Förderschulabschluss Kl. 10 „Lernen“ - Was kann man damit anfangen?

  • Wie wird in Baden-Württemberg der Übergang von der Förderschule zur Berufsausbildung gestaltet?

    Die Frage der beruflichen Eingliederung von Förderschülern ist in fast allen Bundesländern ähnlich strukturiert und geregelt wie in BW. Aus dem beigefügten Schema geht hervor, dass eine wichtige Eingliederungsgrundlage die sich unmittelbar an den Förderschulabschluss anschließenden, außerschulischen Beruflichen Vorbereitungsmaßnahmen (BVB) und schulischen Berufsvorbereitungen (BVJ, BVE) sind. Je nach Qualität dieser Anschlusswege entscheidet sich der Übergang an der 1. und 2. Schwelle in den Arbeitsmarkt. Eine ganz wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der berufsvorbereitenden Maßnahmen ist das Begleitsystem. Förderschüler scheitern zumeist nicht eindimensional in einem Lebensfeld, sondern in der Kombination unterschiedlicher Probleme im Leben. Diese kommen aus den Bereichen Legalität, Aufenthalt, Wohnen, Umgang mit Finanzen, Partnerschaft und Suchtverhalten. Ein vielfach negativ sich auswirkender Faktor stellen die fehlenden oder unstrukturierten persönlichen Rahmenbedingungen im Hintergrund dar.



    Wie hoch ist der prozentuale Anteil an Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die eine Berufsausbildung machen?

    In allen Regionen werden die Verbleibsdaten der Förderschüler regelmäßig abgefragt. Dabei zeigt sich, dass die Abgänger nach der ersten Schwelle, also nach Beendigung ihrer beruflichen Schulpflicht bzw. der schulischen und außerschulischen Berufsvorbereitungsmaßnahmen, zu 80 % eine Regel- oder Sonderausbildung beginnen. Auch die Aufnahme eines zunächst ungelernten Beschäftigungsverhältnisses kann das Ziel beruflicher Vorbereitung sein (ca. 10 %). Die Zahl der Schüler, die nach der Berufsvorbereitung in Maßnahmen der Arbeitsagentur verbleiben, ist weiter rückläufig (5-7 %). Ein sehr geringer Anteil von 2 % Abgängern bleibt unversorgt.

    Die Förderschulen bilden, wenn möglich, ein engmaschiges Netz von Betrieben, in denen ihre Abgänger Praktika absolvieren und in denen möglichst auch ein Ausbildungsplatz vermittelt werden soll. Das Netz dieser Partner ist von Region zu Region unterschiedlich belastbar und zudem konjunkturabhängig.



    Wie bereitet die Förderschule die Schüler auf das Berufsleben vor?

    Alle Förderschulen legen in der alltäglichen Arbeit ihren Schwerpunkt auf ein qualitativ gutes Eingliederungskonzept. Fragen der Eingliederung in Arbeit und Leben werden dabei von der ersten bis zur Abgangsklasse aufgegriffen. Themen werden kontextsensibel und milieuspezifisch in Form individueller Lern- und Entwicklungsbegleitung aufbereitet. Der Bildungsplan unterstützt die Schulen bei dieser Arbeit.

    In den meisten Fällen bestehen die berufsbezogenen Inhalte aus Arbeitsfrüherziehung (Kennen lernen und Erproben arbeitsweltbezogener Einstellungen und Fähigkeiten vor dem 14. Lebensjahr), Kompetenzanalyse profil-ac, Praktika (Kombination aus Block- und Tagespraktika in großem zeitlichen Umfang z.B. 6-8 Wochen pro Schuljahr in Klassen 8/9), Schülerfirma und einem Patensystem z.B. aus Jugendbegleitern.

    Handwerks- oder Handelskammern aber auch die Agentur für Arbeit sind in diesen Prozess eingebunden. In Bildungsregionen ist diese Partnerschaft auch vertraglich festgeschrieben. In Freiburg z.B. in der Konzeption Erfolgreich in Ausbildung. An den Förderschulen gibt es - finanziert durch den Schulträger - auch Jugendberufshilfe. Diese Unterstützung hängt von der finanziellen Situation des Schulträgers bzw. dessen Schwerpunktsetzung im Bildungsbereich ab. Förderschulen beteiligen sich erfolgreich auch an Zertifizierungssystemen der Innungskammern, wie z.B. das Berufswahlsiegel.



    An welchen Einrichtungen erfolgt die Berufsausbildung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und welchen Einfluss hat der formale Schulabschluss?

    Die Berufsausbildung erfolgt in betrieblichen und außerbetrieblichen Einrichtungen in formal geregelten Vollausbildungen nach §§ 4,5 BBiG. Hier beziehen die Auszubildenden Berufsausbildungsbeihilfe, Ausbildungsgeld bzw. Zuschüsse zur Ausbildungsvergütung nach den gesetzlichen Grundlagen SGB. Ebenso erfolgt die Ausbildung für Menschen mit Behinderung nach § 6 BBiG außerbetrieblich bzw. betrieblich mit den entsprechenden Zusatzleistungen nach SGB III. Der schulische Teil der Ausbildung erfolgt im dualen System an Regel- oder Sonderberufsschulen, aber auch integrativ von Bildungsträgern. Ein geringer Teil der Jugendlichen absolviert vollzeitschulische Ausbildungen, für die bereits der Hauptschulabschluss Voraussetzung ist. Hauptschulabschlüsse können in sämtlichen Formen der schulischen Berufsvorbereitung erworben werden bzw. werden mit erfolgreichem Abschluss einer Ausbildung erworben.



    Wie sehen die Sonderausbildungsformen aus und wie werden die spezifischen Begleitsysteme eingerichtet?

    Nach der ersten Schwelle gibt es weiterhin für die Menschen mit Behinderungen spezielle Unterstützungsleistungen des Integrationsfachdienstes bzw. der Agentur für Arbeit. Die Absolventen der Vollzeitausbildungen stehen dann an der Schwelle zum ersten Arbeitsmarkt und streben dort nach Erwerbstätigkeit. Baden-Württemberg gelingt dieser Übergang nach der 2. Schwelle derzeit am besten von allen Bundesländern. Das bedeutet, Jugendarbeitslosenquote ist geringer als anderswo. Aber immer noch zu hoch! Hier gilt es weitere Verbesserungen anzustreben.

    Diese Verbesserungen könnten z.B. im Ausbau des Begleitersystems bestehen.

    Formal geregelte Vollausbildungen sind im Sinne BBiG und der HwO 3-jährige Regelausbildungen, theorieverminderte 2-jährige Stufenausbildungen und vereinfachte 2-jährige Ausbildungen. Zusätzlich gibt es die Sonderausbildungsregelungen, sogenannte Werkerausbildungen für Menschen mit Behinderungen auf Antrag bei der Agentur für Arbeit. Werkerausbildungen sind nicht bundeseinheitlich, sondern regional geregelt und schränken insoweit die Zugangsmöglichkeiten beim Übergang in das Erwerbsleben ein. In dieses Segment der Werkerausbildung fallen 60 - 65 % aller Förderschülerinnen, die eine Ausbildung beginnen. Im Anschluss an diese Werkerausbildungen werden 50 % ausbildungsadäquat erwerbstätig.

  • Interessantes Thema. Ich habe immer den Eindruck, dass die Förderschulen erheblich besser vernetzt sind und den Schülern erheblich besser in Praktika o.ä. helfen können, als das bei uns mit unseren 6 LE und GE Inklusionsschülern pro Jahrgang der Fall ist. Worauf wir mit denen eigentlich hinarbeiten und wo sie perspektivisch mal unterkommen könnten, weiß eigentlich niemand so recht.

  • Interessantes Thema. Ich habe immer den Eindruck, dass die Förderschulen erheblich besser vernetzt sind und den Schülern erheblich besser in Praktika o.ä. helfen können, als das bei uns mit unseren 6 LE und GE Inklusionsschülern pro Jahrgang der Fall ist. Worauf wir mit denen eigentlich hinarbeiten und wo sie perspektivisch mal unterkommen könnten, weiß eigentlich niemand so recht.

    Im Prinzip ist das gesamte Förderschulsystem darauf ausgelegt, die Schüler auf die Zeit "danach" vorzubereiten. Das schaffen die Schüler im Gegensatz zu anderen Schulformen nicht aus eigener Kraft, weswegen auch dieser ganze Aufwand betrieben wird und zusätzliche Ressourcen bereitgestellt werden. Ist etwas OT, aber ich fand heraus, dass es in der Förderschule Sehen sogar Einzelunterricht zur Orientierung im öffentlichen Raum gibt. Da kann natürlich ein Gymnasium, das noch irgendwie nebenbei Inklusionsschüler beschulen muss, nicht mithalten.

  • ... Wie oben erwähnt, kommen hier häufig die 2jährigen Ausbildungen zum Einsatz.

    Ist das so häufig? Aber davon unabhängig, ich bezog mich auf Lehramtsstudents Frage. Um so einen Ausbildungsplatz würde ja keiner mit höherem Bildungsabschluss konkurrieren.


    Und in der Realität muss man sowas auch erst mal finden. Ein Pflegeheim wird kaum jemanden bezahlen wollen, der mit den Senioren Mühle spielt und nicht in der Nachtschicht arbeiten kann.

  • Bei Anderen denke ich mir, dass man mit dem, was man angeboten bekommt, zufrieden sein sollte.

    Genau, der Tierwirt kriegt 580 Öcken im ersten Ausbildungsjahr, davon lebe mal. Und beim entsprechenden "Fachpraktiker" steht's nicht mal dabei. Wenn du so einen Ausbildungsplatz überhaupt bekommst, in einer Rehaeinrichtung oder so, dann funktioniert das nur, weil der Staat oder die Kirche einen Haufen Geld investiert. Auf dem Arbeitsmarkt zu überleben ist einfach was anderes, das ist eine hohe psychische Belastung, da fällt die Entscheidung für HartzIV und Pizzaausliefern leichter als sich für ein Taschengeld anzustrengen, Konflikte auszuhalten, sich was sagen zu lassen usw.

  • Du hast vollkommen Recht. Ich habe überlegt, wenn ich ein Kind mit Förderbedarf Lernen hätte (denn über ein fremdes Kind lässt sich immer leichter urteilen als wenn es das eigene wäre), was ich ihm raten würde: Ich würde ihm auf jeden Fall eher zu dem Fachpraktiker raten. Selbst wenn das Ganze von Staat oder Kirche bezuschusst wird, es würde meinem Kind aufzeigen: "Ich kann etwas und bekomme sogar Geld dafür.", statt ohne Gegenleistung einfach Hartz IV zu bekommen. Ich bin mir sicher, dass es sowas wie den Fachpraktiker in vielen Ländern nicht gibt - da können wir froh sein, dass sich der deutsche Staat so sehr überhaupt bemüht, Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

  • ...ich würde ihm auf jeden Fall eher zu dem Fachpraktiker raten.

    Logisch! Diejenigen, die das machen, kommen auch aus gutsituierten Haushalten. Zumindest meiner Erfahrung nach ist das eine Minderheit. Die größten Probleme haben halt das ganze Leben lang Jason und Jennifer.

  • Ist das so häufig?

    Im Einzelhandelsbereich durchlaufen zumindest in unserer Region relativ viele Azubis nur die zweijährige Ausbildung zur/zum Verkäufer/in und ich weiß von einer Bekannten, dass bei ihr an der Berufsschule viele Jugendliche sind, die eine zweijährige Ausbildung zur/zum Fachlagerist/in machen. Einige "packen" zwar noch das dritte Ausbildungsjahr drauf - werden dann also Kauffrau/Kaufmann im Einzelhandel bzw. im zweiten Fall Fachkraft für Lagerlogistik -, aber der Anteil derjenigen, die nur eine zweijährige Ausbildung absolvieren, ist doch recht hoch.


    EDIT: Es handelt sich bei denjenigen, die nur eine zweijährige Ausbildung durchlaufen, aber nicht unbedingt nur um Förderschulabsolvent*innen. Da sind auch viele schwache ehemalige Hauptschüler*innen u. a. dabei.

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Du hast vollkommen Recht. Ich habe überlegt, wenn ich ein Kind mit Förderbedarf Lernen hätte (denn über ein fremdes Kind lässt sich immer leichter urteilen als wenn es das eigene wäre), was ich ihm raten würde: Ich würde ihm auf jeden Fall eher zu dem Fachpraktiker raten. Selbst wenn das Ganze von Staat oder Kirche bezuschusst wird, es würde meinem Kind aufzeigen: "Ich kann etwas und bekomme sogar Geld dafür.", statt ohne Gegenleistung einfach Hartz IV zu bekommen. Ich bin mir sicher, dass es sowas wie den Fachpraktiker in vielen Ländern nicht gibt - da können wir froh sein, dass sich der deutsche Staat so sehr überhaupt bemüht, Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

    Noch ein Outside-View. In der Schweiz gibt es etwas ähnliches, das Eidgenössische Berufsattest (EBA). Eine niederschwellige zweijährige Ausbildung, an deren Ende die Absolventen einen Beruf haben, dessen Bezeichnung typischerweise „-assistentin“ bzw. „-assistent“ lautet (z. B. Detailhandelsassistent). Seit einiger Zeit ist das die institutionalisierte Form dessen, was früher hier „Anlehre“ hiess. Dieser Abschluss kann nachträglich aber noch zu einem regulären Berufsabschluss erweitert werden, danach können dann auch höhere Schulabschlüsse über die berufliche Schiene erworben werden (Berufsmaturität, Passerelle zur allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung). Jedenfalls in der Theorie. Der Arbeitsmarkt ist aber für EBAs nicht gerade rosig.

  • Wow, eure Antworten sind ja echt interessant.


    Vielleicht mal eine Frage spezifisch an die Kollegen aus dem Berufskolleg Sektor: Hattet ihr in den Berufsschulklassen auch schon ehem. Förderschüler "Lernen" sitzen, die eine ganz normale duale Berufsausbildung bei euch absolviert haben?


    Wenn ja, wie oft ist das bei euch vorgekommen? Und wie haben die Schüler sich angestellt?

    Habt ihr euch darüber gewundert so nach dem Motto: " Wie erst Förderschule und jetzt ne 2 oder 3 Jährige Berufsausbildung?"

    War das für euch normal oder habt ihr euch persönlich gedacht: "Hut ab. Respekt, dass der/die das durchzieht"?


    Was für eine Meinung hattet ihr von diesen Schülern sowohl im schulischen Kontext als auch persönlich? Wie waren die so drauf?


    Haben diese Schüler euch vielleicht sogar geprägt in eurem denken generell über die Menschen (evtl. nicht mehr so viel "Schublade", wenn ihr versteht was ich meine)?


    Bin richtig gespannt auf eure Antworten. Ich muss gestehen ich finde solche Themen super spannend, da ich der Überzeugung bin, dass man an solchen Entwicklungen nur wachsen kann sowohl der "Betroffene" selbst als auch die Menschen aus dem unmittelbaren Umfeld.

  • ich kann mich an eine Schülerin erinnern, die hat Kauffrau für Büromanagement gelernt. Den Ausbildungsplatz hat sie über Kontakte bekommen.


    Ich mochte sie sehr, weil sie sich ehrlich angestrengt hat. Notenmäßig ist sie allerdings nie besser als 4 gewesen.


    Ein Kollege war der Meinung, dass sie nie bestehen würde. Sie hat aber den Abschluss geschafft. Ich habe mich damals sehr für sie gefreut.


    Toll war an ihr auch, dass sie, obwohl es für sie selbst schon schwer war, auch noch einen Schüler unterstützt hat, der kaum Deutsch konnte. Auch er hat am Schluss die Prüfung bestanden. Die beiden waren scheinbar ein gutes Team.

    Sei konsequent, dabei kein Arsch und bleib authentisch. (DpB):aufgepasst:

  • Und wie haben die Schüler sich angestellt?

    Habt ihr euch darüber gewundert so nach dem Motto: " Wie erst Förderschule und jetzt ne 2 oder 3 Jährige Berufsausbildung?"

    Häufig weiß man gar nicht, wo die Schüler vorher waren und das finde ich durchaus auch gut.


    Hatten allerdings auch schon kritische Fälle (Autismus), von heute auf morgen ohne I-Helfer und besondere Unterstützung ist häufig das größere Problem, welches ich beobachte. Noch dazu in großen Klassen (>30 Schüler)

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