Nutzt ihr im Unterricht gendergerechte Sprache?

  • Und wieder ein völlig unpassendes Beispiel. Als würde man nicht mitbekommen, dass "Ingenieure, wie auch "Lehrer" (oder sind in diesem Forum nur Männer?) für beides stehen kann.

  • Du schmeißt hier zwei Ebenen zusammen, die getrennt zu betrachten sind. Chairman/chairwoman -> chair(person) betrifft die Lexik. Da hat die feministische Linguistik auch im Deutschen ihre Berechtigung (Kameramann -> Kamerafrau). Die Movierungen betreffen aber die Morphologie und daran kann man deutlich schwerer etwas dran ändern. Das liegt im Sprachkern und nicht weiter außen wie die Lexik.

    Und was bedeutet das jetzt für unseren sprachlichen Alltag, wenn wir diese beiden "Ebenen" schön sauber trennen?


    Und diese Frage zu kompliziert oder zu schwierig, denkt besser nicht darüber nach sondern lacht einfach:

    „Fakten haben keine Lobby.“


    (Sarah Bosetti)

    Einmal editiert, zuletzt von O. Meier ()

  • Frauen haben immerhin ein eigenes Genus mit einer eigenen Form. Männer haben gar keine spezifische Form (wie Lehreron oder so etwas) und das Maskulinum ist kein Genus nur für Männer, sondern nur für Belebtes/Menschliches.

    Das generische Maskulinum hat den Nachteil dieser Zwitterstellung eben sowohl Maskulinum als auch generisch zu sein. Verwendet man etwas anderes als geschlechtsneutrale Form. Könnte das Maskulinum ganz Maskulinum sein.


    Wer auf dem generischen Maskulinum beharrt, sorgt eben dafür, dass die armen ohnehin so zurückgesetzen männlichen Personen noch nicht mal eine eigene grammtikalische Form haben, nachdem ihnen ja sonst schon alles vorenthalten wird.

  • Ich denke wir reden über die Nachteile, die die Genderschreibweise mit dem Doppelpunkt und Sternchen hat. Das ist keine gute Lösung.

    In der Tat. Immer nur über die Nachteile zu reden, ist keine gute Lösung.

  • War für mich damals als Kind ganz klar, da ich 2 Hinweise dafür hatte:

    Auf dem Schild meines Zahnarztes stand "Zahnarztpraxis Frau Dr. ..."

    Ähnlich wie Müllmann, ist der weibliche Zahnarzt dann Zahnartzfrau.

    Das die auf das Schild nicht "Zahnarztfraupraxis Dr ..." schreiben war mich auch klar; hört sich einfach komisch an.

    Schade das man nicht einfach Zahnärztin zur Zahnärztin sagen kann, weil man beweisen muss, wie praktisch das Maskulinum für alle ist.

  • Das sicher nicht. Mich stört hier nur die ganze Zeit schon der latente deutsche Kulturchauvinismus. Deutsch wird von über 100 Millionen Menschen als Muttersprache gesprochen und auch wenn die Deutschen die Mehrheit davon sind, haben sie nicht per Definition recht ;)

    Da gebe ich Dir recht, sehe aber den konkreten Zusammenhang gerade nicht, vor allem nicht, dass Du gerade mich damit ansprichst. Vielleicht magst Du mir erklären, ob Du bei mir Kulturchauvisnismus zu erkennen glaubst - ich sehe mich dem nämlich diametral entgegengesetzt - oder dich auf etwas anderes beziehst.

    Die Standardisierung der Sprache ist mir natürlich geläufig, ebenso aber auch ihre Varietäten und Veränderungen (denen ich mehr als offen gegenüberstehe, da ich nicht ins normative Lager der Linguist:innen gehöre, auch wenn ich im Unterricht natürlich Rechtschreibung und Grammatik nach geltenden Regeln unterrichte und das auch mit gewissem Augenmaß als sinnvoll erachte).

  • Papergirl , darf ich fragen, was du studiert hast?


    Ich finde das eh faszinierend, die indogermanischen Sprachen haben sich in wenigen Jahrtausenden auf dem halben Erdball ausgebreitet und dabei sind so vielfältige, unterschiedliche Sprachen entstanden. Sprachwandel geht unheimlich schnell.

    Ich habe ganz profan Deutsch/Germanistik und English-Speaking Cultures/Englisch studiert (dazu natürlich die Erziehungswissenschaften).


    Ich habe sehr spät studiert, es geliebt, sehr viel mehr Kurse belegt, als nötig gewesen wären (teils in der englischen Literaturwissenschaft, aber v. a. in der germanistischen und interdisziplinären Linguistik), und seit dem 2. B.A.-Semester als Tutorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet - kurz in der älteren deutschen Lit-Wiss., in den englischen KuWi und sehr, sehr viel in der Linguistik.

    Hätte es Corona nicht gegeben, wäre ich z. B. für eine Sprachkontaktforschung im Mai 2020 nach Togo geflogen, die Tickets lagen schon zu Hause, nachdem ich vorher schon in Bulgarien mitgeforscht hatte. Im Oktober '20 hätte ich in Warschau einen Vortrag für Nachwuchswissenschaftler:innen gehalten ... wir haben sehr viel "unternommen", ob Berlin, ob Mannheim, das Leibnizinstitut für Sprache, das Kolonialmuseum in Amsterdam, ... das Studium in der Linguistik war wahnsinnig toll.


    Ich habe jedenfalls an jedem Kongress mitgearbeitet, der stattfand (z. B. Postcolonial Oceans, DGfS, etc.), alle Vorträge besucht, die es irgendwie in Reichweite gab und so eine Menge lernen können, ob Körpersprache, Zeichensprache, Pragmatik, 'Kiezdeutsch', Genderlinguistik oder sonstwas. Ich war (und bin) an allem interessiert.

    Ich hatte in der kritischen Diskursanalyse promovieren wollen und dementsprechend auch die Lehre dazu vorbereitet. Es kam sehr kurzfristig aus privaten Gründen ganz anders.


    Sprachwandel finde ich irre spannend (auch hier sowohl in der deutschen als auch englischen Sprache). Meine liebste Hausarbeit rückwirkend betrachtet war eine Ausarbeitung zum Wort 'gay' in der englischen Linguistik (Semantik).

  • Ich habe in meiner Bachelorarbeit linguistische Publikationen zu den 1968ern erforscht. Ganz oft war mir nicht klar, ob bei Studenten auch Frauen mitgemeint waren. Ich musste sehr viel Sekundärliteratur sichten etc. und manche Stellen blieben zweifelhaft.

    Letztendlich wurden Frauen so aus der Geschichtsschreibung ausgelöscht. In 200 Jahren wird es dann noch schlechter nachzuvollziehen sein, wer da eigentlich beteiligt war ... Das generische Maskulinum verschleiert Dinge.


    Dazu kommen eben auch noch andere Dinge, die auf tieferen Ebenen liegen als bloße Movierungen - worauf ich schon längst hingewiesen hatte, ehe Frapper mich gegen mich selbst zitierte (mansplaining?).

    Ich "vermische" da aber nichts, es agiert miteinander, ist interdependent und verstärkt sich somit gegenseitig in der Wirkung. Mit ES ist DAS ALLES gemeint: Lexik, Syntax, Semantik, Pragmatik und Morphologie und die schlichte Nicht-Nennung von Frauen, wo es z. B. manchmal sogar nur um Frauen geht.

  • Das ist eine wohlwollende Interpretation des Geschriebenenen. Auch auf dem europäischen Kontinent haben sich die Sprachen überwiegend durch Eroberungskriege verbreitet. Total romantisch.

    Und Handel sowie Heirat ...

    aber ja, oft auch durch Kriege. Trotzdem kann man das sehr spannend finden. Z. B. ist es spannend, dass oftmals Worte des Widerstands als erstes übernommen wurden. Ich kann es nicht mehr ganz erinnern, es ging um spanische Eroberungen in Nordamerika, meine ich. Eines der ersten Worte, die die indigenen Menschen übernommen hatte, war pero (aber)! Dies verwendeten sie innerhalb ihrer eigenen Sprache ohne Übersetzung. Ein Hinweis darauf, dass sie es vorher nicht hatten/brauchten und nun aber ganz unbedingt? Leider war der Vortrag in der deskriptiven Linguistik verortet. Es blieb beim Beschreiben des Befundes, ohne zu versuchen ihn zu deuten oder auf die Gegenwart/Zukunft zu übertragen.

    Ich finde es auch spannend, wie sich die Grammatik oft durchsetzt und die Lexik übernommen wird (siehe AAVE = African American Vernacular English oder Kiezdeutsch). Das erzählt Bände über Abgrenzung, aber auch Enkulturation, Widerstand, Stolz und auch Unterdrückung. Nur weil ich Unterdrückung und Kolonialismus ablehne, wäre es doch sinnlos, solche Dinge nicht zu untersuchen. Im Gegenteil, man muss sich auskennen, wenn man sich für Gleichberechtigung einsetzen will. Das macht Heike Wiese im Falle des Kiezdeutschen ja ganz hervorragend, die eben aufzeigt, dass es eine Varietät ist und kein asozialer Sprech, wie manche das bezeichnen.

  • ah.. Dann reden wir aneinander vorbei. Mir ist klar, dass man das so schreiben kann. Ist doch auch gut so. Es sind aber nicht alle Texte so gut wie deine. Es gibt zig Bücher, Zeitschriften, ... von zig Menschen. Die haben nicht alle deine Schreibweise.


    Es geht mir darum, ob eine Sprache (in beiden Richtungen) kompatibel ist.

    Schräges Argument. Adorno und Benjamin schreiben auch nicht gerade leserfreundlich und völlig anders als andere Autor:innen, v. a. heutzutage. Diversität ist doch nichts Schlechtes?!

  • Das hast du nicht geschrieben, nein.

    Zu den indogermanischen Sprachen gehören auch Spanisch und Französisch, beides wurde im Wesentlichen durch Kolonialismus verbreitet. Wie natürlich und insbesondere auch das Englische.


    Wirklich "faszinierend" ist eigentlich nur, das so seltsames Zeug wie Finnisch nie verdrängt wurde. Alles andere ist nur logisch, wenn Menschen in Kontakt miteinander treten.

    Ich glaube, es geht aber weniger darum, dass sich Spanisch und Englisch ausgebreitet haben, als vielmehr, dass sie überhaupt entstanden sind - aber auch das war natürlich kein rein friedlicher Prozess. Die großen historischen Völkerwanderungen in Mittel- und Südeuropa um 375 bis ca. 568, die Burgunder um 443-534, die Merowingischen Franken ab 486 uva. waren auch nicht auf Kaffeefahrt, genauso wenig wie die Römer und andere Völker davor und leider auch die danach. Und das leider kann ich gar nicht so fett drucken, wie ich möchte. Dennoch finde ich Kreol- und Pidgin-Sprachen faszinierend.

  • Es geht noch skurriler: Unser Dorfzahnarzt war gar nicht promoviert, seine Frau liess sich aber "Frau Doktor" nennen. Das gehört eben auch zur Geschichte: Es gab Zeiten, da war es den Frauen mehr als recht sich im Glanz des gutbetuchten Ehegatten zu sonnen und selber nichts zu tun. Diese Rosinenpickerei stösst auch sehr zu recht hier einigen an der Diskussion beteiligten Herren auf.

    Was ja auch daran lag, dass recht kurz davor Frauen noch gar nicht studieren durften und genau zu dieser Zeit Frauen nur mit Erlaubnis des Mannes arbeiten konnten. Es gibt schlicht keinen sprachlichen Druck, weibliche Endungen zu nutzen, wenn es keine Frauen in den Berufssparten gibt, die man benennen will. Wo keine Professorin, keine Ärztin, keine Ingenieurin, da kein -in nötig. Deshalb ist es jetzt ein so großes Thema, da es in den letzten 70 Jahren eben in der gesellschaftlichen Realität Änderungen gab, die sich auch sprachlich abbilden möchten/müssen/noch nicht überall so recht können.

  • Was soll das denn sein? Als Deutschlehrerin sollte man Vorbild sein und keine nicht-existenten Konstruktionen verwenden.

    Das bin ich, definitiv. Das ist eine Zusammensetzung aus Autor (männlich), : (steht für alle non-binären Geschlechter) und in (für Frauen) und en (Plural)...


    'Sollte' ist ein nicht sehr feines Wort in Diskursen, das Linguist:innen ablehnen. Mir schreibst Du auch nicht vor, wie ich in meiner Freizeit in einem Forum schreibe, was ich für richtig halte oder wie in in meinen E-Mails z. B. Kolleg:innen adressiere. Nämlich genau so: gegendert. Frei nach Watzlawick: Man kann nicht nicht gendern. :)

  • müsste es nämlich Kolleg:inn:en heißen.

    Müsste? Nein, könnte. Du stellst hier eine weitere Version vor, wie man gendern könnte. Mei, mach's halt so, wenn du das für gu hältst. Die Idee dahinter, irgendwie männliche und weibliche Form zusammenzupuzzeln, allerdings, überzeugt mich nicht. Damit ist man nicht weiter als mit dem Binnen-I. Also voll Achtziger.


    Die Stern- und die anderen bisher diskutierten Formen schließen explizit alle mit ein.

  • Und was ist mit Autoren (männlich)? Die kommen in deiner ausgedachten Konstruktion nicht vor. Wenn müsste es nämlich Kolleg:inn:en heißen.

    Schreib es doch so, wenn du Freude dran hast. Man kann dir genauso wenig Vorschriften machen wie rumgedreht.

  • Da gebe ich Dir recht, sehe aber den konkreten Zusammenhang gerade nicht, vor allem nicht, dass Du gerade mich damit ansprichst

    Du musst dich auch nicht angesprochen fühlen. Dein Satz mit der Beliebigkeit (oder so ähnlich) hat nur so schön gepasst. Auf vermeintlich fixe Regeln haben sich zuvor andere berufen und daraus ableiten wollen, warum jetzt dieses und jenes nicht ginge. Es kommt auch immer mal wieder ganz konkret vor, dass jemand versucht meine Ausdrucksweise zu korrigieren, die aber im helvetischen Sprachraum sehr wohl "korrekt" ist. Wie du lesen kannst, sind wir in der Diskussion ja schon wieder bei "falsch" und "ausgedacht" angekommen.

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