Ich hätte kein Verständnis wenn jemand strukturiertes Training zur Bewältigung eines Iron Man während einer Dienstunfähigkeitsperiode durchführen würde.
Und das ist auch mein gutes Recht; denn einerseits weiß ich wie umfangreich so ein Training ist; andererseits gibts genug Kollegen die den anstrengenden Job tagein tagaus machen. Für die ist es aus meiner Sicht ein Schlag ins Gesicht wenn Kollege XY mit dem Rennrad im Mai gemütlich die Berge erklimmt oder seine Bahnen im Freibad zieht. Und das täglich stundenlang.
Das Leben ist für viele Menschen stressig genug; sei es durch den Job, der Familie oder durch Unvorhergesehenes.
Aber im Beamtenstatus ist man echt privilegiert gegenüber AN. Das zieht es mir sprichwörtlich die Hutschnur hoch. Ob TV Show, Ironman; nicht den Hauch der Kritik.
Meine Frau schüttelt da den Kopf. Und ich kann da jeden sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verstehen.
Ich habe ihr einmal mit dem Versorgungsrechner gezeigt, wieviel ich bei einer DU mit 20 Jahren Dienstzeit erhalten würde. Trotz Kürzung wären es über 2.500€ Brutto. Mit einer passenden DU-Versicherung sind wären wir da extrem gut abgesichert.
Man hat da schon eine Luxussituation in der man sich da befindet.
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Ich möchte nochmal konkret auf deine Argumentation eingehen, weil wir hier von zwei völlig verschiedenen Ausgangsannahmen sprechen.
Du sagst, du hättest „kein Verständnis“, wenn jemand während einer Dienstunfähigkeit auf ein großes sportliches Ziel wie z.B. einen Ironman hinarbeitet. Die Frage ist: Warum? Wenn eine Person psychisch erkrankt ist, dann ist genau der körperliche Extremreiz, die klare Struktur, die berechenbare Zielorientierung oft Teil des Genesungsprozesses. Psychische Stabilisierung ist eben nicht linear, nicht sichtbar und nicht so greifbar wie eine körperliche Verletzung. Für viele Betroffene ist Sport die einzige Stelle, an der sie wieder Kontrolle, Selbstwirksamkeit und Struktur spüren.
Du nennst das „Schlag ins Gesicht für die anderen, die arbeiten“. Aber weder ist eine Dienstunfähigkeit eine Belohnung, noch ist intensiver Sport in dieser Phase ein Urlaub. Für jemanden mit Belastungs- oder Erschöpfungserkrankung ist das kein „Genuss“ und kein „Spaß“, das ist bewusste, harte Arbeit an sich selbst, um überhaupt wieder leistungsfähig zu werden.
Und ja, Kolleginnen und Kollegen leisten im Dienst viel. Aber daraus abzuleiten, jemand in Dienstunfähigkeit müsse sich passiv verhalten, sich schonen oder dürfe keine großen Ziele verfolgen, ist ein Missverständnis der Krankheit. Psychische Erkrankungen verlaufen nicht wie ein gebrochener Knochen. Man sieht sie nicht. Man kann sie nicht „anschauen“. Und deshalb werden sie so oft unterschätzt oder falsch eingeordnet oder mit dummen abwertenden Sprüchen belegt (ich beziehe mich da nicht auf dich).
Wenn du sagst, „man kann es sich im Beamtenstatus gemütlich machen“, dann ist das ein Vorurteil und zwar eines, das sehr schnell in die Richtung „Stell dich nicht so an“ rutscht. Keiner von uns hier oder in der realen Welt (außer Ärztinnen, Therapeuten und Amtsärzten) hat das Recht zu beurteilen, wann jemand psychisch krank ist und wie eine Genesung höflich, angemessen oder „neidfrei“ auszusehen hat. Wenn man Genesung abhängig vom Gefallen Dritter macht, kann das nur schief gehen.
Ich kann dir noch ein weiteres persönliches Beispiel nennen:
Nach dem Ableben der Person, die ich pflegte, mussten meine beiden Geschwister und ich ein Haus entrümpeln weil meine Eltern das weder körperlich noch zeitlich geschafft hätten. Meine Schwester hat uns das damals berechnet (Zeitaufwand, Kosten für Container und Abholung) und wir haben zu dritt gewettet wie schnell wir als Team sein werden. Insgesamt 34 Tonnen Schutt in drei Tagen. Wir waren dann doch schneller
Ich war der Packesel und meine Geschwister haben die Eimer immer voll gemacht.
Tag 1: ca. 17 t getragen – 11 Stunden, ~27 km Strecke (vom Abraumbereich bis zum Container und zurück)
Tag 2: nochmal 17 t – fast 13 Stunden.
Am Ende waren wir körperlich komplett platt, aber gut geerdet. Weil wir keine Energie mehr hatten, um im Kopf Karussell zu fahren.
Für Außenstehende wirkt das vielleicht „extrem“ oder „unnötig hart“. Für mich war es das, was funktioniert hat.
Und genau darum geht es hier in diesem Bereich der Diskussion: Genesung ist individuell.
Was für den einen ein Spaziergang ist, ist für den anderen ein Marathon. Was für den einen Meditation ist, ist für den anderen körperliche Belastung. Es geht nicht darum, etwas „zu genießen“. Es geht darum, wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Und wenn jemand das über Sport schafft, dann ist das kein Schlag ins Gesicht für die anderen.
Und JA, wir haben als Beamte einfach Schwein. AN müssen noch viel mehr Druck aushalten wenn sie über die 6 Wochen kommen, eben aber auch WEIL unsere Gesellschaft psychischen Erkrankungen immer noch nicht den notwendigen Stellwert beimisst.
Und ja es bleibt fragwürdig, ob man das dann öffentlich machen muss durch TV oder Social Media. Aber so what, jeder geht mit seinem Päckchen anders um. „Fingerspitzengefühl“ darf nicht bedeuten, dass jemand seine notwendigen therapeutischen Maßnahmen hinter gesellschaftliche Erwartungen, moralische Bewertungen oder Außenperspektiven zurückstellt.
Du sagst, niemand negiere das Recht auf Bewegung, „aber im Rahmen“. Der Punkt ist doch aber, das dieser Rahmen nicht gesellschaftlich, sondern medizinisch zu definieren ist. Nicht das Bauchgefühl von Kollegen entscheidet darüber, welche Intensität der Sport haben darf, sondern die Diagnose, die individuelle Therapieplanung, die individuellen Voraussetzungen und der Verlauf der Erkrankung.
Der Satz, „wenn Extremsport zur Tagesstruktur beiträgt, zeigt das, dass da andere Probleme vorliegen“, ist inhaltlich richtig — allerdings anders, als du es meinst: Ja. Es liegen psychische Belastungsstörungen vor. Ja. Der Alltag ist nicht mehr steuerbar. Ja. Genau deshalb wird Struktur über körperliche Prozesse hergestellt.
Das ist keine Flucht, sondern ein therapeutisch nachvollziehbarer, häufig evidenzbasierter Mechanismus zur Re-Regulation eines überlasteten Nervensystems. Flucht wäre: Rückzug, Vermeidung, Passivität, Konsum, Dissoziation. Zielgerichteter, repetitiver, körperlicher Trainingsreiz ist das Gegenteil von Flucht: Es ist Konfrontation, somatisch statt rein kognitiv.
Wir akzeptieren in unserer Gesellschaft psychische Erkrankungen immer noch erst dann, wenn sie sich verhalten wie ein gebrochenes Bein: ruhig, still, unsichtbar, unauffällig. Sobald die Therapie sichtbar, aktiv und unkonventionell wird, wirkt sie „zu viel“. Aber Genesung ist nicht für Zuschauer gemacht. Ist dir bewusst, welche Anfeindungen es geben kann, wenn man längere Zeit in einer Einrichtung zur Genesung psychischer Erkrankungen ist? Ich habe einige Menschen in meinem Leben kennen lernen dürfen, die von ihrem Umfeld so dermaßen angefeindet und herabgewürdigt worden sind, weil sie längerfristig ausgefallen sind aufgrund psychischer Erkrankungen.
Der Hinweis, man sei „auf Unterstützung der Gesellschaft angewiesen und solle daher im Rahmen bleiben“, klingt da zwar verständlich, reproduziert aber ungewollt die Idee, dass jemand in Dienstunfähigkeit Dankbarkeit durch Unauffälligkeit beweisen müsse. Warum?
Ich habe dir mein eigenes Beispiel nicht genannt, um etwas zu glorifizieren, sondern um zu zeigen, dass das, was nach außen extrem wirkt, genau die Form sein kann, in der ein System sich stabilisiert. Das mag ungewöhnlich sein, aber Individuen genesen nicht normiert. In meinem Fall z. B. haben mich die Erfahrungen aus den Feuergefechten in den entsprechenden Situationen sehr ruhig und kontrolliert gehalten, weil ich reagieren musste und eine Aufgabe hatte die mit Leben und Tod zusammen gehangen haben. Da hab ich einfach funktioniert und konnte es entsprechend danach auch gut verarbeiten. Als ich dann wieder zu Hause war und eben nicht einfach nur reagieren musste, sondern anders ran gehen musste im Zuge der Pflege und im Zuge der Trauerverarbeitung was meine Verluste in der Abwesenheit anging....das fällt mir bis heute noch schwer klar zu beschreiben. Auf der einen Seite der Welt fliegen dir Kugeln um die Ohren und Leute wollen dich umbringen weil du da bist und du bleibst sauber im Rahmen....und auf der anderen Seite bist du in einem friedlichen Heim und weißt wegen subjektiv empfundenen Nichtigkeiten (was störts die Toten wenn ich mich nicht sauber verabschieden konnte? Was störts meine Kameraden wenn ich mit meiner Unfähigkeit die Pflege zu organisieren nicht klar komme?) nicht was du machen sollst und fängst bei nem Telefonat an zu heulen ohne zu wissen warum.
Und scheiße verdammt nochmal war ich da eigentlich auf die Hilfe der Gesellschaft angewiesen aber ich hatte nicht das Gefühl, dass die Gesellschaft mir da wirklich helfen will. Das Gefühl habe ich auch heute noch nicht, wenn Kollegen vor mir aufgrund der Arbeitssituation zu Grunde gehen weil wieder mal von Seiten der Eltern/Schüler so tief in die Scheißkiste gegriffen wurde um den Kollegen mit zu beschmieren. Die Gesellschaft schert sich einen Scheiß um dich als Individuum und du musst verdammt noch mal nicht für etwas dankbar sein das halbherzig zum Alltag dazu gehört.
Wenn jemand psychisch erkrankt ist und ein intensives, strukturiertes Training dabei hilft, wieder in Selbststeuerung, Alltag und schließlich Dienst zurückzufinden, dann ist das nicht „Flucht“. Das ist Arbeit am Kern der Erkrankung und ja es mag für den Neidhammel egoistisch aussehen, ist aber für den Weg der Genesung und wieder in den Dienst kommen legitim