Antisemitische Äußerungen bei muslimischen Schülern

  • Hallo,


    ich unterrichte Fachfremd in einer 8. Klasse Geschichte. Bei einer Geschichtsstunde kam von einem türkischstämmigen Jungen die Äußerung "Die Juden haben es auch nicht anders verdient".


    Wie soll ich darauf reagieren? Kennt jemand geeignetes Material? Der Nationalsozialismus ist eigentlich erst ab Klasse 10 bei uns an der Schule Thema.


    Ich habe überlegt mit der Sure 5 vers 32 zu arbeiten. Oder verschiedene Vorurteile auf Plakate schreiben (Alle Deutschen sind Nazis. Alle Ausländer sind Verbrecher. Alle Muslime sind Terroristen. Alle Juden sind....)


    Weiß allerdings nicht, ob dies der richtige Weg ist?!?!



    Vielen Dank für Eure Bemühungen

  • Schön, dass du das nicht einfach "überhörst"!


    Gutes Material dazu bietet das Werk "Woher kommt der judenhass", bei dem auch über den Kontext rassistischer antisemitismus hinaus gegangen wird.

  • Ich weiß jetzt nicht, inwieweit für dich der Migrationshintergrund eine Rolle spielt. Ob Deutscher, Türke oder Chinese - so eine Aussage kann man nicht stehen lassen. Ich würde auch nicht den Koran rausziehen. Warum auch?
    Ich würde so vorgehen: Ich würde den Jungen bitten darzustellen, was er genau mit seiner Aussage "Sie hätten es nicht anders verdient!" meint. Da wird er ja schon ohne Argumente dastehen. Dann würde ich ihm sowohl vor der Klasse als auch unter 4 Augen mitteilen, dass solche Aussagen nicht haltbar sind und auch nichts mehr mit "freier Meinungsäußerung" zu tun haben. Je nach Interesse der Klasse, würde ich außerplanmäßig ein paar Stunden zu diesem Thema einfügen.


    Grüße
    Mara

    "Die beste Methode das Gute im Menschen zu wecken ist, ihn so zu behandeln, als wäre er schon gut." (Gustav Radbruch) :troest:

    Einmal editiert, zuletzt von mara77 ()

  • Ich finde es auch gut, dass du auf diese Aussage reagieren möchtest. Leider ignorieren viele Lehrer solche Aussagen und machen einfach mit ihrem Unterricht weiter.


    Da die Aussage vor der gesamten Klasse getätigt wurde, würde ich es auch vor der ganzen Klasse thematisieren.
    Ich würde den Schüler für seine Aussage nicht bestrafen, denn er gibt ja nur wieder, was die Gesellschaft (Familie, Medien oder wer auch immer) ihm in den Kopf gepflanzt haben. Ich würde ihn Stellung dazu beziehen lasse, wie er zu solch einer Aussage kommt. Vermutlich wird es ja irgendeinen religiösen Hintergrund haben... in etwa, dass die Juden Jesus umgebracht haben.


    Ich würde das zum Anlass nehmen, um generell über Diskriminierungen zu sprechen.
    Dass man keinen Menschen aufgrund seiner Herkunft, seines Glaubens, usw. mit irgendwelchen Attributen versehen sollte. Gerade ihn als Türken wird das interessieren, da sich der Rassismus in Deutschland primär gegen Moslems richtet. Ich sehe immer wieder, wie wenig die Menschen verstehen, wie oft diese Menschen hier in Deutschland tagtäglich diskriminiert werden.


    Meine Erfahrung hat gezeigt, dass auch schon in der 8. Klasse die SuS sehr an diesem Thema interessiert sind. In diesem Zusammenhang erläutere ich dann auch, woher unsere Schimpfwörter kommen (Itaker, Kanacke, Neger, Zigeuner, usw.) und was für eine ursprüngliche Bedeutung sie einmal hatten. Viele türkische Jugendliche wissen z.B. selbst nicht, dass das Wort Kanacke eine Beleidung inzwischen ist.


    Ich hatte letztes Schuljahr einige Stunden zu diesem Thema im Deutschunterricht gemacht, weil sich das Thema ergeben hatte und war sehr überrascht, wie sehr alle daran interessiert waren.

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    ch würde ihn Stellung dazu beziehen lasse, wie er zu solch einer Aussage kommt. Vermutlich wird es ja irgendeinen religiösen Hintergrund haben... in etwa, dass die Juden Jesus umgebracht haben.


    bei einem türkischstämmigen Jungen???

  • Der Frosch hat Recht. Der islamische Antagonismus dem Judentum gegenüber hat sicherlich ganz andere Ursprünge als der religiös-rassistisch verwurzelte Antisemitismus in Westeuropa; deswegen sind dessen Erklärungsmuster in solchen Fällen auch wenig hilfreich, auch wenn es da schon in den 90ern ganz bizarre Bündnisse zwischen rechtsradikalen westlichen Holocaustleugnern und islamistischen Fundamentalisten gegeben hat!


    Meiner Erfahrung nach - und ich mache diese Erfahrung regelmäßig - ist die beste Strategie, die Problematik des Palestinakonflikts von beiden Seiten rational darzustellen und die üblicherweise auftretenden Verschwörungstheorien (z.B. "am 11. September sind alle Juden gewarnt worden und konnten das World Trade Center verlassen") als solche kenntlich zu machen und angemessen entschlossen zu verwerfen.


    Junge Muslime suchen in der Regel in der Phase jugendlicher Bewußtwerdung einen politischen Anknüpfungspunkt für ihre Loyalität. Als Lehrer muss man versuchen, ihnen diese Anknüpfungspunkte in einem als "stark" rüberkommenden, demokratischen Freiheitsgedanken zu vermitteln. Ich habe keine Kochrezepte für Kinder. Bei den testosterongeladenen muslimischen Jungemännern, die ich unterrichte, hilft da Kante und Position zu zeigen, als Lehrer für demokratische Prinzipien zu stehen, die aber auch entschlossen zu verteidigen. Junge Muslime verstehen, wenn man als Deutscher keinen Antisemitismus in seinem Klassenraum duldet. Man muss es ihnen aber auch in klaren Worten erklären.


    Nele

  • Ich gehe auch mal davon aus, dass diese Äußerungen aus den Ungerechtigkeiten Israels in der arabischen Welt rühren. Es wäre sicher sinnvoll da anzuknüpfen, und deutlich zu machen, welche Standpunkte beide Seiten haben und deutlich zu machen, dass Haß und Antisemitismus keine Lösung für das Problem darstellen. Sicherlich sollte man aber auch auf die andere Seite (z.B. Siedlungsbau Israels, die Grenzmauer und die millitärischen Einsetze gegen Hilfslieferungen auf dem Mittelmeer) eingehen und dies diskutieren. So kann man auf die SuS eingehen und ihnen vllt. besser vermitteln, dass Antisemitismus der falsche Weg ist, sondern ein Aufeinanderzugehen beider Seiten nötig ist. Ich hatte in meiner Schulzeit zu dem Thema Palästina gute Unterrichtsmaterialen, die als Diskursionsgrundlage dienten (War ein Ge-Zusatzkurs in der 13. aber sicher auch was für jüngere.). Ich meine das war von der bundeszentrale für politische Aufklärung und da kamen auch die Themen Vorurteile und Rassismus vor. Wenn es dich interessiert, kann ich noch mal nachsehen, ob ich das wiederfinde.

  • Da in vielen Diskussionen häufig auch antisemitische Stereotype als vermeintlich "israelkritische" Haltung verkauft werden, ist es wichtig, diese Definition zur Thematik zu kennen



    http://www.hagalil.com/antisemitismus/2005/01/definition.htm

  • Junge Muslime verstehen, wenn man als Deutscher keinen Antisemitismus in seinem Klassenraum duldet. Man muss es ihnen aber auch in klaren Worten erklären.


    Nele


    Es wäre schade, wenn man Deutscher sein muss um keinen Antisemitismus zu dulden - wo auch immer.

  • Der Junge wird den Satz erst einmal irgendwo aufgeschnappt haben - vielleicht sogar im Elternhaus. Ein Gespräch mit dem Schüler ist also ggf. nur die Spitze des Eisberges...


    Andererseits könnte man das Thema auch dahingehend behandeln, dass es sich erst einmal um eine Verallgemeinerung handelt, die sich bei genauerem Nachdenken als barer Unsinn herausstellt. So könnte man die Thematik ausdehnen und würde nicht in diesem antisemitischen Gewirr steckenbleiben.

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