Schüler sprechen starken Dialekt

  • Achtung: Die folgenden Fragen sind weder rhetorisch, noch ironisch gemeint. Ich machte mir zur Zeit ernsthaft gedanken, ob meine bisherige Einstellung zu dem Thema richtig (oder einfach nur arrogant) ist.



    Beispiel: Von einem türkischen Schüler wird selbstverständlich erwartet, dass er im Unterricht deutsch spricht. Kann ich dann genauso von meinen stark Dialekt sprechenden Schülern erwarten, dass sie im Unterricht "deutsch" sprechen?


    Andererseits: Wenn ich zum Beispiel nach Südfrankreich auswandern würde, weil es mir dort so gut gefällt, wäre es für mich genauso selbstverständlich französisch zu lernen. Muss ich dann analog dazu, wenn ich in eine Gegend Deutschlands versetzt werde, deren Dialekt ich nicht verstehe, diesen Dialekt lernen?


    Also, wer ist in der Pflicht? Die Schüler oder ich?


    Um das noch mal klarzustellen: es geht hier nicht um eine leichte Verfärbung der deutschen Sprache oder ein bisschen schnodderige Aussprache. Ich erwarte absolut kein perfektes Hochdeutsch (spreche ich ja selber auch nicht). Der Dialekt ist so heftig, dass wir teilweise massive Kommunkationsprobleme haben.
    Bislang war ich mir immer so sicher, dass die Schüler bitteschön deutsch reden sollen. Jetzt lese ich aber, dass Dialekte in der Schule wieder gefördert werden sollen, wegen Verwurzelung in der Heimat?


    Bin gespannt auf Eure Meinung.

  • Im Zuge der allgemeinen Mobilität auch auf nationaler Ebene fände ich es wichtig, den Schülern auch Hochdeutsch beizubringen. Nichtbeherrschen von Hochdeutsch kann manchmal auch negativ ausgelegt werden. Wobei es ja - so heißt es in der Literatur - im Arbeitsleben auch ein Unterschied ist, ob ein Arbeiter oder ein Direktor Dialekt spricht. Bei Erstgenanntem wird es als Kompetenzmangel angesehen, bei Zweitgenanntem als Registerwahl.
    Insgesamt eine schwierige Sache...

  • Aus meiner Sicht ist in deinen Fächern Dialekt und Heimatverwurzelung fehl am Platz. Die Schüler können ja mal ihren Dialekt an einem PC ausprobieren...


    Aber denk dran... immer freundlich bleiben. Sachzwang bringt mehr als Zwang!


    Gruß,
    Remus

    Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen - HEnRy vAn dyKe

  • Meine Schüler sprechen zum Teil auch sehr starken Dialekt. Manche so stark, dass ich anfangs Schwierigkeiten hatte es immer zu verstehen, obwohl ich selbst einen ähnlichen Dialekt spreche (den ich im Unterricht natürlich vermeide).
    Beim letzten Vortrag hab ich zu den Schülern gesagt, dass sie einfach mal versuchen sollen hochdeutsch zu sprechen, dass ich das aber nciht mit bewerten werden. Es haben trotzdem die meisten probiert. Außer der Schüler, bei dem es am schlimmsten ist :rolleyes:
    Ich finde schon, dass sich die Schüler auch bei dir bemühen sollten, sich verständlich auszudrücken. Das ist ja auch für das Beurfsleben wichtig. Du solltest allerdings den Dialekt auch verstehen können. Es gibt ja immer die ein oder andere Situation... ;)

    • Offizieller Beitrag

    Hallo,
    in manchen meiner Schulen sprachen die Schüler auch starken Dialekt.
    Meine Grundsatzregel in dem Fall ist: Wer Hochdeutsch sprechen und schreiben kann und mir das sowohl mündlich z.B. in Referaten als auch schriftlich beweisen kann, darf in meinem Unterricht auch Dialekt sprechen.
    Nur Dialekt geht leider nicht, weil die Schüler sich ja auch in anderen Teilen Deutschlands verständigen können müssen und das Hochdeutsche auch im Aufsatz erwartet wird. Aber in der Umgebung und im Unterricht Dialekt zu sprechen (vorausgesetzt, die anderen Schüler verstehen alles) finde ich durchaus in Ordnung.
    Mein Mann z.B. ist "zweisprachig" aufgewachsen und das hat wunderbar funktioniert.
    Liebe Grüße,
    Hermine

    • Offizieller Beitrag

    Ich komme aus einer Gegend, wo auch Dialekt gesprochen wird. Ich selbst habe nie starken Dialekt gesprochen, aber z.B. haben bei uns alle Leute - ich auch - "sch" statt "ch" gesagt. Einige unserer Lehrer haben zwar richtiges Hochdeutsch gesprochen, aber niemand hat uns bewusst gemacht, dass man die geschriebenen Laute "ch" und "sch" eben nicht alle "sch" spricht. Das klingt vielleicht komisch, ist aber wirklich wahr. Mir ist das erst sehr spät (ca. in der Oberstufe?) bewusst geworden und ich hätte es sehr gut gefunden, dass wir im Unterricht darauf hingewiesen und bewusst korrigiert worden wären.


    So konnte ich z.B. in der Grundschule nie verstehen, warum manche Wörter mit "ch", andere mit "sch" geschrieben wurden, obwohl es dafür ja meines Empfindens "keine Regel gab". Das war der einzige Rechtschreibbereich, den ich damals sehr schwierig und unlogisch fand. Bis heute muss ich oft bei Wörtern, die ich nicht täglich benutze, überlegen, ob sie mit "ch" oder "sch" geschrieben werden, damit ich sie nicht falsch ausspreche. Und ich spreche immer noch ab und an ein Wort falsch aus, worüber sich meine Schüler freuen. ;)


    Ein weiterer Grund für das Hochdeutschsprechen im Unterricht ist der, dass es Gegenden in Deutschland gibt, in denen viele (selbst Leute, die studiert haben), kein Hochdeutsch sprechen können. Ich habe das mehrmals in Süddeutschland erlebt. Ich erinnere mich an eine Party in Süddeutschland, wo ich fast niemanden verstanden habe.


    Bei meinen Schülern lege ich Wert darauf, dass sie im Unterricht Hochdeutsch sprechen, da dies für viele die einzige Gelegenheit ist, dies zu lernen.


    Ich denke, gerade in Zeiten, wo viele Menschen nicht ihr Leben lang in der Region bleiben, wo sie aufgewachsen sind, ist es immens wichtig, Hochdeutsch sprechen zu können.


    In der Pause dürfen die Schüler sprechen, wie sie möchten, aber im Unterricht sollten sie bitte Hochdeutsch sprechen.

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Referendarin schrieb am 07.05.2006 11:25:
    Ich komme aus einer Gegend, wo auch Dialekt gesprochen wird. Ich selbst habe nie starken Dialekt gesprochen, aber z.B. haben bei uns alle Leute - ich auch - "sch" statt "ch" gesagt. Einige unserer Lehrer haben zwar richtiges Hochdeutsch gesprochen, aber niemand hat uns bewusst gemacht, dass man die geschriebenen Laute "ch" und "sch" eben nicht alle "sch" spricht. Das klingt vielleicht komisch, ist aber wirklich wahr. Mir ist das erst sehr spät (ca. in der Oberstufe?) bewusst geworden und ich hätte es sehr gut gefunden, dass wir im Unterricht darauf hingewiesen und bewusst korrigiert worden wären.


    So konnte ich z.B. in der Grundschule nie verstehen, warum manche Wörter mit "ch", andere mit "sch" geschrieben wurden, obwohl es dafür ja meines Empfindens "keine Regel gab". Das war der einzige Rechtschreibbereich, den ich damals sehr schwierig und unlogisch fand. Bis heute muss ich oft bei Wörtern, die ich nicht täglich benutze, überlegen, ob sie mit "ch" oder "sch" geschrieben werden, damit ich sie nicht falsch ausspreche. Und ich spreche immer noch ab und an ein Wort falsch aus, worüber sich meine Schüler freuen. ;)


    Ich befinde mich grade in einer ähnlichen Gegend ;) und bemerke, dass es meinen Schülern wirklich schwer fällt, sch und ch zu unterscheiden. So schrieben neulich bspw. auch die stärkeren Kinder "enttäucht". Hab mir auch schon überlegt, dass es für die Kinder wirklich problematisch ist das zu unterscheiden.


    Ich spreche aber keinen Dialekt (meine ich ;) - und wenn, dann einen anderen) und hoffe, dass das Srachvorbild auch etwas bringt.


    Referendarin, hättest du eine Idee, wie man im Unterricht gezielt daran arbeiten kann? Was hätte dir geholfen?
    Bisher verbessere ich das und übe die Wörter eben mit den Kindern. Sie müssen sich das einfach merken, da sie es nicht heraushören können.


    LG,
    Melosine

    • Offizieller Beitrag

    @ Melosine:


    Hm, bei uns war es so, dass manche Lehrer und auch Mitschüler, die aus anderen Gegenden zugezogen waren, anders (in unseren Ohren "hochgestochen") sprachen. Dass ihre Sprache anders klang, merkten wir schon, aber was es genau war, war uns nicht bewusst. Bei uns hat es nicht gereicht, bei diesen Lehrern (und auch im Fernsehen oder Radio und überall, wo eben Hochdeutsch gesprochen wurde) die korrekte Aussprache zu hören.


    Ich finde es wichtig, den "ch"-Laut, den man ja in großen Teilen der westlichen und südwestlichsten Regionen nicht kennt, den Schülern gezielt vorzusprechen, mit ihnen zu üben, ihn nachsprechen zu lassen (wie man das z.B. im Englischunterricht mit dem "th" macht) und den Schülern zu erklären, dass man diesen Laut im Hochdeutschen immer dann benutzt, wenn man in ein "ch" schreibt (Ausnahme natürlich der "ch"-Laut in Wörtern wie "ach", oder "nach", der deinen Schülern aber keine Probleme bereiten dürfte). Man könnte z.B. mal in einer Stunde die Schüler laut vorlesen lassen und dabei gezielt darauf achten lassen, dass alle das "ch" richtig aussprechen. Ich würde den Schülern auch erklären, dass in ihrer Gegend dieser Laut wie ein "sch" ausgesprochen wird, dies im Hochdeutschen aber anders ist. Und ich würde die Schüler (zumindest im Deutschunterricht und zumindest in der nächsten Zeit) korrigieren, wenn sie ein "ch" wie ein "sch" aussprechen. Ich vermute, dann werden sie auch bei dir und z.B. bei den Nachrichtensprechern im Fernsehen bewusst feststellen, dass diese ja auch so sprechen. Ich finde es wichtig, das Bewusstsein dafür zu schaffen.


    Meine Schüler machen ja auch grammatikalische Fehler, aber sie korrigieren sich inzwischen gegenseitig, wenn ich sie öfter darauf hingewiesen habe.
    Bei deinen Schülern sollte das Ziel ja nicht sein, dass sie zu Hause nicht mehr Dialekt sprechen, sondern dass ihnen bewusst ist, dass es im Hochdeutschen anders gesprochen wird und dass sie - zumindest annähernd - auch Hochdeutsch sprechen können.

  • Ich bin überrascht, dass ihr in Deutschland auch solche Dialekt - Hochdeutsch-Probleme habt. Bei uns in der Schweiz ist Deutsch Amtssprache. Deshalb sind wir seit einigen Jahren gezwungen, in allen Fächern Hochdeutsch zu sprechen, auch im Sport, Werken, Musik... Das finde ich völlig übertrieben und es nützt meiner Meinung nach nichts. Die Kinder reden genau so schlecht deutsch, wie früher. Die Lehrer können es ja nichtmal richtig vormachen. Ich bin seit 9 Jahren mit meiner deutschen Freundin zusammen und war deshalb schon sehr oft mit der deutschen Sprache konfrontiert. Wir Schweizer reden so anders, dass man uns manchmal gar nicht versteht, auch wenn es Deutsch sein sollte. Ich wurde schon so oft "ausgelacht" (nicht erniedrigend) für meine Fehler. (Wo kann ich mein Auto parkieren? Ich habe kalt. Die Arbeit war streng uvm.) Ich weiss langsam, wie deutsch funktioniert und wie nicht. Und es ist schockierend, wie wir Schweizer reden. Aber was solls? Zumal ihr ja die selben Probleme habt, können wir uns ja beruhigen. Ich finde, wer Sprachen liebt, sollte all ihre Eigenheiten respektieren und nicht versuchen die Sprache zu zivilisieren und in ein Korsett zu zwängen. Die Sprache will sich doch entwickeln!
    Der Hochdeutschzwang wird auch begründet, dass es für Ausländer einfacher ist, sich zu integrieren. Stimmt ja irgendwie. Andererseits finde ich die Argumentation der Ratte (Benutzername, nicht das Tier) auch gut, dass man sich doch nur integriert, wenn man sich sprachlich der Umgebung anpasst.

  • Also ich beneide die Schweizer um ihren Dialekt und zwar darum, dass er überall gesprochen wird - auch z.B. im Radio und im Fernsehen. Ich lebe nun seit fast 2 Jahren in der Schweiz und werde wohl nie Schweizerdeutsch sprechen. Das klingt einfach zu dämlich, wenn ich das versuche. Sehr wohl find ich aber, dass ich schweizerisch verstehen muss - allerdings mit der Einschränkung, dass es auch hier regional grosse Unterschiede gibt. In Bern wird anders gesprochen als in Zürich. In meiner Heimat Bayern stirbt der Dialekt immer mehr aus. Es ist uncool und man wirkt ungebildet, wenn man Dialekt spricht. In den Städten sprechen die Jugendlichen fast ausschliesslich Hochdeutsch. Das mag ja für die Aufsätze gut sein, aber ich finde es ewig schade.

  • Ein weiterer Grund für das Hochdeutschsprechen im Unterricht ist der, dass es Gegenden in Deutschland gibt, in denen viele (selbst Leute, die studiert haben), kein Hochdeutsch sprechen können. Ich habe das mehrmals in Süddeutschland erlebt. Ich erinnere mich an eine Party in Süddeutschland, wo ich fast niemanden verstanden habe.

    Ich kenne viele Leute in Süddeutschland, die bewusst Dialekt reden und die Schriftsprache durchaus beherrschen - diese jedoch im Gespräch mit anderen "native speakers" nicht verwenden. Im Dialekt lassen sich viele Dinge ausdrücken, die in der Schriftsprache nur "gestelzt" daherkommen. Der Dialekt ist auch eine Brücke, um mit anderen Menschen schnell Kontakt zu bekommen - im Allgäu ist es z.B. unüblich, sich gegenseitig zu siezen - es sei denn, dass sich jemand durch seine Sprache als "Fischkopf" outet. Dass du bei den Gesprächen zu wenig verstanden hast, muss ja nicht am Sender der Nachricht liegen. Da kann auch der Empfänger nicht passend kalibriert sein :D


    Übrigens: Fischkepf sind alle, die nördlich vom Weißwurstäquator leben.


    Übrigens2: Im Unterricht spreche ich Schriftsprache - im Gespräch mit Kollegen im Lehrerzimmer dagegen Dialekt - falls sich der Kollege/die Kollegin nicht zuvor als Fischkopf geoutet hat. Dann spricht man natürlich - aus purer Höflichkeit und zum besseren Verständnis - ebenfalls Schriftdeutsch. Im Gespräch mit Eltern kann die Verwendung von Dialekt Nähe und Verbundenheit bewirken - das Umschwenken oder das bewusste Verwenden der Schriftsprache erzeugt die notwendige Distanz und Amtlichkeit. Diese Palette lässt sich prächtig zur "unterschwelligen" Gesprächsführung einsetzen.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

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  • Also ich finde, man kann sehr gut "zweisprachig" aufwachsen und der deutschen Grammatik trotz Dialekts Herr sein. Ich bin so aufgewachsen und ich wollte meinen Dialekt niemals missen!!!!!! Als Lehrer spreche ich natürlich möglichst Schriftdeutsch - außer ich mach mal nen Witz ;) - aber das der Dialekt hinderlich sein soll beim Erlernen der deutschen Sprache halte ich für ein Gerücht ! Geht mal nach Spanien! Da gibt's Dialekte die schon fast andere Sprachen sind. Trotzdem lernen selbst dort Ansässige Spanisch. Und eben noch den Dialekt- meist nur verstehen, aber egal.
    Das gehört zu unserer Kultur und ich fände es nicht gut, Dialekte zu verbannen....

    "Du musst nur die Laufrichtung ändern..." sagte die Katze zur Maus, und fraß sie.

  • In meiner Gegend wird im Alltag ganz selbstverständlich Dialekt gesprochen, den natürlich auch jeder meiner Lehrer beherrschte. Trotzdem waren nur sehr wenige dabei, die uns diesen Dialekt im Unterricht gestattet hätten, geschweige denn, dass sie ihn selbst verwendet hätten. In der Grundschule und zu Beginn des Gymnasiums ging es da noch toleranter zu, aber mit den Jahren wurde immer mehr Wert auf korrektes Hochdeutsch gelegt - zu Recht, wie ich finde. Diese regionalen Dialekte werden in weiter entfernten Gebieten ja meist nicht verstanden, und man tut den Schülern nicht wirklich was Gutes, wenn man sie nicht dazu anhält, die korrekte deutsche Sprache zu trainieren. Für Nicht-Muttersprachler ist Dialektverwendung im Unterricht sowieso oft der Horror.
    Versteht mich nicht falsch, ich liebe unseren Dialekt und bin absolut dafür, ihn im alltäglichen Sprachgebrauch zu behalten. Aber alles zu seiner Zeit. ;)

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