Die Reise der Pinguine oder Kino EXTREM

  • Nein, ich hatte mich wirklich gefreut. Ich meine, wann erhält man schonmal die Gelegenheit mit einer ganzen Schule, na, sagen wir mal ca. 250 Grundschülern, gemeinsam das Kino zu besuchen?


    Strahlender Sonnenschein verhieß Gutes und so machten wir uns im Gänsemarsch auf zum Kino.
    250 Kinder und etliche Betreuer bilden eine verdammt lange Schlange, das mussten auch die Autofahrer merken, die uns freundlich über die Straße winkten und deren Gesichter spätestens bei Klasse 3 länger und länger wurden.
    Unserer Vorfreude tat dies keinen Abbruch und so schritten wir vondannen.
    Gut, eines der 250 Kinder musste immer mal Schnürsenkel binden, austreten bzw. andere Kinder treten, Nase putzen oder jammernd ausrufen: "Wann sind wir dahahaaa?"


    Gut, es gibt auch sicher 20 von 250 Kindern, die Lehrern gerne Eicheln und Kastanien an den kopf werfen, aber meine Güte, Naturnähe, ist es nicht das, was immer gefordert wird?


    So schritten wir denn durch den Wald und durch Matsch. Mal fiel ein Kind, mal fielen Mütter - wir blieben heiter und vor allem:
    gelassen.


    Nach einer Stunde langten wir am eigens für uns zu öffnenden Kino an. Nur: Es öffnete nicht.


    Selbstverständlich ist es überhaupt kein Problem, mit 250 Kindern und reichlich hysterischen Betreuern an einer stark befahrenen Hauptstraße zu stehen, die Kinder vom Straßenharakiri abzuhalten und geduldig fortlaufend gestellte Fragen wie: "Wann machen die endlich auf?" gelassen und nach wie vor heiter zu beantworten.


    Nach 30 Minuten sind die Nerven dann ein klitzeklein wenig zum Zerreißen gespannt, die ersten Kinder fassen sich in den Schritt, überkreuzen die Beine und man sieht sie schon vor sich, die Rinnbäche, die gelblich und leise zu fließen beginnen.


    Doch jemand, wer auch immer, hatte ein Einsehen und das Kino öffnete. 40 Minuten zu spät, aber wir wollen mal nicht kleinlich sein.


    Es ist ein erhebenes Gefühl, wenn 250 jubelnde - LAUTSTARK jubelnde - Grundschulkinder ein altes Kino erstürmen.
    Da sieht man doch glatt über Kinosesselexesse, bodenlos Fürze und andere kleinere Abartigkeiten hinweg.


    Froh saß ich in meinem Sessel, "meine" Kinder harrten ruhig der Dinge - es konnte losgehen.
    Vielmehr, es hätte losegehen können, so denn der Vorführmeister nicht verschlafen hätte.
    Es ist richtig schön, mit 250 ungeduldigen Kindern in einem Saal sitzen zu dürfen.
    Noch schöner, geduldig zu erscheinen, obwohl die Ungeduld einen selbst zerfrisst.


    In diesem Moment sehnte ich mich einfach danach, dass endlich, bitte endlich die magische Reise auf der Leinwand beginnen möge.
    Wie konnte ich ahnen, dass ich 50 Minuten später deren Ende herbeisehnen würde.


    Sehen wir jetzt mal über fliegendes Popcorn (welche Klasse durfte sich Popcorn kaufen um Himmelswillen?) und über Sessel kletternde Erstklässler und Millionen Pipiwütigen hinweg.
    Irgendwann begann der Film.


    Was soll ich sagen?
    "Boah ist das langweilig!" "Wann passiert denn da was?" "Wie lange geht das noch?" waren die ersten Fragen, die, noch recht zaghaft im ersten Drittel des Films gestellt wurden.


    Das ließ sich besser aushalten, als das Unisono Aufschluchzen und Weinen, bei den ersten Todesszenen.
    Irgendwann, wie sollte es anders sein, weinte meine ganze Klasse. Ich gab mir wirklich Mühe, ich erklärte, ich reichte Taschentücher, ich streichelte Rücken - aber gegen kindliche Massenhysterie dieses Ausmaßes war auch ich nicht gefeit und so bat ich still und innig nur noch um eines:
    Möge der Film bitte schnell und mit möglichst wenig toten Pinguinen enden!


    Das Schluchzen der Kinder übertönte bald die Leinwandstimmen und ich kann nicht genau sagen, wie viele Pinguine letztlich starben, dafür weiß ich mit Gewissheit, dass die Hälfte "meiner" Kinder heute Nacht Albträume von mordenden Meeressäugern haben wird.


    Aber: Wir waren gemeinsam im Kino.
    Im Gegensatz zu etlichen Pinguinen haben wir den Film halbwegs unbeschadet überstanden und ich bin mehr als gespannt, was die Kinder morgen so zu erzählen und zu sagen haben!


    Und gelernt habe ich selbstverständlich auch etwas:
    Es stinkt gewaltig, wenn 250 Kinder gemeinsam im Kinosaal sitzen und vor Langeweile ein Wettfurzen beginnen.......



    Schade um den Film.
    Für Erwachsene ist er - meiner Meinung nach - nämlich richtig schön und sehr poetisch gemacht.


    Warum ich das schreibe?
    Keine Ahnung, vielleicht um meinen Alpträumen heute Nacht vorzubeugen.


    Liebe Grüße
    strubbelsuse

  • Hey Strubbelsuse,
    du willst es vielleicht nicht hören, aber ich hab gerade deinen Beitrag gelesen und Tränen gelacht... :D
    Das war ja mal ein richtig toller Schultag!
    Danke für diesen Bericht!!!
    Gruß und schöne Träume
    Potilla

    Man muss nicht immer jeden da abholen, wo er steht - manchmal ist es auch wichtig jemaden da zu lassen, wo er sein will!

  • Hallo strubbelsuse,


    mir geht's wie Potilla:


    Respekt für dein Durchhaltevermögen!


    Viele Grüße
    volare

    Eine Lösung kommt fast immer aus der Richtung, aus der man sie am wenigsten erwartet, was bedeutet, dass es keinen Sinn hat, in diese Richtung zu gucken, weil sie nicht von dort kommen wird.


    (Douglas Adams)

  • Zitat

    strubbelsuse schrieb am 27.10.2005 20:01:
    ...


    Es hat ECHT Vorteile, in der Erwachsenenbildung zu arbeiten. :)


    nix für ungut,


    Nele


  • Schick doch deinen Bericht an die "Zeit".
    Motto: "Wie Eltern und Lehrer ihre Erfahrungen in divergenten Galaxien sammeln und sich deshalb nie verstehen werden..."

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Hallo Strubbelsuse,


    hoffentlich halten sich deine Alpträume in Grenzen , --- wie war eigentlich der Rückweg?


    Ich bin mal gespannt auf die Kommentare deiner "Elefantenklasse", über die Vorfreude wurde ja schon geschrieben.


    Gruß,
    Peter (der sich zwischen Lachen und Mitleid nicht so recht entscheiden kann...)

  • (für's Durchhalten ;) )


    Vielen Dank für diesen herzerfrischenden Bericht! :D


    Liebe Grüße
    Mia

    Man soll denken lehren, nicht Gedachtes.
    (Cornelius Gustav Gurlitt)

    • Offizieller Beitrag

    Hach herrlich! :D ... natürlich nur dein Bericht, nicht die Situation. Ich kann's mir lebhaft vorstellen.
    Wir wollen übrigens vor Weihnachten mit ca. 120 Kindern per S-Bahn ins Theater. Da freu ich mich doch jetzt gleich richtig drauf! :D;)


    Gute Nachtruhe!
    Talida

  • Super, vielen Dank.
    Ich bin dann jetzt auch sehr gespannt wie sich unser kompletter neunter Jahrgang auf dem Weg ins Theater, während der Vorstellung und dann auch danach verhält. Wird man nicht mit dem Alter reifer? Ich habe da so meine Ängste 8o

    Ich denke schneller als ich schreibe...

  • Hallo Strubbelsuse,
    vielen Dank für deinen Bericht! An meiner Schule hatten die Kolleginnen der Parallelklassen den gleichen Gedanken, nämlich genau diesen Film anstelle einer sonst üblichen
    Theatervorstellung zu wählen. und wenn die Eltern meiner Kinder am Elternabend nicht doch lieber das Kindertheater gewollt hätten, hätte ich vielleicht einige ähnliche Erfahrungen machen können.
    Ich wünsche euch angenehmes Aufarbeiten des Films und der diversen Umstände!
    Gruß venti :)

  • Der Bericht war toll zu lesen und ich kann dir einiges nachfühlen (wir waren diese Woche im Theater, das war aber nicht so schlimm). Bitte schreib weiter!
    Es ist nicht nur erheiternd sondern auch tröstlich, dass es auch anderen so geht wie uns selbst.
    Im Kino waren wir bis jetzt noch nicht, ins Theater gehen wir mindestens 2mal pro Semester.


    LG, inschra

  • Wow, Du mußt Nerven wie Stahlseile haben, um das durchstehen zu können, respekt.
    Die Szene erinnert mich ein wenig an einen Schulausflug mit der ganzen Schule aus meiner Schülerzeit. Annähernd 1000 Schüler im Alter zwischen 10 und 20 in einem Sonderzug auf dem Weg zur Mosel....kleinere Alkoholprobleme, Sonnenbrand und Reiseübelkeit inklusive.

    • Offizieller Beitrag

    Hi strubbelsuse,


    das war ein wirklich toller Bericht. Nimms mir nicht übel, aber ich hab auch Tränen gelacht.


    Da kann ich ja noch froh sein, meine letzte Deutschklasse, hat sich nämlich super benommen (am Ende haben sogar 3 Mädchen fein säuberlich - und säuerlich - ihre Popcornberge vom Teppich gefegt und gesammelt :D ), leider war eine leicht anfangspubertäre Klasse der Schule für Lernbehinderte vor uns, die waren doch etwas lautstark. Es war ein an- und abmoderierter Film, aber der Moderator konnte kaum durchdringen...


    Grüße,
    Conni,
    die sich den Kinobesuch mit 250 Kindern lieber nicht genau vorstellt.

  • Hallo strubbelsuse,


    danke für deinen Beitrag :) , musste auch grinsen, als ich mir das so vorgestellt habe. Ich habe gerade auch die Berichte deiner Kinder gelesen. Was mir auffällt: gerade die traurigen Szenen beeindrucken die Kinder. Trotzdem fanden viele den Film schön.


    Aber mal noch eine Frage: du schreibst, der Film sei für Erwachsene schön. Ab wann meinst du, finden ihn auch Kinder nicht mehr sooooo traurig? Töchterchen ist fast zehn und wir wollten den Film auch noch unbedingt angucken. Wahrscheinlich muss ich doch eine Großpackung Tempos mitnehmen (vielleicht auch für mich? ;) )

  • @ Strelizie


    Ich denke, es kommt auf das Kind an.

    Unsere Viertklässler fanden den Film hauptsächlich sehr langweilig. Er ist schon sehr langatmig und wie ich finde sprachlich recht anspruchsvoll, da sehr lyrisch-poetisch gehalten.
    Die Todesszenen fand ich persönlich jetzt nicht so dramatisch und ich bin eigentlich schon sehr nah am Wasser gebaut.
    Mag aber auch sein, dass mich die Umstände abgelenkt haben.....


    Ich kann also nicht direkt sagen, ab wann ich diesen Film empfehlen würde. Wohl eher ab Klasse 5 oder so.


    Liebe Grüße
    strubbelsuse

  • Zitat

    Schick doch deinen Bericht an die "Zeit".
    Motto: "Wie Eltern und Lehrer ihre Erfahrungen in divergenten Galaxien sammeln und sich deshalb nie verstehen werden..."



    Alias Vorschlag finde ich klasse! Denn ich habe den Bericht auch gerne gelesen und finde, dass du einen netten Schreibstil hast
    Oder nimm doch diesen Artikel als ein Kapitel für dein Buch "Aus dem Leben einer Grundschullehrerin"


    LG leila

Werbung