Das vertuschte Kernproblem

  • Zitat

    Heute ist es so: Will ein Lehrer irgendwie Karriere machen, dann geht das nur auf einem Weg: weg von den Schülern, weg vom Unterricht, hinein in die Bildungsbürokratien, hinter die Schreibtische oder in die Parlamente und dann auf Nimmerwiedersehen.

    (Quelle: Link von Grundschullehrerin)


    Wenn ich das Wort "Karriere" im Zusammenhang mit dem Bildungswesen lese oder höre, spring ich fast an die Decke...


    Ist ein Platz hinter einem Bildungsbürokratieschreibtisch wirklich "Karriere"? Es steht doch nur eine andere Zahl hinter dem "A" oder dem "bat". Parteipolitische Karrieren schaffen auch nur die wenigsten Basisarbeiter und selbst deren Karrieren können nach der ersten Wahlperiode beendet sein. Warum werden denn die "mangelnden Karrierechancen" immer als Hinderungsgrund für ein Lehramtsstudium genannt - mal ehrlich, hat jeder Medizinstudent die Option auf eine Klinikleitung (was dann nicht mehr viel Patientenkontakt bedeutet) oder jeder Jurist auf die Präsidentschaft des Bundesgerichtshofes (was dann nicht mehr viel Klientenkontakt bedeutet)?


    Ein Freund von mir (wir haben gemeinsam studiert) hat jetzt für 2 Jahre die Schulleitung einer von der Schliessung bedrohten evangelischen Grundschule übernommen. Als wir uns im Viererkreis (mit Partnern) getroffen und über's Berufliche gesprochen haben, meinte mein Freund (mehr im Scherz) zu mir "jetzt hat dich der T. aber überholt auf der Karriereleiter". Sowohl ich als auch T sahen meinen Freund sowas von entgeistert an... T erzählte dann von seinem auf 2 Jahre befristeten Vertrag, ich von meinem auf 6 Jahre befristeten (der einmal jährlich verlängert wird). Ich eine halbe Stelle, er eine 70% Stelle. Trotzdem sind wir beide glücklich und zufrieden mit dem, was wir machen.


    Ich fände interessant, mit Lehrern hier im Forum den Karrierebegriff zu diskutieren: Was bedeutet "Karriere" persönlich und gesellschaftlich in einem Berufsfeld in dem man "eigentlich nur"* Kinder oder Jugendliche bilden und erziehen möchte?


    *die Anführungszeichen absichtlich gesetzt um der abwertenden Wirkung gegenzusteuern


    Liebe Grüsse
    das_kaddl.

  • Zitat

    aus dem Artikel:
    ...Die dann auftauchenden Gründe der schulflüchtigen Schreibtischpädagogen, der unterrichtsfernen Didaktiker, der Fortbildungsbeamten, der Lehrer, die sich in die Parlamente, die Kommunalverwaltungen verdrückt haben ...


    Zitat

    AUCH aus dem Artikel:
    ...Kurzum: Lehrer, ohnehin in der unteren Skala sozialer Wertschätzung, werden heutzutage in einer Weise demontiert, dass ein einigermaßen unangefochtenes Durchstehen vor den Klassen kaum noch möglich ist...



    Hallo an alle!
    Der Artikel dient meiner Meinung nur dazu, weiter Öl in das derzeit lodernde Feuer zu gießen. Er spricht der einen, aber auch der anderen Seite aus dem Herzen.


    Die heute ausgebildeten Lehrer wurden ja von den Schreibtischpädagogen und unterrichtsfernen Didaktikern ausgebildet, besser gesagt: verdorben. Sie können eigentlich gar nichts dafür, denn sie wissen es nicht besser.
    Demensprechend sind dann die Ergebnisse: Die Schüler lernen immer weniger, die "Umwelt" bemerkt das und macht die Lehrer dafür verantwortlich, die Lehrer reagieren sauer und/oder reduzieren ihre Tätigkeit bis hin zu Dienst nach Vorschrift - ein Teufelskreis.


    Zitat

    EBENFALLS aus dem Artikel, dann zu Finnland:...Das Wort des Lehrers hat wirklich Gewicht, denn es ist getragen von der Achtung der gesamten Gesellschaft. Ein solches Bewusstsein kann man nicht herbeizaubern. Die hier eingeklagte schonungslose Offenheit ist erst Grundvoraussetzung für wirkliche Besserung.


    Dann geht es weiter mit dem Aufruf zu "schonungsloser Offenheit", aber auch weiter unten wieder dazu, bessere Lehrer zu fordern und die Besten den Schulleitern mindestens gleichzustellen.


    Ach, ich glaube, es lohnt eigentlich doch nicht, darüber zu diskutieren, je mehr ich darüber nachdenke, denn es haben sich schon zu viele Funktionäre und praxislose Didaktiker in die Schaltstellen des Systems geschlichen und ihr Einfluss ist schon viel zu groß geworden.


    Lasst es uns einfach nur besser machen - jeder an seinem Platz! Dann ist schon viel gewonnen.

  • ich kann mich row-k nur begrenzt anschließen.


    natürlich wäre schon viel erreicht, wenn jeder einzelne sein bestes an seinem platz geben würde.
    aber ich habe die intention des artikels ein wenig anders verstanden.
    die plätze, von denen man aus seine kleine schritte in die "richtige richtung" machen soll, werden motivational fehlbesetzt- oder vielleicht gar nicht.
    die ausbildung der lehrer ist hierfür ein kern- und knackpunkt. hier muss in meinen augen sehr stark investiert werden. aber das system trägt sich selbst immer weiter und einzelne werden zu kämpfer gegen windmühlen.
    das erste staatsexamen ist, und das betrifft die neuen bachelor-studiengänge ja noch mehr, kein berufsbezogener studiengang. das referendariat ist in seiner struktur angelegt, eine prägung und eine (späte) selektion an lehrerpersonal vorzunehmen.
    viel positive energie und leidenschaft für den beruf geht oftmals verloren.
    vielleicht sieht es in euren lehrerkollegien anders aus, aber ich erlebe den großteil meiner kollegen als einzelkämpfer und viele sind verbittert oder zyniker geworden.
    es kann doch nicht sein, dass dieser anspruchsvolle beruf das burn-out gleich mitliefert.
    um nicht allzu plakativ zu wirken möchte ich anmerken, dass ich nur von meinen erfahrungen des vergangenen jahres im referendariat aus meinem kollegium und von meinen mitstreitern im ausbildungsseminar sprechen kann...
    mir würde eine - nicht finanzielle - aufwertung des lehrerberufes entgegenkommen.


    und ich für meinen teil kann mein bestes an meinem platz leisten, wenn dieser platz sicherheit und kraft spendet und enrgien nicht permanent fehlgeleitet werden...

  • Zitat

    row-k schrieb am 10.04.2006 15:13:
    Lasst es uns einfach nur besser machen - jeder an seinem Platz! Dann ist schon viel gewonnen.


    Aber ja doch. Lasst uns einfach die Augen verschließen vor allem, was um uns herum vor sich geht.
    Lasst es uns einfach hinnehmen, dass die Medien nicht müde werden zu behaupten, Lehrer seien träge, faul, machtbesessen, weiterbildungsunwillig und hätten nichts anderes im Sinn als ihren dicken Pensionen entgegenzufaulenzen, während alle anderen Leute in diesem Lande schwer arbeiten.
    Lassen wir es ruhig auch in Zukunft weiter zu, dass selbst ermordete Lehrer (zumindest latent) noch als die eigentlichen Täter hingestellt werden.


    Welche andere Berufsgruppe würde das wohl mit sich machen lassen?


    Sagt doch mal einem einzigen Polizisten, er wäre dumm, faul und machtbesessen!
    Richtig! Er würde es sich nicht gefallen lassen, dass man ihn beleidigt. Und er müsste es sich auch nicht gefallen lassen – wieso wir?


    Und wie soll man die Aufforderung verstehen: „Lasst es uns einfach nur besser machen – jeder an seinem Platz! Dann ist schon viel gewonnen.“?


    Diese Aufforderung ergibt in ihrer Gesamtheit nur einen Sinn, wenn man davon ausgeht, dass die in den Medien verbreiteten Urteile über die Arbeit der Lehrer berechtigt sind.


    Vielleicht gibt es ja dafür in diesem Forum sogar eine gewisse Akzeptanz?
    Vielleicht sind ja die User hier auch der Meinung, die deutschen Lehrer arbeiteten schlecht (die anderen, versteht sich!)?
    Vielleicht betrachtet man sich selbst als glorreiche Ausnahme?


    Bestimmt wird alles viel besser werden, wenn in einigen Jahren „die Jungen“ die Lehrerzimmer bevölkern! Dann sind „die Alten“ mit ihren verkrusteten Unterrichtsmethoden und ihrem Burnout - Syndrom endlich weg.
    Sicher!
    Nur dann wird sich am Bildungssystem nichts Wesentliches geändert haben, denn wenn die Lehrer selbst sich nahezu widerspruchslos die Schuld an der Bildungsmisere in die Schuhe schieben lassen – wer sollte dann ein Interesse daran haben, die Rahmenbedingungen zu ändern?


    Tja, und eines Tages werden dann „die Jungen“ „die Alten“ sein – ja, richtig: die mit dem Burnout – Syndrom, weil man nicht ewig fit sein kann und irgendwann einfach die Kräfte nachlassen. Wenigstens das haben wir mit anderen Berufsgruppen gemeinsam.


    Und glaubt mir:


    Es ist ein Unterschied, ob man sich seit drei oder vier oder meinetwegen auch seit zehn Jahren ab und zu mal anhören muss, man sei faul und träge etc. oder ob man nach dreißig Jahren dasteht und fast täglich von der Öffentlichkeit erklärt bekommt, dass man – einfach auf Grund seines Berufes - überhaupt nichts geleistet und insofern ein sinnloses Leben gelebt hat.


    So sieht es aus.


    Mit freundlichen Grüßen


    Amanda

  • Edit: Hier wird nach längerem Geplänkel wieder an das eigentliche Diskussionsthema angeknüpft, deshalb ein leicht holpriger Übergang.


    und um nochmal auf das diskussionsthema zurückzukommen:
    bei der berühmten frage nach dem huhn und dem ei - abgeleitet auf das schulwesen - entscheide ich mich für das huhn, in form von einer grundlegend geänderten lehrerausbildung!!!


    viele grüße
    phoenixe...

  • Zitat

    phoenixe schrieb am 10.04.2006 22:56:
    ....@ row-k: ohne eine weitere provokation hervorrufen zu wollen, aber handelst du nach 25 jahren lehrerfahung bei deinen neuen schülern vergleichbar?


    und um nochmal auf das diskussionsthema zurückzukommen:
    bei der berühmten frage nach dem huhn und dem ei - abgeleitet auf das schulwesen - entscheide ich mich für das huhn, in form von einer grundlegend geänderten lehrerausbildung!!!


    viele grüße
    phoenixe...


    Ja, phoenixe!
    Grundlegend geänderte Lehrerausbildung wäre wohl der Schlüssel. Die Jammerer unter der Lehrerschaft sind mehr und mehr in der Überzahl, weil sie den Unterricht als übermäßige Belastung empfinden.
    Die Belastung rührt daher, dass sie mit den Schülern nicht klarkommen (die Jammerer!). Sie kommen nicht klar, weil sie es nicht besser gelernt haben, mit den Schülern umzugehen.


    Du schreibst, es sei Dir zu einfach. Ja, es ist auch ganz einfach, wenn man den Grund für die Miseren anschaut. An den Erscheinungen wird aber viel lieber herumexperimentiert; das sieht eben besser aus.


    Zu Deiner Frage: Zuerst einmal, finde ich, hast Du das schön gesagt: "WEITERE Provokation". Das ist hier normal, wenn man nicht ... (siehe oben).
    Meinen NEUEN Schülern bringe ich das für den Anfang nötige Verständnis herüber, beginne aber schnell genug, sie auf meine Linie einzuschwören. Das klingt nach Manipulation - mag sein. Manipulation kann man aber nicht wegdenken aus dem Leben. Dann manipuliere ich lieber, dass sie einsehen, nicht zu kiffen, sich nicht zu schlagen, sondern höflich zu sein, gut und viel zu lernen usw.


    Ich begreife meinen Beruf dem Wort bzw. seiner Übersetzung nach: "Kinderführer".

  • Schade, dass auf meine Frage ("Was empfinden Lehrer als Karriere") nicht eingegangen wurde, sondern vielmehr wieder die gleichen Diskussionspunkte aufflammen, die schon in xy anderen Threads bis zur Ergebnislosigkeit beackert wurden. (Danke an Wolkenstein!)


    Ich finde es falsch, immer alles auf die "praxisfernen Theoriedidaktiker" in den Institutionen der Lehrerbildung zu schieben bzw. zur Lösung allen Übels eine ständige Veränderung der Lehrer(erst)ausbildung zu predigen.


    Mit Studium und Referendariat habe ich das deutsche Lehrerbildungssystem, dem Praxisferne vorgeworfen wird, kennengelernt (also sowohl Theorie in der Uni, als auch Praxis im Referendariat). Hier in der Schweiz bin ich an einer Institution der Lehrerbildung beschäftigt. Die Schweizer Primar- und Sek-1-Lehrer wurden bis vor wenigen Jahren an so genannten "Seminaren" ausgebildet, die sehr schulisch, aber sowohl für Studierende (die man "Schüler" nannte) als auch Dozierende sehr familiär angelegt waren. Die steten Rufe nach Professionalisierung und Veränderung der Lehrerbildung schallen jedoch auch in der Schweiz von Tal zu Tal, obwohl sie mit der seminaristischen Lehrerbildung eine - wie in Deutschland stets geforderte - praxisnahe Ausbildung hatten. Nur waren die Zugangsvoraussetzungen zu den Seminaren 8o : man brauchte keine Matura, sondern ging mit 16 Jahren für 5 Jahre ins Seminar. Danach konnte man entweder Lehrer sein oder mithilfe des Seminarabschlusses etwas anderes studieren (Seminarabschluss als Matura-Ersatz). Das führt jetzt jedoch zu weit.


    Also, die praxisnahe Ausbildung hat sich in den diversen Schulvergleichsstudien nicht niedergeschlagen - die Schweiz rangiert in manchen Studien noch unterhalb Deutschlands (bei Gelegenheit editiere ich das Posting und füge Quellen an). Also kanns doch die Praxisnähe allein nicht sein, oder? Das Bild des Lehrers ist in der Schweizer Gesellschaft positiver als das des deutschen Lehrers in der deutschen Gesellschaft. Das kann's also auch nicht sein. Jetzt hat man die Schweiz auf Pädagogische Hochschulen umgestellt, der erste Durchgang hat im Oktober 05 begonnen und die Lehrpersonen, die aus dieser Lehrerbildungseinrichtung hervorgehen, werden sich den gleichen (Vor-)Urteilen gegenüber stehen sehen, die auch in der Wertung der seminaristischen Lehrerbildung angeführt wurden. Ähnlich ist es mit der Einführung der BA/MA-Strukturen in der deutschen Lehrerbildung.


    Lehrerbildner an Hochschulen machen sich sehr wohl einen Kopf um die Studierenden. Das erlebe ich in der Schweiz sehr viel deutlicher als in Deutschland: in jeder Institutskonferenz mahnt unser Institutsleiter verschiedene Dozenten ab, die irgendwas Studierendenunfreundliches getan haben (z.B. Abgabe von Hausarbeiten vorverlegt), es gibt für Studierende die Möglichkeit, nach Prüfungen "Rekurs" einzulegen (dafür gibt es Rekurskommissionen) und insgesamt wird der Studierende sehr ernst genommen.


    Zu den "praxisfernen Theoriedidaktikern" (ich hoffe, man sieht in mir keinen getroffen-bellenden Hund): welchen Weg gäbe es denn in der Ausbildung zum "idealen Lehrerbildner" in der Vorstellung derjenigen, die stets auf die Theoriedidaktiker der Unis hinweisen?


    Lehrerbildung findet nun mal an Hochschulen statt und beinhaltet bestimmte fachwissenschaftliche, fachdidaktische, pädagogische, psychologische Lehrinhalte. Warum muss denn ein Fachwissenschaftler "gestandener" Lehrer sein?


    Oder, um die Vorstellungen, die vielleicht auf mein Posting folgen werden, vorwegzunehmen: welcher Lehrer kommt freiwillig aus einem Beamtenstatus mit den bekannten Vorteilen mit den hehren Motiven, jetzt endlich "gute Lehrerbildung" machen zu wollen, freiwillig in eine Uni, schlägt sich dort mit Drei- bzw. einem Fünfjahresvertrag herum und wenn er nicht das Glück hat, dass seine Stelle eine "LfbA"-Stelle (Lehrkraft für besondere Aufgaben) wird, stellt er nach 12 Jahren an der Hochschule fest, dass er seine Zeit, die laut Hochschulrahmengesetz bleibt, bis man einen Lehrstuhl hat (eben 12 Jahre inklusive Diss & Habil bzw. habil-gleiche Leistungen) verdaddelt hat?


    Ich finde, dass dieses System zu kompliziert ist, um einfach mal "druff uf die blöden Theoretiker da oben" zu hauen und dass viele systemische Irrungen und Wirrungen in der Diskussion berücksichtigt werden müssten. Im Übrigen würde ich gern das gleiche Recht für die Hochschuldiskussion einfordern, das Lehrer in der Lehrerdiskussion (zu Recht!) fordern: nicht jeder, der früher mal zur Schule gegangen ist, kann dieses System in seiner Gänze bewerten.


    Liebe Grüsse
    das_kaddl.

  • Zitat

    das_kaddl schrieb am 11.04.2006 08:34:
    Schade, dass auf meine Frage ("Was empfinden Lehrer als Karriere") nicht eingegangen wurde, sondern vielmehr wieder die gleichen Diskussionspunkte aufflammen, die schon in xy anderen Threads bis zur Ergebnislosigkeit beackert wurden. (Danke an Wolkenstein!)....


    Ja Kaddl, lassen wir "xy" mal sein! Zu Deiner Frage:


    Ich empfinde es als Karriere, wenn ich in Ruhe meine Arbeit mit den Schülern machen kann - mehr nicht.
    OK., vielleicht ist im Laufe der Jahre etwas mehr Geld ganz schön. Aber Titel, wie Studienrat usw. sind (für mich!) nicht nötig.


    Irgendwann, wenn es sich anböte, würde ich dann auch Rektor werden wollen. Allerdings bestünde ich dann darauf, in einem Drittel der Arbeitszeit auch zu unterrichten. Im anderen Drittel kümmerte ich mich darum, dass der Verwaltungskram erledigt ist und im letzten Drittel säße ich bei den Kollegen in deren Unterricht, die noch nicht ganz klarkommen.
    Aber das alles könnte meine letzten Dienstjahre ausfüllen, vorher nicht. Dafür macht es mir zu viel Spaß.

  • habe die Frage gestern Abend mal in die fröhlich speisende (Akademiker-, aber nur zu kleinen Teillen Lehrer-)runde geworfen und zunächst einmal freundliches Gelächter geerntet: Wer bewusst 'Karriere' (nach der je individuellen Definition) anstrebt, wird bislang eher nicht Lehrer.


    Unter 'Lehrerkarriere' verstanden die meisten (auch Nichtlehrer) Stausverbesserungen qua Position und Verdienst, also Schulleitung, Schulverwaltung, Ministerium etc.


    Interessant fand ich die Definition eines Kollegen: Karriere sei für ihn, wenn er in Bereichen arbeiten könne, in denen er Einfluss auf die Gestaltung und Entwicklung seiner (oder auch anderer) Schulen habe und es sei aus diesem Grund auch für einige Jahre in NRW in der Lehrerausbildung (Seminar) und der gewerkschaftlichen Weiterbildung tätig gewesen. Wer das Besoldungssytem in NRW kennt, weiß, dass Arbeit am Seminar dort im SekI-Bereich keinerlei finanzielle Verbesserung bedeutet, Karriere war für ihn also eher weniger mit finanziellen Auszeichnungen verbunden.


    Somit lassen sich aus meiner nichtrepräsentativen empirischen Privatuntersuchung zwei Definitionen für 'Lehrerkarriere' ableiten: formale Statusverbesserung, analog zu Leitungspositionen anderer Berufsgruppen, und eine Ausweitung der Gestaltungs- und Einflussmöglichichkeiten, die also mehr auf die eigene Positionierung im direkten Arbeitszusammenhang bezogen ist und weniger von nach außen deutlich werdenden 'dienstrang'. Sicherlich schließen sich die beiden Varienaten nicht gegenseitig aus, aber sie unterscheiden sich doch hinsichtlich der zentralen Motivationslagen.


    Bin mal gespannt, welche anderen Karrierevarianten sich hier noch finden.


    Grüße


    carla

    Nehmen Sie die Menschen so wie sie sind.
    Es gibt keine anderen

  • Zitat

    carla schrieb am 11.04.2006 12:07:


    Somit lassen sich aus meiner nichtrepräsentativen empirischen Privatuntersuchung zwei Definitionen für 'Lehrerkarriere' ableiten: formale Statusverbesserung, analog zu Leitungspositionen anderer Berufsgruppen, und eine Ausweitung der Gestaltungs- und Einflussmöglichichkeiten, die also mehr auf die eigene Positionierung im direkten Arbeitszusammenhang bezogen ist und weniger von nach außen deutlich werdenden 'dienstrang'. Sicherlich schließen sich die beiden Varienaten nicht gegenseitig aus, aber sie unterscheiden sich doch hinsichtlich der zentralen Motivationslagen.


    Ich denke, hier ist genau das Problem, das der Karriere-Begriff aufwirft. Wenn ich mir Gedanken um meine Karriere im Lehrerberuf mache, dann geht es mir eigentlich nicht um "Geld, Macht oder Ruhm", sondern vielmehr darum, wie ich mich selbst weiterentwickeln kann. Ich hab mein Ref ja erst kurz hinter mir, deshalb benötige ich für viele Dinge einfach recht viel Zeit: ich muss mich in neue Lehrinhalte und Aufgabenformen einarbeiten, fast jede Sequenz muss von Grund auf vorbereitet werden usw. Dadurch sitze ich schon recht lange am Schreibtisch, allerdings macht das alles auch viel Spaß. Wenn ich jetzt zehn Jahre in die Zukunft blicke, dann sehe ich, dass ich dafür nicht mehr so viel Zeit brauchen werde, dafür aber die meiste Zeit an Korrekturen verbringen werde (habe zwei Korrekturfächer). Der Gedanke also, dass ich langfrisitg dafür, was bei der HÄUSLICHEN Arbeit am meisten Spaß macht weniger Zeit investiere als für das, was einfach absolut zum K*** ist (=Korregieren), ist schon deprimierend. Deshalb überlege ich schon, wie man sich dann weiterentwickeln kann und im schulischen Bereich sind da eben die Möglichkeiten sehr begrenzt. Fast alle "Karrieremöglichkeiten" führen in Funktionsstellen, die wesentlich mehr mit Verwaltung zu tun haben als mit Unterricht...


    Eliah

  • Zitat

    carla schrieb am 11.04.2006 12:07:


    Interessant fand ich die Definition eines Kollegen: Karriere sei für ihn, wenn er in Bereichen arbeiten könne, in denen er Einfluss auf die Gestaltung und Entwicklung seiner (oder auch anderer) Schulen habe und es sei aus diesem Grund auch für einige Jahre in NRW in der Lehrerausbildung (Seminar) und der gewerkschaftlichen Weiterbildung tätig gewesen. Wer das Besoldungssytem in NRW kennt, weiß, dass Arbeit am Seminar dort im SekI-Bereich keinerlei finanzielle Verbesserung bedeutet, Karriere war für ihn also eher weniger mit finanziellen Auszeichnungen verbunden.


    Eine überaus sympathische Definition, die ich so fast unterschreiben kann. Das etwas in Bewegung Bringen ist für mich auch die wichtigste Perspektive als Lehrer. Ganz ehrlich möchte ich aber auch mittelfristig eine Anerkennung in Form einer angemessenen Besoldung bekommen.


    Irgendwie ist das "Karrieremachen" ein ziemlich tabuisiertes Thema unter Lehrern. Zum einen wird unterstellt, man strebe die ruhige Funktionsstelle an, um nicht mehr unterrichten zu müssen, zum anderen steht man in Verdacht, den pädagogischen Idealismus gegen schnöden Mammon und ein höhres A zu verraten.


    Die Meinung des Artikels, hervorragende Lehrer sollen sich auf das Unterrichten konzentrieren und dafür besser bezahlt werden, kann ich aber nicht teilen. Es ist für mich eine Verschwendung, wenn die besten Lehrer sich allein auf das Unterrichten konzentrieren. Die besten und in bestimmten Gebieten eingearbeiteten müssen doch unbedingt ihr Wissen und ihre Erfahrungen an die Kollegen weitergeben.


    Ich habe schon früher das Konzept der Multiplikatoren in B-W erwähnt: Kollegen, die in bestimmten Gebieten sich bewährt oder besonders eingearbeitet haben, werden nochmal extra geschult, entwickeln in Dienstbesprechungen ihre Konzepte gemeinsam im Team weiter und gehen dann in Tandem an Schulen, an denen sie ihr Wissen an die Kollegen weitergeben. Dafür sind nun keine A15er notwendig, sondern es gibt je nach Anzahl der betreuten Schulen eine Deputatsentlastung.


    Ich selbst arbeite als Multiplikator und finde an diesem Konzept - außer dass man Schulentwicklung mitbestimmen kann - vor allem den kollegialen Austausch und die Möglichkeit, aber auch Notwendigkeit, den eigenen Unterricht in diesem Gebiet stetig weiterzuentwickeln, faszinierend.


    Auch die Annahme von Funktionsstellen sehe ich für den höheren Dienst positiver, als dies allgemein hier wohl getan wird. Tätigkeiten als Schulleitungsassistent oder Fachbereichsleiter (die inzwischen zum Teil mit A 14, zum Teil mit Deputatsentlastungen verbunden sind) implizieren für mich nicht eine Abkehr vom Schüler. Seit ich als Fachbereichsleiter für eine Schulart verantwortlich bin, bekomme ich zum Beispiel viel unmittelbarer mit, wo die Schüler der Schuh drückt. Mit einem guten Kollegium werden dann erzieherische und unterrichtliche Konzepte angepasst und weiterentwickelt. Auch als Fachabteilungsleiter oder Fachberater (A15, Deputat bei uns noch so um 50-60%) ist man noch in der Unterrichtsrealität verankert, hat aber gleichzeitig die Möglichkeit, Schule weiterzuentwickeln.
    Bedauerlich finde ich für die Kollegen im gehobenen Dienst, dass es an der Schule außer den eher verwaltungsnahen Rektoren und Konrektorenstellen keine Aufstiegsmöglichkeiten wie oben erwähnt gibt. Die Trennung beim Aufstieg von gehobenen und höheren Dienst gehört schleunigst vom Tisch!


    Im Großen und Ganzen gibt es aber m.E. einige Möglichkeiten, an der Schule "Karriere"zu machen, ohne das Unterrichten und die Bedürfnisse der Schüler aus den Augen zu verlieren.

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

    Einmal editiert, zuletzt von Timm ()


  • Kann dir nur völlig zustimmen. Bin derzeit in einer ähnlichen Funktion wie eure Multiplikatoren unterwegs und erlebe diese Arbeit im großen Ganzen als sehr positiv, mache es aber nicht, um 'dem Unterrichten zu entkommen', sondern weil ich es, wie du ja auch schreibst, für sehr wichtig halte, dass es in Schulen mehr Austausch über Konzepte, Entwicklungsziele und Arbeitsweisen gibt und die Schüler indirekt ja genau davon profitieren es umgekehrt keinen Sinn hat, die mit Schulentwicklung beschäftigt völlig aus dem Unterricht herauszunehmen, schließlich bleibt dieser eine sehr gute Feedbackquelle für die praktische Wirkung von konzeptionellen Veränderungen.


    Wird bei uns übrigens auch nicht so gehandhabt; die meisten sind, wie ich auch, mit ein paar Stunden an das Schulamt abgeordnet und ansonsten ganz normal im Geschäft.
    Um auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen, ich empfinde die Multiplikatorenarbeit zwar nicht in erster Linie als Karriere, aber als eindeutige Bereicherung meines Berufes und würde auch weiterhin gern im Bereich Schulentwicklung arbeiten, weil ich es sehr interessant finde. So gesehen will ich wohl Karriere machen ;) .


    carla

    Nehmen Sie die Menschen so wie sie sind.
    Es gibt keine anderen

    • Offizieller Beitrag

    Díe Idee der Multiplikatoren finde ich sehr interessant, nachdem ich EVA mitbekommen habe (Evaluation hier in Bayern, viel Untersuchung, viel Vergleich, aber wenig sinnvolle Ergebnisse), würde ich mich in Zukunft auch gerne mehr mit der Schulentwicklung beschäftigen.
    Allerdings habe ich heute intensiv über meine "Karriereplanung" nachgedankt und festgestellt, dass ich da nicht sonderlich ehrgeizig bin.
    Ich unterrichte gern und stecke teilweise auch viel Mühe in die Ausarbeitung meiner Unterrichtsstunden, habe auch gar nichts dagegen, wenn die Arbeit ordentlich bezahlt wird ;) und ich lege sehr viel Wert auf die "Werteerziehung" (Gerechtigkeitsempfinden, Teamarbeit, Streitschlichtung usw.) und schaue auch, dass ich mich in dieser Richtung (Mediation, LRS und Lega, AD(H)S, damit ich auf diese Kinder einigermaßen eingehen kann...)
    Aber ich denke, mein Ziel habe ich erreicht, wenn meine Schüler am Ende ihrer Schulzeit zu mir sagen können: "Frau XY, bei Ihnen habe ich was gelernt und nicht gleich wieder vergessen!"
    Vielleicht hört sich das banal an, ich finde das Ziel aber schon relativ hochgesteckt.
    Lg, Hermine

  • Ich denke ein Lehrer macht Karriere,wenn die Schüler sich gerne an ihn erinnern und etwas mitnehmen aus seinem Unterricht.Beliebtheit bei den Schülern steht also weit vorne.Leider gibt es nicht mehr Geld dafür,obwohl ich das gut fände.



    Aisha

    Träume nicht Dein Leben,lebe Deinen Traum

  • Ja, das sehe ich auch ähnlich. Ich schrieb es ja.


    Andererseits: Wie soll man das OBJEKTIV messen? Soll man also doch die Schüler bewerten lassen?

  • Oh ja,super Idee!!!!!
    Wer könnte es besser,als wir Schüler?
    Aisha

    Träume nicht Dein Leben,lebe Deinen Traum

  • Also ich hätte nichts dagegen und die meisten hier auch nicht.

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