Schule als Mittel der Politik

  • Kann mal ein Moderator den Thread-Titel ändern oder Teile ausgliedern? Irgendwie habe ich den Eindruck, dass es hier nicht mehr um die Eingangsthematik geht.
    Andererseits war das Eingangsposting bereits falsch formuliert. Zwar ist alles, was die Polis - die städtische Gemeinschaft - betrifft und geregelt wird, "politisch". Die Einführung der Ganztagesschule ist jedoch zunächst eine pädagogische Maßnahme.


    Wer heute noch die "Mama-wird's-am-Nachmittag-schon-richten"-Theorie vertritt, hat die Veränderungen der Lebenswirklichkeit in Deutschland verschlafen. Diese Familienstruktur war vielleicht bis in die achziger Jahre noch Standard. Heute kann man als männlicher Alleinverdiener eine Familie kaum noch ernähren - auch als Lehrer nicht.
    Damit dieser Thread nicht auch noch in diese Richtung fehlläuft, habe ich dazu einen eigenen Thread eröffnet:
    Entwicklung der Lehrergehälter vs. Kaufkraft


    Back to Ganztagesunterricht:
    Ich bin aus arbeitsökonomischen Gründen und in Befürchtung einer weiter wachsenden Belastung im Lehrerberuf kein Freund der Ganztagesbetreuung. Andererseits sehe ich, dass die Schüler nachmittags zunehmend einer geregelten Betreuung und Erziehung entgleiten - weil sie "Kevin allein zu Haus" spielen und ihr Mittagessen an der Dönerbude oder aus der Chipstüte bestreiten - und daher aus gesellschaftlichen und pädagogischen Gründen kein Weg daran vorbei führen wird.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

    Einmal editiert, zuletzt von alias ()

  • Heute kann man als männlicher Alleinverdiener eine Familie kaum noch ernähren - auch als Lehrer nicht.


    Auch meine Bemerkung passt nicht zum threadtitel, ich kann sie mir trotzdem nicht verkneifen.


    Ich bin weibliche Alleinverdienerin und nicht mal verbeamtet. Wie haben zwar kein Haus und auch keinen Jahreswagen, aber leben trotzdem nicht ganz schlecht.

  • Auch meine Bemerkung passt nicht zum threadtitel, ich kann sie mir trotzdem nicht verkneifen.


    Ich bin weibliche Alleinverdienerin und nicht mal verbeamtet. Wie haben zwar kein Haus und auch keinen Jahreswagen, aber leben trotzdem nicht ganz schlecht.


    Dass wir besser leben als ein Hartz-IV-Bezieher möchte ich gar nicht bestreiten - ich habe jedoch den Eindruck (und liege damit sicher nicht daneben) dass wir als Lehrer von der allgemeinen Gehaltsentwicklung in den letzten 30 Jahren abgekoppelt wurden. Ein Ingenieur in der Metallidustrie (Fachhochschulstudium) verdiente in der mittleren Gehaltsgruppe 15 letztes Jahr bei 40-Stundenwoche 6233 € brutto. http://www.engineering-igmetal…genieurgehalter-Bawue.pdf
    Davon bleiben ihm knapp 4000 € netto - bei Steuerklasse III. Das sind knapp 1000 € mehr, als mir nach Abzug meiner KV auf dem Konto bleibt - und ich bin in den Dienstaltersstufen schon weit oben angelangt.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Das wollte ich auch nicht damit sagen. Wenn ich anfange zu vergleichen, bin ich wahrscheinlich selten auf der Gewinnerseite. Nur bringt mir das wenig.

  • Back to Ganztagesunterricht:
    Ich bin aus arbeitsökonomischen Gründen und in Befürchtung einer weiter wachsenden Belastung im Lehrerberuf kein Freund der Ganztagesbetreuung. Andererseits sehe ich, dass die Schüler nachmittags zunehmend einer geregelten Betreuung und Erziehung entgleiten - weil sie "Kevin allein zu Haus" spielen und ihr Mittagessen an der Dönerbude oder aus der Chipstüte bestreiten - und daher aus gesellschaftlichen und pädagogischen Gründen kein Weg daran vorbei führen wird.


    Das mag sein, aber: ERST MÜSSEN DIE BEDINGUNGEN STIMMEN (PERSONAL, RÄUME, AUSSTATTUNG), DANN KANN MAN ÜBER DIE EINFÜHRUNG VON GANZTAGSSCHULE NACHDENKEN.


    Das ist auch der große Vorwurf, den ich Organisationen wie der GEW mache (und die ich daher als BERUFSständische Interessenvertretungen auch nicht ernst nehmen kann), dass man erst mit viel pädagogischem "HURRA!" die Ganztagsschule (genauso: Einheitsschule) einführen will, und sich dann wundert, dass die Politik die notwendigen Bedingungen gerade NICHT im Nachhinein schaffen will. Warum sollte sie auch, wenn es auch so durch viel Selbstausbeutung auf Seiten der naiven Lehrerschaft ohne Zusatz-Ressourcen läuft. Merke: Großteile der Lehrerschaft und ihrer Interessenvertretungen sind leider in Fragen der Realpolitik und Finanzierbarkeit äußerst naiv, Politiker sind es GANZ SICHER NICHT!


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Back to Ganztagesunterricht:
    Ich bin aus arbeitsökonomischen Gründen und in Befürchtung einer weiter wachsenden Belastung im Lehrerberuf kein Freund der Ganztagesbetreuung. Andererseits sehe ich, dass die Schüler nachmittags zunehmend einer geregelten Betreuung und Erziehung entgleiten - weil sie "Kevin allein zu Haus" spielen und ihr Mittagessen an der Dönerbude oder aus der Chipstüte bestreiten - und daher aus gesellschaftlichen und pädagogischen Gründen kein Weg daran vorbei führen wird.


    Klingt für mich nach "Helicopterschule", dem institutionellen Pendant zu den "Helicoptereltern". Ich kenne kein Kind und keinen Jugendlichen, der selbst gerne den ganzen Tag in der Schule verbringen möchte. Und auch im Kollegenkreis kenne ich kaum jemanden, der Lust dazu hätte.

  • Was heißt "erstmal darüber nachdenken"? Das ist doch vielerorts längst Realität! In Grundschulen wird z. T. mit externen Trägern eine Betreuung organisiert. Im G8 ist auch schon viel Ganztag, auch wenn die Schulen eigentlich noch gar nicht so weit sind. In der gymnasialen Oberstufe ist auch schon Unterricht den ganzen Tag über. An Gesamtschulen gibt es das auch schon lange.


    Ob einem das als Schüler/in Spaß macht oder nicht, kann man sich nicht immer aussuchen, hängt aber auch stark davon ab, was angeboten wird. Wenn Sport, Musik, Hobby ... in der Schule stattfinden, ist das eine enorme organisatorische Erleichterung für alle Beteiligten. Gibt es auch schon (Kooperation mit Musikschule etc.). Was gibt es da noch groß zu diskutieren außer, wie man es besser machen kann? Ich sehe keinen Weg zurück zur Halbtagsschule.

    • Offizieller Beitrag

    Das ist auch der große Vorwurf, den ich Organisationen wie der GEW mache (und die ich daher als BERUFSständische Interessenvertretungen auch nicht ernst nehmen kann), dass man erst mit viel pädagogischem "HURRA!" die Ganztagsschule (genauso: Einheitsschule) einführen will, und sich dann wundert, dass die Politik die notwendigen Bedingungen gerade NICHT im Nachhinein schaffen will.


    Schwachsinn. Die GEW hat von Anfang an genau DAS hier gesagt und immer wieder gefordert, diese Rahmenbedingungen müssten VORHER geregelt werden:

    Das mag sein, aber: ERST MÜSSEN DIE BEDINGUNGEN STIMMEN (PERSONAL, RÄUME, AUSSTATTUNG), DANN KANN MAN ÜBER DIE EINFÜHRUNG VON GANZTAGSSCHULE NACHDENKEN.


    Genau wie bei der Inklusion.

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.


  • Ob einem das als Schüler/in Spaß macht oder nicht, kann man sich nicht immer aussuchen, hängt aber auch stark davon ab, was angeboten wird. Wenn Sport, Musik, Hobby ... in der Schule stattfinden, ist das eine enorme organisatorische Erleichterung für alle Beteiligten. Gibt es auch schon (Kooperation mit Musikschule etc.). Was gibt es da noch groß zu diskutieren außer, wie man es besser machen kann? Ich sehe keinen Weg zurück zur Halbtagsschule.


    Solange es sich nur um freiwillige Ganztagsangebote handelt, lässt sich darüber streiten. Eine Ganztagspflicht halte ich für inakzeptabel.

  • Klingt für mich nach "Helicopterschule", dem institutionellen Pendant zu den "Helicoptereltern". Ich kenne kein Kind und keinen Jugendlichen, der selbst gerne den ganzen Tag in der Schule verbringen möchte. Und auch im Kollegenkreis kenne ich kaum jemanden, der Lust dazu hätte.


    Wir haben ein offenes Angebot für unsere Schüler morgens ab 7:30 Uhr. Wenn die Gt-Betreuer die Tür aufschließen, stehen meist schon 10-15 Kinder davor. die auf das Frühstück von der "Tafel" (von der örtlichen Kirchegemeinde gesponsert) warten. Und die kommen freiwillig, weil 's Zuhause kein Frühstück gibt und Mama und Papa noch im Bett sind und ihren Rausch ausschlafen. Viele bleiben gerne den ganzen Tag bei in der Schule.


    Aber vielleicht kennen wir ja nicht die selben Kinder.


  • Genau wie bei der Inklusion.


    Naja, was vorher gefordert wurde, weiß ich nicht, weil ich da noch kein Mitglied war.
    Aber die Beiträge über Inklusion in den verschiedenen Schriften der GEW erwähnen für meinen Geschmack die desolaten personellen Verhältnisse und die Überfrachtung der Gesamtschulen (weil die Gymnasien sich raushalten) mit Inklusionskindern nicht deutlich genug.
    Das sind gravierende Missstände, die das von der GEW (und mir!) heißgeliebte Inklusionsprojekt zum Scheitern bringen werden, wenn sie nicht schleunigst abgestellt werden! Um das zu erreichen, muss man sie aber wenigstens deutlich benennen!

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • Diese Familienstruktur war vielleicht bis in die achziger Jahre noch Standard.


    Aber sie ist doch die gottgewollte, wenn man manchen Äußerungen in diesem Forum Glauben schenken darf...

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.


  • Wir haben ein offenes Angebot für unsere Schüler morgens ab 7:30 Uhr. Wenn die Gt-Betreuer die Tür aufschließen, stehen meist schon 10-15 Kinder davor. die auf das Frühstück von der "Tafel" (von der örtlichen Kirchegemeinde gesponsert) warten. Und die kommen freiwillig, weil 's Zuhause kein Frühstück gibt und Mama und Papa noch im Bett sind und ihren Rausch ausschlafen. Viele bleiben gerne den ganzen Tag bei in der Schule.


    Aber vielleicht kennen wir ja nicht die selben Kinder.


    Solche Extremfälle werden immer gern angeführt. Ich würde sicher auch nicht bestreiten, dass es sowas auch gibt. Aber dass es der Normalfall in dieser Gesellschaftsein soll, dass die Eltern morgens ihren Rausch ausschlafen und die Kinder auf das Frühstück von der Tafel angewiesen sind, würde ich vehement bestreiten.


    Meine Schüler sind definitiv froh, wenn mittags die Schule aus ist. Die verabreden sich für den Nachmittag zum Schwimmen oder zum Eisessen und gehen in ihren Sportvereine. Und da wollen die frei und unbeobachtet sein von Eltern und Lehrern und sich selbst erproben.

  • Solche Extremfälle werden immer gern angeführt. Ich würde sicher auch nicht bestreiten, dass es sowas auch gibt. Aber dass es der Normalfall in dieser Gesellschaftsein soll, dass die Eltern morgens ihren Rausch ausschlafen und die Kinder auf das Frühstück von der Tafel angewiesen sind, würde ich vehement bestreiten.

    Nein und nochmals Nein, geehrter Claudius ! O.g. Extremfälle werden bestimmt nicht gerne angeführt, sondern immer häufiger als Realität wahrgenommen. Bei uns, und dabei sind wir immerhin Realschule, gehört es fast zur Normalität, dass etliche Kinder morgens, allein auf sich gestellt, sich selbst in Gang bringen müssen. Natürlich ist die Schultasche nicht ordentlich gepackt und gefrühstückt wurde selbstverständlich auch nicht. Dass es mit der Konzentration am Vormittag mau ist, sei hier nur am Rande erwähnt.


    Wenn ich die ein oder andere Mutter am Vormittag, meistens nach 10 Uhr, zu Hause anrufe, kommt mir fast immer ein schwerfälliges Gähnen entgegen. Woher diese Müdigkeit entstammt, möchte ich nicht mutmaßen.


    Schulsozialarbeit und Jugendamt sehen bei so etwas noch keinen Handlungsbedarf. Habe den Hinweis erhalten, dass die da auch gar nicht einschreiten könnten, weil die o.g. Phänomene mehr als in jeder 2. Familie wahrnehmbar seien. Da wüssten die gar nicht, wo sie zuerst anfangen sollten.


    Apropos Tafel : Ich wäre froh, wenn die sozial schlecht gestellten Eltern dieses Angebot für ihre Kinder wahrnehmen würden. Dass immer mehr Eltern sozial schlecht aufgestellt sind, nehme ich bei den Vorbereitungen für die Klassenfahrten wahr. Fast über ein Drittel der Eltern, obwohl preisgünstige Klassenfahrten, bekommen die Fahrten von den Ämtern und Förderverein der Schule bezahlt.


    Wie gesagt, wir sind keine Brennpunktschule, eher eine Schule des sogenannten durchschnittlichen Bürger- und Kleinbürgertums. 8_o_)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

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