am Seminar (musst dafür lernen und vorbereiten) und bekommst Besuche. Wie ein Referendariat eben nicht mit 12 Unterrichtsstunden, sondern in Vollzeit. Also Ref Mal zwei.


    Machbar ist das, wenn du ein Arbeitstier bist, viel Unterstützung von deinen Mentoren bekommst (und Unterrichtsmaterial) und so gefestigt im Lehren bist, dass du keine Probleme mit der Durchsetzungskraft hast. Wir reden hier auch von unwilligen Schülern, die keine Lust haben.


    Mit der Uni ist Schule nicht vergleichbar, in manchen Klassen fühle ich mich eher beim Militär und bestehe eisern auf Disziplin bei Teenagern, die testen wollen, wie weit man bei mir gehen kann. In der Regel hört das nach wenigen Wochen auf, aber so lange muss ich durchhalten. Wenn du das kannst und dir das Verhalten der Schüler auch nicht zu Herzen nimmst, dann ist das eine gute Voraussetzung.


    Von Work-Life-Balance kann hier keine Rede sein.


    Hast du schon an Schulen hospitiert? Ich rate dir, dir den Betrieb an Schulen anzusehen. Dann kannst du beurteilen, was auf dich zukommt. Schulen mit BTG haben häufig einen Frauenüberschuss, aber unterchätze nicht, wie schwierig Mädels in der Pubertät sein können, gerade in der Berufsfachschule.

  • Das klingt dann doch sehr heftig.


    Ich bin ein Arbeitstier- das habe ich bereits die letzten Jahre während meiner Promotion bewiesen. Nochmal will ich sowas nicht mehr durchmachen. Ich bin doch sehr am Zweifeln, ob ich den Direkteinstieg wagen soll. Vielleicht ist ein Referendariat besser geeignet und ich nehme im Kauf, dass ich zuerst wieder ein Hungerlohn haben werde.

  • (…) viel Unterstützung von deinen Mentoren bekommst (und Unterrichtsmaterial) (…)

    Diesen Punkt kann man meiner Ansicht nach gar nicht genug betonen. Ich hatte das Glück, einen sehr guten und erfahrenen Mentor zu haben, mit dem ich mich gut verstanden habe. Er hat mir sein ganzes Material gegeben, mit mir die kommende Woche vor- und die vergangene nachbesprochen, mit mir gemeinsam Prüfungen erstellt und korrigiert und mir immer konstruktives Feedback gegeben, usw. Auch vom ganzen Team hatte ich immer Unterstützung, alle haben daran mitgearbeitet, dass ich meinen Unterricht und die Lehrerausbildung unter einen Hut bekomme und mir soweit möglich alles unnötige abgenommen, so dass ich mich auf das Wesentliche konzentrieren konnte.

  • Das klingt dann doch sehr heftig.


    Ich bin ein Arbeitstier- das habe ich bereits die letzten Jahre während meiner Promotion bewiesen. Nochmal will ich sowas nicht mehr durchmachen. Ich bin doch sehr am Zweifeln, ob ich den Direkteinstieg wagen soll. Vielleicht ist ein Referendariat besser geeignet und ich nehme im Kauf, dass ich zuerst wieder ein Hungerlohn haben werde.

    Es ist sicher kräftezehrend ja, aber nicht wie während der Promotion. Sehr viel hängt von den Rahmenbedingungen ab, da gehört auch ein bisschen Glück dazu … aber in unserem Job ist das so, vieles merkt man erst, wenn man etwas Zeit an einer Schule verbracht hat

  • Ob das Anwärtergehalt einen "Hungerlohn" darstellt, wäre wohl noch gesondert zu erörtern.

  • Upps, ich wollte das jetzt gar nicht so negativ verstanden wissen. Sorry.


    Ich würde die Belastung gern aufteilen -

    das eine ist der normale Unterricht. 25 Stunden zu unterrichten ist machbar, aber anstrengend. Das geht ganz gut, wenn man gut vorbereiteten Unterricht in Petto hat und auch (nach Jahren) in der Lage ist, einfach nur mit einer Kurzgeschichte in der Hand eine Unterrichtsstunde zu gestalten, ohne diese vorher minutiös vorbereitet zu haben. Dieses Jahr ist für mich heftig, weil ich zwei neue Fächer unterrichte (zwar mit viel tollem Material der Kollegen, aber ich muss es ja vorher trotzdem durcharbeiten) und zwei Klassenleitungen habe. Auch in den angestammten Fächern und Schularten gibt es neue Bildungspläne, ich musste also fast alles neu machen, konnte aber ein paar gut laufende Standardstunden übernehmen. Zeitaufwand ca. 40 h pro Woche für mich inklusive Korrekturen.


    Für dich als Neuling bedeutet das normale Unterrichten also schon eine Belastung von ca. 40 Stunden. Das kommt auch auf die Schule an, bei uns werden Direkteinsteiger auch Klassenlehrer, das bedeutet zusätzlichen Verwaltungsaufwand.


    Dann kommt der Seminartag auf dich zu, an dem du nichts für die Schule tun kannst. Dafür musst du aber auch lernen/vorbereiten, das kommt also auf die Seminarleiter an. Aber ich würde mit mindestens 4 Stunden Zusatzaufwand pro Woche rechnen.


    Dann kommt der Teil der eigentlichen Ausbildung - Gespräche mit Mentoren, Unterrichtsbesuche, Zulassungsarbeit planen und schreiben. Das würde ich auch noch mal mit 4-5 Zeitstunden pro Woche verbuchen, das ist aber konservativ gerechnet. Vor einem Besuch hängt man schon mal ein Wochenende in die Vorbereitung.


    Insofern bin ich bei über 50 Zeitstunden im Schnitt in der Woche.


    Zum Thema Schülerverhalten: In den Kursen im BTG wirst du sicher viel Freude haben, aber du unterrichtest auch in anderen Schularten. Und da muss man mit Verhaltenskreativität rechnen. Beispiel bei meiner Referendarin: Schülerin spielt im Unterricht auf dem Handy, Ref fordert sie auf, das Handy auszuschalten. Schülerin reagiert nicht. Erneute Aufforderung, Schülerin meint, sie könne nicht mittendrin ihr Spiel beenden, das müsse sie jetzt fertigspielen. Erneute Aufforderung, Schülerin wendet sich der hinter ihr sitzenden Gruppe zu, die inzwischen quatscht und redet mit, ignoriert Lehrkraft vollständig.

    Jetzt zu reagieren (viel zu spät, aber das passiert Anfängern) kostet einfach Kraft, auch den ganzen Aufwand mit §90 muss man in Bewegung setzen, das kostet Zeit. Getoppt wird das u.U. noch, wenn der Klassenlehrer erklärt, dass es so etwas bei ihm nicht gäbe. Eventuell kommen auch noch die Eltern dazu, die der festen Überzeugung sind, ihr kleines Mädchen sei eine Prinzessin, die kein Wässerlein trüben könne und sich bei der SL über dich beschweren. Wenn du dir das nun zu Herzen nimmst, dann leidet auch noch die Seele. Dir muss klar sein - als Lehrer bist du sehr fremdbestimmt.


    Ich bleibe dabei: mach ein Praktikum in einer Schule und schau dir den Laden aus Lehrersicht an.

    Übrigens: Ich liebe meinen Beruf sehr, aber er ist anstrengender als jede Tätigkeit, die ich vorher in der freien Wirtschaft ausgeübt habe.

Werbung