Wann ist ein Schulversuch erfolgreich?

  • Die Frage ist mir fast peinlich, aber ich habe Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen. Seit Schuljahresbeginn macht ein Kind aus der Förderschule L bei mir einen Schulversuch. Kontakt zu den Sonderpädagogen konnte ich leider nur spärlichst herstellen, da diese keine Zeit haben, bzw. erkrankt sind.


    Der Schüler ist komplett verpeilt. Um seinen Arbeitsplatz herum, auch auf dem Boden herrscht Chaos. Er findet seine Sachen nicht, geht dauernd zur Toilette, hat oft erst das Datum geschrieben, wenn die Stunde zu Ende ist. Beim Übungsdiktat hat er 30 oder 40 Fehler geschrieben, als es dann bewertet wurde, schaffte er wie auch immer eine 2-. Das Lesen klappt gar nicht schlecht. Rechnen geht auch, er hat in dem einfachen ersten Test eine 2 (fiel aber gut aus).


    Seine Schwächen: Eigene Texte sind bei ihm (3.Klasse) wie bei einem Erstklässler: Z.B. Feriengeschichte: Ich habe gezockt. Ich habe gespielt. Ich habe geschlafen. Ich habe mich gelangweilt. Alles in Druckschrift. Schreibschrift hat er noch nicht gelernt. Die anderen Kinder schreiben schon schöne, abwechslungsreiche Geschichten.

    In der kleinen Gruppe (mein Förderunterricht)klappt alles besser, aber wir sind normalerweise 25 Kinder und da kriegt er kaum irgendwelche Ansagen mit. Bei meiner Kollegin wird er einmal pro Woche in der Vierergruppe gefördert. Hier legt er sich auf den Boden und hat "keinen Bock." Sie kommt überhaupt nicht mit ihm klar.

    In Sport hat er Wutanfälle, wenn die Gruppe verliert.


    Ich bin überfordert. Hat er vllt. "nur" hochgradig ADHS? Wie kam er überhaupt in die Sonderschule? (habe morgen ein Elterngespräch, da werde ich es erfahren). Was es mir schwer macht: Er hat durchaus "lichte Momente", aber das Verpeiltsein überwiegt deutlichst. (Er vergisst schon mal in die Mensa zu gehen, obwohl angemeldet). Verpeiltheit ist aber keine Indikation für eine Förderschule.


    Da die bisherigen Noten eher gut ausgefallen sind, werden die Eltern sich wundern, wenn ich nicht unbedingt ein Verbleiben bei uns anrate. Die anderen Kollegen, die ihn auch im Unterricht erleben, sind auch zwiegespalten. Infos kommen von "geht gar nicht", bis "andere sind auch verpeilt" usw.


    Wobei ich mir sicher bin: Eine kleine Gruppe ist besser für ihn, aber für wen nicht?


    Hat jemand eine Meinung/Erfahrung?

  • Hallo!

    Das Lesen klappt gar nicht schlecht.

    Auch das Leseverständnis? Selbstständig Texten Informationen entnehmen? Aufgabenstellungen verstehen und umsetzen?

    wir sind normalerweise 25 Kinder und da kriegt er kaum irgendwelche Ansagen mit

    Worauf würdest du das zurückführen dass es nichts mitbekommt? Kann er nicht zuhören oder kann er die Aussagen nicht verstehen oder hast du eher den Eindruck, er will nicht?

    Du musst natürlich bedenken, dass er eine solche Gruppengröße schulisch bisher überhaupt nicht kennt und gewohnt ist und es allein daher erst einmal nachvollziehbar ist, dass ihn das überfordert.

    Das ist in der Tat auffällig und für dich/euch sicherlich oft auch anstregend, aber für sich genommen natürlich noch kein Förderbedarf Lernen.

    Ich bin überfordert. Hat er vllt. "nur" hochgradig ADHS? Wie kam er überhaupt in die Sonderschule?

    Du hast keine Schülerakte mit sonderpädagogischem Gutachten (mit Ergebnis eines Intelligenztests)?

    Zeugnisse/Berichte/Förderpläne aus der Zeit an der Förderschule?


    Ist der Schüler von der Klasse 2 der Förderschule Lernen zu dir in Klasse 3 gewechselt oder von einer höheren Klassenstufe aus (bzw. nach mehr Schulbesuchsjahren)?


    Wer hat denn den Schulversuch angeregt? Kam das von der Förderschule oder von den Eltern?


    Musst du dem Schulamt zurückmelden, ob der Schulversuch aus deiner Sicht erfolgreich war? Wenn ja, bis wann? Da ist ja sicher eine Dauer festgelegt.

    Wobei ich mir sicher bin: Eine kleine Gruppe ist besser für ihn, aber für wen nicht?

    So ist es. Das muss ich auch manchmal Eltern sagen, die ihr Kind gerne bei uns hätten, ohne dass der entsprechende Förderbedarf vorliegt.


    Letztendlich ist es beim Förderschwerpunkt Lernen aber insofern "einfacher" als in den zielgleichen Förderschwerpunkten: Erreicht er die Ziele der Grundschule insgesamt? Dann ist es eigentlich kein Förderschwerpunkt Lernen, denn hier geht es "um Kinder und Jugendliche, bei denen eine erfolgreiche schulische Förderung nach den Bildungsgängen der allgemeinen Schulen zeitweise oder dauerhaft nicht möglich ist" (Bildungsplan SBBZ Lernen, S. 8).

  • Jetzt habe ich seltsam zitiert. Werde morgen mal nach der Schülerakte fragen :rotwerd:, hab ich vergessen. Bin aber nicht sicher, ob die bei uns ist. Das Zeugnis habe ich gelesen, finde ich wenig aussagekräftig und sehr knapp gehalten. Zumindest sind da diese Probleme mit der Verpeiltheit überhaupt nicht beschrieben. Das ist alles recht positiv, bis auf den sozial-emotionalen Bereich.

    Es ist wie immer: Alleine mit ihm ein total lieber Junge, bleibt länger, fegt nochmals, obwohl er nicht dran ist, redet freundlich mit einem und wirkt sogar aufgeweckt, aber wenn man ihn in der Gruppe erlebt: CHAOT.

  • Wie kam er überhaupt in die Sonderschule?

    Ich bin zwar nicht von der richtigen Schulform, aber dies hier überraschte mich total, also dass du auch keine Schülerakte/Diagnosen etc. kennst. Ist das nicht eine sehr wichtige Voraussetzung, um individuell fördern zu können? Ich kann mir zwar vorstellen, die ersten paar Wochen einfach mal nur unvoreingenommen zu beobachten, aber dann brauche ich doch alle Informationen für die weitere Arbeit mit dem Kind!

  • Deine Schilderungen klingen einerseits sehr stark nach typischen ADHS-Symptomen (verpeilt, Unordnung, kurze Antworten bei Schreibaufgaben und vermutlich auch Schwierigkeiten Aufgabestellungen zu beenden, Überforderung durch Kompensation mittels Toilettengängen) und andererseits vermutlich auch normalem Intelligenzniveau (Erreichen der Lernziele trotz eingeschränkter Aufmerksamkeit).


    Damit würde man hier nach neuer Erlasslage des Kultusministeriums niemals nen Anspruch auf sopäd. Förderung im Bereich Lernen begründen können bzw. sollen.


    Kinder mit ausgeprägter ADHS können grundsätzlich stark an ihre Grenzen im Regelschulbereich kommen. Sie strapazieren häufig sowohl die schulischen und familiären Ressourcen, als auch die eigenen, was bisher mitunter dazu geführt hat, dass solche SuS zum Aufpäppeln "zur Probe" an die Förderschule Lernen gewechselt sind.

  • Ich bin zwar nicht von der richtigen Schulform, aber dies hier überraschte mich total, also dass du auch keine Schülerakte/Diagnosen etc. kennst. Ist das nicht eine sehr wichtige Voraussetzung, um individuell fördern zu können? Ich kann mir zwar vorstellen, die ersten paar Wochen einfach mal nur unvoreingenommen zu beobachten, aber dann brauche ich doch alle Informationen für die weitere Arbeit mit dem Kind!

    Wenn die Sonderpädagogen bisher keine Zeit hatten...oder wollten. Wurde mehrmals weggeschickt. Aber ich gebe nicht auf.


    Die abgebende Kollegin ist erkrankt und tut das, was ihr Recht ist. Sie ist nicht erreichbar. Einmal per e-mail, mehr ging nicht. Die anderen kennen ihn nicht so gut, hatten Elterngespräche, keine Zeit, wissen nix, das habe Kollegium war dort auch zwischenzeitlich mit Corona zu Hause.

  • Ich bin zwar nicht von der richtigen Schulform, aber dies hier überraschte mich total, also dass du auch keine Schülerakte/Diagnosen etc. kennst. Ist das nicht eine sehr wichtige Voraussetzung, um individuell fördern zu können? Ich kann mir zwar vorstellen, die ersten paar Wochen einfach mal nur unvoreingenommen zu beobachten, aber dann brauche ich doch alle Informationen für die weitere Arbeit mit dem Kind!

    Sein Zeugnis klingt ja gut, weswegen ich dachte, das schafft er schon. Auch die bisherigen schriftlichen bewerteten Arbeiten sind im Normbereich. Mir springt ja v.a. sein Verhalten ins Auge.

  • Verpeiltheit ist aber keine Indikation für eine Förderschule.

    Notiz an mich selbst: Glück gehabt, Fossi. Verdammtes Glück gehabt.

  • Ich drücke die Daumen, dass du was rausfindest! Ferndiagnosen finde ich immer nicht so sinnvoll, musste aber bei deiner Beschreibung ehrlich gesagt gleich an Erfahrungen mit bestimmten SuS denken, die eher unterfordert waren - manchmal auch eine Kombi von eher überdurchschnittlicher Intelligenz und eventuell was im ADHS-Bereich, manchmal auch Typ "zerstreuter Professor", auf jeden Fall oft gepaart mit kompletter Lustlosigkeit, irgendwas schriftlich zu Papier zu bringen... Die Kinder sehen dann oft auch nicht ein, warum sie sich sagen lassen sollten, was sie zu tun haben, und bocken dann.


    Aber wie gesagt, Ferndiagnosen und Küchenpsychologie hilft dir vermutlich gar nicht weiter, du bräuchtest tatsächlich erstmal Informationen zu dem konkreten Kind. Daumen sind gedrückt!

  • Geht das Kind in einen Hort, wo es Arbeitsorganisation lernt?

    IQ, aktuell!, würde mich auch interessieren.

    Ich dachte spontan an ADS, ohne H.

    War er denn schon zur Abklärung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie oder hat er sonstige Diagnosen, offizielle?

    Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, dass man sie ignoriert.

    Aldous Huxley

  • Geht das Kind in einen Hort, wo es Arbeitsorganisation lernt?

    IQ, aktuell!, würde mich auch interessieren.

    Ich dachte spontan an ADS, ohne H.

    War er denn schon zur Abklärung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie oder hat er sonstige Diagnosen, offizielle?

    Wir haben keine Unterlagen, habe die Mutter gebeten, mir alles zu geben, was sie hat. V.a. die Vorgeschichte hätte ich gerne gewusst.

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