Was kann man aus dieser Krise positiv für die Schulentwicklung nutzen?

  • Eine funktionierende digitale Infrastruktur ist zweifellos wichtig für den Schulbetrieb. Da wir diese schon haben, hat sich bei uns während des Fernunterrichts da nun ein gewisser Überdruss breitgemacht. Wir hatten vor der Schulschliessung noch eine sehr hitzige Abstimmung im Konvent darüber, wie viele unserer neuen 1. Klassen im August mit Laptop kommen sollen bzw. ob der ganze Jahrgang flächendeckend zu Laptop-Klassen wird. Da tat sich ein tiefer Graben zwischen den Digitalisierungs-Pros und den Skeptikern auf, "gewonnen" haben insofern die Skeptiker, als dass wieder nur der halbe Jahrgang mit Laptops kommen wird. Jetzt im Fernunterricht ist der Graben aber sowas von kleiner geworden wenn nicht gar zahlreiche Brücken darüber gebaut wurden, interessanterweise aber ganz klar ausgehend von der Seite der Digitalisierungs-Pros. Ein Grossteil meiner SuS kann meine Aufträge im Fachunterricht sowieso nicht am Laptop bearbeiten, weil praktisch nur die SuS aus den Laptop-Klassen Geräte mit Stifteingabe besitzen. Der Rest kann die Anweisungen auch am Smartphone lesen bzw. dort auch mal ein Erklär-Video bzw. einen Film schauen. Dann schreiben sie von Hand aufs Papier, fotografieren mit OfficeLens und schicken ein pdf über Teams an mich zurück. Die Apps gebrauchen wir also hauptsächlich zum Datenaustausch und hin und wieder klären wir mal schnell eine Frage über den Chat. Mir ist es unterdessen ehrlich gesagt wurscht, ob meine neuen Erstklässler im August mit einem Laptop, Bleistift und Radiergummi oder von mir aus auch mit einer Pfauenfeder kommen. Ein Smartphone haben sowieso alle und das reicht eigentlich vorerst. In der 3. Klasse schreiben sie dann Maturarbeit, bis dahin haben die meisten dann ohnehin ein Laptop.


    Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir weg vom Stundenplan und hin zu mehr freier Arbeitszeit kommen. Das wird aber zumindest kurzfristig sicher nicht passieren, dafür hängt die Mehrheit meiner Kollegen leider viel zu sehr an den alten Strukturen fest. Auch das wird jetzt im Fernunterricht sehr sichtbar, normalerweise hat man ja doch recht wenig Ahnung davon, was die Kollegen so treiben. Einige Kollegen hängen im 45-min-Takt im Video-Chat und dozieren, das finde ich doch recht befremdlich. Vor allem, da vor dem Fernunterricht am BYOD-Konzept besonders kritisiert wurde, dass die SuS dann ja so viel Zeit am Bildschirm verbringen. Es ist interessant zu sehen, dass auch einige der lautesten Kritiker jetzt besonders viel Bildschirmzeit verursachen während sich andere Kollegen bewusst Mühe geben Arbeitsaufträge zu verteilen, für die die SuS *nicht* am Bildschirm sitzen müssen. Es zeigt sich nun auch ein deutlicher Unterschied zwischen Kollegen, die vorher schon Erfahrung mit unserem Selbstlernsemester hatten und solchen Kollegen, die an diesem nie beteiligt sind (das findet nicht in allen Fächern statt). Die Möglichkeit mal eben schnell nach Stundenplan alle in den Video-Chat zu zitieren verhindert geradezu, dass besonders renitente Kollegen ihre alten Konzepte übern Haufen schmeissen müssen. Ist einfach nicht nötig.


    Spannend finde ich, dass ich gerade viel mehr sehe, was meine SuS eigentlich machen da sie mir ja ständig Aufgaben abgeben und ich diese individuell kommentiere. So viel Feedback bekommen die im "normalen" Unterricht nie. Ich bin gespannt, ob sich das langfristig auszahlt, befürchte aber, dass dem nicht so sein wird. Zumindest stellt sich aber eine gewisse Selbstverständlichkeit bei der selbständigen Arbeit ein, sie SuS haben ja nicht mehr ständig die Möglichkeit zu krähen, dass sie gerade irgendwas nicht verstehen (und meist sind sie dann nur zu faul den Aufgabentext richtig zu lesen).


    aber vll. wären auf Dauer auch kleinere Klassen effektiver (bessere individuelle Förderung möglich u.a.)

    Das ist eben ein weit verbreiteter Irrglaube der empirisch mehrfach widerlegt ist und deswegen glaub ich auch nicht, dass meine Investition ins individuelle Feedback langfristig was bringt (ich mache es trotzdem, weil ich durch den Wegfall der Abschlussklassen gerade die Zeit dafür habe). Ein Einfluss der Klassengrösse auf den Lernerfolg macht sich erst ab ca. 20 SuS pro Klasse bemerkbar, darunter spielt die Kursgrösse keine Rolle. Im Idealfall musst Du in der gymnasialen Oberstufe auch nur wenige "individuell fördern", die Mehrheit fördert sich selbst. Bei uns ist das auch so. Mein kleinster Kurs hatte 8 Personen, da war ich 4 Jahre lang immer mit den gleichen 2 Personen beschäftigt, der Rest hat mich in diesem Ausmass nicht gebraucht.

  • Vielleicht mal ein Denkansatz, der durch dieses Coronaschlamassel auch mal wieder Beachtung finden könnte...

    Generell freies Internet für jeden.

    Schafft zB Estland - dort hat jeder Este freien Netzzugang.

    Sollte hier also eigentlich auch machbar sein...

    ...klar können dan gewisse Konzerne nicht mehr so viel kassieren - brauchen die auch nicht, die haben genug andere Geldquellen.

    Wäre doch ein schönes Gesetz... mMn ist ein Internetzugang in der heutigen Zeit in einem westlichen Industrieland kein "Luxus", sondern erforderlich. .Und wer das jetzt noch bestreitet, hat nicht nur einen Knall nicht gehört.

    Der Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung ihn Dinge sehen lässt wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. (Ambrose Bierce)
    Die Grundlage des Glücks ist die Freiheit, die Grundlage der Freiheit aber ist der Mut. (Perikles)
    Wer mit beiden Füßen immer felsenfest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Schritt weiter. (Miss Jones)
    Wenn der Klügere immer nachgibt, haben die Dummen das Sagen - das Schlamassel nennt sich dann Politik (auch Miss Jones)

  • Wir haben inzwischen ein einheitliches Chat-Programm, das ich für jede meiner Klassen adaptiert habe.

    Das wird auch nach Corona so bestehen bleiben und Schüler können so niederschwellig(!) nachfragen und umgekehrt kann ich auch leichter auch kurzfristige Ankündigungen weitergeben.


    Und ich muss zugeben, dass die Moodle-Plattform, die ich jahrelang wegen ihrer Altbackenheit gemieden habe, inzwischen recht schick aussieht.

    Wie sehr ich sie nach Corona nutzen werde, weiß ich noch nicht, aber es wird mehr als "gar nicht" sein.

  • Die Reduzierung der Anwesenheit bei Konferenzen. In den letzten Wochen habe ich festgestellt, dass sich viele Dinge problemlos über Audio- oder Videokonferenzen lösen lassen. Bei einer durchschnittlichen Lehrerkonferenz sitzen 100 hochbezahlte (A13++) Menschen drei bis vier Stunden in einem Raum, haben vorher vermutlich noch zwei Stunden gewartet und hören drei Leuten zu, die referieren. Bei Fachkonferenzen ein ähnliches Bild mit weniger Menschen.

    Das klingt auch wunderbar. Da fürchte ich aber, ist meine Schulleitung noch lange nicht so weit, das langfristig zu akzeptieren. Seufz.

  • Ich weiß nicht, mir dünkt jetzt langsam, welchen Mehrwert digitales Lernen wirklich hat und da scheint mir die Ausbeute mager zu sein. In Berufsschulen und Oberstufe Gymnasium nutzt die Vorbereitung für berufliche Anwendung vielleicht, das kann ich nicht beurteilen. Für Grund-/Ober-/Förderschulen/SEK I sehe ich keine Vorteile, das ganze Homeschoolen ist eine Notlösung, der Erklärfilm ersetzt nicht unsere Anwesenheit, die App nicht das Übungsheft, die Videokonferenz nicht das Gespräch.

    Mein subjektiver Eindruck in der momentanen Situation ist, dass sich da die verschiedenen Schulformen und auch Brennpunkt vs. bessergestellte Regionen gar nicht so sehr unterscheiden. Der gemeinsame Nenner heisst halt nun mal "Mensch". Ich bin immer schon der Meinung, dass "digitales Lernen" keinen eigentlichen Mehrwert hat, wie soll denn auch irgendeine bunte App ein Schülerhirn plötzlich schlauer machen. Im Fernunterricht zeigt sich dann jetzt auch, dass wir Lehrpersonen als Menschen nicht durch Apps ersetzbar sind. Viele von uns haben Angst davor, man könnte durch die Digitalisierung wegrationalisiert werden. Nein, das wird nie passieren. Als Naturwissenschaftlerin bin ich grundsätzlich vorsichtig mit "nie" und "immer", aber in dem Fall bin ich überzeugt davon, dass es ohne den zwischenmenschlichen Kontakt an einer Schule NIE gehen wird. Laptops sind als Arbeitsgeräte praktisch und auch in keinem Bereich mehr wegzudenken. Ja, wir sollten wenigstens in der Sek II dieses Arbeitsgerät auch gebrauchen und den Jugendlichen einen sinnvollen Umgang damit beibringen. Aber es sind Arbeitsgeräte und kein Ersatz für Menschen und auch sonst keine Heilsbringer.

  • Ein späterer Unterrichtsbeginn würde darüber hinaus für viele Eltern morgens erhebliche Betreuungsprobleme verursachen...

    Für Teenager?!?! Wie lange wollt ihr die noch beglucken (die betüteln, wie 'ne Glucke auf ihren Eiern sitzt)?


    In Berufsschulen und Oberstufe Gymnasium nutzt die Vorbereitung für berufliche Anwendung vielleicht, das kann ich nicht beurteilen. Für Grund-/Ober-/Förderschulen/SEK I sehe ich keine Vorteile, das ganze Homeschoolen ist eine Notlösung, der Erklärfilm ersetzt nicht unsere Anwesenheit, die App nicht das Übungsheft, die Videokonferenz nicht das Gespräch.

    Solange die physische Bewegung (z.B. schreiben mit Fülle etc.) noch für die Kognition gebraucht wird, ist das (E-Learning im Sinne von "nur vor dem Bildschirm sitzen") m.E. sehr kritisch zu sehen. Man kann das aber sehr wohl mit praktischen Arbeitsphasen abwechseln.

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :_o_P


    8_o_) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • Mir ist noch was Positives eingefallen: vielleicht sterben aktuell endlich mal die Läuse aus!:tanz:

  • Ich weiß nicht, mir dünkt jetzt langsam, welchen Mehrwert digitales Lernen wirklich hat und da scheint mir die Ausbeute mager zu sein. In Berufsschulen und Oberstufe Gymnasium nutzt die Vorbereitung für berufliche Anwendung vielleicht, das kann ich nicht beurteilen. Für Grund-/Ober-/Förderschulen/SEK I sehe ich keine Vorteile, das ganze Homeschoolen ist eine Notlösung, der Erklärfilm ersetzt nicht unsere Anwesenheit, die App nicht das Übungsheft, die Videokonferenz nicht das Gespräch.

    Ist auch mein Eindruck. Ich lerne zwar etliches über Videokonferenzen, Online-Plattformen etc, aber die Schüler melden mir jedes Mal zurück, dass sie lieber den direkten Kontakt im Unterricht wieder zurück hätten und dass sie gar keine permanente digitale Berieselung wollen, sondern lieber verständliche Arbeitsaufträge mit Buch und Arbeitsblättern. Erklärfilme sind sehr gefragt, aber das ist auch der Tatsache geschuldet, dass die Lesekompetenz immer schlechter wird. Ich bekomme regelmäßig Rückfragen per Mail, die zeigen, dass Schüler einfachste Formulierungen in den Aufgaben gar nicht lesen, sondern lieber den bequemen Weg wählen - frag doch den Lehrer. Im Prinzip wie im Präsenzunterricht.

  • Erst mal vorweg: Was ich totalen Müll finde, sind Presseberichte, die Corona-Krise hätte aufgedeckt, dass die Schulen die Digitalisierung verpennt haben. Das ist doch kein logischer Schluss, es ist doch klar, dass man für Heimunterricht andere Sachen braucht als für Unterricht IN der Schule. Und wenn man IN der Schule vielleicht sogar eine tolle Ausstattung hat, nützt die für zu Hause eben auch nichts ...


    Aber was ich mitnehme:

    - ich werde NIE WIEDER in irgend einer Konferenz irgend was technisches zeigen. Ich werde in Zukunft immer GLEICH ein Erklärvideo machen und in der Konferenz sagen, wo es das zu sehen gibt. Denn: Noch nie in fast 20 Jahren Schule habe ich so vielen Menschen (Lehrern wie Schülern) so viel Technik so schnell erklären können wie jetzt. Und wenn dann Gejammer kommt, dass das zu kompliziert ist, würde ich vielleicht ein "in der Corona-Krise hättest Du's schon gelernt, da ging das komischerweise ..." hinterherschieben

    - ich werde mir weiter Hausaufgaben auf Moodle abgeben lassen. Nie wieder HA kontrollieren, nie wieder Zeug im Gang / im Bus abgeschrieben (Abgabetermin vorher setzen), und wenn in der Stunde Zeit ist, kann ich sogar Feedback schreiben (allerdings hatte ich damit schon kurz VOR Corona angefangen)


    Darüber hinaus gibt mir der jetzigen Unterricht Anlass zum Grübeln. Die Leistungsschere ist noch krasser als vorher: Die guten Schüler machen alles locker und werden noch vor der Zeit mit allem fertig und fragen nach Extraaufgaben. Und dann wiederum gibt es Schüler, wo mir auch die Eltern zurückmelden, dass sie was tun, aber trotzdem kommt erkennbar NICHTS dabei raus. Das hat man jetzt mit digitaler Kontrolle dann vollständig dokumentiert. Da habe ich natürlich schon ein paar Ideen, Ansätze, aber da bin ich mit Nachdenken noch lange nicht fertig.


    Jedenfalls hoffe ich, dass das von vielen (und bitte nicht auf plump-reißerische Art) analysiert wird, vielleicht kommen ja ein paar gute Sachen bei raus!


    Und, was man nicht oft genug unterstreichen kann: Wir sollten die Lebendigkeit, die normalerweise in einem Schultag, einer Schulgemeinschaft steckt, wenn alle zusammen sind, mehr wertschätzen, wenn wir endlich wieder zusammen sind!

  • Die Leistungsschere ist noch krasser als vorher: Die guten Schüler machen alles locker und werden noch vor der Zeit mit allem fertig und fragen nach Extraaufgaben

    Das passiert bei uns an der Schule gar nicht. Ich hab speziell in meiner eigenen Klasse einzelne, ansonsten eher schwache SuS die sich gerade enorm viel Mühe gegeben und regelrecht über sich hinaus wachsen. Ich habe aber keine Ahnung, wie das hier an anderen Schulen aussieht.


    SuS die jetzt deutlich mehr Freizeit haben weil sie schneller sind als der Rest gibt es nur sehr wenige. Ich habe genau eine Schülerin die gerade so eine Art Filmkarriere gestartet hat weil sie Zeit im Überfluss hat. Die produziert jetzt lustige Science Videos.

  • Vorne in den Raum kommt dann z.B. ein Whiteboard, ein Apple TV oder ähnliches!

    und wer ist der Glückliche, der das bei euch bezahlt? Ich bin (war) zumeist schon froh, wenn der Tafelschwamm nicht komplett versifft ist (oder überhaupt vorhanden)....

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