Lehrer in Zeiten der Bildungspanik

  • Lehrer in Zeiten der Bildungspanik
    - eine Studie des Instituts Allensbach zum Prestige des Lehrerberufs und zur Situation an den Schulen in Deutschland. 64 Seiten PDF, 24.April 2012
    http://www.vodafone-stiftung.d…sbach_studie_24042012.pdf


    Was mich erschreckt: fast ein Viertel der Lehrer hat bereits ernsthaft darüber nachgedacht, den "Job" hinzuwerfen. Je älter, je mehr.
    Lesenswert der Kommentar von Prof. Ulrich Trautwein zum Umgang mit / zur Rezeption von Meinungsumfragen und derartigen Studien im Anhang sowie zur Problematik des dreigliedrigen Schulsystems.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

    • Offizieller Beitrag

    Wir haben seit geraumer Zeit einen Krankenstand von 20%. Seitdem wir Gemeinschaftsschule sind mit Inklusion und allem drum und dran arbeiten. Und es sind nicht nur die älteren Kollegen, die über´s Abbrechen ernsthaft nachdenken.
    Elternschreck mag polemisch formulieren. Recht hat er trotzdem.

    • Offizieller Beitrag

    Ich sage dann auch mal polemisch, vielleicht kann man diese Kollegen in der Schule von heute auch nicht mehr gebrauchen. Man kann eben nicht mehr unterrichten wie vor 25 Jahren. Genauso wenig, wie man eben Autos bauen oder im Büro arbeiten kann wie vor 25 Jahren.

  • Im Prinzip ist das die Quintessenz der Studie - die du wohl noch nicht überflogen hast.
    Der Hauptgrund für den Frust der Kolegen sind die psychischen Belastungen, denen man im Schulalltag im Umgang mit bestimmten Schülern und Eltern ausgesetzt ist. Da wird man wohl im Alter etwas dünnhäutiger...


    Mir wäre es lieb, wenn hier über diese Studie diskutiert wird und nicht über Bildungskommunisten, Kuschelpädagogen oder Bildungspaniktum. Dazu gibt es ja bereits separate Threads.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Zitat alias :

    Zitat

    Was mich erschreckt: fast ein Viertel der Lehrer hat bereits ernsthaft darüber nachgedacht, den "Job" hinzuwerfen.

    So wenig ? Ich kenne zumindest kaum jemanden incl. der Jüngeren, der unter den gegebenen und sich verschlimmernden Umständen den Job nicht hinschmeißen würde, wenn er eine adäquate berufliche Alternative hätte. 8_o_)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !


  • Mal anhand dieser Aussage eine subjektive Beobachtung: Es waren meiner Erfahrung nach bisher stets die Kollegen diejenigen, die über Disziplinlosigkeit jammerten, von denen bekannt war, dass sie ihren Unterricht mit eher beschaulichem Engagement bereicherten. Daher teile ich die Ansicht rein aus subjektiver Erfahrung heraus.

  • Gerade wieder drüber gestolpert - und einen netten Artikel der SZ zum Thema gefunden:

    Zitat

    Das größte Problem der Lehrer sind ihre Schüler


    :geschenk:
    http://www.sueddeutsche.de/bil…d-ihre-schueler-1.1340348


    Zitat

    Kritik übten viele befragte Lehrer an ihrer Ausbildung. So fühlt sich jeder zweite unzureichend auf den Beruf vorbereitet; überrascht sind offenbar viele, wenn sie dann auf leibhaftige Schüler stoßen. 40 Prozent der Junglehrer, die ihre Ausbildung bemängeln, geben an, dass sie sich unzureichend auf den Umgang mit Schülern und Eltern vorbereitet fühlen.


    Jede zweite Lehrer glaubt, dass das Unterrichten in den letzten zehn Jahren schwieriger geworden ist. Ein wichtiger Grund für die mangelnde Attraktivität ihres Berufs ist nach Ansicht der Pädagogen, dass die Schule immer mehr Aufgaben des Elternhauses übernehmen müsse.


    Besonders Lehrer an Haupt-, Real- und Sekundarschulen, also Schulformen, die jenseits des Gymnasiums existieren, beschweren sich über zunehmende Belastungen. Fast 60 Prozent von ihnen geben an, dass Motivation und Disziplin der Schüler schlecht seien, bei den Kollegen am Gymnasium findet das nur ein Drittel. Immerhin: bei fast der Hälfte der Lehrer überwiegt die Freude am Beruf, am deutlichsten bei GrundschullehrerInnen.


    http://www.taz.de/!92112/

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Gerade wieder drüber gestolpert - und einen netten Artikel der SZ zum Thema gefunden:


    Wieder eine dümmliche Lehrer-Bashing-Platitüde. Was auch wahr ist:


    - Das größte Problem der Journalisten sind die Leser.
    - Das größte Problem der Verkäufer sind die Kunden.
    - Das größte Problem der Politiker sind die Wähler.
    - Das größte Problem der KFZ-Mechaniker sind die Autos.
    - Das größte Problem der Programmierer ist die Software.
    - Das größte Problem der Foristen sind die Mit-Foristen
    - ...


    Wie wär's mal einen einzigen Monat ohne irgendwelche dümmlichen Umfragen, Studien, ... liebe Wächter der veröffentlichten Meinung (= Journalisten)?


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Ich muss gleich noch meinen Lottoschein auswerten lassen. Wenn genug dabei ist, bin ich auch weg.... Ich bin seit 10 Jahren dabei und mir ist die Lust in der letzten Jahren immer mehr vergangen. Eine Reform jagt die nächste. Alle Nase lang werden uns "Verbesserungen" augedrückt. Die Kundschaft lässt intellektuell immer mehr nach. Hätte ich eine Alternative, würde ich diese wählen.


    In Wartestellung
    Raket-O-Katz

    • Offizieller Beitrag

    Mir wäre es lieb, wenn hier über diese Studie diskutiert wird und nicht über Bildungskommunisten, Kuschelpädagogen oder Bildungspaniktum. Dazu gibt es ja bereits separate Threads.


    Ja, das gestaltet sich schwierig, weil die Differenzierungsfähigkeit/willigkeit z.T. sehr stark vom eigenen Erleben abhängt. Ich fänd's auch schön, mal jenseits der Phrasen und sinnlosen Schuldzuweisungen diskutieren zu können.


    Ich arbeite zum Beispiel an einer gut geführten Schule mit einem überwiegend kollegialen, motivierten Personal und überwiegend angenehmer Kundschaft. Es gibt Probleme, ja, aber es gibt auch genug Netzwerk zum Auffangen derselben. Die meisten Kollegen bewerten die Schule an sich sehr gut (wir evaluieren regelmäßig anomym), die Arbeitsbelastung aber trotzdem als ständig steigend. Der Krankenstand steigt auch.


    Vor allem unter den jüngeren Kollegen. Die oft noch nicht mal mit voller Stelle anfangen, weil sie sich das gar nicht zutrauen. Von daher kann ich Trantors Vermutung eher nicht nachvollziehen, es läge am Alter/ unflexibler Haltung/nachlassendem Willen.


    Ich denke, es ist mittlerweise einfach ein wesentlich komplexerer Job als in der 70igern, als man in der Klasse eben "machen konnte, was man wollte" und ältere Kollegen von Unterrichtsverpflichtungen um die 22 Stunden berichten. Die Arbeit ist anspruchsvoller geworden und hat sich im Umfang verdichtet. Und zwar extrem. Es lässt sich, glaube ich, auch nicht an einer einzigen Reform, politischen Richtung oder einer bestimmten Änderung festmachen, warum das so gekommen ist, dass der Job kaum noch mit den gesetzmäßigen Wochenstundenzahlen zu machen ist.


    Es kam jedes Jahr was Neues dazu, immer "nur eine Kleinigkeit" - eine Anforderung, eine Pflichtfortbilung, eine unterrichtliche Verpflichtung, eine administrative Arbeit, eine neue Kompetenz, eine Förderungsmaßnahme, eine Form der Dokumentation - und inzwischen ist das eine Summe von Aufgaben und Kompetenzen, die locker mehrere Jobs beschreibt. Das kann zwar logischerweise nicht unendlich so weiter gehen, wird aber genau so lange weiter betrieben werden, bis das ganze System entweder vor die Wand fährt - oder die Menschen sich dem komplett verweigern. Diese Verweigerung kann auch auf verschiedene Wesen geschehen: entweder wird (wie zB ind en USA) eine massive Kluft zwischen Privatschulen und staatlichen Schulen klaffen, was Qualität und Ausstattung angeht - oder es wird so sein, dass die Krankenstände, Unterrichtsausfälle, und Kollegen in der inneren Emigration Deutschland bildungsmäßig so weit zurück werfen werden, dass man begreift, dass Geld in die Hand genommen werden muss. Erhebliche Mengen an Geld. Für Zusatzpersonal, eine 110% Vertretungsreserve, die einfach da ist, so dass die Pflichtstundenzahl auch die Pflichtstundenzahl ist, Menschen, die die adminstrativen Aufgaben und die Aufgaben, die nicht Kerngeschäft sind, übernehmen, Schulpsychologen vor Ort, Schulassistenten für die Technik und für's 'Laminieren' ;) - usw usf. Externe und zentrale Korrekturen standardisierter Tests könnten dem ganzen Korrekturwahn, der noch nicht mal aussagekräftig ist, ein Ende bereiten... Und ja, Klassengröße hat etwas mit der Lehrergesundheit zu tun und Lehrergesundheit hast was mit der Unterrichtsqualität zu tun, da kann Hattie erzählen was er will.


    Ideal wäre, wenn keines der beiden Szenarien, die ich oben beschrieben habe, eintreten müsste um Wirkung zu erzielen, sondern wenn gut organisierte Lehrer mit einer Vorstellung von Solidarität und Prioritätensetzung durch gut organisierte Protest/Streikaktionen das gemeinsam erreichen könnten.


    Leider lassen sich Lehrer im Schnitt sehr schlecht zu ernst zu ehmenden Protesten und gemeinsamen Aktionen bewegen. Lieber meckert man am Verband des anderen herum oder weist sich gegenseitig die Schuld zu, politisch oder otherwise. Das ist übrigens genau die Art und Weise, wie man ein Volk zum Klappe halten und mitmachen bekommt (divide et impera)...

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

    3 Mal editiert, zuletzt von Meike. ()

  • Ich würde mir auch wünschen, dass die Lehrer und ihre Interessenvertreter bereits von Anfang an gegen vollkommen absehbare Mehrbelastungen wie Inklusion und Ganztagsschule demonstriert hätten und die Politik unter Druck setzt diese nicht schnell und billig einzuführen (oder dann eben gar nicht).




    Ansonsten bleibt nur seine Arbeitsweise zu ökonomisieren. Dann werden eben Aufgaben nur noch danach gestellt, wie effizient sie sich korrigieren lassen, statt eine besondere intellektuelle Stimulation für die Schüler zu sein. Wenn ich die Wahl habe 1 oder 2 Klausuren schreiben zu lassen, ist es eben nur eine. Arbeit in AGs fällt flach (geht natürlich nur, falls man es nicht auf eine große Karriere im System anlegt). Einmal erstellte Arbeitsblätter werden so oft wie irgend wie noch vertretbar eingesetzt. Testate werden in den Konferenzen korrigiert (erneut: nicht für Karrierelehrer empfehlen) und so fort...



    Die Tarifvereinbarung schreibt fest, dass man im Mittel nicht mehr als 41 Stunden arbeiten darf. Daran sollte man sich halten - in anderen Betrieben (Siemens, Daimler, Bosch etc.) bekommt der Chef andernfalls sonst echten Ärger von Betriebsrat und Gewerkschaft. Die Chefs achten darum dort auch streng darauf, dass im Mittel niemand mehr als 35 Stunden arbeitet.

  • bereits von Anfang an gegen vollkommen absehbare Mehrbelastungen wie Inklusion und Ganztagsschule demonstriert hätten und die Politik unter Druck setzt diese nicht schnell und billig einzuführen (oder dann eben gar nicht).


    Die jenigen Kollegen, die seinerzeit zu den genannten Themen Zweifel äußersten wurden gleich abgekanzelt von anderen Kollegen. Zweifel an Inklusion - böser Blick, man hätte wohl was gegen Behinderte und offen ausgesprochen: man würde das viel zu schwarz sehen. Ganztagszauber - aber man muss doch die leuchtenden Kinderaugen....., wenn die Kinder nachmittags in AGs Spaß haben. (Nachmittags in Realität: Unterricht.)


    Soviel dazu.

  • Die jenigen Kollegen, die seinerzeit zu den genannten Themen Zweifel äußersten wurden gleich abgekanzelt von anderen Kollegen.


    Tja, und wenn man einmal genau beobachtet, kommen die Claqueure und Apologeten von Ganztagsschule, Inklusion, "leuchtenden Kinderaugen", usw. immer aus derselben bildungsideologischen und -politischen Ecke. Leider kapieren insbesondere Lehrkräfte oft nicht, dass nur weil irgendwo "sozial" oder "Gewerkschaft" draufsteht, noch lange nicht die entsprechenden Inhalte drin sind, jedenfalls nicht aus Sicht der im Bildungssystem Beschäftigten.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

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